Protocol of the Session on September 14, 2016

Beschlussfassung über den von der CDULandtagsfraktion und der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Übergänge gestalten und Anschlüsse schaffen für eine gute Ausbildung (Drucksache 15/1934)

Beschlussfassung über den von der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Gute Startchancen für alle - echte Ausbildungsgarantie verwirklichen! (Drucksache 15/1941)

Zur Begründung des Antrages der Koalitionsfraktionen erteile ich dem Abgeordneten Stefan Krutten das Wort.

Vor wenigen Tagen hat für viele Jugendliche in unserem Land ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben den Start ins Berufsleben zum Anlass genommen, uns mal wieder mit diesem Thema zu beschäftigen und dazu unseren Antrag „Übergänge gestalten und Anschlüsse schaffen für eine gute Ausbildung“ heute auf die Tagesordnung zu bringen.

Wir wissen alle, das duale System genießt weit über Deutschland hinaus ein sehr hohes Ansehen. Die Zukunftschancen durch dieses duale System sind zum einen für unsere Jugendlichen sehr gut, weil sie eine attraktive Ausbildung genießen, zum andern

(Minister Commerçon)

aber auch für unsere Betriebe, die ihren eigenen Fachkräftenachwuchs sichern können. Das Problem ist auf der einen Seite natürlich im Moment die demografische Entwicklung, die sich allerdings durch die Flüchtlingssituation vielleicht ein wenig entschärft hat, auf der anderen Seite aber auch die höhere Studierneigung der Jugendlichen. So tritt heute noch ungefähr die Hälfte eines Jahrgangs eine Ausbildung an in einem der circa 330 anerkannten Ausbildungsberufe, die es bei uns gibt. Unser Ziel muss sein, möglichst viele Jugendliche ohne Umwege in eine Ausbildung zu vermitteln. Verschiedene Branchen haben heute schon Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Dennoch gelingt nicht allen Jugendlichen der unmittelbare Einstieg in die Ausbildung; es landen immer noch welche in Übergangssystemen oder in Warteschleifen. Die Zahlen sind jedoch deutlich rückläufig. Eines der Probleme ist natürlich auch hier, dass sich viele Jugendliche zunächst einmal für die Top 10 der Ausbildungsberufe interessieren. Ich habe eben ausgeführt, wir haben 330 Ausbildungsberufe, zwischen denen ausgewählt werden kann. Angebot und Anforderungen der Betriebe und die Berufswünsche der Jugendlichen stimmen leider oft nicht überein, man spricht von sogenannten Passungsproblemen. Dennoch sollen die Betriebe in ihrer Ausbildungsbereitschaft nicht nachlassen und gerade deshalb auch vermeintlich schwächeren Jugendlichen eine Chance geben.

Damit das leichter gelingt, hat das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr mit seinen Projektpartnern der IHK, der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, dem Ministerium für Bildung, der Handwerkskammer und der Vereinigung der Saarländischen Unternehmensverbände das Projekt „AnschlussDirekt“ ins Leben gerufen, das mittlerweile auch mit ESF-Mitteln gefördert wird. Dieses gut funktionierende und erfolgreiche Projekt wurde bis Ende 2017 verlängert. Das Projekt startete 2010 mit 18 teilnehmenden Gemeinschaftsschulen, mittlerweile nehmen 31 Schulen und 40 Unternehmen daran teil, das Interesse von allen Seiten ist sehr groß. Es richtet sich an Schülerinnen und Schüler, die den Hauptschulabschluss erreichen und eine Ausbildung absolvieren wollen. Dazu wird ihnen ein Coach aus einem Unternehmen zur Seite gestellt, der dabei hilft, die Stärken der Jugendlichen zu ermitteln, die Bewerbungsunterlagen zusammenzustellen und den richtigen Ausbildungsplatz zu finden. Er bereitet auf Einstellungstests vor und organisiert, wenn notwendig, Gespräche bei Partnerunternehmen, was den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, Vorstellungsgespräche zu üben oder den Wunschberuf in der Praxis kennenzulernen. Seit Projektbeginn 2010 konnten im Durchschnitt rund 50 Prozent der Schüler vermittelt werden.

