Protocol of the Session on January 21, 2009

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Einführung der Bürgerversicherung ist daher die linke Antwort auf die Zukunftsfragen in der Sozialversicherung.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen den Dissens nicht verschweigen, den die Linksfraktion zu allen anderen Fraktionen in der Enquete-Kommission hegt, und zwar: Am Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse darf aus Sicht der Linken nicht gerüttelt werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Dass dies nicht heißen kann, meine Damen und Herren, das gleiche Straßennetz wie in NRW zu etablieren, das ist ganz klar.

(Zuruf von der Linksfraktion: Richtig!)

Nicht umsonst heißt es etwa im Leitbild Ost der Linken: „Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert.“ Aber aufgeben oder infrage stellen dürfen wir diesen Grundsatz nicht. Wir profitieren von diesem Grundsatz als Sachsen in Deutschland. Als Linke bleiben wir dabei: Man muss in München wie im Muldental die gleichen Chancen auf ein erfülltes Leben, die gleichen Chancen auf ein existenzsicherndes Einkommen und die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

An dieser Stelle ist mir der Bericht nicht eindeutig genug. Er formuliert Botschaften in Bezug auf die ländliche Entwicklung und auf Menschen, die in ländlichen Räumen leben, von denen ich glaube, dass sie uns als Sächsischer Landtag nicht gut zu Gesicht stehen.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Noch bedauerlicher ist, dass im Bericht realistische Zukunftsperspektiven für ländliche Räume eine einzige Fehlanzeige sind. Dabei ist doch genau das eine zentrale Frage für ein Flächenland wie Sachsen, in dem die Lücke zwischen prosperierenden Zentren und abgehängten Regionen immer größer wird. Wir dürfen ländliche Räume nicht länger stiefmütterlich behandeln.

Mit der Einführung von Regionalbudgets oder einer kommunalen Investitionspauschale oder ihrer Erhöhung, wie wir sie als Linke im Haushalt eingeklagt haben, aber damit leider an der Mehrheit gescheitert sind, wäre schon eine Menge erreicht.

Hinzu käme eine demografiefeste Finanzierung der Kommunen. Auch das ist eine ganz wichtige Forderung,

um ländliche Regionen in Sachsen zukunftsfähig zu halten.

Nicht verschweigen möchte ich Ihnen zu guter Letzt die Debatte um die Pendlerpauschale, gerade weil sich hier CDU und FDP gern darin überbieten, die Autolobby zu bedienen. Aber die Pendlerpauschale wird von der Mehrheit in diesem Enquete-Kommissions-Bericht infrage gestellt. Wir wollen sie beibehalten, weil man Menschen nicht dafür bestrafen kann, dass ihr Weg zur Arbeit immer länger wird. Ich freue mich, dass angesichts aktueller Entwicklungen DIE LINKE hier bereits vor vielen Monaten in der Enquete-Kommission die richtige Position vertreten hat.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Die Minderheitenvoten von der Linken, der SPD und den GRÜNEN liefern Antworten auf die wesentlichen Zukunftsfragen. Ich hoffe, sie finden breites Interesse in den Fraktionen, bei den Kommunen, bei allen Abgeordneten und den Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Ich hoffe, sie finden auch irgendwann eine Umsetzung durch den Sächsischen Landtag. 2009 sollten wir damit beginnen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort; Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich erst einmal dem Lob nur anschließen. Es war eine gute Zeit in dieser Enquete-Kommission, weil Grenzen geöffnet wurden oder Grenzen überwunden wurden, ideologische Grenzen, Wissensgrenzen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Koalitionsgrenzen!)

Man war gezwungen, sich als Bildungspolitiker über Wirtschaftspolitik und Infrastrukturpolitik zu unterhalten, genauso wie sich Wirtschaftsexperten stärker mit sozialen Fragen auseinandersetzen mussten.

Das ist das Wesen, wenn man über Demografie spricht: dass man dann natürlich allgemein umfassend das Land, die Entwicklung betrachten muss. Diese Mischung zwischen Sachverstand aus der Wissenschaft und politischem Sachverstand war ein großes Lernfeld für alle und hat mir selber sehr viel gegeben. Ich fand es eine gute Zeit und auch ein gutes Ergebnis. Das muss man würdigen, das will ich würdigen: Danke an alle, die daran mitgewirkt haben.

