Protocol of the Session on January 25, 2008

Wird von der CDU-Fraktion nochmals das Wort gewünscht? – Herr Hermsdorfer, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Worte seien meiner Fraktion zu dem Redebeitrag von Herrn Dr. Külow gestattet.

Herr Dr. Külow, Sie sprechen von Sensibilität in einer Aktuellen Debatte, in der Sie ein Thema aufrufen, welches wirklich schwierig zu behandeln ist. Sie sprechen von Sensibilität, indem Sie hier eine Aktuelle Debatte veranstalten und einer Fraktion Redezeit geben, die sich bewusst an Opferverbänden vergreift, die mit ihrem nationalsozialistischen Gedankengut Opferverbände diskriminiert. Sie provozieren damit Opferverbände.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Caren Lay, Linksfraktion: Das ist doch nicht unsere Schuld!)

Sie sprechen von Sensibilität, durch Ihre Debatte Opferverbände einladen zu wollen, und senden von diesem Hause – denn es werden Debatten aller Fraktionen gehört – Signale an die Opferverbände aus, dass manche eben nicht gewollt sind und Unrecht relativiert wird. Wenn Sie das unter Sensibilität verstehen, dann kann einem nur angst und bange werden.

(Beifall des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Ich knüpfe an meine ersten Worte an. Was die Linksfraktion mit dieser Debatte anzetteln möchte – außer zu provozieren –, bleibt für uns im Verborgenen. Sie torpedieren die Vermittlungsversuche seitens der Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, die Gespräche mit den Opferverbänden geführt hat, die am 27. Januar 2008 ihre Fortsetzung finden werden; und wir gehen alle davon aus, dass wir in der nächsten Zeit eine vernünftige und zielführende Vereinbarung zwischen den Opferverbänden erreichen werden. Eine politische Auseinandersetzung in diesem Hause, um Unschuld gegeneinander aufzuwiegen

so kann ich die Debatte nur verstehen –, hilft diesem Gedenkstättengesetz und einer Opferkultur in unserem Land am allerwenigsten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD, Tino Günther, FDP, und Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Wird von der SPD-Fraktion nochmals das Wort gewünscht? – Herr Hatzsch, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fühle mich durch die Angriffe des Herrn Külow geadelt. Es kann doch wohl nicht sein, dass man so naiv in die heutige Debatte gegangen ist – nachdem man von der verantwortlichen Staatsministerin gebeten worden ist, dies heute nicht auf die Tagesordnung zu setzen –, obwohl man genau weiß, dass in diesem Raum auch eine Partei sitzt, die

(Winfried Petzold, NPD: Na, na, na...?)

laut – ich muss vorsichtig sein – entsprechender Urteile offiziell als Neonazis benannt werden darf.

(Jürgen Gansel, NPD: Nennen Sie mal das Gerichtsurteil!)

Das ist offiziell durch Gerichtsurteil genehmigt.

(Jürgen Gansel, NPD: Welches?)

Die Steilvorlage, die Herr Gansel aufgegriffen hat, haben wir erlebt. Er musste doch zweimal zur Ordnung gerufen werden, weil er Opferverbände diskriminierte, die im Moment nicht mehr in der gemeinsamen Arbeit dabei sind.

(Caren Lay, Linksfraktion: Sprechen Sie doch jetzt mal zum Thema! – Dr. Monika Runge, Linksfraktion, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Nein, Frau Dr. Runge, ich lasse an dieser Stelle keine Zwischenfrage zu.

Dies, meine Damen und Herren, wird von einem vorgetragen, der selbst eingestanden hat, dass er ein IM war, ein informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit – des Unterdrückungsapparates der SED! Wo sind wir denn hier hingeraten?!

(Beifall bei der SPD, der CDU, der NPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gibt es denn keinen Respekt mehr vor den Opfern, ganz gleich welcher Diktatur?

(Beifall bei der SPD, der CDU, der NPD, der FDP und den GRÜNEN – Caren Lay, Linksfraktion: Welcher? Das ist doch wohl ein Unterschied!)

