Protocol of the Session on August 26, 2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Plenarsitzung des saarländischen Landtages. Es ist die erste Sitzung nach der parlamentarischen Sommerpause und gleichzeitig die 40. Sitzung der laufenden Legislaturperiode. Wir kommen zum dritten Mal in der Congresshalle zusammen, um den durch die Corona-Pandemie bedingten besonderen Umständen Rechnung zu tragen.

Ab heute Mittag 16.00 Uhr ist Herr Minister Reinhold Jost entschuldigt, weil er an der Agrarministerkonferenz teilnimmt.

Im Einvernehmen mit dem Erweiterten Präsidium habe ich unsere heutige Plenarsitzung einberufen und die Ihnen bisher vorliegende Tagesordnung festgesetzt.

Herr Ministerpräsident Tobias Hans hat mit Schreiben vom 21. August 2020 mitgeteilt, dass die Ministerin für Bildung, Kultur und Medien, Frau Christine Streichert-Clivot, beabsichtigt, vor Eintritt in die Tagesordnung der heutigen Landtagssitzung eine Regierungserklärung abzugeben. Das Thema lautet:

„Start in das neue Schul- und Kita-Jahr 2020“

Ich erteile nun Frau Ministerin Christine StreichertClivot das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe anwesende Gäste! Als ich am 18. September 2019 als Ministerin meinen Eid auf die Verfassung dieses Landes geschworen habe, trug mich der Gedanke, die Bildungsgerechtigkeit in unserem Land voranzubringen, Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt meines Handelns zu stellen. Der Gedanke an eine flächendeckende Schließung der Schulen und Kitas in einer Pandemie war es ganz sicher nicht.

In der Nacht auf Freitag, den 13. März dieses Jahres, haben wir in der Landesregierung die Schließung der Kitas und Schulen im Land beschlossen. Diesen Schritt sind wir nicht alleine gegangen, sondern eng abgestimmt mit Bund und Ländern.

Es war und ist unsere gemeinsame Aufgabe in der Landesregierung, die richtigen Antworten auf eine Bedrohung zu finden und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Epidemie einzudämmen, ihren Verlauf abzuschwächen und die Folgen zu minimieren. Diese Ziele haben wir bislang erreicht und diese Ziele haben nach wie vor Gültigkeit.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Worum es ausdrücklich nicht geht und niemals gehen kann: Jede einzelne Infektion mit dem Coronavirus zu verhindern. Es geht um die Entlastung unseres Gesundheitssystems.

Hinter uns allen liegen außergewöhnliche und sehr herausfordernde Monate. An der Vorbereitung des Wiedereinstiegs unserer Kitas und Schulen in den Regelbetrieb haben wir gemeinsam mit der Gesundheitsseite, den Schul- und Kitaträgern und unseren Partnern in Bund und Ländern lange und intensiv

gearbeitet. In diesem Monat konnten unsere Kitas und Schulen endlich wieder in den Regelbetrieb starten. Es ist ein Regelbetrieb unter Pandemie-Bedingungen, der für unsere Gesellschaft eine herausragende Bedeutung hat. Für die Bewältigung dieser Pandemie gab und gibt es kein Drehbuch. Worum es geht - und das ist die Stärke unserer Demokratie - ist verantwortungsvolles Handeln, nach bestem Wissen und Gewissen, abgestimmt und unter breitestmöglicher Beteiligung im Rahmen unserer Verfassung.

Als Bildungsministerin stehe ich in direkter Verantwortung für die jungen Menschen im Land, für rund 120.000 Schülerinnen und Schüler und 35.000 Kinder in unseren Kitas. Das Recht auf Bildung unserer Kinder und Jugendlichen können wir am Ende aber nur gemeinsam umsetzen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen, kann uns als Gesellschaft nur gemeinsam gelingen. Das ist die oberste Leitlinie meines Handelns in der Landesregierung.

