Protocol of the Session on September 10, 2008

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Wir wollen heute hier keine Mindestlohndebatte führen. Ich sage das, weil in der Öffentlichkeit zu dem von uns auf die Tagesordnung gesetzten Thema gelegentlich das Missverständnis auftauchte, es gehe um einen gesetzlich verankerten Mindestlohn auch für Auszubildende. Das ist nicht der Fall. Das können wir gern an anderer Stelle diskutieren.

Nein, worum es heute geht, ist die schlichte Tatsache, dass die geltenden Regelungen zur Vergütung von Auszubildenden ohne Wenn und Aber eingehalten werden müssen. Im Berufsausbildungsgesetz § 17 steht, dass Lehrlinge angemessen zu vergüten sind. Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Urteilen festgestellt, dass auch Betriebe ohne Tarifbindung mindestens 80 % des Tariflohnes für Auszubildende zu zahlen haben.

Nun haben wir Ende August erfahren müssen, dass in der Vergangenheit in Sachsen eine ganze Reihe von Unternehmen diese Vorschriften schlichtweg missachtet haben. Die sächsischen IHKs haben das bislang geduldet, laut einer Agenturmeldung aus Mangel an Lehrstellen. Mir erschließt sich hier der Begründungszusammenhang für einen Gesetzesverstoß nicht auf Anhieb, der ja dann lauten müsste: „Wir haben sowieso schon zu wenig Lehrstellen, dann können wir den Lehrlingen auch weniger Geld zahlen, sie haben ja keine andere Chance.“ Hier wird die Ungerechtigkeit meiner Ansicht nach auf die Spitze getrieben. Das ist ganz schlicht Lohndumping auf dem Rücken der Auszubildenden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann lese ich, dass Wirtschaftsminister Jurk diese Unterscheidung der Mindestvergütung kritisiert. Schön. Aber es stellt sich die Frage, warum er das erst dann tut, wenn es öffentlich ruchbar geworden ist. Hat das Wirtschaftsministerium bis zu den entsprechenden Zeitungsberichten etwa nichts davon gewusst? Dann wäre die Frage zu stellen, ob es seiner Aufsichtspflicht auch immer nachgekommen ist.

Mich erfüllt mit Sorge, dass die IHK bereits angekündigt hat, auch weiterhin sogar weniger als 70 % der vereinbarten tariflichen Entgelte zu zahlen. In einer früheren Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums lässt sich Herr Jurk wie folgt zitieren: „Wir haben im Freistaat Sachsen das Thema Ausbildung zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit gemacht. Wir unterstützen auch in diesem Jahr die Unternehmen mit einem Zuschuss zur Ausbildungsvergütung, die Absolventen eines Berufsvorbereitungsjahres, eines Berufsgrundbildungsjahres, junge Mütter und Väter einstellen.“ Man nehme die Sorgen des Handwerks um junge Nachwuchskräfte sehr ernst und tue im Freistaat alles dafür, dass Unternehmen genügend ausbildungsfähige Jugendliche finden. So SPD-Minister Jurk im April 2008.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Leidenschaftslos!)

Offensichtlich ist bei all diesen Bemühungen dem Wirtschaftsministerium die tatsächliche Lage hinsichtlich der Ausbildungsvergütung irgendwie entgangen.

Wir wollen Ihnen mit unserem Antrag hier ein bisschen auf die Sprünge helfen und fordern im ersten Punkt, dass Sie zunächst einmal berichten, wie sich die Ausbildungsvergütungen in Sachsen seit 1995 in der Praxis entwickelt haben. Ein solcher Überblick kann nicht schaden. Dabei interessiert uns vor allem auch das Verhältnis im Bundes

durchschnitt und zum Durchschnitt der anderen östlichen Bundesländer.

