Protocol of the Session on November 14, 2008

Die Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und einer Anzahl von Jastimmen ist dieser Antrag mit sehr großer Mehrheit abgelehnt worden. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 9

Gentechnikfreie Bewirtschaftung der Flächen des Freistaates Sachsen

Drucksache 4/13700, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die GRÜNE-Fraktion beginnt. Dann geht es weiter in der gewohnte Reihenfolge.

Herr Weichert, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag beschließt sozusagen die „grüne Woche“ im Sächsischen Landtag; zu dieser Bezeichnung kommt man, wenn man die Themen, die wir behandelt haben, nach der Häufigkeit farblich sortiert.

Unser Antrag ist nötig, denn die Sächsische Staatsregierung beharrt auf der sogenannten friedlichen Koexistenz der Anbauformen, ohne diese auch zu ermöglichen. Die Staatsregierung nimmt weder die Befürchtungen konventionell oder ökologisch wirtschaftender Landwirte ernst, noch setzt sie sich mit den Folgen des Anbaus gentechnisch veränderter Kulturen, zum Beispiel für die Imkerei, auseinander. Auch die sächsischen Verbraucher, von denen ein Großteil – in allen Umfragen wird von deutlich über 70 % gesprochen – gentechnisch veränderte Produkte ablehnt, treffen hier auf taube Ohren.

Stattdessen wird gebetsmühlenartig von den Vorteilen grüner Gentechnik und von der Beherrschbarkeit ihrer Risiken gesprochen. Sämtliche Gegner werden zu unwissenden Fortschrittsfeinden erklärt, die sich aller Vernunft widersetzen.

Meine Damen und Herren! Das Ergebnis dieser Haltung der Sächsischen Staatsregierung findet man auf den Feldern des Freistaates.

Ganz im Gegensatz zu den Wünschen der Bevölkerung hat sich Sachsen zum zweitgrößten Anwender von Agrogentechnik in Deutschland entwickelt. Auf 58 Standorten werden in diesem Jahr insgesamt 952,6 Hektar genveränderter Mais angebaut. Das sind 30 % der Gesamtanbaufläche Deutschlands.

Meine Damen und Herren! Auch wenn es gern verharmlost wird, Agrogentechnik ist eine Riesentechnologie, deren gesamtgesellschaftlicher Nutzen ebenso wenig nachgewiesen wurde wie die Ungefährlichkeit für Mensch und Tier. Ganz im Gegenteil.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zahlreiche Untersuchungen kommen zu alarmierenden Ergebnissen. In einem Artikel der französischen Zeitschrift „Le Monde“ vom 23. April 2004 wurde über Versuche mit Gen-Mais an Ratten berichtet. Der Mais der Firma Monsanto verursachte bei Ratten in der Wachstumsphase deutliche gesundheitliche Schäden. Bei den Ratten zeigten sich in einem Versuch über 90 Tage deutliche Veränderungen im Blutbild, eine Zunahme der weißen Blutkörperchen und eine Reduzierung bestimmter Formen der roten Blutzellen. Weiterhin wurden eine Erhöhung des

Blutzuckers bei weiblichen Tieren und eine Zunahme von Nierenentzündungen bei den männlichen Tieren festgestellt.

Französische Prüfer, die den Bericht gelesen haben, sind der Ansicht, dass es sich hier nicht um reine Zufälle handelt und deshalb der Genmais als nicht sicher bezeichnet werden muss.

Forscher, die sich den Risiken der Agrogentechnik widmen, sind dabei massivem Druck ausgesetzt. Entweder werden sie entlassen oder ihre Verträge werden nicht verlängert. Diese Erfahrung machten etwa Arpat Pusztai beim Wowet Research Institute in Schottland, der Veränderungen im Darm von Ratten festgestellt hat, oder zum Beispiel Angelika Hilbeck, Eidgenossenschaftliche Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau aus der Schweiz, die die schädigende Wirkung von GT-Mais auf Florfliegenlarven nachgewiesen hat.

Vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse warnt der Weltagrarbericht der UNESCO, der im Frühjahr 2008 vorgestellt wurde. Er warnt vor den Folgen des Einsatzes der Gentechnik in der Landwirtschaft. Für die Zukunftssicherung setzen die beteiligten Wissenschaftler und Regierungsvertreter eine klare Priorität auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und eine ressourcenschonende Ökologisierung der Landwirtschaft gegen die von der Agroindustrie vorangetriebene Vision einer chemischen und gentechnischen Intensivierung.

