Protocol of the Session on September 19, 2012

Mindestquoten, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das vielleicht auch als Anmerkung zum Gesetzentwurf der PIRATEN, haben zwar einen bestimmten gesetzgeberischen und verfassungsgesetzgeberischen Spielraum. Die herrschende Meinung in der verfassungsrechtlichen Literatur, der ich mich anschließen möchte, ist allerdings, dass Volksgesetzgebung ohne jegliche Mindestbeteiligung, wie

Sie das vorschlagen, einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip und damit auch gegen das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes darstellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um zur von uns vorgeschlagenen Verfassungsänderung zurückzukommen: Die grundsätzliche Möglichkeit der Änderung der Verfassung des Saarlandes schaffen wir in Art. 101 Abs. 1 (neu). Ausgenommen hiervon bleiben jedoch auch künftig die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren in den Artikeln 98 ff. der Verfassung des Saarlandes. Ich meine, gerade in dieser Vorschrift kommt die Tradition der Betonung des repräsentativ-demokratischen Charakters unserer Verfassung weiterhin zum Ausdruck. Damit werden sowohl die Rechte der parlamentarischen Minderheit im Rahmen der Gesetzgebung gegen plebiszitäre Eingriffe geschützt als auch die Stabilität der demokratischen Verfasstheit unseres Landes bewahrt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die heutige Verfassungsänderung beendet eine in unserem Land lang geführte Diskussion. Sie erweitert die Möglichkeiten plebiszitärer Entscheidungen. Sie erleichtert die Verfahren, ohne jedoch Abstriche hinsichtlich ihrer Rechtssicherheit in Kauf zu nehmen. Die verfassungsrechtliche Literatur sagt, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident: Parlamentsgesetze und Volksgesetze sind in ihrer Rechtsnatur gleich. Doch die beiden Wege haben eine unterschiedliche Bedeutung. Der parlamentarische Weg bildet die Regel, der plebiszitäre die Ausnahme; der plebiszitäre vermag den parlamentarischen zu ergänzen, nicht aber zu ersetzen. - Diesem Grundgedanken fühlt sich auch unser heutiger Gesetzentwurf verpflichtet.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unter der Verfassung des Saarlandes, deren staatsorganisatorische Grundzüge seit dem 15. Dezember 1947 stabil und unverändert sind, hat sich das Saarland zu einer lebendigen, vielfältigen und modernen Demokratie entwickelt. Wir haben eine Demokratie, in der sich auch heute viele Bürgerinnen und Bürger außerhalb und innerhalb der politischen Parteien zum Wohle ihres Landes und zum Wohl ihrer Mitbürger engagieren. Diese demokratische Grundstruktur hat sich nicht nur bewährt, sondern hat auch einen wesentlichen Anteil daran, dass unser Land heute dieses Niveau an sozialem Zusammenhalt, an Wohlstand und an Lebensqualität erreicht hat. Mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung sorgen wir dafür, dass diese Grundstruktur bewahrt und weiterentwickelt wird. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. - Herzlichen Dank.

(Beifall von den Koalitionsfraktionen.)

(Abg. Theis (CDU) )

Zur Begründung des Gesetzentwurfes der PIRATEN-Landtagsfraktion erteile ich Herrn Abgeordnetem Andreas Augustin das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Theis, ich danke Ihnen insbesondere für die geschichtliche Aufarbeitung. Bevor ich jedoch auf die Entwürfe eingehe, vorab eine Formsache: Sie betrifft weniger uns, da wir selbst einen Antrag eingebracht und uns daher umfassend mit dieser Frage befasst haben. Ich muss aber feststellen, dass bezüglich Ihres Antrages, für den die Einreichungsfrist verlängert wurde, auch die verlängerte Frist nicht eingehalten wurde. Das erachte ich insbesondere gegenüber den anderen Oppositionsfraktionen als unfair. Vereinbart war, dass bis Freitag die Eckpunkte vorliegen sollten, bis Montag der fertige Gesetzentwurf. Mir lag das jeweils zu den entsprechenden Zeiten nicht vor.

Das hat auch dazu geführt - und das ist der Grund, weshalb ich das anspreche -, dass ich mich damit befasst habe, was Sie wohl aufgehalten haben könnte. Immerhin war dieses Thema ja schon Teil der Regierungserklärung, daher sollten Sie vorher etwas vorbereitet haben. In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass bei unserer aktuellen Tagesordnung 70 Prozent der Initiativen, Initiativen im Sinne von Gesetzesinitiativen oder Initiativanträgen, von den 30 Prozent Opposition kommen. Auch insoweit finde ich also nichts, was Sie bei der Aufarbeitung des Themas aufgehalten haben könnte. Ich meine: Das geht besser!