Was ich darüber hinaus für sehr problematisch und dennoch konsequent halte, ist, dass das sächsische Tarifregister recht lieblos geführt wird, um es vorsichtig auszudrücken. Auf der entsprechenden Homepage des SMWA wird auf eine telefonische Auskunft verwiesen, bei der man sich über die geltenden Tarifverträge und deren Inhalt erkundigen kann. Das können andere Bundesländer viel besser. Schauen Sie sich einmal das Tarifregister etwa von Nordrhein-Westfalen an. Dort können Sie ausführliche Darstellungen über die Ausbildungsvergütungen abrufen. Wer nicht ganz so weit im Internet googeln möchte, wird im gemeinsamen Tarifregister von Berlin und Brandenburg fündig. Etwas Ähnliches sucht man in Sachsen vergeblich. Nun mag das ein Relikt aus der Vergangenheit sein, als das Wirtschaftsministerium noch CDU-geführt war und das Tarifregister wohl tatsächlich als ein lästiges Anhängsel begriffen wurde, das man irgendwie führen muss, aber es nicht übertreiben sollte. Für ein SPD-geführtes Wirtschaftsministerium ist der gegenwärtige Stand jedoch enttäuschend.

Manche werden fragen, wofür ein solches Register gebraucht wird. Ich finde, es ist ein Gebot der Transparenz, dass sich jede und jeder unkompliziert über die zustehenden tariflichen Leistungen informieren kann. Ich nehme auch wahr, dass die betroffenen Jugendlichen viel zu wenig über ihre Rechte informiert sind. Das fängt schon in der Schule an. Nach meiner Ansicht sollte bereits bei der Berufsorientierung das Thema „Arbeitnehmerrechte“ eine Rolle spielen.

Es gibt vielfältige Initiativen in Sachsen, um die Berufsorientierung an den Schulen zu verbessern und damit die Lücke beim Fachkräftebedarf in bestimmten Bereichen und bei den Berufswünschen Jugendlicher zu schließen. Was aber bislang zu wenig Beachtung findet, ist die Tatsache, dass die Jugendlichen auf den Arbeitsmarkt und seine Regeln besser vorbereitet werden müssen. Sie kommen aus der Schule und haben praktisch keine Ahnung, was ihnen als künftige Auszubildende oder als Arbeitnehmer zusteht. Ich gehe auch davon aus, dass eine ganze Reihe von Lehrern sehr wenig informiert ist. Das steht aber auf einem anderen Blatt.

Über Geld wird wohl unter Berufsschülern nur wenig gesprochen. Hier findet man eher Argumente wie: Ich bin froh, dass ich überhaupt eine Lehrstelle bekommen habe. Dann gibt es noch diejenigen, die aus der überbetrieblichen Ausbildung kommen, aus den Warteschleifen, aus dem Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsjahr, denen eine Grundvergütung von 154 Euro zusteht; da kann man sich dann selbst als unterbezahlter Azubi mit weniger als 70 % des tariflichen Lehrlingsentgeltes noch reich fühlen.

Ein Lehrling in der Metall- und Elektrobranche soll im ersten Lehrjahr in Sachsen 717 Euro erhalten. 80 % davon wären ungefähr 573 Euro. Aber auch 500 Euro, die erwähnten ungesetzlichen 70 %, sind gegenüber einem

BVJler noch sehr auskömmlich. Welcher Azubi würde dann auf die Idee kommen, gegen seine Unterbezahlung zu klagen? Ich meine, hier muss ganz dringend die Aufsichtsbehörde aktiv werden, um die sittenwidrigen Dumpingpraktiken der Ausbildungsbetriebe schnellstens zu beenden.

Man kann nicht auf der einen Seite darüber klagen, dass jedes Jahr hoch qualifizierte Schulabgängerinnen und -abgänger den Freistaat verlassen und ihr Glück in den westlichen Bundesländern suchen, und auf der anderen Seite sind Unternehmen nicht einmal bereit, 80 % des Tariflohnes zu zahlen. Das ist scheinheilig.