Unsere hochengagierten Lehrkräfte, pädagogischen Fachkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, Sprachförderlehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher leisten jeden Tag ihren Beitrag, damit das Recht auf Bildung und das Versprechen bestmöglicher Förderung und Betreuung eingelöst wird. All jenen, die vor Corona, während der Schließung von Bildungseinrichtungen und jetzt, wo wir wieder in einem Regelbetrieb arbeiten können, ihr Bestes geben, gilt der Dank dieser Landesregierung und meine ganz persönliche Hochachtung.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Unmittelbar nach dem Beschluss zur Schließung der Kitas und Schulen haben wir schnell die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Mit dem kurzfristigen Aufbau einer Notbetreuung an Kitas und Schulen und ihrer schrittweisen Ausweitung konnten wir Betreuungsbedarfe in Familien auffangen und so auch einen Beitrag dazu leisten, dass wichtige Bereiche unserer arbeitsteiligen Gesellschaft weiter funktionieren.

Die nach wie vor sehr dynamische Entwicklung der Corona-Pandemie erfordert es, das Infektionsgeschehen weiterhin lokal, regional und landesweit sensibel zu beobachten und zu behandeln. Jedem neuen Ausbruchs- und Infektionsgeschehen muss, zusammen mit den kommunalen Entscheidungsträgern und den lokalen Gesundheitsämtern, konsequent begegnet und es müssen die erforderlichen Maßnahmen nach den landesrechtlichen Vorgaben ergriffen werden.

Die Pandemie betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche. Damit die zuständigen Gesundheitsämter auf Fälle in Schulen oder ihrem Umfeld angemessen reagieren können, haben wir innerhalb der KMK einen

(Präsident Toscani)

Rahmen für Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen erarbeitet.

Auch die verbindlichen und wissenschaftlich fundierten Vorgaben unseres Musterhygieneplans haben wir mit dem Gesundheitsministerium, den Virologinnen und Virologen des Universitätsklinikums, den Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten, Personal-, Eltern- und SchülerInnenvertretungen sowie den Gewerkschaften intensiv beraten. Als Landesregierung haben wir uns, analog zu 14 weiteren Bundesländern, ganz bewusst darauf verständigt, von einer Maskenpflicht im Unterricht abzusehen. Durch die Mund-Nasen-Bedeckungen entstehen Kommunikationsbarrieren, die insbesondere aus pädagogischer Perspektive wenig lernförderlich sind.

Es geht vor allem um das Zusammenspiel von Mimik und Gestik, das für eine lernförderliche Atmosphäre so wichtig und entscheidend ist. Insofern unterscheiden sich Schule und Unterricht beispielsweise vom Einkaufen oder anderen Situationen, in denen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung keine relevanten Beeinträchtigungen mit sich bringt. In Fluren, Gängen und beim Pausenverkauf, also dort, wo sich Gruppen durchmischen, besteht eine explizite Verpflichtung zum Tragen einer Mund-NasenBedeckung. Mit diesen Maßnahmen ermöglichen wir die Durchführung eines Unterrichts im Klassenverband. Freiwillig können Mund-Nasen-Bedeckungen jederzeit und überall getragen werden.

Zusätzlich haben wir eine Teststrategie als Rahmen entwickelt, um mehr Sicherheit für die Beschäftigten zu schaffen. Das Kabinett hat, auf meinen Vorschlag hin, vergangene Woche das Testkonzept der Landesregierung auf alle Beschäftigten in Schule und Kita ausgeweitet. Mit diesem Beschluss haben Erzieherinnen und Erzieher in Kitas, das Personal an Freiwilligen Ganztagsschulen, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter oder auch Verwaltungsangestellte Anspruch darauf, sich auf Kosten des Landes testen zu lassen. Angesichts der aktuell steigenden Infektionszahlen geben wir so allen Beteiligten mehr Sicherheit.

