Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission ist das Ergebnis langjähriger intensiver Arbeit einer Kommission, deren Arbeitsweise für den Sächsischen Landtag neu ist. Nicht nur Politiker, sondern auch Experten haben in diesem besonderen Ausschuss mitgewirkt. Dafür an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön auch von der Linksfraktion an die Sachverständigen und Experten; ein herzliches Dankeschön für die von Ihnen investierte Zeit, Energie und Ideen und die von Ihnen geleistete Arbeit.
Danken möchte ich den Sachverständigen auch für die ungewohnte Sachlichkeit, die sie in diesen Ausschuss eingebracht haben. Ich möchte ihnen danken für den Gewinn an demokratischer Kultur, die in diesem Landtag
einmalig war. In keinem anderen Ausschuss wurde so lange und so stark entlang sachlicher Erwägungen entschieden und nicht anhand von Fraktionsgrenzen, und das sind vor allen Dingen wir als Linke nicht gewohnt. Ich kann mich an keinen Antrag der Linken in dieser Legislaturperiode erinnern, der jemals angenommen wurde. Ganz anders in diesem Ausschuss, in der Enquete-Kommission des Sächsischen Landtages. Hier wurden immerhin 49 % unserer Anträge ganz oder teilweise angenommen, und das, obwohl Abgeordnete der CDU nicht selten versucht haben, genau dies zu verhindern.
Herausgekommen ist kein Text voller Extremismen, und das müsste ja zutreffen, wenn Herr Flath mit seinen Thesen recht hätte; sondern herausgekommen ist ein Bericht mit vielen guten Anregungen; und ich freue mich, dass die Sachverständigen und alle demokratischen Fraktionen konstruktiv dazu beigetragen haben.
Konstruktiv war auch die Zusammenarbeit mit einigen Abgeordneten der anderen Fraktionen. Ich freue mich sehr, dass immerhin drei Minderheitenvoten von Linken, SPD und GRÜNEN gemeinsam zustande gekommen sind sowie ein weiterer zwischen SPD und Linken. Das, meine Damen und Herren, eröffnet doch eine sozialökologische Reformalternative und ist ein gutes Omen für das Jahr 2009.
Meine Damen und Herren! Nun zum Inhalt. Lange Zeit wurde der Bevölkerungsrückgang dazu missbraucht, zweifelhafte politische Ziele zu begründen. Ich bin froh, dass der Bericht der Enquete-Kommission hier mit vielen Mythen aufgeräumt hat, zum Beispiel damit, dass wir geradewegs auf eine Katastrophe zuschlittern oder dass wir die anstehenden Probleme nur mit Sozialabbau bewältigen könnten.
Heute wissen wir, dass das nicht stimmt. Ja, es gibt viele Probleme zu bewältigen, aber vor einer Katastrophe stehen wir nicht, und in einigen Punkten gibt es sogar Chancen für eine soziale und nachhaltige Modernisierung von Sachsen. Wir können den demografischen Wandel in den Griff bekommen, wenn wir schnell in wichtigen Politikfeldern umsteuern. Aus meiner Sicht – das wird Sie nicht verwundern – an erster Stelle in der Lohnpolitik. Die geringen Löhne sind nach den fehlenden Arbeitsplätzen der zweitwichtigste Grund für die Abwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Sachsen. Das, meine Damen und Herren, können wir uns nicht länger leisten. Wir haben in Sachsen im Grunde nur dieses eine Pfund, mit dem wir wirtschaftspolitisch wuchern können. Das sind kluge Köpfe, es sind gut ausgebildete Fachkräfte, und wenn Sie verhindern wollen, dass uns diese davonlaufen, dann brauchen wir höhere Löhne in Sachsen.
Warum sollte eine hoch qualifizierte Ingenieurin nach dem Studium oder ein guter Facharbeiter nach seiner Ausbildung in Sachsen bleiben, wenn die Bayern nach seiner Ausbildung 30 % mehr Lohn bezahlen? Die Nied
riglohnstrategie ist gescheitert. Sie hat keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern nur dazu geführt, dass uns die Klügsten und Fleißigsten scharenweise davongelaufen sind. Das müssen auch konservative Wirtschaftspolitiker endlich einmal erkennen.
