Protocol of the Session on May 29, 2008

Wenn aber die Vertreter der NPD-Fraktion heute von Inszenierungen rechtsextremer Gewalt sprechen, dann machen sie nicht nur das, was sie anderen vorwerfen – nämlich eine klassische Vorverurteilung –, nein, sie instrumentalisieren und missbrauchen damit ein schwebendes justizielles Verfahren für ihre eigenen parteipolitischen Zwecke.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Was machen Sie eigentlich, wenn die Angeschuldigte vom Gericht freigesprochen wird? Spätestens dann fällt der Vorhang für Ihre Inszenierung.

(Jürgen Gansel, NPD: Das heißt aber noch nicht, dass ihre Behauptung vorher richtig war!)

Wie auch immer das Strafverfahren enden wird, es beweist, dass der demokratische Rechtsstaat Gerechtigkeit in seinen vorgeschriebenen Verfahren gegenüber allen übt. Dazu muss man ihm Gelegenheit und die Zeit geben, die er braucht. Der Fall sollte deshalb Anlass sein, sich auf den alten Grundsatz zu besinnen: Erst den Sachverhalt untersuchen und dann urteilen. Alles andere spielt den Falschen in die Hände.

Daneben ist eines klar, meine Damen und Herren: Rechtsextreme Gewalt ist keine Inszenierung, sondern Realität – Stichwort Halberstadt –, auch wenn im Ergebnis teilweise Freisprüche bei justiziellen Verfahren herauskommen.

(Widerspruch des Abg. Alexander Delle, NPD)

Die im Jahr 2007 in Sachsen geführten 1 664 Ermittlungsverfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund,

davon 20 wegen Gewalttaten, belegen, dass rechtsextreme Gewalt kein Phantom ist, sondern Tatsache. Jede einzelne dieser Gewalttaten ist eine zu viel, nicht nur für die Opfer, denn jede einzelne dieser Gewalttaten schadet dem Ansehen des Freistaates Sachsen. Es ist daher Aufgabe aller demokratischen Kräfte, dem Rechtsextremismus gerade in seinen gewaltorientierten Umtrieben konsequent entgegenzutreten.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Die Staatsregierung und die sie tragenden beiden Koalitionsfraktionen nehmen deshalb ihre Verantwortung wahr. Wir haben den Kampf aufgenommen und werden ihn – verlassen Sie sich darauf – zusammen mit Justiz, Polizei und allen anderen entschlossen fortführen.

(Widerspruch des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Im Freistaat Sachsen ist kein Platz für Extremismus und Gewalt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Damit ist die Aktuelle Debatte, beantragt von der Fraktion der NPD: Die inszenierte „rechte Gewalt“ – Rebecca K. und die Folgen, beendet.

Meine Damen und Herren! Es ist noch früh am Tag. Aufgerufen ist deshalb

Tagesordnungspunkt 2

Hochschulen in der demografischen Entwicklung

Drucksache 4/10319, Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringer spricht zuerst die Fraktion GRÜNE. Es folgen CDU, Linksfraktion, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Herr Dr. Gerstenberg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Einführung der gestuften Studiengänge von Bachelor und Master und der noch laufenden Hochschulreform kommt mit dem prognostizierten Rückgang der Studierendenzahlen die wohl größte Herausforderung seit 1990 auf unsere sächsischen Hochschulen zu.

Die meisten hochschulpolitisch Interessierten können sich sicher noch an die Empfehlung der sächsischen Hochschulentwicklungskommission und die darauf folgenden Verhandlungen um die Hochschulvereinbarung im Jahr 2003 erinnern. Damals wurden von der Staatsregierung mit dem Argument sinkender Studierendenzahlen

erhebliche Stellenstreichungen durchgesetzt. Der damalige Prozess war alles andere als ein rühmlicher Abschnitt der sächsischen Hochschulgeschichte. Die unvorbereiteten Hochschulen wurden praktisch erpresst. Der Staatsregierung fiel angesichts ungünstiger Prognosen nichts Besseres ein als fantasieloses Sparen. Die damaligen Kürzungen wirken bis heute nach und haben die Position der sächsischen Hochschulen deutlich verschlechtert.

Ich rufe diese Ereignisse hier in Erinnerung, weil wir in den nächsten Jahren vor weitaus größeren Herausforderungen als damals stehen und weil wir derzeit darüber in eine öffentliche Debatte kommen müssen, um ähnliche fatale Weichenstellungen zu vermeiden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Wie sieht nun die Herausforderung der demografischen Entwicklung für die sächsischen Hochschulen aus? Angesichts des derzeit an fast allen Hochschulen zu beobachtenden Bewerberüberhangs und des positiven

Wanderungssaldos mag kaum jemand an den Hochschulen an ein ernstzunehmendes Problem zu glauben. Diese Wahrnehmung ist zutiefst menschlich und ist zugleich fatal.

Unsere Fraktion nimmt dieses Problem ernst und wir haben deshalb in der vorliegenden Großen Anfrage „Hochschulen in der demografischen Entwicklung“ gezielt nach Prognosen, nach Konzepten und nach den wichtigsten Handlungsfeldern gefragt. Die Antworten sind zu einem großen Teil ernüchternd. Ich will die wesentlichen Punkte aufzählen, bevor ich auf einzelne Fragen eingehe.

Erstens. Für die sächsischen Hochschulen lässt sich bis 2020 ein Rückgang der Studierendenzahlen um bis zu einem Drittel des derzeitigen Standes prognostizieren.

Zweitens. Die sächsischen Hochschulen haben bisher kaum Konzepte zum Umgang mit dem demografischen Wandel entwickelt.

Drittens. Aktivitäten der Studierendenwerbung laufen erst an und sind teilweise falsch ausgerichtet.

