Protocol of the Session on September 11, 2008

Nun nehmen wir zur Kenntnis, dass die sächsischen Jugendlichen deutliche Defizite im Geschichtsbild und vor allem in der Kenntnis der jüngeren Vergangenheit haben. Woran liegt das? Es liegt offensichtlich daran, dass wir viele junge Menschen in der Schule aus den oben genannten Gründen nicht erreichen, dass es zum Beispiel oft Widersprüche zwischen offiziellem Lehrstoff und den Berichten der Eltern und damit Loyalitätskonflikte für die Jugendlichen gibt. Wer aber erwartet, dass ein Geschichtsbild lediglich im Unterricht vermittelt werden kann, liegt sowieso falsch. Für jeden Lernprozess ist die Motivation, das Interesse das Wichtigste. Für die Nachhaltigkeit des Gelernten wiederum ist die subjektive Bedeutung für den Einzelnen entscheidend.

Gerade die jüngere Geschichte – und da liegt der Schlüssel – eignet sich wie kaum ein anderes Fach dazu, die Schule zu verlassen und das Umfeld zu erkunden. Was für die Wissenschaft eher ein Hemmnis ist, ist für die Schule eigentlich ein großes Geschenk, nämlich dass die Zeitzeugen noch leben. Nur wenn die Schüler mit denen sprechen, die in der DDR gelebt haben, wenn sie sie über dieses Leben befragen, wird sich Interesse ausdehnen, genauer zu verstehen, was die DDR war, wie ihr real existierender Sozialismus funktionierte und was alles nicht funktionierte. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang auch die neue Ringvorlesung „Wie schmeckte die DDR?“ der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dresden zu begrüßen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wenn wir aber wirklich ein realistisches Bild der DDR in den Köpfen unserer jungen Menschen praktisch auch als Immunisierung gegen totalitäre Träume und Verführungen haben wollen, dann müssen wir unsere Schulen bis in den Kernprozess des Lernens hinein demokratisch gestalten.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD – Lebhafter Beifall bei der Linksfraktion und Beifall des Abg. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Wir müssen bei den jungen Menschen die positive Erfahrung der Selbstbestimmung – –

Sie rauben mir die Redezeit.

der Selbstbestimmung, der Freiheit in Verantwortung durch praktisches Erleben befestigen. Dann und nur dann haben wir den richtigen Maßstab für eine korrekte und realistische Bewertung der DDR-Geschichte. Und nur dann interessieren sie sich vielleicht auch dafür.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD; Herr Petzold, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Geschichte lernen? Das ist zunächst einmal eine geschichtsphilosophische Fragestellung, für die der Sächsische Landtag das falsche Forum wäre. Zum anderen ist es ein frommer Wunsch, denn bei der Betrachtung der menschlichen Entwicklung wird man unschwer feststellen müssen, dass die Menschen aus der Geschichte nichts lernen.

(Stefan Brangs, SPD: Das sieht man bei Ihnen! – Zuruf von der SPD: Eigentor!)

Die Damen und Herren Demokraten sind das beste Beispiel für die Lernunfähigkeit aus der Geschichte. Sie haben als wunderbare Parallele die Weimarer Republik vor Augen, vor allem deren Ende. Dennoch sind sie in einem atemberaubenden Tempo gerade dabei, die Zustimmungswerte der Bevölkerung zu ihrem demokratischen System und seinen Repräsentanten auf einen Tiefpunkt zu manövrieren. Immer dann, wenn ein System der Zustimmung der Bevölkerung ermangelt, versucht es, sich der Geschichte zu bemächtigen. Dies erscheint vor allem immer dann dringlich, wenn in der Bevölkerung unerwünschte Vergleiche zwischen vergangenen und heutigen Zuständen gezogen werden.

Jetzt also wollen Sie den defizitären Kenntnisstand vor allem der Ex-DDR-Schuljugend zu Leibe rücken. Eine Studie des Berliner Professors Klaus Schröder, in der 5 216 Schüler über ihre Meinung zur DDR befragt wurden, hat Sie aufgeschreckt. Viele Jugendliche, besonders in Mitteldeutschland, hielten, so der Forscher, die DDR nicht für eine Diktatur. Sie würden die sozialen Vorteile des Rechts auf Arbeit überbetonen und gemeinsam mit ihren Eltern und Großeltern die Vergangenheit verklären.

