Protocol of the Session on February 25, 2005

Hören Sie mir noch ein Weilchen zu; vielleicht können auch Sie noch etwas lernen. Schauen wir zuerst auf meine Heimatstadt Dresden! Die berühmte Kunst- und Kulturstadt Dresden war schon vor Hitlers Machtergreifung eine Hochburg der NSDAP, in der die antijüdische, rassistische Politik der Nationalsozialisten mit großem Eifer und breiter Unterstützung umgesetzt wurde. Auch in Dresden unterstützte die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger das NS-System, das für viele Ausgeschlossene, Juden wie Homosexuelle und Kommunisten, Unterdrückung, Leid und Tod bedeutete. Neben vielen historischen Dokumenten ist diese Zeit in besonders detailreicher und berührender Weise in den Tagebüchern von Victor Klemperer belegt.

Dresden war auch militärisch bedeutsam. Es beherbergte die Heeresschule und ab 1933 eine der größten Garnisonen Deutschlands.

(Zuruf von der NPD: Es wurde aber die Innenstadt bombardiert!)

In Verbindung mit der Technischen Hochschule entwickelte es sich zu einem wichtigen Standort der Militärforschung und im weiteren Verlauf zu einem Rüstungszentrum. Hierzu zählten unter vielen anderen die Zulieferindustrie für die Flugzeugwerke in DresdenKlotzsche ebenso wie eine Giftgasfabrik, die Chemische Fabrik Goye, die Waffenfabrik Lehmann und die Optischen Werke Zeiss Ikon, die unter anderem Zielvorrichtungen herstellten. Außerdem war Dresden mit der Kreuzung der Bahnstrecken nach Prag, Berlin, Leipzig, Nürnberg und Warschau ein wichtiger Verkehrsknoten

punkt und drittgrößter Bahnumschlagplatz des Reiches. Dresden hatte also militärische Bedeutung.

Trotz dieser militärischer Bedeutung blieb die Stadt Dresden bis August 1944 vom Luftkrieg verschont. Damit blieb ihr lange das Schicksal vieler anderer europäischer Städte erspart. Es war das deutsche Reichsluftfahrtministerium, das bereits 1936 die Strategie der Luftkriegsführung entwickelt und das die Forderung aufgestellt hatte, dass Luftangriffe nicht nur gegen Streitkräfte des Gegners, sondern vor allem auch „gegen den Widerstandswillen des feindlichen Volkes an der Wurzel“ zu richten sind.

Dieser Theorie folgte die deutsche Praxis: 1938 die Zerstörung von Guernica, am 1. September 1939 die Zerstörung von Wielun´ zur Erprobung der modernisierten Stukas, im gleichen Monat der Luftangriff auf Warschau mit dem Ziel – laut Generalstabsbefehl – einer „weitgehenden Zerstörung in den dicht besiedelten Stadtteilen“. Bei diesem Angriff haben die Deutschen den Feuersturm als Methode der flächendeckenden Zerstörung eng bebauter Räume entdeckt. Sprengbomben wurden nun als Wegbereiter für Brandbomben eingesetzt, um einen nicht löschbaren Flächenbrand herbeizuführen. Dies wurde dann vor allem an englischen Städten, darunter Birmingham, Coventry und Manchester, aber auch vielen anderen europäischen Städten wie Belgrad angewandt.

Nach den nahezu täglichen deutschen Luftangriffen auf London zwischen September 1940 und März 1941, durch die etwa 20 000 Menschen getötet wurden und große Teile der Londoner Innenstadt abbrannten, beschlossen die Alliierten im Gegenzug ein Flächenbombardement der deutschen Städte. Das Hauptziel ihrer Operationen sollte jetzt auf die Moral der Zivilbevölkerung gerichtet sein, insbesondere auf die Industriearbeiterschaft. Dahinter stand die Erfahrung, dass Deutschland unter Hitler einen Angriffskrieg begonnen und sämtliche völkerrechtliche Prinzipien der Kriegsführung missachtet hatte. Es waren die deutschen Fliegerangriffe, die den totalen Krieg eröffneten, indem sie nicht nur militärische Ziele, sondern auch Städte und Produktionsstätten angriffen. Es war Adolf Hitler, der verkündet hatte, er wolle englische Städte „ausradieren“.

Die Antwort der Alliierten darauf war die Perfektionierung des Feuersturms. Um Truppenverlegungen und Evakuierungen zu erschweren, geriet dann auch Dresden – neben Berlin, Leipzig und Chemnitz – in das militärische Fadenkreuz. Dresden war also keine unschuldige Stadt, wie es Propagandaminister Goebbels einst behauptete und wie es heute die NPD und andere Rechtsextremisten immer wieder zu suggerieren versuchen. Der Angriff war weder ohne militärische Bedeutung noch kam er plötzlich. Die Deutschen hatten mit der systematischen Zerstörung von Städten und Dörfern und damit auch mit der Vernichtung der Zivilbevölkerung begonnen. Im Winter 1944/45 schlug dieser Krieg zurück und traf nun auch die Dresdner Bevölkerung.

