Protocol of the Session on November 14, 2012

Ich nenne mal ein Beispiel. Ich habe mich bei der Vorbereitung der heutigen Rede daran erinnert, dass ich an einer vom Flüchtlingsrat veranstalteten Podiumsdiskussion teilgenommen habe. Da wurde mir die Frage gestellt, ob Günter Becker gerne in der Landesaufnahmestelle Lebach wohnen würde. Günter Becker hat geantwortet: Nein, er wohnt in einem sehr schönen Haus, das er mit seiner Frau 25 Jahre lang abbezahlt hat. Es gehört jetzt ihm und nicht mehr der Bank, und er ist froh, dass er dort wohnt. Würde der Günter Becker aber in einem Land wohnen, in dem er täglich Angst haben müsste, dass irgendjemand sein Haus in die Luft sprengt, dass nachts die Tür eingetreten wird, dass Milizen reinkommen, seine Frau vergewaltigt wird, Kinder erschossen werden, ich selbst erschossen werde, wäre der Günter froh und dankbar, wenn er nach Lebach kommen und dort in Ruhe und Frieden mit seiner Familie leben könnte.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Genau das ist es. Ich wiederhole es. Wer an Leib und Leben bedroht ist, wird letztendlich froh sein, dass er in Lebach eine sichere Bleibe gefunden hat. Die echten Asylanten beschweren sich mit Sicherheit nicht bei uns, meine Damen und Herren. Die allermeisten Asylantragsteller geben zwar die Bedrohung als Einreisegrund an; tatsächlich kommen sie aber, weil sie sich in Deutschland ein besseres Leben erhoffen. Das ist menschlich verständlich. Hinter jedem Menschen verbirgt sich ein besonderes Schicksal, das niemand verkennt. Wer verlässt schon freiwillig seine Heimat.

Aber wir haben nun einmal Regeln, wie und unter welchen Voraussetzungen jemand in Deutschland bleiben kann. Diese Regeln sollten wir nicht außer Acht lassen. Schließlich haben wir die Verantwor

(Abg. Becker (CDU) )

tung gegenüber den Menschen in Deutschland. Wir stellen uns dieser Verantwortung. Es ist eine Verantwortung gegenüber denen, die das alles bezahlen müssen. Wir müssen aufpassen, dass die Akzeptanz der hier lebenden Menschen für die Zuwanderer erhalten bleibt. Ohne die hier lebenden Menschen wird eine Integration sehr schwierig werden. Wer Hilfe braucht, soll sie ohne Wenn und Aber erhalten. Wer die Voraussetzungen zur Hilfe nicht erfüllt, muss das Land am Ende verlassen.

Ich fasse zusammen. In Lebach wohnen derzeit rund 1.000 Menschen. Davon befinden sich 500 im Asylverfahren, wovon rund 180 - ich habe es eben erwähnt - aus Serbien und Mazedonien im Bustourismus kommen. Sie steigen aus dem Bus und schreien „Asyl!“, werden aber schnellstmöglich wieder zurückgeschickt. Das heißt, 320 sind echte Verfahren. Ich gehe von einer hohen Anerkennungsquote von rund 10 Prozent aus. Das bedeutet, dass es 32 Personen sind, über deren Asylantrag positiv entschieden wird. Für die restlichen 290 Personen, die keine Anerkennung finden, weil ihre Angaben nicht ausreichen oder nicht rechtens sind, mache ich mich hier nicht zum Sprachrohr.

Von den restlichen 500 Personen, die in Lebach verbleiben, können 150 die Landesaufnahmestelle sofort verlassen und sich eine andere Wohnung suchen, was wünschenswert wäre. Sie gehen aber trotz mehrfacher Aufforderung nicht freiwillig. Sie bleiben dort - warum auch immer -, wahrscheinlich, weil es in Lebach ja so schlecht ist. Über die 150 Personen - entsprechend 30 Prozent der Dauerbewohner -, die überhaupt nicht weg wollen, berichten die Medien leider nicht. Die werden nicht vom Flüchtlingsrat fotografiert; die Bilder werden anschließend auch nicht der Presse übergeben. Ich bedauere das. Die restlichen 350 Personen sind überwiegend Menschen, die ausreisepflichtig sind, die aber nicht freiwillig das Land verlassen. Sie können auch nicht abgeschoben werden, weil sogenannte Abschiebehindernisse vorliegen. Vielfach scheitert eine Abschiebung daran, dass keine Ausweispapiere vorgelegt werden - warum auch immer.

Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Die Landesaufnahmestelle Lebach und die dort lebenden Menschen haben ganz viele Fassetten und nicht nur die, die Frau Peter beschrieben hat. Wo Menschen zusammen leben, sind immer wieder Veränderungen an der Tagesordnung. Seit Jahren bemühen wir uns im Rahmen unserer rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten, Verbesserungen für die dort lebenden Menschen zu erreichen. Auch der jetzige Koalitionsvertrag stellt einiges in Lebach auf den Prüfstand. Wo in Zukunft Verbesserungen und Erleichterungen möglich sind, werden wir dies unterstützen. Einer Aufhebung der Residenzpflicht während des laufenden Asylverfahrens - wie im Antrag der Oppo

sition vorgesehen - werden wir die Zustimmung allerdings verweigern. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Heike Kugler.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Asylsuchende und auch Geduldete sowie subsidiär Schutzbedürftige mit einem humanitären Bleiberecht werden in der Bundesrepublik Deutschland erheblich in ihren Möglichkeiten beschränkt, sich frei zu bewegen beziehungsweise ihren Wohnsitz selbst zu bestimmen. Menschen, die vor undemokratischen Regimes und Diktaturen geflohen sind vor Diktaturen, deren Repertoire der Unterdrückungsinstrumente immer auch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit beinhaltet -,

(Abg. Theis (CDU) : Wollen Sie das miteinander vergleichen?)

sehen sich in Deutschland erneut mit einer menschenrechtswidrigen Verletzung ihrer Selbstbestimmung konfrontiert.

(Beifall bei der LINKEN.)

Hierbei müssen wir ein bisschen sensibler agieren, wie wir mit Menschen, die einen Asylantrag stellen, umgehen. Das Recht auf Freizügigkeit ist ein verdammt hohes Gut.

(Zurufe der Abgeordneten Becker (CDU) und Schmitt (CDU).)

Es ist unabdingbar, um das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu verwirklichen.

(Weitere Zurufe von der CDU.)

Herr Schmitt, wenn Sie eine Frage haben, gehen Sie bitte ans Mikrofon!

(Abg. Linsler (DIE LINKE) : Die Partei DIE LINKE hat gar nichts abgeschafft! Dummes Zeug! - Unruhe und lautes Sprechen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte, der Rednerin zuzuhören. - Das Wort hat Frau Kollegin Heike Kugler.

Die Betätigung in Vereinen und Verbänden, die Vereinigung zu kulturellen und politischen Zwecken und die aktive Beteiligung an der Zivilgesellschaft kommen ohne Bewegungsfreiheit nicht aus. Wer Menschen diese fundamentalen Rechte nimmt, der will ihren Ausschluss aus der Gesellschaft, der will den

(Abg. Becker (CDU) )

Betroffenen und der Gesellschaft klarmachen, dass sie derart ausgegrenzt nicht dazugehören und nicht gleichberechtigt sind.

Gerade in einem kleinen Bundesland wie dem Saarland sind Asylsuchende im Alltag von den Beschränkungen der Bewegungsfreiheit erheblich betroffen. So befindet sich das nächste Krankenhaus oftmals nicht im eigenen Bundesland, sondern im Nachbarbundesland. Unter Umständen sind Arztbesuche im Nachbarbundesland einfacher und schneller zu erledigen als im eigenen Bundesland.

(Sprechen und Unruhe.)

Werfen Sie einen Blick auf andere Bundesländer und schauen Sie einmal, wie es dort zugeht, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Am 15.07.2010 beschloss der Landtag von Nordrhein-Westfalen auf Antrag der Fraktion DIE LINKE, sich für die Abschaffung der Residenzpflicht für Flüchtlinge und Geduldete einzusetzen und diese Regelung in NordrheinWestfalen weitgehend zu lockern. Mit Erlassen des Innenministers von September und Dezember 2010 wurde diese Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge aus Nordrhein-Westfalen auf das gesamte Bundesland ausgedehnt.

(Zuruf.)

Herr Becker, schauen Sie bitte einmal nach! Informieren Sie sich richtig!

(Beifall bei der LINKEN. - Lautes Sprechen.)

