Protocol of the Session on May 30, 2008

(Beifall bei der FDP)

Natürlich brauchen wir faire Chancen durch eine bessere Bildung. Mich wurmt es – das sage ich ganz ehrlich –, wenn man bei Schülergruppen, die da sind, den Eindruck hat, dass es generationsübergreifende Hartz-IV-Karrieren gibt. Durch Bildung kann man dem entrinnen.

Aber ich sage auch: Wir brauchen Anreize, dass der Einzelne von seiner Einkommenserhöhung oder Arbeitserhöhung auch etwas hat. Was nützt es, wenn man 50 oder

80 Euro mehr auf dem Lohnzettel hat, aber ein Großteil davon durch Steuern und Abgaben aufgefressen wird. Es mag unpopulär klingen – bei Ihnen zumindest –, aber ich sage ganz deutlich: Leistung muss sich lohnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

In einer Marktwirtschaft sollte es eine grundlegende Achtung für diejenigen geben, die Arbeit aufnehmen, und dem, was sie erarbeiten. Man kann ja schimpfen, dass gewisse Einkommen nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber dass jemand wenigstens sagt, ich strenge mich an, ich versuche, in Arbeit zu kommen und damit aufzusteigen, vielleicht vorübergehend den Sozialtransfer in Anspruch zu nehmen, aber mein Ziel ist, ich will da raus – ich denke, das ist die Anerkennung wert. Die Leute wollen wir doch nicht auf Dauer in die Sozialhilfe abschieben.

(Beifall bei der FDP)

Dass Sie Sozialneid schüren, hilft keinem Bedürftigen. Wir brauchen, wie gesagt, ein ordentliches Wirtschaftswachstum. Wir brauchen bessere Bildung und ein zielgenaues Sozialsystem. Dann können wir die Armut besser bekämpfen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Ich erteile das Wort der Fraktion der GRÜNEN. Frau Herrmann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Krauß, wenn Sie als Ziel mündige Bürger formulieren – ich würde vielleicht sagen: selbstbewusste Menschen, die ihre Teilhabechancen nutzen und ihr Lebenskonzept verwirklichen können –, dann sind wir nahe beieinander.

Aber dann sprechen Sie hier von „Normalfamilie“. Ich hatte vorhin gesagt, dass 22,3 % in Sachsen Alleinerziehende sind. Mir ist unverständlich, was Sie unter einer Normalfamilie verstehen. Ich denke, solche Schlagworte sind nicht hilfreich. Ebenso halte ich das Schlagwort „Unterschicht“ auch nicht für hilfreich. Welche Definition soll dahinterstehen? Jemand, der wenig Einkommen hat? Jemand, der bildungsfern ist? Jemand, der in einer schlechten Wohngegend wohnt? Ich denke, solche Worte helfen uns nicht, um uns dem Problem der Armut zu nähern und um Strategien zu überlegen, wie man mit dem Problem umgehen kann.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Kollegin Herrmann, könnten Sie als einfache Definition akzeptieren, dass eine Normalfamilie eine Familie ist, die ihrer Erziehungsverantwortung nachkommt, und eine Familie, die ihre Erzie

hungsverantwortung nicht wahrnimmt, gehört dann nicht in die Begriffsbestimmung einer Normalfamilie?

(Widerspruch bei der Linksfraktion)

Wenn Sie in Ihrer Definition mit einbeziehen, dass jede Familie Unterstützung braucht, da jede Familie an Grenzen kommen kann, um diese Erziehungsverantwortung, die Sie in den Mittelpunkt stellen, wahrzunehmen, dann könnte ich mich Ihrer Definition annähern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die politischen Maßnahmen in Deutschland – wir haben hier von den verschiedenen Rednern einige gehört – zielen meist nicht auf das komplexe Problem Armut, sondern behandeln lauter Einzelprobleme. Statt Unterstützung zur Lebensbewältigung werden oftmals lediglich Defizite ausgemacht und danach diese Defizite bekämpft. Nicht selten stehen sich dabei die verschiedenen Strategien im Weg.

Ein Beispiel. Das Landeserziehungsgeld zielt in die entgegengesetzte Richtung vom Elterngeld. Letzteres will Eltern die schnelle Rückkehr in den Beruf erleichtern. Das Landeserziehungsgeld fördert gerade die längere Babypause.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist einfach so: Alleinerziehende haben oft keine Wahl. Sie werden tendenziell bei beiden benachteiligt. Sind sie arbeitslos – ich hatte das vorhin dargestellt; die Quote ist sehr hoch –, bekommen sie weniger Elterngeld als in den Jahren des Bundeserziehungsgeldes. Wenn sie dann Arbeit suchen, bekommen sie kein Landeserziehungsgeld, weil sie eine Kita brauchen und das eine das andere ausschließt. Am Ende werden dadurch gerade Kinder benachteiligt – Kinder, die unserer besonderen Unterstützung bedürfen.

(Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Politik. Solange es in Armuts- und Reichtumsberichten heißt „Erst wenn die Selbsthilfe nicht ausreicht, kann staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden“, werden wir keine Strategien gegen Armut entwickeln können. Die Statistiken zeigen eines: Mit Umverteilung, wie Sie das zum Teil hier gesagt haben, ist es nicht getan. Damit kann Armut nicht verhindert werden.

(Beifall des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Was brauchen wir dann also? Wir brauchen vor allem einkommensunabhängige Unterstützungssysteme, die allen Kindern das gleiche Recht auf Entwicklung ermöglichen. Wir brauchen eine Bildungspolitik, und zwar unter einem weit gefassten und nicht unter einem engen Blick auf Bildung. Wir brauchen also eine Bildungspolitik, die Benachteiligte und Leistungsschwache nicht von vornherein ausgrenzt oder abschiebt, sondern sie integriert und unterstützt.

Dazu gehört auch der Sportverein. Und es ist so – der Tatsache müssen wir uns stellen –, dass manche Kinder

nicht dorthin gehen können, da sie einen Vereinsbeitrag bezahlen müssen, Sportsachen brauchen und die Eltern genau das nicht finanzieren können.

Deshalb brauchen wir eine Familienpolitik, die Alleinerziehende nicht als Randerscheinung betrachtet, sondern als ein Lebensmodell, das viele Menschen in Sachsen leben, und zunehmend auch Männer. Diese Familien brauchen mehr Unterstützung. Mindestens das sollte uns beim Lesen des Berichtes klar geworden sein.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion; Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Herrmann, Umverteilung allein löst es nicht. Damit haben Sie recht. Aber, Umverteilung ist die Voraussetzung, damit all das, was Sie sehr richtig gesagt haben, umgesetzt werden kann. Wie wollen Sie sonst die Einnahmensituation sichern, um das zu ermöglichen?

Meine Damen und Herren, dazu muss ich deutlich sagen: Die bisherige Politik derjenigen, die an der Regierung sind, insbesondere im Bund, hat das Ansteigen von Armut nicht verhindert. Insofern muss ich betonen – wenn man überhaupt davon sprechen kann –, dass die bisherige Armutsbekämpfungspolitik gescheitert ist.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Armut hat sogar zugenommen. Deshalb, Herr Dulig, kann ich vielem von dem, was Sie hier vortragen, zustimmen. Sie kommen zu ähnlichen Analysen. Allerdings ist es ein ganz weiter Weg von der verbalen Einsicht zum aktiven Handeln. Das ist ein sehr weiter Weg.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Aus diesem Grund kann und will ich Ihnen unsere Vorschläge in einer Zusammenfassung nicht ersparen, denn wir müssen endlich umsteuern.

Erstens. Ja, wir brauchen ein gerechteres Steuersystem, damit wir die Einnahmen erzielen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Das heißt die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Das heißt eine höhere Steuer auf große, gewaltige Erbschaften, von denen es genügend gibt. Das heißt eine Börsenumsatzsteuer. Das heißt – ob es die FDP nun will oder nicht – eine Wiederanhebung des Spitzensteuersatzes.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Zweitens. Wenn die SPD hier aktiv mithandeln würde, hätten wir es im Bundestag schon durchgesetzt: Wir brauchen einen Mindestlohn.

(Beifall bei der Linksfraktion – Caren Lay, Linksfraktion: So ist es; sehr richtig!)

Darüber bin ich gern bereit zu streiten. Wir gehen davon aus, er solle wenigstens das Niveau unserer französischen Nachbarn und Freunde von 8,44 Euro erreichen.

Drittens. Ja, wir brauchen eine Anhebung des Regelsatzes, wie andere Vereine, Verbände und Gewerkschaften es inzwischen fordern: 435 Euro für Arbeitslosengeld-IIBezieher.

Viertens. Kinder dürfen in dieser Gesellschaft nicht länger ein Armutsrisiko sein, was sie leider sind. Deshalb brauchen wir eine Kindergrundsicherung – darin stimme ich mit Ihnen völlig überein –, damit die Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung erreicht werden kann.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Fünftens. Ja, wir müssen endlich erkennen, in welche Richtung es mit der Altersarmut geht. Das wäre das Erste, aber wir brauchen auch Maßnahmen, die das bewerkstelligen können, und solche, die relativ rasch umgesetzt werden können. Ich will Ihnen nicht das Rentenkonzept meiner Partei vortragen. Das wäre noch viel radikaler, aber sehr nötig.

Eines will ich zumindest sagen: Wir brauchen eine Wiederabsenkung des Renteneintrittsalters, weil das, was hier vor Jahresfrist beschlossen worden ist, letztendlich zu nichts anderem als zur Altersarmut beiträgt. Wir brauchen eine Anhebung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Es ist völlig klar, dass die RiesterRente dann, wenn Grundsicherungsbedarf besteht, nicht angerechnet werden darf.

(Beifall bei der Linksfraktion)