Wir müssen außerdem die regionalen Wirtschaftskreisläufe stärken. Nur auf Exportorientierung und Leuchttürme zu setzen ist falsch, und es ist zu riskant; das hat die Wirtschafts- und Finanzkrise letztendlich bewiesen.
Was wir ebenfalls brauchen, ist eine Umkehr in unserem familienpolitischen Leitbild. Hier war Sachsen lange Zeit unter CDU-Regierung viel zu konservativ. Nicht umsonst war es eines der Themen, über das es den größten ideologischen Streit gegeben hat. Ich bin froh, dass es mehrheitlich anders entschieden ist. Nicht die konservative Beschwörung ausschließlich traditioneller Familien mit Trauschein bringt uns hier weiter. Wer so leben will, bitte schön. Das ist gut so, und jeder kann sich so entscheiden. Aber wer andere Familienformen wählt oder in sie gezwungen wird, der soll doch auch nicht darunter leiden.
Wir müssen, meine Damen und Herren, die Pluralität der Lebensformen anerkennen, ja, wir müssen sie sogar wertschätzen. Ob Alleinerziehende, Patchworkfamilien, traditionelle Familien oder homosexuelle Eltern – jedes Kind ist uns willkommen, und jedes Kind ist uns gleich viel wert.
Familienfreundliche Arbeitszeiten, flexible Öffnungszeiten für Kitas – das sind die Themen. Insbesondere Alleinerziehende und Mehrkindfamilien verdienen unsere Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf; denn sie leben besonders häufig in Armut. Eine gute Familienpolitik schafft daher gute Bedingungen für die Kinder, die bereits da sind, und für deren Eltern, egal, wie sie leben. Sie verzichtet auf moralische Appelle aus der Mottenkiste, und vor allem verzichtet sie darauf, die freie Entscheidung der Einzelnen zu manipulieren. Wir sollten für Frauen, die einen Kinderwunsch haben, die besten Bedingungen schaffen, diesen zu realisieren. Gute Familienpolitik ist daher etwas ganz anderes als die nicht zuletzt von der NPD immer beschworene Bevölkerungspolitik.
Meine Damen und Herren! Wer den demografischen Wandel ernst nehmen will, der muss das Thema Frauen und Gleichstellung endlich wieder ernst nehmen und nicht als „Gedöns“ abtun; denn der Bericht der EnqueteKommission sagt eindeutig: Ohne Frauen ist kein Staat zu machen, auch in Sachsen nicht.
Eine zukunftsgerechte Politik muss eine frauenfreundliche Politik sein, sonst laufen uns die klugen jungen
Frauen weiter davon, und ihre potenziellen Kinder nehmen sie mit. Wie falsch und absurd waren da die Aussagen von Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, die „Erwerbsneigung“ ostdeutscher Frauen sei angeblich „zu hoch“! Heute wissen wir: Die sogenannte Erwerbsneigung von Frauen kann gar nicht hoch genug sein, wenn wir die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Sachsens erhalten wollen.
Die Ausbildung von Frauen in technischen Berufen und mehr weibliche Ingenieure – dies alles sind keine Nebensachen mehr; es sind Zukunftsfragen, die auch die CDU ernst nehmen sollte. Es kann nicht sein, dass Mädchen in Sachsen keinen Ausbildungsplatz finden und dann nach Bayern gehen, um dort Frisörin oder Zahnarzthelferin zu werden. Besser wäre es, sie würden hier einen Ausbildungsplatz im technischen Bereich finden oder ein Studium der Elektrotechnik hier in Sachsen aufnehmen. Das wäre wirklich gut.