Mehr Sicherheit erreichen wir auch mit individuellen Schutzangeboten für Personen mit einem erhöhten persönlichen Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf aufseiten der Schülerinnen und Schüler und selbstverständlich auch aufseiten der Lehrkräfte. Diejenigen Lehrkräfte, die medizinisch festgestellt als besonders schutzbedürftig gelten, werden mit einer persönlichen Schutzausrüstung ausgestattet und erhalten auf Wunsch eine individuelle Beratung vom zuständigen Arbeitsmedizinischen Dienst. Lehrkräfte, die trotz dieser Unterstützung nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden können, unterstützen den Unterricht digital. Auf diese Weise können wir unsere Beschäftigten schützen und gleichzeitig das Lernen in der Schule sicherstellen.

Mit den Regelungen und Verfahren, die wir haben, kann der Schul- und Kita-Regelbetrieb unter Pandemie-Bedingungen auch weiterhin gelingen. Was aber wirklich wichtig ist - und das kann ich nicht oft genug betonen ‑, ist, dass sich alle an die CoronaRegeln halten, gerade auch außerhalb unserer Bildungseinrichtungen: Im Freundeskreis, in der Familie, in der Öffentlichkeit und im Urlaub.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Es geht um nicht weniger als darum, die Funktionsfähigkeit unserer Bildungseinrichtungen aufrechtzuerhalten und das Recht auf Bildung umzusetzen. Und es geht es um gesamtgesellschaftliche Solidarität: Regeln müssen eingehalten werden, es gibt Rechte und Pflichten. Schulen und Kitas - und damit Kinder, Jugendliche und die Beschäftigten - sind nicht der Spielball für individuelle und egoistische Selbstverwirklichung in Zeiten der Pandemie.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wir alle können mit unserem persönlichen Verhalten dazu beitragen, dass der Regelbetrieb an unseren Schulen und Kitas funktioniert - oder eben nicht.

Ich werde nicht müde, es immer wieder zu betonen: Unsere Kinder und Jugendlichen haben vor allem ein Recht auf Bildung, auch - und gerade - in Pandemiezeiten. Das Recht auf Bildung ist eine der wichtigsten Errungenschaften unserer modernen Gesellschaft. Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen, für die wir alle das Beste wollen. Sie sind die Zukunft unseres Landes und die Generation, die unser Land von morgen gestalten wird.

Schule und Kita sind Orte des Miteinanders und der sozialen Interaktion. Deshalb müssen wir Schließungen oder Teilschließungen, soweit es verantwortbar ist, verhindern und erforderliche einschränkende Maßnahmen auf möglichst abgrenzbare Kontaktgruppen begrenzen.

Der persönliche Kontakt der Kinder und Jugendlichen untereinander und mit den Pädagoginnen und Pädagogen ist insbesondere in den ersten Jahren frühkindlicher und schulischer Sozialisationsprozesse besonders wichtig.

Die Frage, wie wir unter Corona-Bedingungen die Belange von Kindern und Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Förderbedarfen berücksichtigen können, haben wir im Saarland von Beginn der Kita- und Schulschließungen an bedacht. Dabei haben wir nicht nur im medizinischen Sinne vulnerable Kinder und Jugendliche in den Blick genommen, sondern insbesondere auch diejenigen, die nicht ohne weitere Unterstützung von den Angeboten für das Lernen von zu Hause profitieren konnten und können.

Was wir brauchen, ist ein bestmögliches Lernangebot bei größtmöglichem Gesundheitsschutz. Klar ist,

(Ministerin Streichert-Clivot)

dass wir dabei nicht jedes Risiko ausschließen können. Der Preis, den unsere Kinder und Jugendlichen und damit wir als Gesellschaft dafür zu zahlen hätten, wäre schlicht zu hoch.