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Nun zum Inhalt. Dass die Hürden zu hoch sind, diesbezüglich sind wir uns einig. Beide Gesetzesentwürfe gehen in die Richtung, diese Hürden zu senken. Bei Ihrer geschichtlichen Aufarbeitung haben Sie meines Erachtens den Teil seit dem letzten Volksentscheid ausgelassen. Man kann festhalten, dass im Saarland immerhin fast zwei komplette Generationen aufgewachsen sind, ohne einen Volksentscheid zu erleben. Wenn ich vor zehn Jahren um meine Unterschrift für ein Bürgerbegehren, einen Volksentscheid gebeten worden wäre, hätte ich gesagt: Moment, das gibt es doch nur in der Schweiz. Mir war vor zehn Jahren nicht bewusst, dass so etwas theoretisch überhaupt möglich ist. Gerade deshalb ist es mir persönlich wichtig, die Hürden so weit zu senken, dass Bürgerentscheide auch in einer Umgebung herbeigeführt werden können, in der man nicht gewohnt ist, überhaupt welche herbeizuführen.

Das eigentliche Problem bei dem Thema ist, dass es sehr viele Aspekte hat; der Kollege Theis hat diese

bereits angesprochen. Beim Volksantrag sind beide Entwürfe identisch, ich brauche nicht weiter darauf einzugehen. Der Punkt, den ich für den wichtigsten halte, ist die Frage, ob Amtseintragung oder freie Unterschriftensammlung notwendig ist. Wir kennen etwas Vergleichbares bei Parteien, die weder in einem Landtag noch im Bundestag eine Fraktion stellen. Sie müssen Unterstützungsunterschriften sammeln zur Teilnahme an der Landtagswahl, eine ähnliche Regelung gibt es für den Bundestag. Ich hatte sowohl für die letzte Bundestagswahl als auch für diese Landtagswahl Unterstützungsunterschriften gesammelt. Diese werden frei eingeholt, müssen aber vom Bürgeramt bestätigt werden, weil nur Unterschriften von gemeldeten Stimmberechtigten gelten. Es reicht also nicht, mit einer langen Liste von Unterschriften zur Landeswahlleiterin zu gehen, sondern das jeweils zuständige Bürgeramt muss bestätigen, dass die Personen gemeldet und bei der betreffenden Wahl wahlberechtigt sind. Man hat bei der freien Sammlung die Möglichkeit der Rechtssicherheit. Dass das Ganze im Innenministerium noch einmal kontrolliert wird, ist nur eine zusätzliche Sicherheit. In diesem Sinne können wir freie Sammlungen erlauben. Wir gehen noch einen Schritt weiter und fordern Stichproben. Man kann Stichproben natürlich machen, indem man 100 Prozent kontrolliert, man kann auch 25 Prozent oder einzelne Stichproben vorschlagen.

(Heiterkeit und Sprechen.)

Es geht auch um die Frage, wie viele Unterschriften insgesamt geleistet werden. Ich weiß zum Beispiel von Klausuren an der Uni, bei denen es nur darum geht, ob bestanden oder nicht bestanden wird. Da hört man auf zu korrigieren, sobald die Klausur bestanden ist, weil es unwichtig ist, ob 100 oder 50 Prozent der Punkte erreicht werden. Sobald 50 Prozent der Punkte erreicht sind, schaut man sich den Rest nicht mehr an. So ähnlich kann man das mit Stichproben machen: Wenn 20.000 Unterschriften vorliegen, kann ich bei 5.000 bestätigten Unterschriften die Überprüfung beenden.

Ein anderer Punkt ist die Frage, ob man die Anzahl der zu sammelnden Unterschriften auf 5 Prozent oder 7 Prozent senkt. Im Vergleich zur jetzigen Regelung entspricht das rund einem Drittel beziehungsweise einem Viertel dessen, was man bisher sammeln muss. Ich könnte mit 7 Prozent leben, wenn man frei sammeln kann. Bei 5 Prozent wäre eine Amtseintragung für mich noch akzeptabel, aber die Kombination aus 7 Prozent und Amtseintragung halte ich für nicht tragbar.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Ein anderer Aspekt ist die Zeit, die man zum Sammeln hat. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es überhaupt keine Frist, man kann zwei, drei oder mehr

