Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Bildungspolitiker in einem Landtag können wir uns eigentlich glücklich schätzen, glücklich, dass es in unserem Politikfeld relativ wenige EU-Vorschriften gibt, dass der Bund uns kaum hineinregiert und dass wir weitgehend frei sind, unser Bildungssystem nach unseren Vorstellungen zu gestalten.
Für die FDP kann ich sagen: Wir sind in der Tat froh, dass wir diese Freiheit haben. Diese Freiheit hat Sachsen ermöglicht, dass unser Land, was die Bildungsqualität anbetrifft, besser dasteht als andere Bundesländer, und diese Freiheit möchten wir erhalten.
Eine Einschränkung der Zuständigkeit der Länder und ein Hineinregieren des Bundes in die Bildungspolitik lehnen wir ab. Das ist auch der Grund, warum wir beiden Anträgen nicht zustimmen werden.
Ungewohnt viel Beifall aus den CDU-Reihen. – Wir wollen uns in Sachsen nicht vorschreiben lassen, ob wir Studiengebühren erheben dürfen oder nicht, wir wollen uns die Schulstruktur nicht von Berlin oktroyieren lassen und wir wollen auch nicht, dass in Berlin festgelegt wird, wie viele Erzieher Kinder in sächsischen Kitas betreuen.
Der Bildungsgipfel macht dennoch Sinn, wenn auf ihn eine bildungspolitische Zielsetzung erfolgt. Ein Ziel muss es sein, bestehende bildungspolitische Barrieren zwischen den Bundesländern abzubauen.
Denken wir beispielsweise an die Streuung der Leistungsanforderungen innerhalb Deutschlands. Ich glaube, auch in einem föderalen System kann es nicht befriedigend sein, wenn ein Abiturient in Bayern, verglichen mit seinem „Kollegen“ in Bremen, beim Wissensstand anderthalb Jahre voraus liegt. Ich meine, diese Kleinstaaterei können wir uns auf Dauer wirklich nicht leisten.
Deshalb brauchen wir gemeinsame Leistungsstandards, die bundesweit für alle gelten. Ich denke, wir sollten auch den Versuch unternehmen, zu gleichen Abschlussprüfungen zu kommen. Darauf sollten sich die Länder verständigen. – Bildungsstandard, jawohl!
Ein zweites Ziel muss es sein, einen Konsens zwischen den Ländern und dem Bund bei der Bildungsfinanzierung zu erreichen. Bildung muss auf allen Ebenen eine höhere Priorität erhalten, denn die Herausforderungen sind zweifelsohne gestiegen. Wenn ich als Stichworte nennen darf: Ausbau der frühkindlichen Bildung, Einführung von Ganztagsangeboten. All das kostet richtig viel Geld. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung Ansprüche formuliert und Standards erhöhen will, die Lasten aber die Länder alleine tragen sollen.
Wer bessere Bildung in Deutschland will, der muss dafür auch die Länder besser finanziell ausstatten. Wir müssen auch sehen, ob die finanziellen Mittel, die wir derzeit ausgeben, strategisch richtig eingesetzt werden. Ich habe schon in Erwiderung auf die Regierungserklärung am Mittwoch gesagt: Wir müssen umsteuern von einer Politik des späten Reparierens zu einer Politik des frühen Investierens.
Die Arbeitsagentur gibt bundesweit Millionenbeträge für die Nachqualifizierung von frischen Schulabgängern aus, oft mit sehr zweifelhaftem Erfolg. Ich glaube, wenn wir dieses Geld in die frühkindliche Bildung, in Förderunterricht investieren, wäre uns allen mehr geholfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wird der Bildungsgipfel ein Erfolg? – Das wissen wir zum heutigen Moment alle noch nicht. Es ist Ansichtssache. Ich sage aber: Ein Misserfolg wäre es, wenn dadurch Länderkompetenzen beschnitten würden und wenn Sachsen Gestaltungskraft verlieren würde. Das wollen wir als FDPFraktion nicht.
Wir sind hier gut aufgestellt im Vergleich innerhalb Deutschlands, und sächsische Schüler profitieren sicherlich vom Bildungsföderalismus und auch vom Wettbewerb der Ideen. Gleichwohl müssen wir unsere Hausaufgaben hier im Land besser erledigen als bisher. Diese Verantwortung nehmen uns kein Bildungsgipfel und keine Bundeskanzlerin ab.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Herbst, es ist immer vorteilhaft, einen Antrag erst einmal zu lesen, bevor man verkündet, dass man ihn ablehnt. Wenn Sie das mit unserem Antrag getan hätten, dann hätten Sie entdeckt, dass diese Einzelforderungen, die Sie aufgestellt haben, alle darin enthalten sind.
