Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Blick auf den bevorstehenden 20. Jahrestag der friedlichen Revolution von 1989 in unserem Land ist die Erinnerung an unsere gemeinsame jüngere Geschichte ein überaus aktuelles Thema.
Unsere Fraktion hat sich gemeinsam mit der Staatsregierung schon seit Beginn des gesellschaftlichen Neubeginns in unserem Land dafür eingesetzt, dass die Aufarbeitung
Meine Damen und Herren! Die besondere Chance, die sich mit der zeitnahen Vermittlung von gesellschaftlichen und geschichtlichen Prozessen unmittelbar vor 1989 ergibt, ist die, dass Eltern, Verwandte und Lehrer, Erzieher, aber auch damals insbesondere oppositionell aktive Menschen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Damit kann die Vermittlung dieser jüngeren Geschichte an die heranwachsende Generation sehr lebensnah, glaubhaft und auch unverfälscht erfolgen. Natürlich setzt das auch die Bereitschaft und die Initiative unserer Schulen vor Ort voraus. Gerade die Einbeziehung der Vorgeschichte der friedlichen Revolution aus lokaler und regionaler Perspektive, die Aufarbeitung und lebensnahe Vermittlung von persönlichen Schicksalen und Lebensläufen bis hin zur Vermittlung von Initiativen aus dem kirchlich oppositionellen Bereich oder aus Umwelt- und Bürgerbewegungen lassen geschichtlich einzuordnendes Wissen und die Befähigung zur Bewertung dieser Entwicklung überzeugender und nachvollziehbarer vermitteln. Dabei geht es nicht allein darum, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern auch die Gegenwart besser zu begreifen. Die nachträgliche Glorifizierung einer Diktatur, die damit einhergehende Herabwürdigung der Demokratie in unserem Land führt gerade bei jungen Menschen zu fatalen Einsichten und gefährdet damit auf Dauer die gesellschaftliche Entwicklung.
Eine solche Entwicklung ist schließlich auch der Nährboden für Extremismus, egal welcher Couleur. Schülerinnen und Schüler sind aus eigener Einsicht nicht in der Lage, diese Zusammenhänge aufzuarbeiten. Sie brauchen vermittelte Einsichten durch die ältere Generation. Hier schließe ich neben der Schule insbesondere auch die Elternhäuser ein.
Meine Damen und Herren! Wenn hier gegeneinander argumentiert oder die Vergangenheit verniedlicht und verklärt wird, muss man sich über fatale und falsche Einsichten bei Jugendlichen und die daraus erwachsende Ablehnung unserer demokratischen Grundordnung nicht wundern. Ich warne also dringend davor, Wissensdefizite und Einstellungsprobleme unserer jungen Menschen gegenüber demokratischer Ordnung und auch gegenüber dem politischen System in unserem Land allein nur Lehrern und Schülern anzulasten.
Die Lehrpläne greifen das Thema an unseren Schulen fachübergreifend und schulartübergreifend auf. Eine Einschränkung auf den Geschichtsunterricht ist sicherlich nicht zielführend, auch wenn methodisch didaktisch am ehesten Anknüpfungspunkte vorhanden sind. Aber auch in
anderen Fächern bestehen Anknüpfungspunkte. Ich denke hier an den Gemeinschaftskundeunterricht, evangelische und katholische Religion, Ethik und auch Geografieunterricht.
Wie schon gesagt, meine Damen und Herren, reicht aber die alleinige Wissensvermittlung nicht aus. Gerade Projektarbeiten und die Einbeziehung von zeitgeschichtlichem Material und von Zeitzeugen müssen schulisch erworbenes Wissen genauso anreichern, wie das durch Elternhäuser notwendig und sinnvoll ist. Ich denke auch an die von der Staatsregierung veröffentlichte Richtlinie zur Förderung von Aktivitäten in Erinnerung an den 20. Jahrestag der friedlichen Revolution im Jahr 1989 und die deutsche Einheit von 1990. Sie bietet eine gute Grundlage und Möglichkeiten, gerade regionale Projekte im Zusammenhang mit schulischen Angeboten zu realisieren und darüber hinaus auch und gerade bleibende Kontakte von schulischen und außerschulischen Angeboten zu knüpfen.