Nun will ausgerechnet die FDP-Fraktion dem Elternhaus mit seinen prägenden Erzählungen und Eindrücken mit Hilfe der Staatsmacht in Gestalt der Lehrer zu Leibe rücken. Die Bildungsministerien sollen konkrete Vorga

ben machen, wie die Geschichte gewesen zu sein hat und welches Verhältnis man zu ihr einzunehmen hat. Früher hat die FDP heftig moniert, dass in der DDR und zuvor im Dritten Reich versucht worden ist, die Prägung des Elternhauses, die gemeinsamen Erfahrungswelten und das natürliche Einvernehmen zwischen Eltern und Kindern durch rigide Bildungsvorgaben in der Schule auszuhöhlen.

Wir als NPD-Abgeordnete gehören nicht zu denen, die man als DDR-Nostalgiker bezeichnen könnte. Wir gehören aber auch nicht zu denjenigen, die alles schlechtreden, was es auch an guten Einrichtungen in einem ansonsten abzulehnenden System gegeben hat. Im Gegensatz zur Bundeswehr hat die NVA in der ehemaligen DDR immerhin preußische Traditionen gepflegt.

(Gelächter bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Auch die Ausländerpolitik der früheren DDR war wesentlich konsequenter als die der BRD.

(Beifall bei der NPD)

Ein Staat, der sich die Deutungshoheit für Geschichte anmaßt, ist in dieser Hinsicht totalitär. Ein Staat, der die Deutungshoheit aber zurückgewinnen will, steht bereits auf verlorenem Posten. Wenn Sie der Verklärung der Vergangenheit ein Ende bereiten wollen, dann müssen Sie nicht den Geschichtsunterricht ändern, sondern Ihre Politik. Wenn die Menschen sich in Ihrem System als Sieger fühlen und nicht als Verlierer, wenn sie sich als Deutsche fühlen dürfen und nicht als Parias der Weltgeschichte, wenn sie Perspektiven hätten, dann würden Sie den Vergleich mit der Vergangenheit gewinnen.

Lassen Sie es also bei den Fakten bewenden und widerstehen Sie der Versuchung, Gefühlswelten reproduzieren zu wollen. Ihre Intention in Bezug auf den Geschichtsunterricht erregt bei uns Nationaldemokraten einen Verdacht, der am besten durch Adaption der berühmten Sentenz von Clausewitz beschrieben werden kann: Geschichtsunterricht ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Damit die FDP-Fraktion verstehen lernt, was Geschichte sein kann, sollte sie unbedingt die kleine Schrift von Friedrich Nietzsche „Vom Nutzen und Nachteil der Hysterie für das Leben“ lesen.

(Heinz Eggert, CDU: Historie!)

„der Historie für das Leben“.

Diese ist zwar schon etwas älter, aber noch längst nicht so verstaubt wie Ihr gemaßregelter, von Verboten durchzogener Geschichtsunterricht.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD – Heinz Eggert, CDU: Wenn das der Führer wüsste!)

Ich erteile das Wort der Fraktion GRÜNE; Herr Dr. Gerstenberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor etlichen Jahren sang Sting den Song „History will teach us nothing“, eine bittere Anklage.

Aber ich hege die Hoffnung, dass die Geschichte uns doch etwas lehrt. Das sage ich gerade jetzt nach den Worten meines Vorredners von der NPD. Ich hege die Hoffnung, dass für Unfreiheit und staatliche Repression, für die Beschneidung demokratischer Grundrechte und Menschenrechte kein Platz ist und niemals mehr sein wird.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und der FDP)

Wie ist dieses Ziel von historischer Bildung, von Geschichts- und Erinnerungspolitik zu erreichen? Das ist doch eigentlich die Frage, um die sich die heutige Diskussion drehen sollte. Wie schaffen wir es, unseren Kindern nicht nur die triviale Einsicht zu vermitteln, die DDR war eine Diktatur, sondern wie schaffen wir es, dass bei Kindern, bei Jugendlichen und bei Erwachsenen das Bewusstsein für die Stärken und die Vorteile der Demokratie geweckt wird? Wie vermitteln wir ihnen, dass die Freiheit, unter verschiedenen Optionen seinen Lebensweg auszuwählen, ein besonders hohes Gut ist?

