Meine Damen und Herren! Sie haben eine sehr umfangreiche Erläuterung gehört. Dadurch hat die Staatsregierung ihre vorgegebene Redezeit überzogen und es besteht die Möglichkeit, in einer weiteren Runde darauf zu reagieren. Ich frage die Fraktionen, ob dies genutzt werden möchte. – Die PDS-Fraktion möchte. Herr Dr. Pellmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte noch einmal die Positionen der PDS zusammenfassen, und zwar in dem Sinne, Vorschläge zu machen, wie wir gemeinsam – ich betone: gemeinsam – trotz mancher Unterschiede vorankommen können. Erstens. Herr Gerlach, wir stimmen überein, eine Bürgerversicherung muss sein. Worin wir uns unterscheiden, ist das zeitliche Fenster. Ich hätte mir gewünscht, dass erst über eine gerechtere Einnahmensituation nachgedacht und entschieden worden wäre, bevor wir an die
individuellen Ausgaben der Patienten gehen. Also: Die Bürgerversicherung wäre schon lange überflüssig gewesen.
Zweitens. Ja, wir müssen die Beitragsbemessungsgrenze zunächst erheblich anheben. Auch das hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun, und ich wiederhole, was ich hier schon vor Jahresfrist gesagt habe: Ginge es nach mir, dann könnten wir sie abschaffen. Das wäre gerecht.
Ja, ist klar. Dann würden Sie auch endlich mehr in die gesetzliche Krankenkasse einzahlen. Das wünsche ich Ihnen.
Wissen Sie, es hat keinen Sinn, bei diesem intellektuellen Niveau, das Sie seit Jahr und Tag darstellen, darauf einzugehen.
Drittens. Private Krankenkassen als Vollversorgungskassen haben in der Gesellschaft meines Erachtens keinen Platz. Sie sollen, bitte schön, das versichern, was sich manche an Zusatzleistungen wünschen.
Viertens. Ja, die Praxisgebühr gehört unserer Meinung nach abgeschafft. Sie steuert mittel- und langfristig nicht die Zahl der Ärztekonsultationen, sie ist nicht nur eine Belastung für die Patienten, sondern auch ein zusätzliches bürokratisches Element für die Mediziner, das nicht nötig ist.
Fünftens. Herr Gerlach, ich weiß sehr wohl, warum die Positivliste nicht zustande gekommen ist. Wir fordern sie nach wie vor. Ich wiederhole: Dass es in dem Kompromissgespräch zwischen Herrn Seehofer, den man offenbar auf Bundesebene nicht mehr so gern hat, und Frau Bundesministerin Schmidt keine Positivliste gegeben hat, lag an der CDU. Also, liebe SPD, fordern wir die Positivliste, die Sie ja wollten, auch weiterhin gemeinsam!
Sechstens. Förderung der Gesundheitszentren. Verehrter Herr Gerlach, Frau Staatsministerin, wir haben als Freistaat auch im Gesundheitswesen einen Auftrag zur Daseinsvorsorge, und dass es noch nicht zu weiteren Gesundheitszentren gekommen ist, bedauern wir alle gemeinsam. Aber vielleicht können wir doch mit Mitteln des Freistaates nachhelfen. Sie wissen doch, wie schwer sich die Kassenärztliche Vereinigung mit der Verteilung des Honorars tut, solange wir dort nicht eingreifen. Ganz offensichtlich sind Sie bei der Ausreichung der Gehälter ihrer Funktionäre etwas schneller gewesen. Danach habe ich Sie gefragt, aber das wissen Sie vielleicht noch nicht. Laut Meldungen hat das aufsichtsführende Ministerium, nämlich das Ihre, diesen Dingen zuzustimmen gehabt.
Siebentens. Wir sind, insbesondere im Krankenhausbereich, gegen jegliche weitere Privatisierung. Es reicht. Sachsen ist bereits Spitzenreiter. Eine breite Trägerlandschaft ist gegeben, und wir wollen nicht, dass insbesondere die kommunalen Träger weiterhin aufgrund der Kassenlage auf die Betreibung ihrer Krankenhäuser verzichten müssen.