Doch, geduldete Flüchtlinge sind weiterhin in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Das kann man so nicht hinnehmen!

(Beifall bei der LINKEN. - Abg. Becker (CDU) : Im ganzen Saarland haben sie Bewegungsfreiheit! Was wollen Sie denn? Genau wie in NordrheinWestfalen. Im ganzen Land haben die Bewegungsfreiheit.)

Die können aber über Nordrhein-Westfalen hinaus reisen!

(Weitere Zurufe von der CDU.)

Es gab Anfragen der Fraktion, wo es um die Konsequenzen ging, welche Auswirkungen das Ganze im eigenen Bundesland hatte. Im Ergebnis waren im Prinzip keinerlei negative Auswirkungen festzustellen. Es konnte hier überhaupt nichts zu Papier gebracht werden. Von daher fragt man sich, was das Ganze soll, wenn man die Leute noch nicht einmal zu einem Arzt über die Grenze reisen lässt.

Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für einen Gesetzentwurf zur ersatzlosen Streichung der sogenannten Residenzpflicht für Asylsuchende und der Streichung von Beschränkungen des Aufenthalts von Geduldeten beziehungsweise Ausreisepflichtigen auf das ihnen zugewiese

ne Bundesland und der wohnsitzbeschränkenden Auflagen für subsidiär Schutzberechtigte und andere aus humanitären Gründen Bleibeberechtigten einzusetzen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN.)

Das Wort für die Fraktion DIE PIRATEN hat Herr Fraktionsvorsitzender Michael Hilberer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Problematik der Residenzpflicht wurde uns noch einmal eindrücklich vor Augen geführt mit dem Protest der Flüchtlinge in jüngster Zeit, mit den Flüchtlingsprotestmärschen und abschließend auch mit den großen Kundgebungen und dem Hungerstreik in Berlin. Die Berliner Bezirksverwaltung hat dabei eine sehr schlechte Figur gemacht; sie hat die Lage eskalieren lassen. Aber das Gute daran ist: Die Ereignisse haben uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, was wirklich im Argen liegt.

Im Jahr 2011 kamen 45.741 Menschen nach Deutschland und beantragten Asyl. Jetzt ist die Frage, wie wir das Ganze als eine freiheitliche und offene Gesellschaft betrachten. Ich sehe darin ein Potenzial von fast 50.000 Menschen, die zu uns kommen und unsere Gesellschaft kulturell und auch sozial bereichern - wenn man sie denn lässt und wenn man sie integriert.

(Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN.)

Von den 45.741 Menschen, die 2011 zu uns kamen, kamen 7.767 aus Afghanistan. Sie bilden damit die größte Einzelgruppe. In Afghanistan herrscht Krieg. Ich denke, daran muss ich Sie nicht erinnern. Dort führen auch wir einen Krieg um unsere Sicherheitsinteressen, und es besteht für uns eine besondere Verpflichtung, den Menschen aus diesem Land Zuflucht zu gewähren.

(Beifall bei den PIRATEN, bei der LINKEN und bei B 90/GRÜNE.)

Kriegsflüchtlinge teilen ein besonders hartes Schicksal. Sie sind ganz eindeutig Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, und nach dieser Konvention müssen wir ihnen Freizügigkeit gewähren.

(Beifall bei den PIRATEN, bei der LINKEN und bei B 90/GRÜNE.)

Diese Woche wurde eine erschreckende Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht, die sich mit Rechtsradikalismus in Deutschland beschäftigt und noch einmal aufgezeigt hat, dass bei bis zu 10 Prozent unserer Mitbürger ein rechtsradikales Gedankengut herrscht, was nicht unbedingt direkt zu politischer Aktion, jedoch zu einer Beurteilung ihrer eige

(Abg. Kugler (DIE LINKE) )

nen Lage und der Lage unseres Landes im Sinne dieses Gedankenguts führt. Dieser Geist, der hinter solchen Einstellungen steckt, atmet auch in Gesetzen, die die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen einschränken. Deshalb müssen wir die Einschränkung dieser Bewegungsfreiheit, also im vorliegenden Fall die Residenzpflicht, abschaffen und damit auch ein Zeichen dafür setzen, dass wir in Deutschland Flüchtlinge als Gäste und nicht als Menschen zweiter Klasse sehen.