Ich möchte – aufgrund der Kürze der Zeit – im Schnelldurchgang ein Beispiel für eine Betroffenheit nennen. Als ich 1964 in Leipzig als Lehrer begann, war meine kommissarische Schulleiterin eine Frau Maria König. Sie war polnische Jüdin, die in Deutschland lebte. Sie war 1944 in Galicien mit ihrer Familie – drei Geschwister und die Eltern – abgeholt, nachdem sie Jahre vorher den Gelben Stern tragen mussten, und nach Auschwitz gebracht worden. In Auschwitz wurde sie von ihrer Familie getrennt, und sie kam in die Gaskammer. Sie war zwölf Stunden in dieser Gaskammer. Als nach zwölf Stunden geöffnet wurde, war die Hälfte der Menschen, die darin waren, wahnsinnig geworden. Der öffnende SS-Scherge sagte launig: „Es tut uns sehr leid, das Gas ist heute Nacht alle geworden.“ Daraufhin wurde sie noch einmal ins Lager gesteckt und einige Tage später nochmals selektiert. Als sie 18 Jahre alt war, kam sie nach Sachsen, nach Mittweida, um dort in einer Munitionsfabrik zu arbeiten. Hier wurde sie befreit. Als sie sich nach Polen und in Galicien auf die Suche begab, um ihre Eltern und Geschwister wiederzufinden, war das Haus besetzt und ihr wurde von polnischen Mietern gesagt: „Was, ihr seid immer noch nicht alle tot?“

Daraufhin ging sie in die amerikanische Besatzungszone in Deutschland, da sie sich dort sicher fühlte. Als sie eines Tages zum Lebensmittelamt gehen musste, um ihre Lebensmittelkarte zu holen, saß hinter dem Schalter eine ehemalige Aufseherin des KZ Auschwitz. Daraufhin ist sie in die USA ausgewandert. Sie hatte inzwischen einen Mann kennengelernt, der im KZ Buchenwald noch Mitglied der Kommunistischen Partei geworden war. In den USA bekam sie daraufhin keine Einbürgerung und wurde nicht amerikanische Staatsbürgerin, weil ihr Mann Kommunist war. Daraufhin schrieb sie an die DDR, um hier aufgenommen zu werden. Da ihr Mann Kommunist war, wurden sie sehr gern aufgenommen; und er hat Karriere in der Wirtschaft gemacht.

Maria König war die gütigste Frau, die ich in meinem Leben kennengelernt habe; und an ihrer Person kann man das ganze Unrecht ermessen und die Schwierigkeit einer europäischen Gedächtniskultur wahrnehmen. Maria König lebt heute in Berlin in einer Plattenbausiedlung, ist über 80 Jahre alt und fast blind. Ich war der Klassenlehrer ihres Sohnes, und dies hat mich ganz wesentlich geprägt.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur noch einmal ganz kurz auf die Vorredner eingehen – nicht im Einzelnen; aber ich möchte doch noch einmal die Intentionen unserer Debatte deutlich machen. Wir haben seit vier Jahren einen Zustand in diesem Land, dass den Opferverbänden der NS-Zeit die Mitarbeit in der sächsi

schen Gedenkstättenstiftung nicht möglich ist, weil sie auch aus unserer Sicht sehr begründete Bedenken und Vorbehalte gegen das geltende Gesetz haben. Ich glaube, vier Jahre, ohne dass endlich das Gesetz angegangen wird, vier Jahre, ohne dass sich das Parlament hier zu einem klaren Zeichen bekennen wollte, sind eine zu lange Zeit.

Wenn wir am Sonntag hier die Rede von Romani Rose für die Sinti und Roma hören werden, dann möchte ich, dann möchte meine Fraktion, dass Herr Rose nicht nur einmal eine Rede halten kann, sondern dass den Opferverbänden der NS-Zeit die Mitwirkung in den Gremien der sächsischen Gedenkstättenstiftung wieder ermöglicht wird.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Dazu bedarf es all der Gespräche, die in den letzten Jahren stattgefunden haben – und ich habe hier ausdrücklich auch das Handeln der Ministerin und ihrer Vorgängerin gewürdigt. Im Ergebnis dieser Gespräche geht es aber offenkundig nicht unterhalb einer Gesetzesänderung.