Meine Damen und Herren! Ich will auch darauf eingehen, dass kürzlich diskutiert und angeregt wurde, dass jeder Schüler verpflichtet werden sollte, Gedenkstätten, wie zum Beispiel frühere Stasi-Gefängnisse – beispielsweise in Hohenschönhausen und in Bautzen –, zu besuchen. Zweifellos, meine Damen und Herren, ist das wünschenswert und sinnvoll, zumal sich damit auch emotionale Eindrücke über die Geschichte des Totalitarismus eindrucksvoll vermitteln lassen. Wir sollten uns aber davor hüten – das sollten wir aus der Vergangenheit lernen –, staatlich zu verordnen.
Allein die staatliche Verordnung solcher Besuche führt nicht automatisch dazu, dass sich daraus auch innere Einstellungen vermitteln. Ich denke da auch an die Vergangenheit in der DDR. Dort wurde zwar der Besuch des KZ Buchenwald als Pflichtveranstaltung vorgegeben, aber es wuchs daraus nicht automatisch eine antifaschistische Einstellung bei unseren Schülerinnen und Schülern.
Meine Damen und Herren! Insgesamt sind wir auf einem guten Weg, was die Vermittlung von DDR-Wissen in unseren Fächern bzw. unseren Projekten an den Schulen anbelangt. Sicherlich gibt es weiteren Handlungsbedarf. Wir sollten uns gerade auch vor dem Hintergrund der von Herrn Herbst genannten Studie mit dem, was wir bisher vermittelt haben, nicht zufrieden geben. Wir müssen weiter daran arbeiten, das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was soll Geschichtsunterricht erreichen? Das ist die Frage, die wir uns heute in dieser Aktuellen Debatte stellen müssen.
Wir sprechen über eine Geschichte, die ich selbst erlebt habe und viele von denen, die hier im Saal sitzen, auch. Jeder hat seine sehr individuellen Erfahrungen.
Ich bin in der DDR geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe studiert. Ich komme aus einer Bauernfamilie, habe als Lehrerin gearbeitet, geheiratet und zwei Kinder bekommen. Ich bin stolz auf meine geleistete Arbeit und auf meine Familie. Ich muss mich dafür nicht schämen, denn wenn die DDR-Geschichte auf Stasi, politische Gefängnisse und Mauerbau reduziert werden soll – so wie ich es immer wieder in Zeitungen lese und auch heute wieder von der CDU höre –, dann nehmen wir den ehemaligen DDR-Bürgern und deren Kindern die Vergangenheit.
Das gilt für alle Bereiche, gar keine Frage. Das habe ich auch nicht bestritten. Das wird im Übrigen in unseren sächsischen Schulen im Geschichtsunterricht gemacht. Herr Colditz hat das gerade benannt. Schauen Sie sich bitte die Lehrpläne an. Schule allein kann diese Aufgabe nicht übernehmen.
Gestern haben wir uns in der Debatte zum Bildungsantrag der FDP sehr bemüht, das Image der Lehrer zu erhöhen. Mit dieser Aktuellen Debatte werden wir dem Image der Lehrer sehr schaden.
Wenn Sie allerdings auf der Grundlage einer Studie, die bereits über ein Jahr zurückliegt und unter Wissenschaftlern auch sehr umstritten ist, die Chance sehen, Geschichte politisch zu instrumentalisieren, dann ist dies scheinheilig und hat nichts mit der Aufarbeitung der Geschichte der DDR zu tun.
Jetzt schauen wir uns doch einmal die Taten in diesem Landtag an. Vor zwei Jahren haben wir sehr intensiv in diesem Haus darüber diskutiert und dafür gestritten, dass wir der Geschichtsabwahl nicht zustimmen wollen. Wir haben in dieser Landtagssitzung als Linksfraktion dafür gekämpft, dass es in der 10. Klasse keine Wahlmöglichkeit gibt und dass man Geschichte nicht abwählen kann. Sie, Kollegen der CDU, haben beschlossen, dass es so ist,
obwohl wir der Auffassung sind, dass ein durchgängiger Geschichtsunterricht bis zur Klasse 12 existieren muss.
Selbst die SPD – ich kann es Ihnen hier nicht ersparen: Im Koalitionsvertrag steht durchgängiger Geschichtsunterricht, es ist dort fest verankert – ist wieder einmal einge
knickt. Na gut, das wissen wir ja von der sächsischen SPD. Das haben wir ja fast jede Woche. Die sächsische SPD ist in Regierungsverantwortung und die CDU entscheidet.