Zu anderen Ergebnissen kommen erwartungsgemäß die Untersuchungen der Saatgutkonzerne selbst. Doch deren Seriosität muss bezweifelt werden. Der Monitoringplan von Monsanto beispielsweise, der Grundlage für die Wiederzulassung des auch in Sachsen angebauten Genmaises MON810 war, ist in höchstem Maße unseriös. Der Plan stützt sich auf Daten aus dem deutschen Bienenmonitoring, dem Tagfaltermonitoring oder dem Trade Monitoring. Die Träger dieser Untersuchung, der Deutsche Imkerbund, der Deutsche Jagdschutzverband oder Umweltverbände, wurden bezüglich einer Mitwirkung weder gefragt oder informiert, noch wurde die wissenschaftliche Eignung der Daten geprüft.

Meine Damen und Herren! Aus guten Gründen ist MON810 derzeit in sechs europäischen Ländern verboten. Das sind Frankreich, Griechenland, Österreich, Polen, Rumänien und Ungarn.

Die Prüfung des Gen-Maises erfolgt seitens der EU viel zu oberflächlich. Die meisten Anforderungen in den Prüfrichtlinien sind nicht zwingend vorgeschrieben, sondern variieren von Fall zu Fall. Auch in Fällen, in denen offensichtlich auffällige und unbeabsichtigte Effekte dokumentiert wurden und wesentliche Daten

fehlten, ging die Behörde diesen Hinweisen nicht nach. Generell hat die Zulassungsbehörde keine ausreichenden Standards. So gibt es keine unabhängigen Untersuchungen, keine einheitlichen Anforderungen an Fütterungsversuche; Langzeitbeobachtungen werden nicht verlangt und die Untersuchung von Umweltrisiken erfolgt nur oberflächlich. Detaillierte und belastbare Angaben über die Gefährdung von Insekten und anderen Organismen durch das Gift, das der sogenannte GT-Mais produziert, sind nicht vorhanden.

Die Gentechnik-Rechtssetzung ist ein Anschauungsbeispiel dafür, wie sehr die Anliegen der Bevölkerung ignoriert werden. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Deutschen aber auch der Menschen in den EUMitgliedsländern die Agrogentechnik ablehnt, soll sie dennoch mit allen Mitteln auf unsere Felder und auf unsere Teller kommen. Alle in den vergangenen zehn Jahren auf EU-Ebene beschlossenen Gentechnikverordnungen und Richtlinien tragen die Intention, der Gentechnik zum Durchbruch zu verhelfen. Die EUBiopatentrichtlinie aus dem Jahre 1998, die EUFreisetzungsrichtlinie von 2001 und die Verordnung über die Kennzeichnung gentechnischer Lebens- und Futtermittel sind Beispiele dafür.

Meine Damen und Herren! Nicht zufriedenstellend ist auch die aktuelle Situation des Patentrechts. Trotz ungeklärter Rechtslage und internationaler Kritik erteilte das Europäische Patentamt in München im Juli 2008 ein umfassendes Patent auf ein Verfahren zur Zucht von Schweinen. Die darin beschriebenen Erbanlagen kommen jedoch in allen europäischen Schweinerassen vor. Die Ansprüche sind so formuliert, dass sie nicht nur das Zuchtverfahren umfassen, sondern im Streitfall der Patentinhaber auch Ansprüche auf die Schweine selbst und alle Nachkommen erheben kann. Die Prüfung dieser Art von Schutzrechtansprüchen steht derzeit noch aus, ist aber sehr umstritten und äußerst fraglich.

Diese Übernahme der Patente der Lebensmittelproduktion dient nur einem Zweck, der Kontrolle über die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion der Zukunft. Die Errichtung einer globalen, auf lange Sicht unumkehrbaren Nahrungsmittelabhängigkeit wäre dann die Folge.