Meine Damen und Herren! Wenn wir hier über Gleichstellungsfragen sprechen, dann muss man natürlich auch einen Appell an die Männer richten. Dies tut auch der Bericht der Enquete-Kommission des Sächsischen Landtages mit der Kernaussage, dass in der Emanzipation von Frauen einiges geschehen ist. Nun sind Sie dran, meine Herren! Wir brauchen mehr erziehende Väter, mehr Männer in sozialen Berufen und mehr Männer, die bereit sind, sich um ihre Kinder zu kümmern und ihre Frauen bei Berufstätigkeit und Karriere zu unterstützen.
Ein Umsteuern brauchen wir im Bereich Zuwanderungspolitik. Sachsen muss ein zuwanderungsfreundliches Land werden, und das muss es auch ausstrahlen. Wenn das Image von Sachsen in anderen Bundesländern, ja sogar in anderen europäischen Ländern davon geprägt ist, dass hier die Nazis sogar im Landtag sitzen, dann schreckt das nicht nur Westdeutsche, sondern auch Inder, Mexikaner, Afrikaner, Araber und all die Menschen ab, die wir hier herzlich willkommen heißen sollten.
(Beifall bei der Linksfraktion – Jürgen Gansel, NPD: Schrecklich! Die Sachsen wollen diese Menschen hier nicht!)
Sachsen muss an seinem Image als weltoffenes Land arbeiten und Fremdenfeindlichkeit und Rassismus deutlich engagierter bekämpfen – zuallererst natürlich aus Gründen des Menschenrechtes, aber auch, weil es gut für die Wirtschaft ist; denn mangelnde Toleranz entwickelt sich auch wirtschaftlich als Hemmschuh, weil es Kreativität behindert und die Kreativen fernhält.
Herr Gansel, auch sächsische Unternehmen agieren längst auf internationalen Märkten, und da wäre es gut,
wenn auch Sie Ihren Horizont erweitern würden. Ein wenig mehr kosmopolitische Ausstrahlung würde Ihnen, würde Sachsen schon mal guttun, das könnte helfen. Sachsen ist ja historisch ein Einwanderungsland, und das sollte es auch wieder werden. Weniger Nazis und mehr Zugereiste – das wäre gut für Sachsen.
Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass auch darin Einigkeit in der Enquete-Kommission bestand, dass das Bildungsthema ein sehr wichtiges für uns alle ist. Der Bericht der Enquete-Kommission ist hierbei so gut, dass ich aus ihm zitieren möchte. Darin heißt es: „Es sind folgende Maßnahmen sinnvoll:
Meine Damen und Herren! Wer hätte das gedacht: eine Mehrheit für die Gemeinschaftsschule. Dies war mehrheitsfähig in der Enquete-Kommission, und ich bin guter Hoffnung, dass sie noch in diesem Jahr mehrheitsfähig wird im Sächsischen Landtag.
Meine Damen und Herren! Bei allen Chancen für den sozialökologischen Umbau Sachsens, den wir als Linke sehen, dürfen wir natürlich die Augen nicht vor den anstehenden Problemen verschließen. Das betrifft vor allem den Abbau überdimensionierter technischer Infrastruktur. Wir sprechen uns eindeutig für dezentrale Strukturen aus, etwa im Bereich Abwasser und Energieerzeugung.
Die soziale Infrastruktur zu halten wird eine der wesentlichen Aufgaben für die Zukunft sein. Ärztliche Versorgung, der Weg zu Ämtern, zur Post, zum Lebensmittelladen – das alles wird mit langen Wegen verbunden sein.
Was wir viel mehr brauchen, ist, kreative, flexible Lösungen, in ambulante Versorgung zu investieren, eine bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten, mobile Bürgerämter oder intelligente öffentliche Verkehrssysteme, etwa in Verbindungen mit Sammeltaxen. Das ist der richtige Weg.
Vor großen Problemen steht sicherlich auch die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, wenn die Systeme so bleiben, wie sie sind. Dass es weniger Menschen geben
wird, ist aus unserer Sicht nicht das zentrale Problem, wenn wir Produktivität und Wirtschaftsentwicklung auf gleichem Niveau halten oder steigern können. Aber es müssen endlich alle in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen, und zwar mit allen Einkommensarten.