Protocol of the Session on June 19, 2008

Über allem steht der Grundsatz: Um Sicherheit zu garantieren, muss man Sicherheit in Freiheit wollen. Ich glaube, dass wir uns darin alle einig sind. Da Eingriffe in Freiheitsrechte immer unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit stehen – die Juristen wissen das besser als ich –, heißt das natürlich zwangsläufig, dass sich nicht derjenige rechtfertigen muss, der Bürger- und Freiheitsrechte verteidigt, sondern derjenige, der sie einschränken will, also der Gesetzgeber.

(Beifall des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Wir schützen die Freiheit in unserer Gesellschaft jedenfalls nicht, indem wir sie abschaffen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte keine Zwischenfrage; danke.

Denn wenn wir die Freiheit abschaffen, dann passiert natürlich eines: dass dem internationalen Terrorismus, den wir ja bekämpfen, zu dem Erfolg verholfen wird, den er mit seinem Terror in einer wehrhaften Demokratie niemals erreichen wird, meine Damen und Herren. Sicherheitsgesetze und Sicherheitstechnik sind auch kein Ausgleich für fehlendes Personal bei der Polizei. Ich glaube, das habe ich hier bereits des Öfteren gesagt, aber ich wiederhole es gern noch einmal.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wir stehen für eine Sicherheitspolitik mit Augenmaß, die Freiheit vor dem Staat und Freiheit durch den Staat in eine vernünftige Balance bringt. Deshalb lehnen wir auch eine Militarisierung der Innenpolitik kategorisch ab, etwa durch einen verfassungswidrigen Einsatz der Bundeswehr im Innern.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Die Überwachungsmaßnahmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, egal, ob sie nun elektronisch, akustisch oder optisch sind, ob zu Hause, in der Öffentlichkeit oder im Internet, sind mitunter zur Bekämpfung von Terrorismus und schweren Straftaten unvermeidbar.

Deshalb brauchen wir sie auch. Aber wir müssen natürlich darauf achten, dass sie auf schwerste Straftaten beschränkt bleiben und der Katalog nicht ausgeweitet wird. Sie müssen vollständig der richterlichen Anordnung und Kontrolle unterliegen, und sie müssen den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung vorbehaltlos respektieren.

Ich darf daran erinnern, dass die SPD im Bund auf die Vorschriften, über die wir hier diskutieren, maßgeblich Einfluss genommen hat. Die SPD im Bund wird das beim BKA-Gesetz natürlich genauso tun. Ich darf daran erinnern, dass es in den künftigen Personalausweisen auch dank der Verhandlungen unserer Kolleginnen und Kollegen keine elektronischen Fingerabdrücke flächendeckend geben wird, sondern sie wird es nur geben, wenn der Ausweisinhaber das ausdrücklich will.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wo darf ich dann hinfahren ohne?)

Einen Aspekt will ich noch ansprechen, weil sich meine Redezeit dem Ende neigt. Wenn wir allerdings über den Schutz von Freiheit und Privatsphäre reden, dann dürfen wir natürlich den Blickwinkel nicht so sehr auf den staatlichen Bereich einschränken. Viele Menschen geben viel zu viele persönliche Daten von sich aus ohne Not preis, zum Beispiel im Internet. Das müssen wir auch im Blick haben. Die Videoüberwachung im privaten Bereich hat riesige Ausmaße angenommen, aber auch eine erschreckende Normalität. Ich nenne nur einmal zwei Stichworte: Lidl und Deutsche Telekom. Das ist heute hier schon angesprochen worden. Diese beiden Beispiele zeigen, dass unsere Freiheit bei Weitem nicht nur von staatlicher Überwachung bedroht ist, sondern auch noch von ganz anderer Seite.

(Beifall der Abg. Stefan Brangs, SPD, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich komme zum Ende, sehr geehrter Herr Präsident. – Deshalb brauchen wir unter anderem unbedingt ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Was wir aber noch viel dringender bräuchten, ist eine Grundsatzdebatte über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ich hoffe, dass sich diese Grundsatzdebatte entwickelt. Ich lade alle herzlich dazu ein, sich daran zu beteiligen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Staatsministers Dr. Albrecht Buttolo)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD; Herr Petzold, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Das Böse ist immer und überall“, so lautete es einst in einem Titel einer österreichischen Musikgruppe aus dem Jahre 1985.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Die hieß „Allgemeine Verunsicherung“!)