Besonders erfreulich ist aber, dass in den letzten Jahren nachgesteuert wurde und die Entwicklung

der Lösungsquoten der Ausbildungsverträge stark zurückgegangen ist. Waren es 2013 noch 18 Prozent, so sind die Zahlen 2014 auf 12 Prozent und 2015 sogar auf 6 Prozent zurückgegangen. Es wird also weiterhin an diesem Projekt intensiv gearbeitet und nachgesteuert, wenn nötig werden Verbesserungen vorgenommen. Das Projekt wurde jetzt um das Programm „Passgenaue Besetzung“ erweitert, mit dem kleine und mittlere Unternehmen bezogen auf die Besetzung der Ausbildungsbetriebe unterstützt werden. Interessierten Bewerberinnen und Bewerbern wird schulabschlussübergreifend eine geeignete Beratung angeboten. Der Service für die Unternehmen besteht darin, dass sie in einen Vermittlungspool aufgenommen und die Anforderungsprofile erstellt werden. Man hilft auch bei der Vorauswahl der geeigneten Bewerber, unterbreitet Vermittlungsvorschläge und unterstützt die Unternehmen beim Auswahlprozess. Der Service für die Bewerber beinhaltet, dass sie in einen Vermittlungspool bei der Industrie- und Handelskammer aufgenommen werden, es gibt Informationen zu den passgenauen Berufsbildern, die Bewerbungsunterlagen werden geprüft und optimiert, es gibt eine Kontaktanbahnung mit den Ausbildungsbetrieben und eine fachkundige Vorbereitung auf die Vorstellungsgespräche und die Auswahlverfahren.

Daneben gibt es jetzt im Landkreis Neunkirchen das Modellprojekt „Lückenlose Betreuung“, bei dem die Jugendberufsagentur, sprich Jobcenter, Agentur für Arbeit, Jugendhilfe und Schulen durch Schaffung einer Netzwerkstelle enger verzahnt zusammenarbeiten, damit kein Jugendlicher beim Übergang Schule zu Beruf verloren geht. Das Projekt läuft vorläufig bis 2019, soll dann evaluiert werden und, wenn es erfolgreich war, auf die anderen Landkreise ausgeweitet werden.

Das Landesprogramm „Ausbildung jetzt“ ist ebenfalls ein ESF-Programm, bei dem Jugendliche mit sozialen und/oder schulischen Defiziten betreut werden. Dazu nehmen sieben saarländische Bildungsträger eine individuelle und intensive Betreuung vor, sowohl im sozialen als auch im pädagogischen Bereich. Sobald die Jugendlichen in dieses Programm aufgenommen werden, werden sie während und bei Bedarf bis zum Abschluss der Ausbildung begleitet. Aktuell werden 800 Jugendliche in diesem Landesprogramm betreut, 300 wurden im Ausbildungsjahr 2014/2015 neu aufgenommen, 287 im Ausbildungsjahr 2015/2016 und 277 im Ausbildungsjahr 2016/ 2017. Die Gesamtzahl der Bewerber ist derzeit leicht rückläufig, aber dadurch ist auch die Zahl der Förderbedürftigen leicht rückläufig. Außerdem gibt es ein neues Modul in dem Programm „Ausbildung jetzt“, bei dem die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer je eine Stelle für Flüchtlingsnetzwerker zur Verfügung stellen. Flüchtlinge

(Abg. Krutten (SPD) )

sollen in Ausbildung, Einstiegsqualifizierung oder vorbereitende Praktika vermittelt werden.

All diese Maßnahmen entfalten auch ihre Wirkung. Das Saarland ist sehr gut aufgestellt im Vergleich zu anderen Bundesländern bezogen auf die Situation und die Relation der Ausbildungsstellen zu der Zahl der Bewerber. In den letzten Jahren hat es immer mehr gemeldete Stellen gegeben als gemeldete Bewerber. So gab es Ende September 2015 5.855 gemeldete Bewerber für 6.251 freie Stellen. Ende August 2016 hatte die Bundesagentur für Arbeit 5.800 Jugendliche beraten, wovon 2.141 sofort vermittelt werden konnten. Ende August waren noch 1.000 Jugendliche unversorgt. Im Gegensatz dazu wurden 6.247 Ausbildungsstellen angeboten, was im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 5,7 Prozent bedeutet, davon sind derzeit noch 1.346 Stellen unbesetzt. Auch hier ist es so wie eben bereits erwähnt, dass die Nachfrage bei den Top 10 der Wunschberufe natürlich höher ist als das Angebot. Jugendliche, die sich zum Beispiel für eine Berufsausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Bäckerei- oder Fleischerhandwerk, im Bereich der Energie- und Gebäudetechnik, im Bereich der Sanitär-, Heizungsund Klimatechnik oder im Außenhandel interessieren, haben aktuell jedoch noch sehr gute Chancen, einen freien Ausbildungsplatz zu finden.

