Protocol of the Session on January 22, 2009

Meine Damen und Herren! Wie immer werden die Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen und erhalten einen Stimmschein, auf dem entsprechend der angegebenen Drucksache der Kandidat als stellvertretendes Mitglied für den 2. Untersuchungsausschuss aufgeführt ist. Sie können sich zu dem Kandidaten durch Ankreuzen in dem entsprechenden Feld

(Unruhe im Saal – Glocke der Präsidentin)

für Ja, Nein oder Enthaltung entscheiden. Der Kandidat ist gewählt, wenn er mehr Ja- als Neinstimmen erhält.

Wir beginnen mit der Wahl.

(Namensaufruf – Wahlhandlung)

Ist jemand im Saal, den ich nicht aufgerufen habe? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Ich schließe die Wahlhandlung und rufe auf

Tagesordnungspunkt 3

Praxis der Genehmigung und Überwachung der Entsorgung von gefährlichen Abfällen sowie von Bau- und Abbruchabfällen in Sachsen

Drucksache 4/13253, Große Anfrage der Linksfraktion, und die Antwort der Staatsregierung

Es hat zunächst die Einbringerin das Wort, danach folgen die Fraktionen. Frau Abg. Roth, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Heute beginne ich meinen Beitrag für die Linksfraktion mit den Worten, die sonst zum Redestandard der Vertreterinnen und Vertreter der CDU-Fraktion gehören. Herr Staatsminister Kupfer, für die von Frage zu Frage aufschlussreicheren Antworten möchte ich mich bei Ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses bedanken.

(Staatsminister Frank Kupfer: Wenn Sie schon so anfangen, wird es eine schlimme Rede!)

Das ist keine Floskel und auch nicht ironisch gemeint, obwohl die Antworten auf die ersten Fragen noch eine ziemliche Leistung im Ausweichen vor der Verantwortung darstellen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – kurz Drei-Affen-Politik: Danach wird es besser. Ich kann mir das nur so erklären, dass die Wächter der Staatskanzlei zunehmend die Lust am Verwässern der Antworten verloren haben. Deshalb freut sich DIE LINKE auf die heutige Diskussion zur Großen Anfrage.

Diese verfolgte das Ziel, illegale Ablagerungen und Verfüllungen von gefährlichen Abfällen erstens wegen der möglichen Gefährdung von Umwelt und Mensch und zweitens wegen der Blockierung von Verwertungslösungen konsequent zu unterbinden.

Natürlich wissen wir, dass Nachforschungen zu den Verwaltungsläufen von Genehmigungen und Anzeigen sowie Begleitpapieren und auch Nachforschungen über die Wege, die Abfallströme nehmen, für Abgeordnete als Außenstehende ungemein schwierig sind. Die Schwierigkeiten bestehen aber offensichtlich auch im Umweltministerium, in den Landesdirektionen und bei den unteren Fachbehörden. Ich erinnere an die unvollständigen Angaben von Herrn Staatsminister Kupfer zum Verbleib der aus Italien importierten Abfallmassen in der Sondersitzung des Ausschusses für Umwelt und Landwirtschaft am 05.01.2009.

Ich nenne ein konkretes Beispiel dieser Drei-Affen-Politik – auch wenn es nicht aus der Großen Anfrage ist –, über das jeder Mensch nur den Kopf schütteln kann. Dieses Beispiel aus der gängigen Genehmigungspraxis der zuständigen Behörde bescherte uns Kollegin Astrid Günther-Schmidt von den GRÜNEN mit der Kleinen

Anfrage zur Annahme von Abfällen durch die Firma ETU GmbH in Altbernsdorf.

Im Oktober 1993 genehmigte das Regierungspräsidium in Dresden dem Unternehmen eine mikrobiologische Bodensanierungsanlage mit einer Jahreskapazität von 24 750 Tonnen. Die zu erwartenden Umweltauswirkungen wurden für diese Kapazität, also knapp 25 000 Tonnen, geprüft und bewertet. Nun zeigte das Unternehmen in den Jahren 1997 und 1998 sowie 2003 und 2004 die schrittweise Erhöhung seiner Behandlungskapazität von 3 000 bis 7 000 Tonnen an. Schließlich betrug diese im Jahre 2004 insgesamt 50 000 Tonnen. Das entspricht einer Verdopplung der ursprünglich genehmigten Kapazität.

Was macht die zuständige Genehmigungsbehörde, das Regierungspräsidium Dresden? In jedem Bescheid des Regierungspräsidiums, der auf die jeweilige Anzeige des Unternehmens folgte, stand: “Die Erhöhung der Gesamtbehandlungskapazität führt zu offensichtlich geringen nachteiligen Veränderungen der genehmigten Emission für die Gesamtanlage.“ Bei doppelter Kapazität sollen sich die genehmigten Emissionen offensichtlich nur gering nachteilig verändern.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön, Frau Günther-Schmidt.