„Das Böse ist immer und überall“ ist auch das Thema der heutigen von der Linksfraktion beantragten Aktuellen Debatte, dieser Linken, die vor ihrer stufenweisen Namensmetamorphose noch SED hieß und die seinerzeit für die Menschen in der DDR mit ihrem Spitzel- und Überwachungssystem in der Tat immer und überall das Böse personifizierte und letztlich damit auch für eine ständige allgemeine Verunsicherung sorgte. Vielleicht ist das ja auch unterbewusste Motivation ihrer Fraktion, diese Debatte zur aktuellen Verschärfung der Sicherheitsgesetze genau so zu betiteln, wie sie das getan hat: „Das Böse ist immer und überall“.

Die zu Beginn dieses Jahres eingeführte Vorratsdatenspeicherung schreckt vor sensiblen Gesprächen am Telefon ab und wird nach Ergebnissen einer forsa-Umfrage vom 27./28. Mai 2008 von nahezu jedem zweiten Bundesbürger als unverhältnismäßig abgelehnt.

Die NPD-Fraktion hat seit dem Einzug in den Sächsischen Landtag jede Gelegenheit genutzt, um vor den Gefahren staatlicher Rundumkontrolle mittels moderner Überwachungstechnologien zu warnen. Wenn die Linkspartei als geistiger Enkel und politischer Nachfolger der Stasi-Partei SED mit ihrem ehemals gigantischen Überwachungs- und Spitzelapparat sich einbildet, dieses Thema der verschärften Sicherheitsgesetze hier glaubwürdig anprangern zu können, so kommt sie damit deutlich zu spät.

(Beifall bei der NPD)

Im Mai letzten Jahres hat hierzu bereits eine Aktuelle Debatte stattgefunden, die von der NPD-Fraktion beantragt worden war – Thema: „Den Unrechtsstaat stoppen, Nein zur Online-Überwachung und Rundumkontrolle“. Die verschärften Sicherheitsgesetze sind, wie in zahllosen anderen unsäglichen Bereichen der sogenannten deutschen Politik, nichts anderes als eine Umsetzung von Vorgaben der EU. In diesem Fall handelt es sich um die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung, die eine Richtlinie der Europäischen Union ist, mit der die unterschiedlichen nationalen Vorschriften der EU-Mitgliedsstaaten zur Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat vereinheitlicht werden sollen.

Im Jahr 2002 wurde die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene erstmals ernsthaft erörtert. Als der Entwurf der rechtskonservativen dänischen Regierung, die damals die Ratspräsidentschaft innehatte, keine Mehrheit erhielt, fanden rein zufällig, versteht sich, Zuganschläge in Madrid am 11. März 2004 statt. Mittlerweile ist bekannt, dass ein Beamter der spanischen Polizei damals die zur Zündung verwendeten Handys freigeschaltet und mit den Sprengsätzen verkabelt hatte, weil die Attentäter nicht die erforderlichen technischen Kenntnisse besaßen. Nun kam Bewegung in die Angelegenheit, und der Europäische Rat beauftragte den Ministerrat, bis Juni 2005 zu prüfen, ob und welche Rechtsvorschriften zur Vorratsdatenspeicherung erlassen werden sollten.

Die Terroranschläge am 7. Juli 2005 in London und die fast zeitgleiche Übernahme der Ratspräsidentschaft durch das Vereinigte Königreich verliehen dem Vorhaben dann neuen Schwung. Der EU-Ministerrat stimmte am 22. Februar 2006 mehrheitlich für den Entwurf. Im weiteren Verlauf wurde damit auch die Grundlage für die Verschärfung der entsprechenden Gesetze in der Bundesrepublik geschaffen.

Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Aufdeckung der NATO-Terrororganisation Gladio in Italien wurde seinerzeit der Begriff einer „Strategie der Spannung“ bekannt. Das ebenso einfache wie wirkungsvoll perfide Rezept dieser Strategie ist, dass man mit fingierten Terroranschlägen das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung steigern kann, um damit anschließend die Voraussetzung für die Einschränkung persönlicher Freiheiten der Bürger zu schaffen. „Das Böse ist immer und überall“ – dieser Satz stimmt offenbar, doch die NPD wird dies nicht widerstandslos hinnehmen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile das Wort der Fraktion der FDP; Herr Dr. Martens, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Debatte gibt in der Tat die Gelegenheit, einmal das auszuloten, was hier immer wieder den Landtag beschäftigt so wie die anderen Parlamente in den Ländern und im Bund, nämlich das Verhältnis zwischen dem Schutzauftrag des Staates auf der einen Seite und den Verfassungsrechten der Bürger auf der anderen Seite und wie dies miteinander in einem vernünftigen Prozess ohne ideologische Scheuklappen abgewogen werden kann und gleichzeitig fundamentale Grundsätze der Freiheitsrechte bewahrt und erkennbar bleiben.