Trotzdem gehört es auch dazu, Kritik zu üben. Ich habe zwei Kritiken. Die eine Kritik geht in die Richtung, was drinsteht. Die andere Kritik geht in die Richtung, was eben nicht drin steht.

Bei der Frage, was nicht drin steht, kommen wir ein bisschen an den Anfang der Enquete-Kommission, und zwar: Welchen Auftrag hatten wir?

Wir haben durch den Einsetzungsbeschluss den inhaltlichen Rahmen definiert; richtig. Aber eine richtige Zielbestimmung haben wir erst nachträglich gemacht. Wir sind erst am Ende der Arbeit der Enquete-Kommission durchaus auch durch eine gewisse Aufregung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dazu gekommen, noch einmal nachzujustieren und zu fragen: Was ist eigentlich das Ziel für unsere inhaltliche Arbeit?

Das ist ein etwas unorthodoxer Zugang. Normalerweise macht man es vorher. Jetzt könnte ich erklären, wir haben es die ganze Zeit gesagt. Aber es geht gar nicht darum, recht zu haben, sondern darum, das Ergebnis zu bewerten. Dass wir trotz der etwas nachgelagerten Zielbestimmung keinen Widerspruch in Größenordnungen hatten, liegt auch daran, dass wir vorher anscheinend eine gute Arbeit gemleistet haben. Es gibt also automatisch keinen Widerspruch, wenn man bei einer gewissen Unschärfe in der Zielgenauigkeit trotzdem zu guten Ergebnissen kommt. Nur, das bedeutet eben auch, dass man an bestimmten Stellen bestimmte Schwerpunkte nicht sieht oder es nicht zu bestimmten Schwerpunktbildungen kommt.

Für uns war schon die Frage wichtig: Wie gehen wir eigentlich in Zukunft damit um, dass wir mehr junge Frauen in diesem Land benötigen, dass wir mehr Partizipation von Frauen brauchen? Das hätte eines der wichtigsten Ziele der Enquete-Kommission sein müssen, und nicht nur, weil schon eine Generation junger Frauen fehlt, die eben hier keine Kinder geboren haben. Ich möchte jetzt natürlich nicht so verstanden werden, als würde ich die Frauen nur auf dieses Thema reduzieren. Aber wir sind uns darin einig, dass sie zumindest einen sehr erheblichen Anteil bei der Reproduktion unserer Gesellschaft haben. Wir stehen bereits vor dem Problem, dass eine Generation fehlt.

Ein weiterer Gedanke ist auch noch interessant: dass sich bestimmte Einstellungen verändert haben. Es wurde zu Recht die Äußerung der damaligen Bayerisch-Sächsischen Zukunftskommission kritisiert, die die hohe Erwerbsneigung der Frau für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht hat.

Der Skandal ist nicht die Aussage, sondern die Wertung, die dahintersteht. Man könnte ja sagen, die erhöhte Erwerbsneigung der Frau ist erst einmal ein Fakt, den man hinnimmt, weil Frauen im Osten selbstverständlich mehr gearbeitet haben. Das war eine Selbstverständlichkeit.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Ich sage: Es geht um die Wertung. Es geht nicht darum, dass man damit meint, sie sollen nicht arbeiten. Das wäre skandalös. Wenn man feststellt, dass wir einen Unterschied zur Westgesellschaft haben und Produktives etwas Gutes ist, ist dann das eine positive Bewertung. Dass wir es als eine Selbstverständlichkeit sehen, dass für Frauen

die Vereinbarkeit von Familie, Beruf, Karriere, von eigener Entwicklung in den Mittelpunkt gehört, steht außer Frage.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Es ist schade, dass wir daran vorbeigeschrammt sind, weil die Zieldefinition am Anfang fehlte. Es bleibt unser Auftrag, dass wir es in unseren politischen Handlungen in den Focus stellen. Die Beteiligung bzw. Partizipation von jungen Frauen an Gesellschaft und am Arbeitsleben ist ein entscheidender Schlüssel.

Genauso stellt sich die Frage, wie wir mit den Alterungsprozessen umgehen. Wir können nicht mehr die Gesellschaft in jung, mittelalt und alt einteilen. Wir haben eine Mobilität im Alter. Wir haben eine unterschiedliche Betrachtungsweise des Alters. Herr Eggert hatte diesen Punkt bereits angesprochen. Ich sehe darin eine Chance. Diese müssen wir in den Mittelpunkt stellen, um produktiv mit der Veränderung der Gesellschaft umgehen zu können. Nicht die Schrumpfung ist die Herausforderung, sondern der Wandel in den Alterungsprozessen.