Jahre sammeln. Das halte ich persönlich für falsch, denn ansonsten hat man am Schluss 17 verschiedene Verfahren, von denen man nicht weiß, ob sie zu einem Ende kommen oder nicht; theoretisch laufen sie unbegrenzt. Derjenige, der die Aktion gestartet hat, hat vielleicht schon resigniert, aber es gibt keine Rechtsgrundlage, den Antrag zurückzunehmen. Damit man weniger Bürokratie hat, muss man schon eine Grenze setzen. Von mir aus wären zwei Jahre durchaus legitim; ich denke, nach einem halben Jahr passiert nichts mehr. Die aktuelle Frist von zwei Wochen ist für mich völlig indiskutabel.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Im Entwurf der Koalition steht drei Monate, in unserem sechs Monate, länger als sechs Monate wäre auch denkbar. Ich halte sechs Monate für sinnvoll, halte aber diesen Punkt nicht für wirklich wichtig in dieser Debatte. Es muss auf jeden Fall mehr Zeit eingeräumt werden als jetzt.

Ich möchte noch etwas zu der Quorenregelung sagen. Wir haben in unserem Entwurf keine Quorenregelungen festgelegt, weil man schon entsprechende Quoren hat, um den Antrag überhaupt einzuleiten. In den anderen Ländern, in denen es Volksentscheide gab, lag die durchschnittliche Beteiligung bei 40 Prozent. Zum Vergleich: Bei unserer Landtagswahl hatten wir eine Wahlbeteiligung von knapp 62 Prozent.

(Abg. Schmitt (CDU) : Das ist erschreckend genug!)

Ja, das ist erschreckend genug. Bei Volksbegehren ist die Wahlbeteiligung tendenziell niedriger als bei unseren Wahlen. Deshalb ist die Frage, welche Quoren man festsetzt, wenn man welche festsetzt, durchaus wichtig. Man kann es einerseits an der Wahlbeteiligung festmachen, indem man zum Beispiel eine effektive Wahlbeteiligung von 50 Prozent fordert und auch, dass von denen, die abgestimmt haben, mehr als die Hälfte zugestimmt hat. Oder man fordert, dass eine gewisse Prozentzahl - in Ihrem Entwurf steht zum Beispiel 25 Prozent - zugestimmt haben muss, aber natürlich auch, dass mehr zugestimmt als abgelehnt haben müssen. Das erste Modell macht es verständlicher, damit hat man eine klare Schranke, die überschritten sein muss, bevor überhaupt ausgezählt wird. Das andere Modell macht es kompliziert, weil man in dem Moment, wo 25 Prozent Zustimmung gefordert werden, den Fall haben kann, dass eine Abstimmung mit 30 Prozent Wahlbeteiligung durchgeht, weil alle zugestimmt haben, aber eine andere mit 40 Prozent Wahlbeteiligung nicht durchgeht, weil es eben keine 25 Prozent Zustimmung gegeben hat.

Wir sind uns einig, dass bei einer Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit und bei sonstigen Abstimmungen eine absolute Mehrheit notwendig ist. In Ihrem Gesetzentwurf wird bei dem einen Fall die Va

riante gewählt, 25 Prozent Zustimmung und insgesamt eine Mehrheit, bei dem anderen Fall wird zuerst die Wahlbeteiligung festgelegt und dann die Mehrheit. Man muss Volksgesetzgebung schon so gestalten, dass ein Nichtjurist sie auch verstehen kann!

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Wenn Quoren, dann bitte einheitlich für Verfassung und für sonstige Gesetze.

Hinzu kommt, dass Ihr Entwurf den Aspekt der Enthaltung oder der ungültigen Stimme nahezu vollständig ignoriert. In dem Moment, indem ich eine Zweidrittelmehrheit fordere, fordere ich auch, dass zwei Drittel der sich nicht enthaltenden Stimmen zustimmen, nicht zwei Drittel der abgegebenen gültigen Stimmen. In dem Moment, wo sich jemand enthält oder den Wahlzettel ungültig macht, würde das bei Ihrem Entwurf faktisch als Nein-Stimme gelten. Man braucht also doppelt so viele Ja-Stimmen wie Nein-Stimmen, Enthaltungen und ungültige Stimmen zusammen. Das halte ich nicht für Sinn der Sache. Ich hätte mir eine andere Formulierung gewünscht, wie zum Beispiel: Der Antrag ist angenommen, wenn es doppelt so viele Ja- wie Nein-Stimmen gibt. Das ist für mich eine Zweidrittelmehrheit.