Viertens. Durch den weiterhin restriktiven Zugang zu Hochschulen gehen Studienanfänger verloren.

Fünftens. Die Attraktivität für weibliche und ausländische Studierende ist relativ gering.

Sechstens. Die Hochschulen sind nur unzureichend auf Weiterbildung und lebenslanges Lernen ausgerichtet.

Zuerst zu den Prognosen: Derzeit beginnen circa 20 000 Studierende jährlich ein Studium an den sächsischen Hochschulen. Diese seit Jahren relativ stabile Zahl wird bis 2010 voraussichtlich auch zu halten sein. Nach den Prognosen des sächsischen Wissenschaftsministeriums und der Kultusministerkonferenz wird diese Studienanfängerzahl bis 2013/2014 auf 13 000 bis 15 000 Studienanfänger zurückgehen, also um ein Viertel bis ein Drittel sinken. Danach wird bis 2020 wieder ein moderater Anstieg auf 15 000 bis 16 000 Studienanfänger erwartet. Rechnet man bei allen Unwägbarkeiten, insbesondere die Umstellung auf die gestuften Studienstrukturen, diese Zahlen auf die Gesamtzahl der Studierenden hoch, so ergibt sich ein möglicher Rückgang der Studierendenzahlen von derzeit circa 100 000 auf bis zu 65 000. Diese Verringerung beruht vor allem auf dem geburtenbedingten starken Rückgang der sächsischen und ostdeutschen Studienanfänger. Sie machen derzeit knapp drei Viertel aus.

Der hohe Anteil wohnortnaher Studenten droht vor allem für die Fachhochschulen zum Problem zu werden, während die Universitäten stark unter dem Rückgang der ostdeutschen Studierenden leiden werden. Für die Kunst- und Musikhochschulen wird der demografische Wandel keine Auswirkungen haben.

Da dieser geburtenbedingte Rückgang nicht mehr zu beeinflussen ist, wird es auf die Entwicklung der Studierneigung sächsischer und ostdeutscher Studienanfänger, vor allem aber auf die Entwicklung der Studienanfänger

zahlen von Studierenden aus den alten Bundesländern und aus dem Ausland ankommen, wenn die künftige Entwicklung positiv beeinflusst werden soll. Und das muss sie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie fragen sich jetzt eventuell, warum der Rückgang auf zwei Drittel der Studierenden überhaupt ein Problem sei. Er ist es aus drei Gründen:

Erstens. Sachsen ist aufgrund der zunehmenden Überalterung unserer Bevölkerung mehr denn je auf junge, gut ausgebildete Menschen angewiesen.

Zweitens. Im Zuge der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsmarktes ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften in Bezug auf alle akademischen Abschlüsse zunehmen wird. Ich zitiere aus der Antwort der Staatsregierung: „Bis 2020 wird demnach in nahezu allen Hauptfachrichtungen ein Mangel auftreten, doch tritt dieser unterschiedlich stark und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Erscheinung.“

Dabei zeigt gerade die zyklische Entwicklung in den technischen Berufen, die wir alle kennen, dass potenziell alle Fächergruppen betroffen sein können. Insbesondere die Aufrechterhaltung geistes- und sozialwissenschaftlicher Studienplatzkapazitäten ist deshalb angezeigt.

Ein drittes, hochschulpolitisch pragmatisches Argument tritt noch hinzu: Mit dem Inkrafttreten der noch zu verhandelnden Regelung zum Hochschulpakt wird Sachsen auf die Anziehung von Studierenden angewiesen sein, wenn Mittel aus dem Hochschulpakt fließen sollen.

Wie lässt sich nun dieses Ziel erreichen? Angesichts der langen Linien der demografischen Entwicklung könnte man vermuten, die Staatsregierung und die Hochschulen wären auf das Problem konzeptionell gut vorbereitet. Der Antwort der Staatsregierung entnehmen wir jedoch: Fehlanzeige. Offensichtlich hat keine Hochschule ein wirklich ausgereiftes Konzept ausgearbeitet und nur wenige Hochschulen haben Ansätze entwickelt, um auf Herausforderungen zu reagieren. Dass an den beiden größten Universitäten des Freistaates, die knapp zwei Drittel der Studierenden aufnehmen, keine Gesamtkonzepte zum Umgang mit der demografischen Entwicklung existieren, ist äußerst problematisch, auch wenn aufgrund der urbanen Anziehungskraft der beiden Städte Leipzig und Dresden ein geringer Einfluss zu erwarten ist. Aber auch die beiden anderen Universitäten in Chemnitz und Freiberg sind trotz der positiven Ansätze von einem integrierten Konzept weit entfernt.

Die Fachhochschulen sollen mit einer Erhöhung des Studienplatzanteiles auf 30 % einen großen Teil der Verantwortung der Hochschulen in der demografischen Entwicklung tragen. Umso problematischer ist es, dass auch bei den Fachhochschulen neben Licht viel Schatten zu finden ist.

Angesichts dieser sprichwörtlichen Konzeptionslosigkeit tröstet es nicht, dass sowohl das internationale Hochschulinstitut Zittau als auch die Kunsthochschulen aufgrund ihrer Größe, der Internationalität und des anhaltenden

hohen Bewerberüberschusses kaum der demografischen Entwicklung ausgesetzt sind. Gleiches trifft aufgrund des Bewerberüberschusses wohl auch auf die Berufsakademie zu.

Gehen wir sinnvollerweise davon aus, dass auch bereits vorliegende Konzepte nur mittel- und langfristig Wirkung zeigen können, dann ist schon jetzt ein Erkenntnis- und Umsetzungsdefizit zu erkennen, das sich negativ auf die Entwicklung der Studienanfängerzahlen auswirken wird. Konzepte tun also Not.