Protocol of the Session on March 11, 2005

Weltoffenheit und Toleranz – das bedeutet Handel. Sachsen profitiert vom Handel mit dem Ausland. Sachsen hat unter allen neuen Bundesländern den größten Exportanteil. Das liegt auch daran, dass spezielle Fahrzeuggruppen, beispielsweise bei VW, extra für den Export gebaut werden, weil das Werk in Mosel innerhalb des Konzerns die höchsten Qualitätsanforderungen erfüllt. Dort werden die schwierigen Autos gebaut, die mit der Linkslenkung für Japan und für Südafrika. Weitere Beispiele sind Uhren, Lebensmittel und andere Produkte aus Sachsen sowie der Tourismus. Hier kommen Menschen her, die diese Landschaft sehen und diese Kultur genießen wollen. Das bedeutet bei weitem nicht, dass damit das Fremde gemästet würde. Nein, das nicht! Da haben Sie etwas völlig falsch verstanden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU, der PDS, der SPD und den GRÜNEN)

Toleranz und Weltoffenheit – das bedeutet Offenheit gegenüber jedermann, aber zunächst einmal die Achtung der anderen. Ein Mindestmaß an Respekt vor anderen zu haben bzw. zu entwickeln ist die Anforderung, die wir an uns selbst, aber auch an alle anderen Sachsen, die mit uns das Land gestalten wollen – diesen Anspruch haben sie –, stellen.

(Beifall bei der FDP, der PDS, der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Toleranz und Weltoffenheit – das bedeutet Diskussionsbereitschaft, das Überdenken eigener Standpunkte, das

Aushalten von Kritik und das Damit-umgehen-Können, und zwar anders als nur mit dem Baseballschläger oder dem Springerstiefel.

Austausch – das heißt, dass andere herkommen und hier leben. Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung liegt bei 2 %. Das ist bei weitem keine Überfremdung. Wer dennoch von Überfremdung spricht, wie es die NPD immer wieder tut, der verkennt die Sachlage, bewegt sich weit außerhalb der Realität und betreibt eigentlich nur dumpfe Diskriminierung.

(Beifall bei der FDP, der PDS und den GRÜNEN)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Dr. Ernst? Ja.

Herr Dr. Martens, sind Sie mit mir der Meinung, dass man in Sachsen, wo nur wenige Ausländer und noch viel weniger Asylbewerber leben, mit wenigen, manchmal sogar mit gar keinen Mitteln die Situation erheblich verbessern könnte und vielleicht müsste, und das relativ rasch?

Das ist eine Diskussion, die wir führen. Das ist in der Tat bisweilen möglich. Wir sollten aber nicht eine Diskussion führen, wie wir bestimmten Menschen grundsätzlich den Zutritt bei uns verweigern können.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Herr Prof. Dr. Weiss.

Teilen Sie meine Meinung, dass die merkwürdige Angst vor Überfremdung eine spezielle Form des Verfolgungswahns ist?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der PDS, der FDP und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Nein, das ist Realismus! Fahren Sie nach Kreuzberg!)

Herr Prof. Dr. Weiss, ich glaube, dass Xenophobie bisweilen durch paranoide Verfolgungsängste bedingt sein kann. Ich fahre fort, weil ich nicht mehr viel Redezeit habe.

(Der Abg. Jürgen Gansel, NPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ich werde auch keine weitere Zwischenfrage zulassen. Meine Damen und Herren! Diese Toleranz und Weltoffenheit, die Sachsen auszeichnet, ist nicht wirklich in Gefahr, kann aber beschädigt werden, wenn wir nicht

wachsam sind, wenn wir uns nicht wehren und die Demokratie nicht verteidigen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU, der PDS, der SPD und den GRÜNEN)

Das geht weniger mit einfachen Betroffenheitsritualen; das geht nur mit inhaltlicher Auseinandersetzung. Man muss hinterfragen, was mit „Angriffen auf die Freiheit“ gemeint ist, und offen legen, was hier an Menschenverachtung und an Angriffen auf die Menschenwürde, und zwar auf die Würde aller Menschen, läuft. Wer die Menschenwürde Einzelner angreift, der greift die Menschenwürde insgesamt an.