Der vormalige US-Außenminister und heutige GentechLobbyist Henry Kissinger bringt es auf den Punkt: „Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren. Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschheit.“

An Europa haben sich Monsanto & Co. bisher die Zähne ausgebissen. Doch mit welchen Mitteln die Gentechniklobby in Europa für die Öffnung des Marktes kämpft und welcher Unterstützung sie sich dabei bedient, kann in der britischen Tageszeitung „The Independent“ nachgelesen werden. Laut Angaben der Zeitung fanden mehrere inoffizielle Treffen der europäischen Staatschefs unter Leitung des Kommissionspräsidenten Manuel Barroso statt. Sie planen eine Kampagne zur Einführung von Gentechpflanzen in Lebensmitteln in Europa. Laut Teil

nehmerliste nahm von Deutschland Ministerialdirektor Peter Rösgen aus dem Bundeskanzleramt teil, einst Büroleiter der ehemaligen Umweltministerin Merkel. Inhalt der Gespräche sei die Beschleunigung von Zulassungsverfahren und der Umgang mit dem öffentlichen Widerstand gewesen.

Meine Damen und Herren! In einer Sitzung am 10. Oktober 2008 sprachen die Regierungsvertreter der EU-Lebensmittelbehörde EFSA ihr Vertrauen aus und bestärkten die Kommission darin, weiter nach technischen Lösungen zu suchen, um illegale Verunreinigungen in Futtermitteln zu erlauben. Offiziell hatte die EUKommission zwei Wochen vorher diese Pläne aufgegeben.

Ein Ergebnis der Gespräche war auch, dass die Regierungschefs stärker auf gentechnikkritische Landwirtschafts- und Umweltminister einwirken sollen. Es sei die Pflicht der Regierungschefs, den Blick stärker auf das große Ganze zu richten. Den Wortlaut der Protokolle hat die Umweltorganisation ins Netz gestellt.

Aber, meine Damen und Herren, wir müssen gar nicht in die große weite Welt schauen. Probleme durch Agrogentechnik gibt es auch in Sachsen zur Genüge, vor allem für ökologisch wirtschaftende Betriebe, die in der Nachweispflicht zu ihren Abnehmern stehen. Dies kostet diejenigen Unternehmen, die selbst keine genmanipuliert veränderten Organismen einsetzen, bereits heute viel Geld. Im Falle einer Verunreinigung werden die Unternehmen alleingelassen. Kein Staat und auch keine Versicherung sind bereit, für die Verluste aufzukommen.

Sehr geehrter Herr Staatsminister Kupfer! Bereits die zugrunde liegende Rechtslage ist keinesfalls geeignet, die friedliche Koexistenz der Anbauformen zu sichern. Noch etwas: Koexistenz gibt es nicht umsonst; sie ist mit hohen Mehrkosten verbunden. Für die Produzenten gentechnikfreier Lebensmittel entstehen erhebliche Mehrkosten für Analytik und Qualitätssicherung. Aber auch GVOAnwender haben mit Mehrkosten, zum Beispiel für die Reinigung der Maschinen in Höhe von 50 bis 350 Euro pro Hektar, zu rechnen. Dagegen stehen etwa 80 Euro mehr Ertrag.

Ein verpflichtendes Koexistenzmonitoring, mit dem die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen überprüft wird und dessen Kosten vom Kontaminationsverursacher getragen werden, existiert nicht. Ebenso berücksichtigt die Rechtsprechung nicht die Analysekosten, die zunehmend gentechnikfreie Produktionen belasten. Sie spielen besonders in der kleinräumlichen Landwirtschaft eine große Rolle. Bleiben die Produzenten auf den Kosten sitzen, werden gentechnikfreie Lebensmittel über kurz oder lang durch den Preis aus dem Markt gedrängt. Von Wahlfreiheit und Koexistenz, meine Damen und Herren, kann also hier überhaupt nicht die Rede sein.

Wir sehen, es gibt viele Gründe, die gegen den Einsatz von GV-Pflanzen auf sächsischen Äckern sprechen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, den Anbau auf Flächen des Freistaates zu unterlassen. Dies betrifft nicht

nur Flächen, auf denen der Freistaat selbst gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, sondern auch Land, das vom Freistaat verpachtet wird.