Sie finden unter Punkt 1 die verstärkte finanzielle Beteiligung des Bundes an der frühen schulischen und der Hochschulbildung, das, was Sie gefordert haben. Sie finden die Bildungsstandards, die Sie gefordert haben. Ich nehme an, dass die FDP nicht so weit gehen wird, den Bund aufzurufen, seinen Anteil am BAföG zurückzuziehen. Auch das ist eine unserer Forderungen, bei der der Bund ins Spiel kommt: Bund und Länder gemeinsam für die Bildungsfinanzierung in die Pflicht zu nehmen.
Meine Kollegin Astrid Günther-Schmidt hat vorhin Wesentliches zur frühen Bildung und zur Schule gesagt. Ich möchte mit dem Bereich der Hochschule anschließen. Bildung als Menschenrecht, diese Forderung heißt auf den Hochschulbereich übersetzt, dass wir allen Menschen, die es können und wollen, den Zugang zu den Hochschulen und zu einer qualitativ hohen Lehre eröffnen. Wenn wir dieses Ziel ernst nehmen, dann verbieten sich Studiengebühren und ähnliche finanzielle Beschränkungen des Zugangs von selbst.
Wir müssen aber weitere Hürden beseitigen, um bei der Studienbeteiligung zumindest den europäischen Durchschnitt zu erreichen. Stärker noch als im Schulbereich kommt es bei den Hochschulen darauf an, bundesweit abgestimmt zu handeln, so schwer uns das der föderale Bildungsflickenteppich auch macht. Am deutlichsten wird das in drei Bereichen: bei der Bereitstellung von Studienplätzen, bei der Durchlässigkeit innerhalb des gestuften Studiensystems und beim Zugang zu den Hochschulen.
In allen drei Bereichen wurstelt jedes Bundesland herum, als wären die Universitäten wie weiland im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation der Augapfel eines jeden Landesfürsten. Diese Kleinstaaterei wäre noch hinzunehmen, wenn sich der gepriesene föderale Wettbewerb darum bewegen würde, wer seine Hochschulen am besten ausstattet und wer sie möglichst offen für Bewerber und auch für Studienplatzwechsler macht. Wir alle wissen: Das Gegenteil ist leider der Fall. Ein Bildungsgipfel täte also not.
Nehmen wir doch das Beispiel Studienplätze! Während überall um uns herum in Europa seit den Siebzigerjahren die Studienplatzkapazitäten auf ein Niveau von bis zu 70 % eines jeden Jahrgangs ausgebaut wurden, findet in Deutschland seit Jahren ein Wettbewerb nach unten statt. Fein raus sind Länder wie Bayern oder BadenWürttemberg, die das Geld für die Wissenschaft lieber in die Forschung statt in die Lehre gesteckt haben. Sie werden im Exzellenzwettbewerb belohnt, während ihnen Länder wie Sachsen, Rheinland-Pfalz oder Berlin die Akademikerinnen und Akademiker frei Haus liefern. Die Leidtragenden sind die Studierenden sowie die oft unter
miserablen Personal- und Ausstattungsbedingungen leidenden Wissenschaftler. Ein Bildungsgipfel tut not.
Zweites Beispiel: Der Bologna-Prozess mit der Einführung der gestuften Studiengänge zum Bachelor und Master sollte europaweite Mobilität und Flexibilität für die Studierenden schaffen. Auch dank der Eigensinnigkeit der Länder ist das Gegenteil eingetreten. Nach übereinstimmender Auffassung von Experten wie Betroffenen ist es nicht nur schwieriger geworden, innerhalb Europas den Studienort zu wechseln; es ist mittlerweile auch im nationalen und im regionalen Bildungsraum allzu oft einfach unmöglich. Jede Hochschule hat ihre eigenen Studiengangsprofile, jedes Bundesland seine eigenen Anerkennungsregeln und jeder hält sich für den Besten. Die Leidtragenden sind hier die Studierenden innerhalb und außerhalb Sachsens. Ein Bildungsgipfel tut not.
