Was steckt eigentlich hinter einer solchen Entwicklung? Ist es Ignoranz, ist es der fehlende Wille, sich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen, oder die fehlende persönliche Betroffenheit?
Klaus Schroeder, der Forschungsleiter der Freien Universität Berlin, beschreibt es in der „Welt“ wie folgt: Verantwortlich dafür sind die nach wie vor bestehende DDRSystemverhaftung vieler Elternmilieus und die DDRfreundliche Orientierung vieler ehemaliger DDR-Lehrer, die laut Schroeder die Schülerbefragung zum Teil sogar aggressiv zu verhindern und mitunter auch zu manipulieren versuchten.
Was in den Köpfen beispielsweise vieler junger Berliner als DDR-Vorbild vorherrscht, beschreibt Schroeder resümierend: Es ist die Vorstellung eines ärmlichen, skurrilen und witzigen Landes, das aber irgendwie sehr sozial war. Die DDR lebt als sozial verklärte und politisch verharmloste Gesellschaft fort. Der menschenverachtende Diktaturcharakter des SED-Staates ist erschreckend wenig präsent. Die Jugendlichen haben keine Bewertungsmaßstäbe wie Gewaltenteilung oder die Achtung der Menschenrechte im Kopf. Ostalgie zwischen Rennpappe, Nudossibrot und Witzen über Bananen als Mangelware, Puhdys und Karat als musikalische Helden eines Staates mit scheinbar sozialer Nestwärme. Renft kommt da schon nicht mehr vor, denn die waren ja verboten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Bild darf sich in den Köpfen junger Menschen nicht verselbstständigen; denn so würden wir ein großes Stück unseres Demokratieverständnisses verlieren.
Die DDR – das ist meine Sicht der Dinge – war ein totalitärer Staat mit einer Einheitspartei, deren Funktionäre ein System von persönlicher Vorteilnahme und Unterdrückung der Bürger und der freien Meinungsbildung aufgebaut und unterhalten haben.
Andersdenkende wurden mit Repressalien, persönlichen Angriffen, beruflichen Einschränkungen und Maßnahmen bis hin zu Haft und Zerstörung des eigenen Lebens und das der Familie überzogen. Menschen saßen ohne Grund und zu Unrecht in Gefängnissen und wurden körperlich misshandelt. Ein ganzes Land wurde belauscht und überwacht. Eine zentral geführte Mangelwirtschaft war nicht in der Lage, die eigene Bevölkerung ausreichend zu versorgen, während sich Parteifunktionäre an dem Erarbeiteten bereicherten.
Die Jugend wurde frühzeitig über die Schulen und die sogenannten gesellschaftlichen Organisationen wie die
Jungen Pioniere, die Freie Deutsche Jugend oder die Gesellschaft für Sport und Technik indoktriniert und für propagandistische Zwecke missbraucht. Millionen von Bürgern sahen für sich und ihre Familien keine Zukunft in der DDR und entzogen sich dem System durch Flucht und Ausreise.
Das, meine Damen und Herren, ist das Bild, das wir unseren Jugendlichen vermitteln müssen und das unsere Genossen von der Linkspartei – wir haben es vorhin gehört – so gern verniedlichen. Die DDR war kein Abenteuerspielplatz, sondern ein massiver Unrechtsstaat.
Entscheidend für die objektive Vermittlung der Geschichte der DDR ist der Wille der handelnden Personen, dieses Bild auch vorbehaltlos zu zeichnen. Dass dies in den neuen Bundesländern schlechter gelingt als in Bayern oder Hessen, muss uns auch in Sachsen zu denken geben. Wir haben genügend Ansätze in den sächsischen Lehrplänen, die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und der SED-Diktatur entsprechend zu handhaben. Aber offensichtlich gelingt es uns nicht gut genug, das allen Schülern nahezubringen.
Wir müssen mit den sächsischen Pädagoginnen und Pädagogen über die Verallgemeinerungsfähigkeit guter Projekte diskutieren, die es in Sachsen gibt, und für deren Realisierung werben. Wir müssen uns aber gleichermaßen für die Bewahrung der Geschichte und der Erinnerung der Betroffenen stark machen, um einen möglichst umfassenden Eindruck von der ehemaligen DDR vermitteln zu können.
