Doch. Das wurde so berichtet. Sonst hätten sie wahrscheinlich ihren Ausbildungsvertrag nicht unterschrieben.
Nur einmal zum Vergleich: Wissen Sie eigentlich, was ein Jugendlicher bei einer staatlichen Ausbildung zum Beispiel in der Gemeinschaftsinitiative Sachsen, GISA, verdient? Im ersten Lehrjahr? Wie viel wird es denn sein?
Ich kann es Ihnen sagen: 264 Euro. Deshalb sind diese Krokodilstränen, die Sie, meine Damen und Herren, hier versuchen zu verdrücken, reichlich heuchlerisch.
Kollege Herbst, kann es sein, dass ich jetzt einen Widerspruch in Ihren Äußerungen entdeckt habe? Eben haben Sie davon gesprochen, dass Sie die Tarifautonomie hochleben lassen. Und jetzt weisen Sie bei dem Beispiel Saxoprint darauf hin, dass eben genau diese Tarifautonomie, die ein Tarifvertrag festgesetzt hat, nur um 20 % unterschritten werden darf. Da sagen Sie, es wäre gut, wenn es weiter unterschritten wird. Habe ich Sie richtig verstanden?
Da haben Sie nicht recht. Wenn Sie meinen Ausführungen weiterhin zuhören, werden Sie auch verstehen, was ich damit meine.
Auch deshalb können wir es uns nicht leisten, betriebliche Ausbildungsplätze zu vernichten. Ich sage auch ganz klar in Richtung Kammern: Es geht nicht darum, ob man Daumenschrauben von Jahr zu Jahr mehr oder weniger stark anzieht, sondern es geht darum, dass wir im Interesse der Jugendlichen handeln. Um die geht es und nicht um irgendwelche Funktionärsinteressen.
Die generelle Orientierung an Tarifverträgen, Herr Brangs, und jetzt sind wir bei dem Thema, ist in der Tat eine Richtschnur, aber kein Dogma. Deshalb ist es eben auch wichtig, dass man auf die Situation von Unternehmen und Regionen Rücksicht nimmt. Dann kann man auch davon abweichen, meine Damen und Herren. Das hat in den Vorjahren geklappt. Warum soll das jetzt nicht mehr möglich sein?
Was wir garantiert nicht brauchen, ist mehr Staatseinfluss in dieser Frage. Den kann das Wirtschaftsministerium ohnehin nicht ausüben. Das begrüßen wir an dieser Stelle.
Sie können, Herr Brangs, jedem Auszubildenden in Sachsen natürlich eine Mindestausbildungsvergütung von – sagen wir – 1 100 Euro zahlen. Damit wären sie sicher einverstanden.
Es wären sicher einige glücklich darüber. Die könnten das Geld genießen. Aber erzählen Sie einmal den 70 % der
Auszubildenden, die keine Lehrstelle mehr hier finden, dass das Gerechtigkeit ist, meine Damen und Herren.
In Zukunft, Herr Brangs, wird die Entwicklung ohnehin auch die Ausbildungsvergütung beeinflussen. Denn solange auf dem Markt noch zu wenige Ausbildungsplätze sind,
wird natürlich die Ausbildungsvergütung auch unter Druck sein. Wenn es darum geht, dass Unternehmen Hände ringend nach Auszubildenden suchen, werden Sie auch merken, dass die Bereitschaft steigt, entsprechende Lehrlingslöhne zu zahlen. Dann gibt es auch eine Perspektive. Dazu brauchen wir keinen Staat. Das regelt an dieser Stelle der Markt, meine Damen und Herren.
Danke schön. – Das war das Ende der ersten Runde. Gibt es das Begehren, eine zweite Runde zu eröffnen? – Das kann ich nicht sehen. Dann spricht Frau Dr. Stange für die Staatsregierung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich vertrete gern in dieser Angelegenheit meinen Kollegen Herrn Jurk, den Wirtschaftsminister, weil mir das Anliegen selbst sehr wichtig ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da wir aus der Desinformationskampagne einiger sächsischer Parteien bereits Schlagzeilen lesen mussten – und gerade auch wieder hören konnten –, wie „SMWA duldet systematischen Tarifbruch“, möchte ich am Anfang drei Dinge dazu darlegen.
Erstens. Von einem Tarifbruch kann keine Rede sein, da es um Ausbildungsverträge in nicht tarifgebundenen Unternehmen geht.
Zweitens. Auch von einem systematischen Vorgehen kann nicht die Rede sein. Betroffen waren in der Vergangenheit mit klar sinkender Tendenz lediglich 4 % der Ausbildungsverträge.