Es gibt übrigens nicht nur den Entwurf des BKAGesetzes, der uns hierzu Anlass gibt – Kollege Bräunig hat es angesprochen. Das Sächsische Gesetz über die Änderung des Polizeigesetzes ist durchaus Anlass, sich noch einmal zu vergewissern, wie ernst es der Freistaat mit der Gewährleistung der Grundrechte seiner Bürger nimmt.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein unrühmliches Beispiel und nicht zuletzt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Online-Durchsuchung, das heißt dem unbemerkten Zugriff auf die Daten im privat genutzten oder überhaupt im genutzten Personalcomputer.

Die Begründung für derartige Wünsche nach immer mehr Daten, nach immer weiteren Eingriffsbefugnissen ist relativ austauschbar; sie findet sich in der Regel im Hinweis auf eine aktuelle Bedrohungslage, und dann wird schnell klar: Sicherheit geht vor, meine Damen und Herren. Das ist etwas, was die FDP in dieser Weise eben nicht sieht. Die Sicherheitslage als solche muss beachtet

werden, aber genauso verdienen die Grundrechte der Bürger Beachtung.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Es gibt kein ungehindertes Agieren des Staates in einem grundrechtsfreien Bereich staatlicher Tätigkeit, meine Damen und Herren. Das Verfassungsgericht ist es übrigens, das hier immer wieder regulierend eingreifen muss, angefangen 1983 mit der Schaffung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das Verfassungsgericht, über die Definition des Kernbereiches der privaten Lebensgestaltung im Zusammenhang mit Lauschangriffen, wo das Verfassungsgericht klargestellt hat: Es gibt einen Kernbereich privater Lebensgestaltung, eine Sphäre, in der der Staat nichts verloren hat, überhaupt nichts, niemals, gar nicht! Das ist das Privatissimum, da kann unter keinen Umständen eingegriffen werden. Viele haben das in der Politik anscheinend bis heute überhaupt noch nicht einmal verstanden, was das Verfassungsgericht damals gesagt hat.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Am 27.02.2008 hat das Verfassungsgericht ausdrücklich klargestellt: Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Meine Damen und Herren, um es noch einmal klarzumachen: Es ist ein Grundrecht. Dennoch wird Datenschutz, das heißt der Schutz dieses Grundrechtes, stellenweise in der politischen Diskussion weiter als Täterschutz diffamiert. Grundrechte werden dann aus Sicht von Sicherheitspolitikern nur zu Hindernissen auf dem Weg einer effektiven Strafverfolgung. Nein, dem können wir uns auch heute in dieser Aktuellen Debatte wieder einmal entgegenstellen.

(Beifall bei der FDP)

Es geht ja auch um Grundrechte selbst, und diese sind der Kernbestand einer jeden Freiheit und damit auch Kernbestand des freiheitlichen Staates. Wenn man diesen unsäglichen Satz hört „Wer nichts zu verbergen hat, der hätte auch nichts zu befürchten“ – das ist nicht nur dämlich, sondern auch zutiefst perfide. Wer diesen Satz gebraucht, der leugnet, dass es überhaupt einen Bereich gibt, den der Staat nicht ausspähen dürfe. Der streitet ab, dass jeder das Recht hat, selbst zu bestimmen, was andere von ihm wissen oder nicht; dass jeder auch das Recht hat, etwas nicht zu sagen, ohne dass ihn dies gleich verdächtig macht.

Ich sage es einmal anders ausgedrückt: Auch hier in diesem Saal hat jeder Dinge, von denen er nicht will, dass andere sie wissen. Es gibt sogar Leute, die Geheimnisse vor dem eigenen Ehegatten haben.

(Zurufe von der CDU)

Dies anzuerkennen fällt anscheinend schwer. Aber ich sage noch einmal: Wer Grundrechte leugnet, der kann sie auch nicht schützen. Wer sich nicht bewusst ist, dass es diese Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung gibt – wie soll er sie schützen, wenn er ihre Existenz nicht einmal anerkennt, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion, vereinzelt bei der SPD und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Deswegen möchte ich diese Aktuelle Debatte nutzen, um dies noch einmal in Erinnerung zu rufen; denn Datenschutz und der Schutz der Grundrechte wird zunehmend schwieriger. Das Bombardement der Sicherheitspolitiker mit jeder Menge Vorschlägen über den Militäreinsatz im Innern, über das BKA-Gesetz, über die Weiterreichung von Fluggastdaten nach Amerika und anderes hört nicht auf – es wird anscheinend stärker. Aber genauso stärker muss auch der Gegenruf werden, der sagt: Bitte beachten Sie auch einmal die Grundrechte!