Daher bitte ich auch darum – und meine Bitte geht jetzt auch an unsere Ministerin für Wissenschaft –, die Initiative mit dem Ziel, an der Universität Leipzig eine Professur für DDR-Geschichte und die friedliche Revolution in der DDR einzurichten, zu unterstützen, um diese Felder auch wissenschaftlich fundiert zu untersuchen und auch für die Lehrerausbildung nutzbar zu machen.
Die Instrumente dazu haben wir im sächsischen Schulsystem und in den Lehrplänen geschaffen. Es liegt an uns und an allen, die an der Erziehung und Bildung beteiligt sind, unsere jungen Menschen mit 40 Jahren SED-Diktatur bekannt zu machen und so zu verhindern, dass sich totalitäre Systeme gleich welcher politischen Strömung nicht wiederholen. Davon hatten wir weiß Gott genug.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Augenscheinlich bin ich in diesem Saal eine der sehr wenigen, die den Großteil ihres Lebens in der Bundesrepublik verlebt haben und aus eigener Erfahrung über das Geschichtsbild junger Menschen und über den Geschichtsunterricht sprechen können. Aber ich möchte auch an das anknüpfen, was der Alterspräsident in die Diskussion eingebracht hat.
Die Wende ist für meine Generation kein so einschneidendes Erlebnis. Es sind keine Biografien gebrochen, Abschlüsse hinfällig oder Überzeugungen verloren und neue gewonnen worden, aber selbstverständlich sind die Spuren der Geschichte immer noch da.
Das Bild junger Menschen in der DDR wird selbstverständlich vielfältig geprägt: aus dem Erzählen von Eltern, Großeltern, Lehrern, aus Filmen, Medien und Öffentlichkeit allgemein. Da haben Sie auch Blüten genannt. Selbstverständlich wirken auch die Unterschiedlichkeiten des spezifisch Ostdeutschen bei jungen Menschen heute immer noch nach, zum Beispiel selbstverständlich eine berufstätige Mutter zu haben oder davon gehört zu haben, dass man einmal verpflichtet war, zu Demos zu gehen, sich innerlich dagegen entschieden zu haben oder in der Folge der Wiedervereinigung für Arbeit und Ausbildung möglicherweise weggehen zu müssen. Eine Positionsbestimmung auch für Nachkommende tut also not.
Wir stimmen in diesem Saal bestimmt darin überein, dass das System von Repression und unterdrückter Meinung der DDR zutiefst abzulehnen ist. Hannah Arendt charakterisiert das Totalitäre im Wahrheitsanspruch einer Ideologie, der Pluralität unmöglich macht und innere und äußere Handlungsfreiheit von Menschen beschneidet. Aber sie sagt auch, dass mit diesem Begriff vorsichtig und sparsam umgegangen werden soll.
Die Landeszentrale für politische Bildung, die neue Informationskampagne auf der Internetseite des Kultusministeriums – die „Zweite Diktatur“ sagen sie gern –, sie opfern die historische Genauigkeit und Unterscheidung und die Biografie von Menschen einer parteipolitischen Vereinnahmung und Verkürzung der DDR. Wir haben das in den Redebeiträgen auch heute wieder gehört. Interessengeleitet darf die Auseinandersetzung mit der Geschichte nämlich nicht sein.
Sie dürfen auch nicht die Opfer von Unterdrückung und Diktatur für Ihre Interessen instrumentalisieren.
Mit viel Aufwand transportieren Sie ein bestimmtes Bild zu den jungen Menschen. Die Landeszentrale für politische Bildung beschäftigt sich weitaus mehr mit dem Thema Unterdrückung in der DDR als mit irgendeinem anderen. Der eigens dazu gegründete Forschungsverbund SED-Staat oder andere Uni-Institute sind mit Deutungen in der Gesellschaft unterwegs, der Lehrplan in entspre
chender Weise. Der Stoff wird vermittelt, oft zu kurz am Ende der 10. Klasse, wenn Sie sich mit jungen Menschen unterhalten. Aber das haben Sie auch geändert.