Drittens. Im Mittelpunkt stehen für die Staatsregierung die Interessen der einzelnen Auszubildenden. Deshalb darf es auch kein blindes Einschreiten der Kammern ohne Einzelfallprüfung geben.
Zunächst noch einmal etwas zur Rechtslage, die ja hier schon angedeutet wurde. Der Bundesgesetzgeber hat im § 17 Berufsbildungsgesetz festgelegt, dass das Ausbildungsentgelt angemessen sein muss. Darüber ist ja gerade auch noch einmal trefflich gestritten worden. Dies ist
zugegebenermaßen ein unbestimmter Rechtsbegriff. Den Auszubildenden steht damit erstens eine finanzielle Unterstützung zum Lebensunterhalt und zweitens ein Entgelt für die im Rahmen der Ausbildung erbrachten Leistungen zu.
Nach Auffassung der Rechtsprechung ist eine tariflich vereinbarte Vergütung stets als angemessen anzusehen. Es wird davon ausgegangen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Es ist gerade das Stichwort der Tarifvertragsfreiheit gefallen.
Für circa 13 % der Ausbildungsbetriebe in Sachsen, in denen etwa 32 % aller Auszubildenden ausgebildet werden, gelten tarifliche Bestimmungen. Tariflich nicht gebundene Unternehmen müssen sich nach der Auslegung des Bundesarbeitsgerichts bei der Vereinbarung der Vergütung ebenfalls nach den tariflichen Sätzen richten. Sie können hiervon aber nach unten abweichen. Dabei ist eine vertraglich vereinbarte Vergütung grundsätzlich dann noch angemessen, wenn sie die in dem einschlägigen Tarifvertrag vorgesehene Vergütung nicht mehr als 20 % unterschreitet.
Die Richter haben aber zugleich klargestellt, dass diese 20-%-Marke keine absolute Grenze bildet, die niemals unterschritten werden darf. Insbesondere in den Fällen, in denen zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden, die ansonsten dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden hätten, kann weiter nach unten abgewichen werden. So wurde durch das Bundesarbeitsgericht für hauptsächlich durch Spenden finanzierte Ausbildungsverhältnisse sogar geurteilt, dass eine Ausbildungsvergütung, die nur 35 % der tariflichen Sätze beträgt, noch im Sinne des Berufsbildungsgesetzes angemessen sein kann. – Soweit die Rechtslage.
Gesetzliche Aufgabe der zuständigen Stellen im Freistaat Sachsen – es handelt sich im Wesentlichen um die Berufskammern, die hier schon eine Rolle spielten – ist es, den geschlossenen Ausbildungsvertrag in das Verzeichnis des Berufsausbildungsverhältnisses einzutragen. Damit wird unter anderem gesichert, dass der oder die Ausbildende überhaupt zum Einstellen und Ausbilden berechtigt ist und dass der Ausbildungsvertrag auch den Anforderungen des Berufsbildungsgesetzes und der jeweiligen Ausbildungsordnung entspricht.
Mit der Eintragung legitimiert die Kammer keineswegs eine im Einzelfall möglicherweise zu niedrige Vergütung. Der Anspruch des Auszubildenden auf Zahlung einer angemessenen Vergütung besteht völlig unabhängig von der Eintragung eines Ausbildungsverhältnisses durch die Kammer aufgrund des Berufsbildungsgesetzes. Wird der vorgelegte Ausbildungsvertrag jedoch nicht eingetragen – und davon war hier mehrfach die Rede –, kommt das Ausbildungsverhältnis folglich auch nicht zustande, weil
die Eintragung zwingende Voraussetzung für die Zulassung des Auszubildenden zur Abschlussprüfung ist.
Es ist richtig, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass die sächsischen Industrie- und Handelskammern in der Vergangenheit in wenigen Fällen Ausbildungsverträge von nicht tarifgebundenen Unternehmen, die eine Vergütung unterhalb der 80 % des einschlägigen Tariflohns vorsahen, in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen haben. Dies betrifft die von mir bereits genannten circa 4 % aller eingetragenen Verträge. Es handelt sich hierbei um Fälle, in denen die betroffenen Jugendlichen sowie die Kammern durch den Ausbildenden darüber informiert wurden, dass nur unter der jeweils vereinbarten Ausbildungsvergütung eine Ausbildung in dem Unternehmen überhaupt möglich ist.