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die Stadt Bernstadt über ihren Stadtrat als Träger öffentlicher Belange Zuarbeiten geleistet hat, die die Unbedenklichkeit der jeweiligen Anträge bescheiden, und wissen Sie, dass vier der Bernstädter Stadträte sich nie als befangen geoutet haben, obwohl sie zum Teil seit dem Jahre 1994 Geschäftsbeziehungen zur ETU unterhalten?

Das ist ein offenes Geheimnis, aber sehr interessant. Ich danke Ihnen für die Frage.

Bei doppelter Kapazität sollen sich die genehmigten Emissionen offensichtlich nur gering nachteilig verändern. Dem Unternehmen selbst will ich keinen Vorwurf machen, wohl aber muss ich dem ehemaligen Regierungspräsidium Dresden und dem Umweltministerium vorhalten, eine derartige Salamitaktik nicht unterbunden zu haben.

Ich bleibe bei dem Beispiel Altbernsdorf. Im Jahre 1993 war als sogenannte immissionsrechtliche Nebenbestimmung eine Betriebszeit von 07:00 bis 17:00 Uhr, ausnahmsweise von 06:00 bis 22:00 Uhr, zugelassen worden. Die anlagenbezogene Schallimmission sollte an den umliegenden bewohnten Gehöften tagsüber den Wert von 55 Dezibel nicht überschreiten. Das war die Vorgabe im Jahre 1993.

Sechs Jahre später, im Juli 1999, gestattete das Regierungspräsidium von Montag bis Sonnabend Betriebszeiten von 06:00 bis 22:00 Uhr. Zum Lärmpegel, in der Fachsprache Schallemission genannt – ich zitiere wörtlich: „Der Beurteilungspegel der Betriebsgeräusche, gemessen 0,5 Meter“ – also ein halber Meter – „vor dem der Anlage zugewandten geöffneten, vom Lärm am stärksten betroffenen Fenster des Wohnhauses … soll den Immissionswert von 60 Dezibel nicht überschreiten.“

Jetzt, meine Damen und Herren, kommt der Hammer: „Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen diesen Immissionswert um maximal 30 Dezibel überschreiten.“ – So viel zur Umsicht des RP Dresden in Sachen Umwelt- und Gesundheitsvorsorge.

90 Dezibel – das ist unverantwortlich! Lärm in dieser Größenordnung, meine Herren Staatsminister Dr. Buttolo und Kupfer, entsteht kaum auf Autobahnabschnitten, auf denen die Geschwindigkeit freigegeben ist. Möchten Sie auf Autobahnen wohnen?

Doch zurück zur Großen Anfrage. Nicht nur in Kreisen der Abfallwirtschaft ist es eine alte Weisheit: Müll sucht sich immer den preiswertesten Weg. Sie aber, Herr Staatsminister Kupfer, teilen in Ihrer Antwort auf die Frage 2.2 diese Ansicht nicht und bezeichnen sie als Unterstellung. Ihrer Meinung nach sind die Regelungen des Abfallrechts allein nach ökologischen Zweckmäßigkeiten ausgerichtet. Wenn Sie meinen, dass auch die Abfallströme immer von ökologischen Kriterien gelenkt werden, machen Sie sich etwas vor, Herr Staatsminister.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich möchte Ihnen und den abfallinteressierten Kolleginnen und Kollegen das wieder an einem Beispiel belegen. 14. Februar 2001: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe weist die Klage eines Abbruch- und Tiefbauunternehmens ab. Das Unternehmen wollte asbesthaltige Abfälle aus Baden-Württemberg nach Dresden-Lockwitz in die dortige Tongrube entsorgen. Es argumentierte wie folgt: Die Dresdner Firma würde lediglich Annahmegebühren in Höhe von 87 DM pro Tonne verlangen, während die Anlieferung asbesthaltiger Abfälle auf der Kreismülldeponie Bruchsal 242 DM je Tonne koste.

Dem Gericht sei Dank! Hier hat der Müll also einmal nicht den preiswertesten Weg gefunden.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Karlsruhe veranlasste uns, die Verhältnisse im Tontagebau von AMAND in Dresden-Lockwitz, Maxener Straße, unter Punkt 2 näher nachzufragen.