Das dritte Beispiel ist der Hochschulzugang. Im Rahmen der Föderalismusreform sind die Regelungen zum Hochschulzugang Ländersache geworden. Die daraus resultierende Uneinheitlichkeit verunsichert Studienbewerber und vermindert die Attraktivität des Studiums. Dabei könnten einzelne Länderregelungen zum Hochschulzugang durchaus sofort bundesweit verankert werden. Ich erinnere nur an die sächsische Debatte um den Hochschulzugang für Meister – eine Regelung, die in anderen Bundesländern längst Realität ist – oder an das von uns vorgeschlagene Studium auf Probe. Viel zu viele geeignete Bewerberinnen und Bewerber bleiben außen vor. Ein Bildungsgipfel tut in dieser Situation not.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle kann ich den Entscheidungen – falls sie kommen – des Bildungsgipfels am nächsten Mittwoch naturgemäß nicht vorgreifen. Die in unserem Antragstitel zum Ausdruck kommende Befürchtung, dass es ein Kaffeekränzchen im High-Tech-Ambiente wird, teilen viele.
Herr Colditz, ein solcher Titel zeugt doch nicht davon, dass wir kein Interesse an der Weiterentwicklung des Bildungssystems haben. Das Gegenteil ist der Fall. Wer sich Sorgen macht, hat Interesse. Er artikuliert seine Befürchtung, dass dort nur geplaudert wird und nichts zustande kommt. Diese Befürchtung lässt sich freilich zerstreuen, wenn sich Bund und Länder dem Problem stellen und wirklich Nägel mit Köpfen machen.
Ich will unsere Lösungsansätze nur skizzieren. In Bezug auf das Problem der Studienplätze haben wir frühzeitig Vorschläge vorgelegt und einen Landtagsbeschluss erreicht. Der Hochschulpakt 2020 muss über das Jahr 2010 hinaus fortgeführt und mit dem Ziel eines Hochschullastenausgleichs der Bundesländer weiterentwickelt werden. Anders als bisher brauchen wir eine Vollfinanzierung der Studienplätze und die schrittweise Realisierung des Prinzips „Geld folgt Studierenden“.
Zum zweiten Problemfeld! Auf dem Weg nach Bologna müssen wir endlich die Steine wegräumen, die den Studierenden tagtäglich in den Weg gelegt werden. Wir brauchen mehr Mobilität und mehr Durchlässigkeit. Unser grünes Hochschulgesetz enthält einen entsprechen
den Baustein: die Regelanerkennung von Studienleistungen in vergleichbaren Studiengängen, egal, ob sie im Inland oder im Ausland erworben wurden.
Wir müssen darüber hinaus die Stoff- und die Prüfungsdichte der neuen Studiengänge verringern, damit in der Lehre Qualität wachsen kann. Nahezu alle Probleme, die wir bei Bachelor und Master haben, verdanken wir den Regelungen der Kultusministerkonferenz, sozusagen des Bildungsgipfels in Permanenz. Seine Fehler müssen jetzt endlich korrigiert werden.
Am einfachsten könnten länderübergreifende Einigungen beim Hochschulzugang gelingen. Im Rahmen bundeseinheitlicher Regelungen muss der Hochschulzugang für Bewerber ohne formale Hochschulzugangsqualifikation geöffnet werden, etwa für Menschen mit Berufserfahrung oder für Meister. Damit könnte auch die Anzahl der Studierenden bzw. Absolventen erhöht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das eingangs von mir genannte Ziel, möglichst vielen Menschen den Weg zur Hochschulbildung freizumachen, wird über die genannten Reformen hinaus aber nur erreichbar sein, wenn das Studium finanzierbar bleibt oder, wie es in vielen Fällen gilt, überhaupt erst finanzierbar wird. Die Entwicklungen beim BAföG zeigen, wie wichtig dieser Aspekt für die Studierendenzahlen ist. Eine regelmäßige Anhebung der Bedarfssätze und die Erweiterung des Bewerberkreises sind deshalb wichtig.
Wir werden aber nur dann entscheidend nach vorn kommen, wenn Bund und Länder auf mittlere Sicht eine elternunabhängige, individuelle Bildungsfinanzierung für Erwachsene einrichten, die alle Bildungsarten und alle Bildungsphasen berücksichtigt. Die längst zur Phrase verkommene Forderung nach dem lebenslangen Lernen können wir so endlich mit dem notwendigen Leben erfüllen. Egal, welcher Bildungsweg, egal, mit welcher Herkunft und in welchem Alter – jeder, der sich bilden will, muss den notwendigen Lebensunterhalt bestreiten können.
Aber wer eine bessere Bildung will, muss bei der Bildungsgerechtigkeit anfangen. Oder: Wer auf den Bildungsgipfel will, der muss durch die Mühsal der Ebene.