(Beifall bei der FDP, der PDS, der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Wer Weltoffenheit und Toleranz in Zeiten der Globalisierung retten möchte, wird dies sicherlich nicht durch Abschottung schaffen. Wir werden unsere Zukunft nicht gewinnen, indem wir wieder Mauern um unser Land errichten und indem sich die Familie heimlich nachts bei Kerzenschein vor dem Volksempfänger versammelt. Nein, wir haben eine globalisierte Welt, und das werden wir nicht ändern.

Bitte zum Schluss kommen!

Jawohl, Herr Präsident!

(Heiterkeit)

Wenn die Menschen in Indien denselben Wohlstand erreichen wollen wie wir – das wollen sie; sie sind hungrig danach –, wie sollten wir sie daran hindern?

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sie haben auch ein Recht darauf!)

Sie haben auch ein Recht darauf.

(Beifall bei der FDP, der PDS und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn wir in dieser Welt bestehen wollen, dann müssen wir das nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern wir müssen die Chancen, die unser Land hat, nutzen. Wir müssen daran arbeiten, dass wir weltoffen und tolerant bleiben. Die Zukunft Sachsens liegt nicht in „national befreiten Zonen“, wo auf kahlen Bahnhofsplätzen Menschen mit kahlen Köpfen Bierbüchsen schmeißen.

(Heinz Eggert, CDU: Na, na! – Heiterkeit)

Entschuldigung! Ich rede jetzt nicht von Ihnen.

Herr Dr. Martens, Sie zwingen mich, das Mikrofon abzuschalten, wenn Sie nicht zum Schluss kommen.

Dort liegt nicht unsere Zukunft, sondern sie liegt in der Tat in Weltoffenheit und Toleranz – in unserer Demokratie!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der PDS, der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort, Frau Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Geheimnis und der Zauber der Demokratie sind eigentlich ganz leicht zu erklären. Sie bestehen darin, dass Menschen selbstbestimmt nach gemeinsamen Regeln friedlich miteinander leben. Das ist das ganze Geheimnis von Demokratie. „Selbstbestimmt“ bedeutet, dass niemand diskriminiert wird; denn wer diskriminiert wird, kann nicht selbstbestimmt leben.

„In Gemeinschaft“ heißt, dass die gemeinsamen Regeln, die sich diese Gemeinschaft gibt, für alle gelten müssen. Wer Teile dieser Regeln abschaffen will, ist nicht innerhalb dieser Gemeinschaft. Das ist Ihr Problem! Die Herren und die eine Dame von der NPD haben nie begriffen, dass sie versuchen, außerhalb des Fußballfeldes Fußball zu spielen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD – Uwe Leichsenring, NPD: Wir haben das Problem nicht!)

Wenn man – da hat Sachsen noch viel Arbeit vor sich – Toleranz nicht immer nur als eine Art Weisheit verbreiten, sondern wirklich leben möchte, dann müssen wir uns noch einmal Klarheit darüber verschaffen, dass Toleranz nicht bedeutet, einen Menschen, der einem nicht so ähnlich ist, nur zu dulden. Das ist zu wenig. Toleranz ist kein passives, sondern ein aktives Konzept. Im Zweifel muss man dafür geradestehen, dass derjenige, der anders ist, wirklich selbstbestimmt in unserer Gemeinschaft leben kann, wenn er sich an unsere gemeinsamen Regeln hält. Das bedeutet Toleranz.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS und der SPD)

Wer persönlich so weit gehen möchte – ich finde, das steht uns allen gut zu Gesicht –, der braucht Mut. Diesen hat heute zum Beispiel Kollege Krauß von der CDU bewiesen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der PDS, der SPD, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wenn wir diese psychologische Schwelle in einem ostdeutschen Bundesland wie Sachsen nicht zu nehmen lernen; wenn wir nicht verstehen, dass Ängstlichkeit und Angst wie in einem Film von Rainer Werner Fassbinder „die Seele aufessen“; wenn Ängstlichkeit und Angst uns unsere eigenen Chancen für die Zukunft nehmen, weil wir uns zusammenkrümmen und vor Ängstlichkeit nicht mehr in der Lage sind, die Dinge, die wir anpacken müssen, beherzt, mutig und sortiert anzupacken, dann werden wir wahrscheinlich mehr unter der Globalisierung zu leiden haben, als wir Chancen daraus ziehen können. Das ist fatal.

Die Partei der NPD versucht, diese Ängste aus ganz eigenem machtpolitischem Kalkül noch zu befördern. Das ist verachtenswert und grenzt an Volksverhetzung.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS und der SPD)