Es muss eine stärkere Vernetzung der einzelnen Unterrichtsfächer geben, weil Geschichtsunterricht allein dieses Problem nicht lösen kann. Darin stimme ich Herrn Colditz voll zu.
Im Übrigen, nehmen wir uns doch einmal ernst: Eine objektive Aufklärung über die DDR-Geschichte ist durch eine Regierung überhaupt nicht möglich. Schauen Sie in die Geschichte. Dann werden Sie sehen, wenn Regierungen das aufarbeiten, ist es immer politisch gefärbt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Binsenweisheit vorweg: Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht richtig verstehen und somit auch keine Wege in die Zukunft abstecken. Der mündige Bürger, der an der Gestaltung der Zukunft partizipieren soll und will, bedarf eines ausreichenden Maßes an historischer Bildung. Die Grundlagen dafür sollen selbstverständlich an den allgemeinbildenden Schulen gelegt werden.
Eine zweite Binsenweisheit: Die Geschichtswissenschaft kann sich nicht wie etwa die Naturwissenschaften auf objektiv messbare und immer wieder exakt reproduzierbare Daten und die ewig geltenden Naturgesetze stützen; sie ist vielmehr im Wesentlichen auf schriftlich niedergelegte oder gar mündlich überlieferte Aussagen von Menschen angewiesen. Diese jedoch sind naturgemäß mehr oder weniger stark von subjektiven Faktoren geprägt. Das mögen, etwa bei schriftlichen Quellen, Nachlässigkeiten oder Vereinfachungen oder gar Fälschungen sein. Das können psychologische Effekte sein, wie etwa die Selektivität von Erinnerungen oder die Überbewertung von singulären, nicht typischen Erfahrungen, und das können vor allem persönliche oder politische Interessen sein.
Der Historiker wird deshalb beim Quellenstudium in der Regel kein einheitliches, widerspruchsfreies Bild vorfinden. Es ist dann seine Aufgabe, die Quellen so zu ordnen und zu bewerten, dass eine der Wahrheit möglichst nahekommende Beschreibung historischer Vorgänge entsteht. Dabei stellt sich immer wieder heraus, dass die Widersprüche im Quellenfundus umso größer werden, je geringer der zeitliche Abstand zum Gegenstand historischer Forschung ist, und zwar ganz einfach deswegen,
weil bestimmte subjektive Faktoren ein immer stärkeres Gewicht bekommen, bis hin zu dem Bestreben, die Historiografie zur Legitimationswissenschaft zu degradieren.
Das trifft voll und ganz auch auf die DDR-Forschung zu. Zwar sind inzwischen Hunderte von Artikeln und Büchern über die DDR geschrieben worden; aber man hat zunehmend den Eindruck, dass eine objektive Darstellung der jüngsten deutschen Geschichte noch in weiter Ferne liegt. Die offizielle wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fokussiert sich auf Diktaturerfahrungen und MfS. Die Bevölkerung indes neigt – möglicherweise auch als Trotzreaktion – zunehmend zu einer nostalgischen Verklärung.
Diese extremen Pole des Umgangs mit dem historischen Subjekt DDR werden dem Leben in der DDR jedoch nicht gerecht. Lothar de Maizière, der erste frei gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR, hat kürzlich darauf hingewiesen und ein objektiveres Herangehen eingefordert.
Nun nehmen wir zur Kenntnis, dass die sächsischen Jugendlichen deutliche Defizite im Geschichtsbild und vor allem in der Kenntnis der jüngeren Vergangenheit haben. Woran liegt das? Es liegt offensichtlich daran, dass wir viele junge Menschen in der Schule aus den oben genannten Gründen nicht erreichen, dass es zum Beispiel oft Widersprüche zwischen offiziellem Lehrstoff und den Berichten der Eltern und damit Loyalitätskonflikte für die Jugendlichen gibt. Wer aber erwartet, dass ein Geschichtsbild lediglich im Unterricht vermittelt werden kann, liegt sowieso falsch. Für jeden Lernprozess ist die Motivation, das Interesse das Wichtigste. Für die Nachhaltigkeit des Gelernten wiederum ist die subjektive Bedeutung für den Einzelnen entscheidend.