In der Einzelfallprüfung, die zwingend notwendig ist, haben die Kammern unter anderem betriebliche Sondersituationen berücksichtigt, wenn das Unternehmen trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten seine Ausbildungsverpflichtungen wahrnehmen wollte und die Vergütung nur marginal unter den von der Rechtsprechung festgelegten Grundsätzen lag. Berücksichtigt wurde auch die Frage, ob andere Lehrstellen mit angemessener Vergütung im gewünschten Beruf und in der gewünschten Region verfügbar waren. Festzuhalten ist, dass die Kammern Ausbildungsverträge, welche die 80-%-Grenze unterschritten haben, stets abgelehnt haben. Niemals akzeptiert wurden Verträge unter 60 % der tariflichen Vergütung.
Wenn man Alternativen prüft – das ist hier gerade deutlich geworden –, dann muss man sich auch vor Augen halten, welche Folgen eine Nichteintragung von Ausbildungsverträgen durch die Kammern für die Auszubildenden gehabt hätte. In den allermeisten Fällen wären die Jugendlichen deutlich schlechter gestellt gewesen, als hätten sie die bereits vereinbarte Ausbildung absolvieren können.
Dies hat mehrere Gründe, die hier sicherlich auch bekannt sind. Ich möchte sie trotzdem gern ansprechen. Hätten die jeweils betroffenen Jugendlichen einen gleichwertigen Ausbildungsplatz gefunden, so wären oftmals deutlich höhere Fahrtkosten und längere Fahrtzeiten für die Ersatzlehrstelle angefallen. Gerade in der Vergangenheit wäre es aber in vielen Fällen auch gar nicht mehr möglich gewesen, eine Ausbildung im gewünschten Beruf zu erhalten, da die betrieblichen Plätze nahezu zu 100 % besetzt waren. Die Jugendlichen hätten sich also umorientieren müssen. Wir haben jetzt – wie wir gestern Abend hören konnten – eine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt, die hier eine andere Situation darstellt. Bei einem Wechsel des Ausbildungsberufes und dem Abschluss eines neuen Ausbildungsvertrages wären dann oft auch zwar rechtlich zulässige, aber deutlich geringere Ausbildungsentgelte in Kauf zu nehmen gewesen, als bei dem verhinderten Wunschberuf.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass es erhebliche Unterschiede in der Höhe der Ausbildungsver
gütung gibt – auch das ist bereits angesprochen worden. Sie liegen in Ostdeutschland immerhin in einer Spanne zwischen 925 und 266 Euro. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass in manchen Branchen sogar konkurrierende Tarifverträge existieren, die bis zu 50 % in der Vergütungshöhe voneinander abweichen. Wenn dann ein Jugendlicher seinen Ausbildungsvertrag mit 500 Euro wegen knapper Unterschreitung der 80-%-Marke verliert, um in der Folge eine Ausbildung mit 350 Euro tariflicher Vergütung aufnehmen zu können, versteht dieser Jugendliche weder den Rechtsstaat noch die Politik.
Die Frage von Frau Schmidt war triumphierend in unsere Fraktion hinein: „Haben Sie selbst ausgebildet?“ Diese Frage wollte ich Ihnen gern mit Ja beantworten. Michael Weichert ist bekannt dafür, dass er früher selbst Lehrlinge ausgebildet hat. Von mir wissen Sie vielleicht, dass ich im dualen Zweig der beruflichen Erstausbildung als Berufsschullehrerin tätig war. Das können wir also ziemlich erfolgreich mit einem Ja abhaken.
Sie haben im Zusammenhang mit unserem Antrag darüber gesprochen, dass wir hier unzutreffende Unterstellungen verbreiten. Mir scheint wirklich, Sie leben noch im Hort der Glückseligkeit und haben deshalb Ihren abseitigen Debattenbeitrag geliefert. Wie kann es sein, dass Sie überhaupt nicht wissen, was im wirklichen Leben passiert?
Unsere Erfahrungen sowie die Erfahrungen der Kammern sind eindeutig. Wir haben bislang nur dann Beschwerden von Jugendlichen oder ihren Eltern erhalten, wenn die Kammern abgeschlossene Ausbildungsverträge wegen nicht angemessener Vergütung abgelehnt haben. Auch wurde mehrfach das SMWA im Wege der Rechtsaufsicht gebeten, gegen solche, aus Sicht der Bürger völlig unverständliche Entscheidungen der Kammern einzuschreiten. Hätten die Kammern an dieser Stelle anders reagiert und systematisch und ohne jede Einzelfallprüfung der Eintragung der Verträge nicht zugestimmt, dann wären nicht nur etliche Jugendliche um ihre Ausbildungsgelegenheiten gebracht worden, sondern dann stünde die heutige Debatte wahrscheinlich unter der Überschrift – und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese auch eine der Oppositionsparteien gefunden hätte –: „Kammern und Wirtschaftsministerium verhindern durch überzogene Anforderungen die Ausbildung in sächsischen Unternehmen“.