Wir möchten deshalb gern von Ihnen wissen, wie sich die Ausbildungsvergütungen entwickelt haben, übrigens auch aufgeschlüsselt nach Geschlecht, weil es offenbar immer noch so ist, dass tendenziell Betriebe und Berufe, in denen mehr Frauen ausgebildet werden, geringere Vergütungen zahlen als solche, die typische Männerdomäne sind.

Wir möchten aber auch wissen, wie viele Unternehmen aus welchen Branchen nicht bereit sind, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.

Nicht zuletzt ist zu prüfen, inwieweit das sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit als Rechtsaufsichtsbehörde seine Aufsichtspflichten gegenüber den Handelskammern erfüllt hat.

Wir möchten, dass sich die Verantwortlichen an einen Tisch setzen, um einen Masterplan zu entwickeln, der das Ziel hat, dass flächendeckend die bestehenden Regelungen eingehalten und keine Ausnahmen mehr toleriert werden. Ein solcher Masterplan ist vielleicht nicht ganz so groß angelegt wie der vom Ministerpräsidenten angekündigte für ganz Sachsen, aber er würde doch helfen, eine ganze Reihe von Problemen praktisch, unmittelbar und schnell zu lösen.

Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war die einreichende Fraktion. Es folgt jetzt die CDU-Fraktion; Frau Abg. Schmidt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema des Antrages intendiert durch den Zusatz „auch in Sachsen“, dass gerade in Sachsen Auszubildende nicht gerecht entlohnt würden. Dies ist eine unzutreffende Unterstellung.

Grundlage des Vergütungsanspruchs für Auszubildende ist der § 17 des Berufsbildungsgesetzes. Danach ist dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Wenn das Unternehmen tariflich gebunden ist, bemisst sich die Ausbildungsvergütung nach dem Tarifvertrag. Liegt keine Tarifbindung vor, ist Angemessenheit vorhanden, wenn der Tarifvertrag, an den sich das Unternehmen anlehnt, nicht mehr als 20 % unterschritten wird.

Dazu gibt es ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichtes. Die Kammern erfüllen bei der Prüfung der Ausbildungsverträge eine hoheitliche Aufgabe.

Wenn es um die Frage geht, Auszubildende gerecht zu entlohnen, muss zunächst festgestellt werden, dass es eine Vielzahl von Tarifverträgen gibt – fast 100 Tarifverträge allein im Zuständigkeitsbereich der Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen. Zwischen den Ausbildungsberufen gibt es erhebliche Unterschiede in der Vergütungshöhe. So lagen die Binnenschiffer mit jeweils 925 Euro pro Monat am höchsten. Sehr hohe Ausbildungsvergütungen sind seit Langem auch in den Berufen des Bauhauptgewerbes/Maurer tariflich vereinbart. Eher niedrige Ausbildungsvergütungen gibt es in den Berufen Maler/Lackierer, Friseuse, Floristin und Bäcker. Sie liegen bei 266 bis 373 Euro brutto. Ein Auszubildender in der Druckindustrie im 1. Lehrjahr, Herr Nolle, erhält 816 Euro brutto. Sie werden das bestätigen können, wenn Sie Ihre Auszubildenden nach Tarif bezahlen.

Die eigentliche Ungerechtigkeit ist, dass Auszubildende der unterschiedlichen Berufe für den gleichen Zeitraum des Lernens und des Erwerbens von Fähigkeiten so unterschiedliche Ausbildungsvergütungen erhalten. Es gibt Branchen, in denen es für ein und denselben Beruf verschiedene anerkannte Tarifverträge gibt, also Tarifpluralität. Hierbei ist noch nicht berücksichtigt, dass im Handwerk für die gleichen Berufe ganz andere Tarife gelten, die wiederum niedriger sind als in der Industrie.