Aufgrund der geschilderten Situation bitten wir deshalb die Landesregierung, für eine weiterhin hohe Ausbildungsbereitschaft bei den Betrieben zu werben, um jungen Menschen eine Chance zu geben, einen Ausbildungsplatz ihrer Wahl zu finden. Hier nochmal ein positives Beispiel, das Ausbildungsjahr hat gerade begonnen: Die Dillinger Hütte und Saarstahl haben trotz der derzeit schwierigen Situation in der Stahlindustrie noch einmal 23 Ausbildungsplätze mehr als im vergangenen Jahr zur Verfügung gestellt. Außerdem soll an die Unternehmen appelliert werden, ihre Ausbildungsanstrengungen trotz des demografisch bedingten Bewerberrückgangs aufrechtzuerhalten und nach Möglichkeit auch in stark nachgefragten Berufsbildern zu intensivieren sowie insbesondere leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chancen zu geben.

Aber auch an die Eltern sollte man appellieren - weil die ja bei der Berufswahlentscheidung ihrer Kinder durchaus eine entscheidende Rolle spielen -, verstärkt die Chancen einer dualen Ausbildung mit in den Blick zu nehmen, nicht nur in Richtung Studium zu schielen. Die Jugendlichen sollten dahingehend angesprochen werden, die bestehenden Angebote zur Berufswahlorientierung frühzeitig zu nutzen sowie ihr Berufswahlspektrum zu erweitern und die große Bandbreite der dualen Ausbildungsberufe bei ihrer Entscheidung mit zu berücksichtigen. Man sieht ja hier durch die hohe Studienabbrecherquote, dass sich offensichtlich sehr viele Jugendliche ent

weder falsch entscheiden oder im Vorfeld nicht gut informiert haben oder nicht gut informiert wurden.

Dann soll die geplante Neustrukturierung des Übergangsbereichs an den Berufsbildungszentren schnellstmöglich umgesetzt werden, um so noch einmal die Vermittlung in die Ausbildung zu einem Schwerpunkt zu machen und auch dadurch die Verweildauer im Übergangsbereich noch einmal zu reduzieren. Hier soll es künftig nur noch zwei klar voneinander getrennte Bereiche geben, nämlich Teil 1, die Schüler ohne Hauptschulabschluss. Das betrifft die Ausbildungsvorbereitung und ersetzt das jetzige BVJ, BGJ und BGS Teil 2, die Schüler mit Hauptschulabschluss, was die Grundbildung an den Berufsfachschulen betrifft. Als neues Ziel der Beschulung wird die Vermittlung in Ausbildung von Anfang an in die Bildungsgänge der Berufsfachschulen integriert. Damit sollen viele Jugendliche in den Berufsfachschulen schon während des ersten Jahres und nach dem ersten Jahr direkt in eine Ausbildung vermittelt werden, sodass auch dadurch die Verweildauer im Übergangsbereich reduziert werden kann.

Die Unterstützungsangebote für leistungsschwächere Jugendliche - wir haben jetzt gerade von einigen gehört - müssen aufrechterhalten werden und, soweit notwendig, auch intensiviert werden. Und man muss gemeinsam mit den Kammern und Verbänden noch einmal geeignete Maßnahmen zur weiteren Steigerung der Attraktivität und der Qualität der beruflichen Ausbildung ergreifen, weil - sage ich einmal - Ausbildungsberufe nicht zu prekären Verhältnissen führen dürfen. Wenn in manchen Branchen neben schlechter Vergütung auch unbezahlte Überstunden die Regel sind, dann läuft irgendwo etwas schief.

Wenn die Ausbildung unattraktiv wird, mangelt es natürlich auch schnell an den entsprechenden Nachwuchskräften. Auch das ist klar. Hier sind die Betriebe dann gefordert, auch entsprechend attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. Solche Aussagen kann man natürlich nie in Gänze auf eine Branche beziehen, denn schwarze Schafe, denke ich, gibt es überall. Aber gerade weil das Saarland, wie wir im letzten Plenum ja gehört haben, sich als Tourismusregion in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt hat, ist es jetzt und in Zukunft auch sehr stark auf gute Nachwuchskräfte, vor allen Dingen im Hotelund Gaststättengewerbe, angewiesen. Wie gesagt, gute Rahmenbedingungen sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig. In diesem Zusammenhang bitte ich dann auch um Zustimmung zu unserem Antrag. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

(Abg. Krutten (SPD) )

Vielen Dank. - Zur Begründung des Antrags der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Landtagsfraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Hubert Ulrich das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition bringt heute hier einen Antrag zum Thema Ausbildung ein. Mit einem Antrag im eigentlichen Sinne, also mit einem Forderungskatalog an die Landesregierung, hat das, was Sie hier heute einbringen, aber relativ wenig zu tun. Statt Forderungen an die Landesregierung zu stellen, begrüßen Sie das, was die Landesregierung tut, und listen einige zaghafte und darüber hinaus vollkommen unkonkrete Bitten an die Landesregierung.