Im Saarland sind wir auf einem guten Weg, den wir weitergehen wollen. In kaum einem anderen Bundesland hängt der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen so wenig vom sozialen Hintergrund ab wie hier im Saarland. Das bekommen wir regelmäßig wissenschaftlich bestätigt.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass im Saarland das zählt, was unsere Kinder in ihren Köpfen haben, und nicht, wie dick der Geldbeutel ihrer Eltern ist - das habe ich vor der Pandemie getan, das tue ich in der Pandemie und das werde ich mit ganzer Kraft auch nach der Pandemie tun.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Viele Eltern standen seit März dieses Jahrs plötzlich vor der Situation, die Betreuung ihrer Kinder selbst stemmen zu müssen, parallel zum Homeoffice, mit der vorzeitigen Inanspruchnahme von Jahres- und auch unbezahltem Urlaub oder mit sonstigen provisorischen, mitunter beschwerlichen Lösungen. Die Belastungen in den Familien waren immens und häufig auch sehr ungleich zwischen Frauen und Männern verteilt. Meist ging es nicht um Entschleunigung, sondern um individuelle Krisenbewältigung, die von unsicheren Zukunftsperspektiven geprägt war. Nicht wenige Familien befinden sich weiterhin in einer schwierigen Situation. Umso wichtiger ist es mir, über die Institutionen Kita und Schule Verlässlichkeit und Sicherheit zu schaffen.

Frauen und Männer müssen Familie und Beruf vereinbaren können. Dazu leisten unsere Bildungseinrichtungen, vor allem mit ihren Ganztagsangeboten, einen unermesslichen Beitrag. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hängt somit unmittelbar mit der Gleichstellung von Frauen und Männern zusammen. Ohne Kitas, ohne Schulen ist Gleichstellung nicht denkbar.

(Beifall von den Regierungsfraktionen. - Ein lau- tes Handyklingeln ist zu hören.)

Nehmen wir das Klingeln einmal als besondere Betonung dieser Passage!

(Heiterkeit.)

Das Recht auf Bildung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Gleichstellung von Frauen und Männern können wir ohne unsere Bildungseinrichtungen nicht oder nur sehr eingeschränkt umsetzen. Das haben wir in den vergangenen Monaten sehr deutlich gesehen. Die Corona-Krise darf auch an dieser Stelle nicht zu einem Rollback in alte Rollenverteilungen führen, der insbesondere Frauen und Alleinerziehende trifft.

Die Corona-Krise trifft uns alle. Sie trifft uns aber nicht alle gleich. Die Voraussetzungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien sind sehr unterschiedlich. Schule hat den gesetzlichen Auftrag, sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten sowie unabhängig von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft grundsätzlich gleichberechtigt, ungehindert und barrierefrei an den Angeboten des Bildungssystems teilhaben können. Deshalb führte am Wiedereinstieg in den Regelbetrieb von Kita und Schule kein Weg vorbei. Das war und ist der konsequent richtige Weg. Und deshalb werden wir diesen Weg weitergehen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

In den Kitas haben wir mit einer erweiterten Notbetreuung begonnen, die in einen eingeschränkten Regelbetrieb mündete. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, dass Eltern, die sich durch die CoronaKrise mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert sahen, ohne Bedürftigkeitsprüfung von Beiträgen für Kitas und die Freiwillige Ganztagsbetreuung befreit werden konnten. Gute Bildung als wichtigste Voraussetzung für einen gelungenen Übergang in den Beruf und in ein selbstbestimmtes Leben kann nur gelingen, wenn sie für alle zugänglich ist.

In den Schulen haben wir den Wiedereinstieg in den Schulbetrieb unter Pandemie-Bedingungen - mit Wechsel zwischen Präsenzunterricht und dem Lernen von zu Hause - erfolgreich realisiert und dafür gesorgt, dass allen Schülerinnen und Schülern eine gute Vorbereitung auf ihre Abitur- und Abschlussprüfungen möglich gewesen ist. Von Anfang an war für mich handlungsleitend, dass dem saarländischen Abitur kein Makel eines „Corona-Abiturs“ anhaftet. Ich sehe mich in meiner Überzeugung bestätigt, dass ein „Durchschnittsabitur“ nachteilig für die saarländischen Schülerinnen und Schüler gewesen wäre. Die guten Ergebnisse der diesjährigen Abiturprüfungen bestätigen, dass es richtig war, die Abiturprüfungen so durchzuführen, wie wir es getan haben.