Mit der Zustimmung zu unserem Antrag befinden Sie sich übrigens in guter Gesellschaft. Die Frühjahrssynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat bereits am 10. April 2000 den Beschluss gefasst, dass sie den Kirchgemeinden empfiehlt, bei Neuabschluss bzw. bei der Verlängerung von Pachtverträgen die Formulierung aufzunehmen: Gentechnisch verändertes Saat- und Pflanzgut darf auf dem Pachtgrundstück nicht ausgesät und gepflanzt werden. Acht Jahre später sollte Sachsens Staatsregierung diesem Beispiel folgen.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und bei der Linksfraktion)

Danke schön. – Das war die einreichende Fraktion. Herr Schmidt spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir einfach machen und den Antrag der GRÜNEN schon deshalb ablehnen, weil wir uns konsequent für eine Eins-zu-einsUmsetzung von EU-Regelungen einsetzen. Außerdem ist es kaum zu rechtfertigen, dass der Staat entgegen der derzeitig gültigen Rechtslage Verbote für seine eigenen Immobilien ausspricht, was die GRÜNEN im Antrag bezüglich bestehender oder zukünftiger Pachtverträge fordern.

Weiterhin kann man nicht einerseits immer wieder beklagen, dass angeblich nicht genügend Untersuchungsergebnisse vorliegen, um einen gefahrlosen Anbau von GVO zu genehmigen, und andererseits fordern, den Anbau dieser Pflanzen genau dort zu verbieten, wo eine neutrale Erkenntnisgewinnung möglich ist.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass die GRÜNEN in diesem Hohen Haus das Thema noch öfter diskutieren werden. Ich möchte Sie aber bitten, sich dabei zu beeilen, denn Ihnen verbleiben nur noch knapp zehn Monate Zeit.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Deshalb gebe ich den Rest meiner Rede als Beitrag für die zweite Runde zu Protokoll.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Ich rufe die Linksfraktion, Frau Roth. Jawohl, es geht schnell.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst von mir eine kurze Vorrede. Immer dann, wenn in diesem Hohen Haus über Landwirtschaft debattiert wird, bemerke ich das starke Engagement der Staatsregierung – egal, ob der zuständige Minister nun Flath, Tillich, Wöller oder Kupfer heißt. Erst gestern wieder bestätigte sich dieser Eindruck beim CDU/SPD-Antrag „EU-Agrarpolitik fair

gestalten – Sächsische Landwirtschaftsbetriebe nicht benachteiligen“. Ich frage mich kopfschüttelnd, wieso derartige „Kämpfer“ für die sächsischen Landwirtschaftsbetriebe es dulden, dass in Sachsen der Anbau von gentechnisch veränderten Kulturen möglich ist.

(Beifall der Abg. Katrin Kagelmann, Linksfraktion)

Wir alle wissen doch, dass nicht nur für Ökobauern und Imker, sondern auch für konventionell wirtschaftende Landwirte der Anbau gentechnisch veränderter Organismen eine Bedrohung ihrer Existenzgrundlage darstellt. Auch gestern warnten meine KollegInnen Katrin Kagelmann und Johannes Lichdi bei der Debatte über den Antrag der GRÜNEN zur „Biodiversität im Freistaat Sachsen“ erneut sehr eindringlich vor den Gefahren dieser Risikotechnologie, vor den nicht rückholbaren Eingriffen in die Natur. Ich betonte – erneut –, weil allein meine Fraktion, die Linksfraktion, in dieser Legislaturperiode bisher drei Anträge, eine Große Anfrage und unzählige Kleine Anfragen zu dieser Problematik gestellt hat.

Zur Drucksache 4/13700, „Gentechnikfreie Bewirtschaftung der Flächen des Freistaates Sachsen“: Der Antrag der GRÜNEN ist gut. Er ergänzt auf konsequente Weise unseren Antrag vom Januar 2005 „Förderung gentechnikfreier Landwirtschaftsregionen in Sachsen“. Der Antrag ist gut, weil er die Staatsregierung in die Pflicht nimmt, sich ihrer Vorbildrolle und ihrer Verantwortung gegenüber den Landwirten und der Natur bewusst zu werden. Der Antrag ist gut, weil die grüne Gentechnik von der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Herr Weichert nannte vorhin schon die Zahl. Der Antrag ist vor allem deshalb gut, weil mit der gentechnikfreien Bewirtschaftung der Flächen des Freistaates Sachsen, auch wenn es nur reichlich 20 Hektar sind, eine Signalwirkung ausgeht, dass unsere Natur- und Kulturlandschaft vor den unabwägbaren Risiken der gentechnisch veränderten Organismen geschützt, dass die konventionelle und ökologische Landwirtschaft gestärkt und damit heimischen Bauern und Imkern, der ganzen sächsischen Agrarwirtschaft, eine nachhaltige Perspektive geboten wird.