Hier hat die Schule eine große Bedeutung. Sie ist der einzige Ort, wo gemeinsam und vor allem objektivierbar etwas über Geschichte gelehrt und gelernt wird. Die oft gehörte Forderung nach einem Mehr an DDR-Geschichte im Unterricht würde ich gern unterstützen. Aber welcher Bereich soll denn dafür reduziert werden? Die Geschichte des Nationalsozialismus, wie es in Bayern jüngst geschehen ist, bitte nicht.

Es geht wohl um das Wie der Geschichtsvermittlung. Dies wird nur durch Projekttage, durch Zeitzeugengespräche, durch die Einbeziehung der Bildungsarbeit des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen anfassbar und lebendig werden. Wichtig sind auch die bereits angesprochenen Besuche in Gedenkstätten wie Bautzen II oder hier in Dresden auf der Bautzener Straße.

Ich will sie nicht zur Pflichtveranstaltung machen. Wer diese Forderung stellt, der sollte bitte zuerst bedenken, dass ein solcher Besuch vor allem guter Vor- und Nachbereitung bedarf und dass vor Ort nicht nur eine informative Ausstellung, sondern auch entsprechendes pädagogisches Personal da sein muss.

(Beifall der Abg. Cornelia Falken, Linksfraktion)

Um hier erfolgreich arbeiten zu können, braucht die Stiftung Sächsische Gedenkstätten zuerst eine bessere Finanzausstattung.

(Beifall bei den GRÜNEN, des Abg. Heiner Sandig, CDU, und der Abg. Cornelia Falken, Linksfraktion)

Schule kann einiges anregen. Aber Schulunterricht hat nur einen geringen Einfluss auf das Geschichtsbild. Das

zeigen etliche Studien. Weit einflussreicher sind hier Eltern, Freunde, aber auch die Medien.

Viele Eltern haben durch den Systemwechsel Enttäuschungen erfahren. Je unzufriedener der Mensch mit der Gegenwart ist, umso leichter gibt er wohl der Neigung nach, die Vergangenheit zu verklären. Wenn junge Leute, Schülerinnen und Schüler in Gedenkstätten Einblicke in menschenverachtende Abgründe totalitärer Diktaturen nehmen, aber andererseits rosarote beschönigende Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern hören, wie sollen sie das zusammenbringen? Hier kann nicht der Schulunterricht allein helfen.

(Beifall des Abg. Heiner Sandig, CDU)

Wir brauchen eine offene Diskussion über Stasi-Knast und Lebensalltag, und das in der gesamten Gesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Die DDR, die SED-Diktatur, das war nicht nur Mauer, Stasi, Stacheldraht. Wichtig ist es, über den Alltag der Diktatur zu sprechen, über die alltäglichen Unterdrückungsmechanismen. Wir erinnern uns an die tägliche Angst, die Meinung frei zu äußern. Wir erinnern uns an das ständige Misstrauen, wer gerade zuhört. Neben Repression und Ausgrenzung gab es die Anpassung. Neben Widerstand gab es Loyalitäten und ideologische Überzeugungen.

Wer über den Alltag der Diktatur spricht, der muss auch die willige Gefolgschaft, Verführbarkeit, Duldsamkeit gegenüber Unrecht und Autoritätshörigkeit diskutieren.

(Beifall des Staatsministers Thomas Jurk)

Das sind genau die Punkte, auf die Damen und Herren wie Herr Petzold und die NPD heute setzen. Deshalb ist diese Diskussion über den Alltag der Diktatur so wichtig.

Wir haben die Aufgabe, Einsicht in die eigene Geschichte, in die Vergangenheit zu gewinnen. Das ist anstrengend, für manche Menschen auch schmerzhaft. Es wird jedoch ohne eine ehrliche und kritische Aufarbeitung kein Ende der Verklärung geben. In dieser Aufarbeitung verbietet sich jede Schwarz-Weiß-Malerei. Sie ist übrigens – Herrn Herbst und auch den Kollegen der CDU sage ich das jetzt einmal – ungeeignet für den Wahlkampf.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)