Dann gibt es noch die Vorbehaltsregelung. Momentan können keine Verfassungsänderungen per Volksentscheid herbeigeführt werden. Das wird in beiden Entwürfen gelockert, auch in Ihrem Gesetzentwurf wird dies möglich sein. Der Finanzvorbehalt, der vorher das absolute Totschlagargument war, weil kaum ein Gesetz keine finanziellen Auswirkungen hat, wird gelockert. Das Groteske an der jetzigen Regelung ist, dass ein Volksbegehren sogar dann nicht zulässig wäre, wenn es dem Staat Geld sparen würde. Insofern finde ich es gut, dass das gelockert wird.

(Beifall bei der PIRATEN-Fraktion.)

Sie machen allerdings in Ihrem Entwurf sehr viele Einschränkungen. Ich zitiere aus dem Entwurf: „Über Landeshaushaltsgesetze, Abgaben, Besoldung, Entgelts- und Entschädigungszahlungen sowie Staatsleistungen finden Volksbegehren nicht statt.“ - Bei der Verfassungsregelung gibt es auch noch eine Einschränkung: „Das Gesetz ist durch Volksentscheid beschlossen, wenn ihm die Mehrheit derjenigen, die eine gültige Stimme abgegeben haben, jedoch mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten, zustimmt.“ - Weiter heißt es: „(...) und mindestens zwei Drittel der Abstimmenden dem Gesetzentwurf zustimmen. Ein Volksentscheid über die Änderung der Verfassung hinsichtlich der Vorschriften zum Gesetzgebungsverfahren findet nicht statt.“ Hier wird also auch noch das Gesetzgebungsverfahren ausgenommen. Diese Möglichkeit hat in anderen Ländern dazu geführt, dass vergleichsweise ho

(Abg. Augustin (PIRATEN) )

he Hürden per Volksentscheid herabgesetzt wurden. Das wird hier ausdrücklich verboten.

Aber in der vorherigen Aufzählung geht etwas unter. Ich meine, da hat man durchaus sinnvolle Dinge, denen ich ohne Weiteres zustimmen kann, nämlich Landeshaushaltsgesetze, Abgaben, Besoldung. Dass man ausschließt, dass Beamte ihre eigene Besoldung per Volksentscheid hochsetzen können, finde ich definitiv in Ordnung. Aber in der Aufzählung kommt auch so ganz unscheinbar das Wort „Staatsleistungen“ vor. Das ist ein so unglaublich weites Themenfeld, dass man damit wieder sehr viel ausgrenzt. Staatsleistungen sind ein sehr weites Themenfeld, wenn man das pauschal ausschließt. Es heißt hier: „Über Landeshaushaltsgesetze, Abgaben, Besoldung, Entgelts- und Entschädigungszahlungen sowie Staatsleistungen finden Volksbegehren nicht statt.“

Dann noch zum direkten Vergleich. Wie gesagt, 7 Prozent in drei Monaten finde ich ein gutes Mittelmaß, wenn die freie Sammlung erlaubt wäre. Die Staatsleistung empfinde ich als ein Problem, die Amtseintragung ist ein Riesenproblem. Damit bin ich überhaupt nicht d’ accord. Die Ausnahmen, wie gesagt, da wird jetzt so viel eingeschränkt, es werden die Hürden herabgesetzt. Aber vorher konnte man theoretisch mit hohen Hürden zu manchen Dingen überhaupt Entscheidungen treffen. Jetzt wird es pauschal komplett ausgeschlossen und das auch noch in die Verfassung geschrieben, also nur noch mit Zweidrittelmehrheit wieder zurück änderbar. Das finde ich nicht in Ordnung.

Von daher haben beide Entwürfe Vorteile und Nachteile. Ich plädiere, den besseren anzunehmen und das, was im anderen noch an Vorteilen ist, per Änderungsantrag zu übernehmen. Da unserer die 5 Prozent, die 6 Monate und die freie Sammlung enthält, halte ich ihn für den besseren. Ich würde deshalb den beschließen und gegebenenfalls Quoren übernehmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN und den LINKEN.)

Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat für die SPD-Fraktion Frau Abgeordnete Petra Berg.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab bitte etwas bemerken, Herr Augustin. Die Anzahl der in die Tagesordnung eingebrachten Anträge sagt zum einen überhaupt nichts über die Qualität einer Debatte aus. Zum anderen hat die Regierungskoalition 43,4 Prozent der Anträge der Tagesordnung heute eingebracht. Nur so viel zum Rechnerischen hier.