Zur Frage 2.1.3 antwortete die Staatsregierung, dass das Unternehmen die asbesthaltigen Abfälle in Monobereichen innerhalb des Verfüllbereiches ablagert, die katastermäßig erfasst sind. Das klingt großartig. Experten sagen uns aber, dass bei einer Annahmegebühr von 87 DM je Tonne gar keine ordnungsgemäße Deponie von asbesthaltigen Abfällen möglich gewesen sei.

Aus dem Zulassungsbescheid des Bergamtes Hoyerswerda vom Juli 2001 erfahren wir, dass die Neufassung der Gefahrstoffverordnung die Möglichkeit der Verwertung von asbesthaltigen Abfällen auf den Versatz in untertägigen Bergbaubetrieben beschränkt. Wörtlich: „Eine Verwertungsmöglichkeit in Tagebauen besteht somit seit dem 15.11.1999 nicht mehr.“

Wenn seit dem November 1999 keine Verwertungsmöglichkeit für asbesthaltige Abfälle in Tagebauen mehr bestanden hat, frage ich Sie, meine Herren von der Staatsregierung, wieso deren Annahme erst eineinhalb Jahre später untersagt wurde. Ich frage Sie, wie es angesichts dieses Verwertungsverbotes sein kann, dass in den Jahren von 2002 bis 2006 die Ablagerung weiterer 3 323 Tonnen asbesthaltiger Baustoffe und 86 Tonnen Dämmmaterial im Lehmtagebau Dresden-Lockwitz erfolgen konnte. Ich frage Sie, Herr Staatsminister Jurk und Herr Staatsminister Kupfer, wie die illegalen Ablagerungen von Tausenden Tonnen asbesthaltiger Abfälle den wachsamen Augen der Kontrolleure verborgen bleiben konnten. Ich sage Ihnen: Die Zustände im Lehmtagebau der AMAND Umwelttechnik Lockwitz GmbH stinken gen Himmel!

(Einzelbeifall bei der Linksfraktion)

Und das nicht nur, weil hier in den Jahren 2002 bis 2006 circa 3 300 Tonnen Kohlenteer und teerhaltige Produkte abgelagert wurden, die nichts, aber auch gar nichts in einem Lehmtagebau als Verfüllmaterial zu suchen haben.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion)

Sie wurden dort abgekippt, weil das der preiswerteste Weg der Entsorgung war.

Herr Minister Kupfer, Sie stellen sich blind, wenn Sie in der Antwort auf die Frage 2.1 schreiben: „Für Vorgänge illegaler Ablagerungen, wie sie in anderen Bundesländern bekannt geworden sind, liegen den Behörden des Freistaates Sachsen keine Anhaltspunkte vor.“ Das heißt im Klartext: Für Sie gab und gibt es kein Dresden-Lockwitz, kein Mügeln, kein Sörnewitz und auch kein Delitzsch.

(Caren Lay, Linksfraktion: So ist es!)

Dazu kann ich nur sagen: Aberwitzig! Ich wünsche mir, dass wenigstens die Staatsanwaltschaft Dresden gegen die Drei-Affen-Politik gefeit ist.

Kommen wir zu den Mülllieferungen aus Italien, die schon seit längerer Zeit die Gemüter bewegen.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Grundsätzlich sagt die Fraktion DIE LINKE, Herr Lichdi: Die unhaltbaren Zustände in und um Neapel müssen beseitigt werden, auch mit deutscher Hilfe und Unterstützung. Die Bevölkerung darf nicht länger unter den schlimmen Machenschaften der Müllmafia leiden.

Jetzt kommt das große Aber: Am 3. April vergangenen Jahres forderte die Deutsche Umwelthilfe ein Moratorium für Müllimporte nach Sachsen. In einer Pressemitteilung heißt es: „Die regional zuständigen Behörden und das

Umweltministerium in Dresden werfen Nebelkerzen, flüchten sich in Notlügen und schrecken im Einzelfall auch vor Klagen und Fehlinformationen nicht zurück.“

Was wussten wir seit 2008? Die Datenerhebung des Bundesumweltamtes über die grenzüberschreitende Abfallverbringung weist für das Jahr 2007 nach, dass aus Italien 365 000 Tonnen Abfall nach Sachsen verbracht wurden, darunter 215 000 Tonnen als gefährlich eingestufte, teilweise stabilisierte Abfälle, zur Ablagerung; 70 000 Tonnen gemischte Abfälle, die wenigstens einen gefährlichen Abfall enthalten, zur Ablagerung; fast 16 000 Tonnen Boden und Steine, die gefährliche Stoffe enthalten, zur Ablagerung; 26 000 Tonnen asbesthaltige Bau- und Abbruchabfälle, zur Ablagerung. 365 000 Tonnen wurden abgelagert und keine einzige Tonne verwertet.