Warum verfängt denn dieses Geschichtsbild nicht? Die Zitate aus den Studien zeigen es: Nur etwa 40 % haben ein überwiegend negatives Bild oder sie sind sich im Klaren darüber, dass es mangelnde Einkaufs- und Reisemöglichkeiten gab, nennen aber als Vorteile Arbeitsplatzgarantie und Kinderbetreuung.
Ihr Bild verfängt nach 20 Jahren Geschichtsschreibung in diesem Land deshalb nicht, weil es so einseitig ist.
Und erstens sind Ihre parteipolitischen Interessen eben nicht die Interessen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Sie sind zweitens oberflächlich und leicht durchschaubar und drittens wird der Blick auf die Geschichte immer von einem bestimmten Standpunkt aus, dem der Gegenwart, getan. Das Maß, mit dem die Menschen messen, liegt im Hier und Jetzt. Wenn die Gegenwart von Sorgen und Ängsten geprägt ist, dann ist es kein Wunder, wenn die Ängste der Vergangenheit, auch wenn sie heraufbeschworen werden, nicht in dem Maße ziehen, weil es Ihnen eben nicht gelungen ist, Selbstverwirklichung und Einbindung zu allen Menschen zu bringen. Der einzige Gründungsmythos, den Sie anzubieten haben, ist die Abwertung des Vergangenen, und das ist doch ein bisschen wenig, meine Damen und Herren.
Statt über den demokratischen Neuanfang zu reden, reden Sie bei dem Thema am liebsten über die Stasi. Man darf nicht interessengeleitet mit der Geschichte umgehen, wenn man für ein Land Verantwortung trägt. An diesem Schnittpunkt zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ist verantwortungsvolles Handeln der Funktionsträger gefragt.
Mit Ihrem Bild beschneiden und delegitimieren Sie die Biografien der Menschen eines ganzen Landes, für die es entweder bedeutungslos wird, was die Politik und die Öffentlichkeit sagen, oder die sich abwenden.
Sie versperren mit diesem Kurs auch den Raum für eine wirkliche Geschichtsaufarbeitung, auch für eine Positionierung der Nachkommenden, in der gemeinsam über das Vergangene, die Lehren und die Gegenwart gesprochen werden kann und in der auch die Geschichte der Ostdeutschen nach 1989 einen Platz hat.
Dazu gehört, dass man das Vergangene umfänglich auf den Tisch holt, dass die Biografien von Abgeordneten in diesem Haus nicht erst 1989/1990 beginnen und dass die Geschichten aller Parteien aufgearbeitet werden.
(Staatsminister Thomas Jurk: Warum ändern Sie ständig Ihren Namen? – Beifall bei der CDU – Proteste bei der Linksfraktion – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wann ändert ihr euren Namen? Da ist nichts mehr sozial!)
Sie sprechen dabei genau die Veränderungen im Inhalt und im Wesen an, die bei den linken Ideen im Grundsatz stattgefunden haben.
Um in diesem Haus und in dieser Gesellschaft eine Diskussion führen zu können, verlange ich auch von denjenigen, die länger dabei sind, einen verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte, und zwar in der Weise, dass Sie sich öffnen und der Aufarbeitung einen Raum geben.
Dafür gibt es bereits Anstöße aus den eigenen Reihen. Lothar de Maizière hat SchwarzWeiß-Malerei im Umgang mit der DDR beklagt und gemeint, dass, wenn über die DDR gesprochen wird, nicht immer nur von Stasi die Rede sein kann.
Im Interesse einer Aufarbeitung der Geschichte, in der die Menschen einen Platz haben, fordere ich Sie auf, diesen Weg frei zu machen.
Wird von der Fraktion der SPD noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die NPD. – Auch nicht. Von der Fraktion der GRÜNEN ist noch eine Wortmeldung vorgesehen. – Die entfällt. Dann frage ich die Fraktionen insgesamt, ob noch das Wort zum Thema gewünscht wird. – Herr Bandmann, bitte.