(Beifall der Abgeordneten Lafontaine (DIE LIN- KE) und Scharf (CDU).)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetz zur Stärkung der Bürgerbeteiligung wird ein langer politischer Diskussionsprozess beendet und ein ganz wesentliches Wahlversprechen eingelöst. Gleichzeitig ist dieses Ende aber auch der Beginn einer Neubelebung der Politik durch direkte Demokratie. Es ist gelungen, eine über viele Jahre hindurch andauernde Blockadehaltung zu durchbrechen. Die Volksgesetzgebung ist ein Grundstein der direkten Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch und einen Bedarf an Partizipation, an Teilhabe. Den heute bestehenden engen Verbindungen von Politik und Gesellschaft müssen direkte Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung zugrunde gelegt werden, um einerseits der stetig wachsenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, andererseits aber auch, um eine öffentliche Diskussion und Beratung zu ermöglichen.

Die direkte Demokratie ist ein ganz wichtiges Mittel, den politischen Wettbewerb in Schwung zu bringen und politische Debatten nachhaltig zu bereichern. Sie lässt den Blick auf Interessen und Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger zu, die sonst vielleicht Gefahr laufen, im politischen Alltag unterzugehen. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben ein großes Interesse an einer aktiven, sich ständig erneuernden Politikkultur, als deren Teil sie sich völlig zu Recht begreifen und deren Verlauf sie nachhaltig beeinflussen wollen. Es ist uns gelungen, diese Möglichkeiten mit dem Gesetz zur Stärkung der Bürgerbeteiligung zu schaffen. Direkte Demokratie wird nicht auf ihren Schutz und als Maßnahme gegen rückläufige Wahlbeteiligungen reduziert - das wäre zu wenig -, sondern vielmehr als Möglichkeit und Anspruch verstanden, die Bedürfnisse der Bevölkerung aufzugreifen, in die politische Arbeit zu integrieren und so weit wie möglich zu befriedigen. Die Glaubwürdigkeit der Politik, meine Damen und Herren, kann hier ihre Renaissance erfahren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wir als politisch Handelnde sehen diesen Prozess, wie er durch diesen Gesetzentwurf in Gang gesetzt wird, als wesentlichen Teil unserer Arbeit und als Stärkung unserer repräsentativen Aufgaben an. Die direkte Demokratie steht im Grundgesetz und in der saarländischen Verfassung gleichrangig neben der repräsentativen Demokratie, kann sie keinesfalls ersetzen und ist sicherlich nicht demokratischer als die repräsentative Demokratie. Das ist im Übrigen ein Unterschied zu dem Entwurf der PIRATEN. Hier wird immer wieder auf einen Missbrauch der politischen Klasse hingewiesen. Das ist nicht so. Direkte und repräsentative Demokratie stärken und ergänzen einander.

(Abg. Augustin (PIRATEN) )

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus einem Beschluss des SPD-Parteivorstandes vom 21.03.2011 zitieren. Hier wird ausdrücklich gesagt: Das Bekenntnis für die direktdemokratische Bürgerbeteiligung ist zugleich ein deutliches Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie.

Der von der Koalition geeinigte Gesetzentwurf enthält weitreichende Verbesserungen. Der Entwurf der PIRATEN-Partei hat sich zweifelsohne auch die Einführung der direkten Demokratie zum Ziel gesetzt. Er enthält jedoch wesentliche handwerkliche Mängel getreu dem Grundsatz „Gut gemeint ist lange nicht gut gemacht“, denn auf der ersten Stufe und verfahrenstechnisch einfachsten Stufe der Volksgesetzgebung, die das Eingangstor zur direkten Demokratie öffnen soll, fordern die PIRATEN bereits einen formal umfassend begründeten Gesetzentwurf, und zwar als Muss, nicht als Kann, und ein ganz umfassendes, kompliziertes Verfahren. Das ist übrigens für Nichtjuristen überhaupt nicht verständlich, Herr Augustin.

Damit wird bereits der Initiative eine Bremse angelegt, wo unser Entwurf ein ganz niedrigschwelliges Angebot vorsieht. Wir sehen allein auf dieser Stufe als Pflicht die Befassungspflicht des Landtages, keine Pflicht der Bürgerinnen und Bürger, irgendetwas einzubringen, sondern eine Befassungspflicht des Landtages und damit ein Kriterium, das allein dem Volksgesetzgeber dient.