Das, was Sie heute hier eingereicht haben, liest sich gar so, als erfreue sich der saarländische Arbeitsund Ausbildungsmarkt bester Gesundheit. Herr Krutten und auch Herr Kurtz, Sie müssten eigentlich wissen, dass wir gerade davon meilenweit entfernt sind. Die Arbeitskammer hat es in ihrem jüngsten Jahresbericht deshalb auch beim Namen genannt. Wir haben es auf dem saarländischen Arbeitsmarkt mit einem historischen Tiefstand zu tun. Trotz guter Konjunktur wurden lediglich 7.128 Verträge neu abgeschlossen. 3.183 ausbildungsinteressierte Jugendliche haben nach den Arbeitskammerzahlen keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten.

Wir GRÜNE, um das ganz klar zu sagen, stehen zu unserem sehr guten dualen Ausbildungssystem. Allerdings muss man auch zugeben, dass das duale Ausbildungssystem nur so gut sein kann, wie es jungen Menschen dann tatsächlich einen Arbeitsplatz bietet. Das bleibt eben vielen jungen Menschen nach wie vor verwehrt. Rund 30 Prozent der ausbildungsinteressierten Jugendlichen landen im sogenannten Übergangssystem, das heißt in einer der vielen berufsvorbereitenden Maßnahmen. Das ist ein großer Teil, wenn man bedenkt, dass ganz Deutschland vom demografischen Wandel und vom Fachkräftemangel spricht, und man davon ausgehen müsste, dass jeder, der eine Ausbildung machen will, auch einen Ausbildungsplatz finden müsste.

Die Ursache dafür, dass so viele ausbildungsinteressierte Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden und im Übergangssystem landen, liegt natürlich an deren Bildungsniveau. Das ist uns, glaube ich, hier im Hause allen klar. Aber auch darauf weist die Arbeitskammer hin: Von denjenigen, die im Übergangssystem landen, haben über 92 Prozent keinen Schulabschluss oder sie haben einen Hauptschulabschluss.

Nun ist die Idee hinter diesem Übergangssystem eigentlich eine gute Idee. Das muss man auch zuge

ben. Es sollen nämlich Jugendliche auf die Ausbildung vorbereitet werden, der Weg zur Ausbildung soll ihnen geebnet werden. In der Praxis wird aber dieses Ziel leider sehr oft verfehlt. Für viele Jugendliche entpuppt sich dieses Übergangssystem als ewige Warteschleife oder es entpuppt sich gar als Sackgasse. Statt die Jugendlichen auf ihrem Weg in ihr Berufsleben weiterzubringen und zu einem anerkannten Berufsabschluss zu führen, wird häufig sehr viel Zeit vergeudet. Die Jugendlichen durchlaufen in diesem Übergangssystem einen schlichten Flickenteppich an Angeboten, die so unüberschaubar und verwirrend sind, dass selbst ausgewiesene Bildungsexperten oftmals nicht mehr durchblicken.

Da gibt es beispielsweise, um ein paar Beispiele zu nennen, BaE. Das bedeutet Förderung einer Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung. Dann gibt es BREB, das sind Berufseinsteigerbegleitungsprogramme, BvB, das sind berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, BVB-Pro, das sind berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen mit produktionsorientiertem Ansatz. Dann gibt es EKO, das ist eine Einstiegsqualifizierung. Dann gibt es die „Initiative Inklusion“, „Job 4.000“, XENOS, „Integration durch Qualifizierung“, BOP, das sind Berufsorientierungsprogramme, „Integration durch Bildung“, JOBSTARTER, JOBSTARTER-CONNECT und vieles mehr. 4 Milliarden Euro werden jährlich in dieses wirklich ineffiziente Übergangssystem gesteckt. Das ist aus unserer Sicht nicht nur volkswirtschaftlicher, sondern es ist auch bildungspolitischer Irrsinn.