Jedes Opfer dieses Luftkriegs, jedes Opfer der Dresdner Luftangriffe ist ein Opfer zu viel. Hinter jedem Opfer verbirgt sich ein menschliches Leben, ein Schicksal. Dennoch will ich noch einige Worte zu der Debatte um Opferzahlen sagen, da die NPD in ihrem Antrag ein weiteres Mal von „fortgesetzter Minimalisierung“ spricht.

Die Stadt Dresden hat zur Klärung dieser Frage eine Historikerkommission eingesetzt. Sie hat dies getan, obwohl die Zahlen in der Geschichtswissenschaft eigentlich nicht mehr strittig sind. Die allermeisten Historiker schätzen heute, dass mindestens 25 000, höchstens 40 000 Menschen durch die Bombenangriffe ihr Leben verloren haben. Historische Dokumente dafür sind die Polizeiliche Schlussmeldung vom März 1945, die die Gesamtzahl der „Gefallenen“ mit 25 000 angibt, sowie der Tagesbefehl 47 des Höheren SS- und Polizeiführers Elbe vom 22. März, der von über 20 204 geborgenen Toten spricht und schätzt, dass sich diese Zahl wahrscheinlich auf 25 000 erhöhen werde.

Dieser Tagesbefehl ist in rechtsextremistischen Kreisen sehr populär, insbesondere in seiner von der Nazipropaganda gefälschten Version, in der an alle diese Zahlen eine Null angehängt wurde. Der bekannte HolocaustLeugner David Irving hat sich darauf gestützt und musste später öffentlich einräumen, sich geirrt zu haben.

Diese Erkenntnis David Irvings steht den Neonationalsozialisten innerhalb und außerhalb des Landtages noch bevor. Sie ziehen es vor, Geschichte zu fälschen, die Sprache des Dritten Reiches zu verbreiten und ihre Politik auf Kosten der Bombenopfer zu betreiben. Dresden braucht zum Gedenken keinen durch neue Nazis verordneten staatlichen Gedenktag und keine Stiftung. Die Dresdner Bürgerinnen und Bürger haben bereits der Zerstörung ihrer Stadt gedacht und vor den Gefahren einer Wiederholung gewarnt, als bei Herrn Apfel nur die Windeln braun waren. Es war einst in der DDR am 13. Februar, als der Zug von der Kreuzkirche zur Frauenkirche das Gedenken an die Zerstörung der Stadt mit der Warnung vor der Aufrüstung verband. Es war die Ruine der Dresdner Frauenkirche, die zum Entstehungsort einer Friedensbewegung von unten wurde. „Nie wieder Krieg!“ war seit Jahrzehnten die verbindende Botschaft der Dresdnerinnen und Dresdner am 13. Februar.

Seitdem Neonazis, Hand in Hand mit der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, versuchen, diesen Tag zu missbrauchen, wird diese Botschaft erweitert. „Nie wieder Krieg! Nie wieder Nationalsozialismus!“ heißt sie heute. In keinem Jahr ist das so deutlich geworden wie in diesem. Tausende zeigten in einer bunten Demonstration Gesicht gegen den Aufmarsch der vereinigten Rechtsextremisten. Und Zehntausende Menschen, junge wie alte, Deutsche wie Ausländer, waren auf dem Dresdner Theaterplatz in einer Gemeinschaft vereint, um mit ihren Kerzen ein Zeichen des Friedens zu setzen und gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu protestieren.

In das traditionelle Läuten der Dresdner Kirchen in der Stunde des Bombenangriffs stimmte in diesem Jahr erstmals das Geläut der Frauenkirche ein. Welch deutlicheres, welch schöneres Zeichen kann es geben, dass die Stadt Dresden nicht der Vernichtung ausgesetzt wurde, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, sondern dass Dresden wiederaufgebaut wurde, dass es lebt und dass es sich in die erste Reihe der europäischen Städte eingereiht hat!

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der PDS, der SPD und der FDP)

„Diese Stadt hat Nazis satt“ – das war die Botschaft, die am 13. Februar von Dresden aus in die Welt ging. Diese Stadt hat Nazis satt – ich bin mir sicher, dass der Sächsische Landtag mit der heutigen Abstimmung über Ihren Antrag diese Botschaft bestätigen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der PDS, der SPD und der FDP – Uwe Leichsenring, NPD: Und die Wähler haben die Grünen satt!)