Wenn Sie über den Zeitpunkt sprechen, dann gibt es möglicherweise nie einen richtigen Zeitpunkt. Wir haben aber schon einen eigenen Entwurf für eine Änderung des Gedenkstättengesetzes eingebracht. Die Koalition hat das abgelehnt. Die Koalition ist wegen innerer Zerstrittenheit nicht in der Lage, selbst einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Das ist äußerst bedauerlich.

Herr Hermsdorfer, ja, natürlich wollten wir mit der Debatte ein Signal setzen, nämlich das Signal, dass der Landtag begriffen hat, dass das Gesetz korrigiert und novelliert werden muss.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Wenn sich alle demokratischen Parteien hier und heute im Landtag dazu bekannt hätten, noch in dieser Wahlperiode eine Novellierung des Gesetzes anzugehen, um den NSOpferverbänden die Mitwirkung wieder zu ermöglichen, dann wäre das ein klares Signal und dann wären die Ausfälle der Nazis unwichtig gewesen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir hätten das Signal setzen können. Ich bedaure ausdrücklich, dass bis auf Herrn Gerstenberg, den ich hier ausdrücklich ausnehmen möchte, dieses klare Signal zur Notwendigkeit der Änderung des Gesetzes nicht gekommen ist. Hier ist eine Chance vertan worden.

Ich sage es ganz klar: Wir sind als stärkste Oppositionsfraktion in der Pflicht, auch solche Themen hier anzusprechen, wenn die Koalition nicht handelt. Wir werden das auch künftig tun. Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, wann wir Themen setzen, bei denen es offenkundig notwendig ist, dass sie hier im Landtag besprochen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann, bitte, Frau Ministerin Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, ich hätte mir gewünscht, dass dieses sensible Thema nicht auf die Tagesordnung der öffentlichen Plenardebatte gekommen wäre. So wurde der NPD leider der Raum für eine unerträgliche Diffamierung sowohl der Opfer als auch der Opferverbände der NS-Diktatur gegeben, von der ich mich auf das Schärfste distanzieren möchte.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Ich hoffe, dass Romani Rose uns wegen dieser Ausfälle der NPD nicht den Vertrauensvorschuss entzieht, wenn er am Sonntag anlässlich des Gedenkens am 27.01. sprechen wird.

Am 27.01.2008, also übermorgen, jährt sich zum 63. Mal die Befreiung der wenigen Überlebenden des KZ Auschwitz. Der 27. Januar wurde in Deutschland zu Recht zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus gemacht. Auschwitz steht symbolhaft für den systematischen Völkermord der Nazis an mehr als sechs Millionen jüdischen Frauen, Männern und Kindern. Der Rassenwahn führte zum größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte, dem Millionen Polen, Russen, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle, Andersdenkende, Tausende Kommunisten und Sozialdemokraten zum Opfer gefallen sind.

Die Aufarbeitung der in ihrer Dimension und ihrer Unmenschlichkeit heute nach wie vor unfassbaren NSVerbrechen ist und bleibt ein zentraler Kern auch der Gedenkstättenarbeit in Sachsen.

Die Gedenkstätte in Pirna-Sonnenstein, in der von 1940 bis 1941 allein 13 720 behinderte und psychisch kranke Erwachsene und Kinder sowie mindestens 1 031 KZHäftlinge ermordet wurden, ist heute nicht nur ein Ort des Gedenkens auch für die wenigen Angehörigen der Opfer, sondern vor allem ein Ort des Begreifens des Unbegreiflichen für junge Menschen.

„Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen, was sich daraus für heute ergibt.“ Mit diesen Worten Hannah Ahrendts führt die neue Satzung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in die den Auftrag der Stiftung erklärende Präambel ein. Diese Worte stehen auch für die Auseinandersetzung mit den Orten der Unmenschlichkeit und des Verbrechens in der Zeit der kommunistischen Diktatur nach 1945, in der SBZ und der DDR, Orten wie Bautzen oder der „Runden Ecke“ in Leipzig.