Achtens. Ja, wir sind für mehr Patientenrechte, und vielleicht als Vorschlag könnten wir darüber nachdenken; denn die verehrte Bundespatientenbeauftragte hat im vergangenen Jahr 30 000 Zuschriften und Einsprüche bekommen. Diese sind von einer Person mit wenigen Mitarbeitern kaum abzuarbeiten. Überlegen wir doch, ob wir nicht vielleicht in Ihrem Ministerium, Frau Orosz, eine sächsische Patientenbeauftragte berufen. Das könnte ein kleines Stück mehr Demokratie auch in Ihrem Haus und damit für uns alle bedeuten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon über viele Facetten des Gesundheitswesens gesprochen. Ich möchte noch eine kleine Ergänzung zum Bereich „Ambulante Versorgung“ machen. Es wird immer so dargestellt, dass dieser ambulante Bereich ein Fass ohne Boden sei. Es ist seit Jahren gang und gäbe, dass die Punktwertmenge pro Praxis gedeckelt ist. Dafür gibt es durch die KVS, die Kassenärztliche Vereinigung Sachsens, Richtgrößenvereinbarungen, in denen auch die Medikamentenkosten gedeckelt sind. Diese Richtgrößen liegen mir vor. Wenn also die Medikamenten-Durchschnittskosten beim allgemeinen Arzt pro Quartal 35,74 Euro pro Patient bzw. beim Rentner 121,10 Euro nicht übersteigen sollen, dann muss ich sagen: Wenn Sie sich mit den Evidence-Based Medicine-Richtlinien, den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO, also der richtlinienorientierten Medizin nach den Richtlinien der WHO, beschäftigen, dann ist damit in vielen Dingen –
bleiben Sie einmal ganz ruhig da drüben – eine richtlinienorientierte Medizin kaum möglich. Beispielsweise kostet ein „Blutverdünnungsmedikament“, das gang und gäbe ist, Clopidogrel mit den Firmennamen Plavix oder Icover im Tagessatz 2,44 Euro. Wenn Sie das hochrechnen, sind das für ein Medikament Quartalskosten von 222 Euro. Auch das ist eine Facette, die man bedenken sollte.
Gibt es weiteren Redebedarf zu dieser Aktuellen Debatte? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, dann schließen wir diese Aktuelle Debatte und damit die erste Aktuelle Stunde ab, die den Tagesordnungspunkt 1 unserer heutigen Plenarsitzung ausmacht. Es ist jetzt 12:29 Uhr. Ich
würde vorschlagen, dass wir für eine Stunde unterbrechen, die Mittagspause einlegen und uns 13:30 Uhr zur zweiten Aktuellen Stunde hier wieder einfinden.
Aktuelle Debatte: Auswirkungen der Zwischenbilanz der Europäischen Kommission zum Lissabon-Prozess auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Sächsischen Staatsregierung
Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 18 Minuten, PDS 13 Minuten, SPD 6 Minuten, NPD 6 Minuten, FDP 6 Minuten und GRÜNE 11 Minuten; Staatsregierung wenn gewünscht, 10 Minuten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich umschaut im Rund, dann sieht man sofort und ganz eindeutig, dass das Thema noch erarbeitungsbedürftig ist. Europa, so haben die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Jahr 2000 in Lissabon beschlossen, soll bis 2010 die innovativste und wettbewerbsfähigste Region der Welt werden. Das heißt, dass man sich eine gute und klare Konkurrenzsituation zum asiatischen Raum und zum amerikanischen Raum aufbaut. Das war die Vereinbarung vor fünf Jahren. Man hat drei Säulen definiert, die das gesamte Konzept tragen sollen: die Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik und die Umweltpolitik.
Herr Barroso, der EU-Kommissionspräsident, hat am 2. Februar dieses Jahres eine Zwischenbilanz – nach fünf Jahren ist das normal –, eine Halbzeit-Bilanz vorgelegt. Diese wird auf der Frühjahrstagung im März dieses Jahres verhandelt werden. Es gibt dazu ein Sachverständigengutachten, was von dieser Lissabon-Strategie bisher erreicht wurde, erarbeitet unter dem Vorsitz von Wim Kock. Dieser Bericht wurde im November 2004 vorgelegt und es ist erkennbar, dass nicht viel erreicht worden ist.