Kommt es im Einzelfall bei nicht tarifgebundenen Unternehmen zu einer Unterschreitung der 80 % vom Tarif, ist davon der rechtliche Bestand des Ausbildungsvertrages zwischen dem Ausbildungsunternehmen und dem Auszubildenden nicht betroffen. Die Industrie- und Handelskammer teilte mir mit, dass sie in solchen Fällen die regionalen Besonderheiten und die unternehmerische Sondersituation berücksichtigt. Sie macht unter anderem gegebenenfalls bei vorliegender Tarifpluralität auf die rechtlichen Konsequenzen einer nicht angemessenen Vergütung aufmerksam.

Die notwendige Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Auszubildenden während der Ausbildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und hat nicht nur mit der Ausbildungsvergütung zu tun. Der Gesetzgeber sieht für Jugendliche und Erwachsene vom 15. bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres im Haushalt eines Hartz-IV-Antragstellers einen Regelbedarf in Höhe von 281 Euro als angemessen an. Das sind 80 % der monatlichen Regelleistung von 351 Euro. Hier nur zum Vergleich: Eine andererseits angemessene Vergütung nach Tarif für Auszubildende im Druckbereich im 3. Lehrjahr liegt bei 919 Euro und im 3. Lehrjahr im Metallbereich, Tarif IG Metall, bei 875 Euro.

Meine Damen und Herren, das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Ich frage die Damen und Herren der antragstellenden Fraktion: Haben Sie schon einmal ausgebildet? Haben Sie schon einmal die Verantwortung übernommen, dass aus einem Schulabgänger ein umfassend ausgebilde

ter Fachmann bzw. eine Fachfrau im jeweiligen Beruf wird? Wissen Sie eigentlich, was ein Auszubildender in den drei Jahren Lehrzeit das Unternehmen kostet?

Ich wollte ganz bewusst nicht auf unser vormaliges Familienunternehmen im Glasbereich eingehen.

Frau Schmidt, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Ich gestatte sie jetzt nicht. Frau Günther-Schmidt hat die Möglichkeit, in ihrer abschließenden Rede noch darauf einzugehen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich sagte, dass ich nicht das Beispiel aus dem Glasbereich vortragen möchte, denn Sie hätten mir sicherlich unterstellt, ich würde übertreiben. Deshalb habe ich mir aus dem Baubereich eine Information über die entstehenden Kosten bei einer dreijährigen Lehrzeit erstellen lassen. Dabei kommt man einschließlich Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung des Auszubildenden und der zu zahlenden Sozialkosten des Unternehmens – hören Sie! – auf eine Summe von 44 200 Euro.

(Karl Nolle, SPD: Das Unternehmen hat aber auch einen Nutzen!)

Ich komme noch dazu.

Dabei bekommen ausbildende Unternehmen der Bauwirtschaft im tariflichen Umfang Erstattungsleistungen für die Ausbildungskosten durch die Soko Bau. Im vorgenannten Beispiel sind das 11 300 Euro. Die noch verbleibenden 32 900 Euro muss das Unternehmen schultern.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Auch die Behauptung – das hörte ich jetzt gerade aus Ihren Reihen –, das Unternehmen hätte ja auch Nutzen aus der Arbeitsleistung, ist nicht richtig.

(Fortgesetzte Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Herren, ich habe nicht aus Spaß geläutet! Bitte!

Der Auszubildende ist im 1. Lehrjahr 44 Tage, im 2. Lehrjahr 81 Tage und im 3. Lehrjahr 118 Tage im Ausbildungsbetrieb.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Das sind maximal 45 % der Gesamtarbeitszeit. Die restliche Zeit ist er in überbetrieblicher Ausbildung und in der Berufsschule.

Es ist falsch, wenn behauptet wird, die Unternehmen würden ihren eigenen Betriebsnachwuchs ausbilden. Es gibt keine Garantie, dass der Ausgebildete nach erfolgreicher Beendigung seiner Lehre im Ausbildungsunternehmen bleibt. Der geschlossene Vertrag gilt nur für die Zeit der Ausbildung. Der Betrieb, der die Ausbildungskosten spart, kann logischerweise höhere Löhne zahlen. Nach dem Ende der Ausbildung geht man dorthin, wo man