Das war Herr Dr. Gerstenberg von den Bündnisgrünen. Möchte ein Vertreter der Staatsregierung sprechen? – Das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zum Schlusswort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinen Vorrednern, Herrn Hähle und Herrn Gerstenberg, muss ich historische Daten nicht mühsam von irgendwelchen vorbereiteten Blättern ablesen, sondern ich habe diese historischen Daten im Gegensatz zu Ihnen erstens im Kopf, und zweitens besteht die Kunst der Geschichtsinterpretation darin, dass man historische Daten nicht nur aufsagen, sondern sie historisch einordnen und historische Kausalzusammenhänge herstellen kann. Das lernt man an jeder bundesdeutschen Universität im historischen Grundseminar.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Rotzlöffel!)

Ach, Frau Hermenau, auf Sie reagiere ich gar nicht.

Um einige richtige Kausalitäten herzustellen:

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: '33, '39 und '45!)

In der Geschichtsschreibung wie in diesem Hause hat es sich eingebürgert, unter Verdrehung von Ursache und Wirkung für historisches Geschehen im 20. Jahrhundert einfach die Losung aufzumachen – weil es so prima einfach ist, weil man damit den deutschen Schuldkult wieder unterstreichen kann – zu behaupten: Ohne Hitler kein Dresden!

Nun gibt es aber auch viele ganz unverdächtige Politikwissenschaftler und Historiker, die unterstrichen haben: Ohne Versailles kein Hitler! Wenn Sie jetzt hier eine historische Debatte über Ursachen des Krieges entfachen, dann muss man etwas weiter zurückgreifen und darauf zu sprechen kommen, dass im Juni 1919 der Versailler Vertrag von deutscher Seite unterschrieben werden musste. Ich erinnere daran, dass der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Philipp Scheidemann, weil er erkannt hat, was dieser Vertrag für Deutschland bedeutet, gesagt hat: „Die Hand, die diesen Vertrag unterzeichnet, muss verdorren.“ – Ein Zitat eines Sozialdemokraten.

Ich möchte daran erinnern, dass der erste Bundespräsident Deutschlands, Theodor Heuss, ein Liberaler, die Aussage getätigt hat: „Die Geburtsstätte des Nationalsozialismus ist nicht München, sondern Versailles.“ – Erst einmal das in Ihr kümmerliches geschichtspolitisches Buch geschrieben.

(Lachen bei der CDU und der PDS)

Ich möchte jetzt noch konkret einige Richtigstellungen zur britisch-deutschen militärischen Auseinandersetzung vornehmen.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Da muss man einige Hinweise anbringen, die Ihnen nicht bekannt sind. Ich erinnere daran, dass zum Beispiel vor drei Wochen in der „Welt am Sonntag“, bekanntermaßen kein „rechtsextremistisches“ Kampfblatt, sondern ein hochauflagiges, wohlanständiges bürgerliches Blatt, zu den Hintergründen der Bombardierung Dresdens mitgeteilt wurde, dass die britischen Pläne für einen strategischen Bombenkrieg gegen deutsche Städte und gegen die deutsche Zivilbevölkerung auf eine britische Schrift aus dem Jahre 1916 zurückgehen, die von dem britischen Regierungsberater Ingenieur Frederick Lancaster entwickelt wurden.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Ihre Redezeit geht zu Ende. Kommen Sie zum Schluss, noch einen Satz.

Dann werde ich angesichts der ablaufenden Redezeit nur noch den Hinweis anbringen – wie gesagt, ich zitiere die „Welt am Sonntag“ –: Die Schrift von Frederick Lancaster plante lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten die Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung. Dieser britische Ingenieur hat den Bombern, die Dresden in Schutt und Asche legten, den Namen gegeben, die LancasterBomber. – Belegt in einer britischen Schrift aus dem Jahre 1916. Lesen Sie bitte dazu die „Welt am Sonntag“.

(Beifall bei der NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Eine Schande für Deutschland!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gab eine Irritation. Ich habe nach dem Schlusswort gefragt. Dem wurde zugestimmt, dass es das sei. Demzufolge ist die Redezeit beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag in der Drucksache 4/0473. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, erhebe jetzt seine Hand. Hier haben wir die ominöse Zahl 12. Die Gegenstimmen! – Wie ich sehe, die übrigen anwesenden Mitglieder des Hauses. Stimmenthaltungen? – Keine. Also haben die demokratischen Parteien des Hauses diesen Antrag abgelehnt.

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Sie sollten neutral bleiben, Herr Präsident!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit ist dieser Tagesordnungspunkt beendet.

Die Tagesordnung ist abgearbeitet. Das Präsidium hat den Termin für die 11. Sitzung auf Mittwoch, den 9. März 2005, festgelegt. Die Einladung und die Tagesordnung gehen Ihnen zu. Die 10. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages ist somit geschlossen.