Wenn man einmal zusammenfasst, worin die Kritik besteht, warum nicht sehr viel erreicht worden ist, dann sind wir dabei, dass das, was man in Brüssel beschließen kann, regional umgesetzt werden muss. Wer das nicht macht, der wird auch keine Fortschritte erzielen. Damit sind wir mitten in der Debatte, warum das für Sachsen so relevant ist. Denn all das geschieht. Es werden Leitlinien entwickelt. Bestimmte Regionen in Europa sind viel weiter und haben sich Gedanken gemacht. Sie schließen sich zum Beispiel zu Wirtschaftsverbünden zusammen. Das geschieht zum Beispiel mit den Regionen Rhone-Alpes, Katalonien, Lombardei und Baden-Württemberg. Sie haben einen Viererverbund aufgemacht und führen zusammen gemeinsame Wirtschaftsentwicklung in zwei, drei Industriezweigen durch. Hoch interessante
Entwicklungen, von denen man offensichtlich in Sachsen nichts weiß, weil hier eben alles noch im Winterschlaf liegt. Aber diese regionale Umsetzung ist entscheidend.
Ich habe mir aus den Schwerpunkten des Zwischenberichtes zwei Punkte herausgegriffen, von denen ich denke, dass diese gerade in Sachsen unterentwickelt sind. Das eine ist die Frage: Sind wir auf dem Weg in die Wissensgesellschaft? – Das hat sehr viele Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation. Das Zweite ist die Frage: Haben wir genügend ökologische Innovationen – das fasse ich auch unter Wirtschaftspolitik zusammen, nicht nur unter Umweltpolitik –, um auch in einem globalen Weltmarkt mithalten zu können?
Ich beginne mit der Wissensgesellschaft. Im Kock-Bericht ist die Hauptempfehlung, dass man ein beschleunigtes Arbeitserlaubnis- und Visaverfahren für Forscher einführen sollte, damit sich diese nichteuropäischen Forscher mobil in der Europäischen Union bewegen können. Wenn ich mir anschaue, dass nach dem 11. September und dem Attentat in New York im Jahr 2001 die Amerikaner ein sehr straffes Verfahren eingeführt haben, wen sie noch als Forscher einreisen lassen und wen nicht, dann gibt es international eine große Nachfrage nach neuen Forschungsstandorten. Theoretisch hätte Europa die Chance, das, was es immer beklagt hat, nämlich die Forscher, die nicht in Europa sind, nach Amerika gehen zu lassen, endlich aufzuheben. Aber stattdessen gibt es hier in Deutschland und ganz besonders in Sachsen eine Umgebungsdebatte, die die Zuwanderung infrage stellt, die die Visaerteilung infrage stellt und die insgesamt einen normalen Aufenthalt nichtdeutscher, nichteuropäischer Forscher hier in diesem Land infrage stellt. Sie berauben uns mit diesem Verhalten wirtschaftlicher Entwicklungsperspektiven.
Die Frage der ökologischen Innovation können wir gern in der Debatte noch vertiefen; daran habe ich Interesse. Uns kommt es darauf an, dass man das auch als einen Wirtschaftsfaktor sieht; denn die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch ist entscheidend. Die natürlichen Ressourcen werden sich weiter verteuern, völlig unabhängig davon, ob man selbst bei der Preisgestaltung mitmacht. Vielmehr geht es einfach nur um die Endlichkeit der Ressourcen.
Es ist ein Wettbewerbsvorteil, wenn man es schafft, Ressourcen schonende Umwelttechnologien zu entwickeln, die zum Beispiel in diesen neu entstehenden Märkten, die sich im Turbotempo entwickeln, wie in China oder in Indien, schnell eingesetzt werden können. Denn dort wird zunehmend die Umwelt sehr schnell und drastisch in Mitleidenschaft gezogen, weil solch ein Turbokapitalismus eingesetzt hat. Das Interesse an Ressourcen schonenden Technologien ist deshalb auf diesen Märkten sehr groß. Das erkennt man daran, dass China inzwischen stärkere und härtere Grenzwerte bei der Abgasemission hat, was Autos betrifft, als zum Beispiel die meisten europäischen Länder.
Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die europäischen Autohersteller, wenn sie auf dem chinesischen Automobilmarkt tätig werden wollen, darauf einstellen müssen, sehr hohe Abgasnormen einzuhalten und Autos mit einem sehr niedrigen Benzinverbrauch zu haben. Das heißt, wir hätten mit technischer Innovation auch in einem Autostandort wie in Sachsen durchaus die Möglichkeit, auf einem wachsenden Markt Fuß zu fassen. Deswegen gehört das für mich unbedingt zu den politischen Diskussionen, die wir in Sachsen führen müssen. Wir können das gern noch einmal in der weiteren Debatte vertiefen.
Muito estimada Senhora Presidente, estimados senhoras e senhores, as mais calorosas sauda ções da cidade de Lisboa.