Nun komme ich zu dem Kritikfeld: Dinge, die in dem Bericht stehen. Zu 80 % – vielleicht sogar über 80 % – ist diese Arbeit ideologiefrei gelaufen. Trotzdem gab es ein paar Schützengräben – das hat auch niemanden gewundert. Es gab bestimmte Themen, in denen man sich schnell wieder in alten Ideologien und Parteiprogrammen wiederfand. Manches konnte man ganz gut handeln, manche Kompromisse bilden das ab.

So gab es natürlich heftige Diskussionen zum Thema Bevölkerungspolitik. Das Problem ist: Wenn man ganze Politikfelder in einen Begriff steckt, wird es missverstanden; ja, dann wird es gefährlich. Wenn Bevölkerungspolitik im wahrsten Sinne des Wortes meint, dass der Staat eine direkte Einflussnahme und Möglichkeiten hat, die Bevölkerungsentwicklung zu steuern, dann sage ich: Vorsicht! Ich kenne nur zwei Beisipele, in denen es eine tatsächliche Bevölkerungspolitik gegeben hat oder gibt. Das eine ist China mit seiner Ein-Kind-Politik – das ist direkte Einflussnahme. Das andere Beispiel ist die Zeit der Nazis, in der auch eine ganz bestimmte Bevölkerungspolitik verfolgt wurde. An diese möchten wir aber nicht anschließen. Das gehört auch zur Wahrheit: In der Enquete-Kommission mussten die Vertreter der NPD die Bevölkerungspolitik in der Nazizeit unbedingt lobend erwähnen. Das sei an dieser Stelle einmal gesagt.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Herr Gansel, Sie nehmen einem Demokraten den Arbeitsplatz weg!

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Zum Thema Familienpolitik sind in dem Bericht gute, die Unterschiedlichkeit der unterschiedlichen Lebensentwürfe berücksichtigende Aspekte zu finden. Es ist eine Botschaft, dass die Vielfalt von unterschiedlichen Lebensentwürfen zu einer gesellschaftlichen Entwicklung dazugehört. Wir sind im Bereich der Bildungspolitik – es

wundert Sie sicher nicht, dass ich das nun auch noch einmal anspreche – an gewisse Grenzen gestoßen. Caren Lay hatte zwar gesagt, dass ein guter Beschluss im Bericht enthalten ist. Wir alle aber wissen, dass es sich um eine kleine Abstimmungspanne handelt. Es war doch gar nicht gewollt, dass dieser Punkt hineinkommt. Man merkt es, weil er nicht in der Konsequenz von der Analyse zu den Handlungsfeldern und Instrumenten kommt. Er ist dort etwas fehl am Platze.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Ich finde es schade. Es geht nicht um die Symbolik, dass das Wort drinsteht, sondern wir benötigen die Herleitung dafür.

Wahrscheinlich rede ich bei jeder Bildungsdebatte davon, dass die Gemeinschaftsschule für uns vor allem eine Veränderung von Schul- und Lernkultur ist – das ist nicht nur eine Strukturfrage. Wenn wir aber über Demografie sprechen, dann können wir diesen Aspekt durchaus einmal hervorheben.

1992 haben weniger als 20 Quadratkilometer ausgereicht, um eine Mittelschule zweizügig zu führen. 2005 sind es bereits mehr als 60 Quadratkilometer, die man benötigt. Wenn wir diese Entwicklung nun fortschreiben, benötigen wir im Jahre 2014 mehr als 100 Quadratkilometer, um eine Mittelschule zweizügig zu führen. Es handelt sich dabei um Durchschnittswerte.

Wenn man nun einmal die Ballungszentren – die großen Städte – herausrechnet, wird es noch schlimmer. Es gehört zur Wahrheit dazu, wenn wir an dieser Stelle folgendes Thema aufgreifen: weitere Schulschließungen im ländlichen Raum. Eine Entwicklung, die ich nicht akzeptieren möchte, ist, dass man letztendlich in der Kreisstadt nur noch die erweiterte Schule besuchen kann.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Es gibt auch unter demografischen Gesichtspunkten durchaus Argumente für die Gemeinschaftsschule. Das ist die Kritik an dem Bericht. Es geht nicht darum, dass das Wort darin enthalten ist, sondern dass man sich dieser Herausforderung stellt.