Wir GRÜNE wollen daher die klassische duale Ausbildung hier in diesem Land weiterentwickeln. Wir wollen diese ineffizienten Maßnahmen des Übergangssystems grundlegend reformieren. Sie sollen in Bestandteile einer betriebsnahen Ausbildung überführt werden, die die klassische duale Ausbildung ergänzt. Die frei werdenden Mittel sollen in den Ausbau sogenannter überbetrieblicher Ausbildungsstätten fließen, die dann als Träger der betriebsnahen Ausbildung zusätzliche Ausbildungsplätze nach dem dualen System anbieten. So wollen wir allen einen Ausbildungsplatz anbieten, bei dem die Ausbildung dann auch auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt ist.

Diese betriebsnahe Ausbildung wollen wir so gestalten, dass es bei jedem Qualifizierungsschritt auch einen Anschluss gibt, dass diese Schritte aufeinander aufbauen und vor allen Dingen auch angerechnet werden und bei einem späteren Wechsel in ein betriebliches Ausbildungsangebot nicht wieder bei null begonnen werden muss. Unabhängig davon, dass das Übergangssystem reformiert werden muss, brauchen wir aber auch eine bessere Unterstützung der Jugendlichen während ihrer Ausbildung. Insbesondere hier im Saarland ist die Zahl der Ausbildungsabbrüche viel zu hoch. Sie liegt bei 27,3

Prozent und liegt damit um rund 3 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.

Sinnvolle Instrumente sind hier die assistierte Ausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen und die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit, wie sie im Konzept der Jugendberufsagenturen im Übrigen auch vorgesehen ist. Sie müssen aber abgesichert und ausgebaut werden und allen ausbildungswilligen Jugendlichen offen stehen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Aufenthaltsstatus. Genau das aber hat die Große Koalition im Deutschen Bundestag leider versäumt. Denn zu den Maßnahmen der Ausbildungsförderung sollen nur Menschen mit guter Bleibeperspektive in diesem Land Zugang haben.

Dabei kann unser duales Ausbildungssystem ein hervorragendes Mittel gerade zur Integration von geflüchteten Menschen und insbesondere von geflüchteten Jugendlichen werden. Dieses System könnte sogar zu einem echten Integrationsmotor werden. Hier gilt es aber zunächst, Aufklärungsarbeit zu leisten und die geflüchteten Jugendlichen von unserem Ausbildungssystem auch zu überzeugen. Denn viele haben Vorbehalte gegenüber der Ausbildung. Sie denken, sie müssten in Deutschland erst einmal eine Universität besuchen, um in diesem Land eine echte Perspektive zu haben. Wir alle wissen, dass das oft nicht der Fall ist, weil gerade die berufliche Ausbildung auch sehr gute Karrierechancen in diesem Land bietet.

Auch wenn es hier insbesondere dank des Bundesrates aufenthaltsrechtliche Verbesserungen im Integrationsgesetz gibt, bleibt eine Rechtsunsicherheit bestehen - sowohl für die Geflüchteten als auch für die Unternehmen, die den Geflüchteten einen Ausbildungsplatz anbieten wollen. Statt nur einer Duldung während der Ausbildung - wie es der Deutsche Bundestag beschlossen hat - brauchen wir einen gesicherten Aufenthaltstitel für die Zeit der Ausbildung, aber auch einen gesicherten Status für die Weiterbeschäftigung. Das ist sinnvoll, denn die Unternehmen wollen die Leute nicht nur ausbilden, sondern brauchen sie später auch als Arbeitskräfte.

Wir halten den Antrag der Großen Koalition nicht für falsch und werden ihn somit auch nicht ablehnen. Aber er ist uns nicht fordernd genug, er greift zu kurz. Und vor allen Dingen schönt er schlichtweg die Situation. Wir greifen aber Punkte aus Ihrem Antrag auf und reichern sie mit weiteren konkreten und brauchbaren Forderungen an. Deshalb bitte ich um Unterstützung auch unseres Antrages. Vielen Dank.

(Beifall von B 90/GRÜNE.)

Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Wegner von der CDU-Landtagsfraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, dass wir auch heute im Plenum über berufliche Bildung und die Situation der Ausbildung in diesem Land sprechen. Ich glaube, wir haben das in der Vergangenheit viel zu selten getan und häufig den Fokus auf andere Bereiche gelegt. Wenn man sich die Entwicklung in Deutschland insgesamt und auch im Saarland ansieht, so ist es meines Erachtens sehr wichtig, dieses Thema in den Mittelpunkt zu stellen.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, hat in der IHKZeitschrift erklärt, man verzeichne in diesem Jahr etwa 120.000 weniger Schulabgänger als vor zehn Jahren. Im Jahr 2003 hat etwa ein Drittel eines Jahrgangs eine akademische Ausbildung begonnen, heute liegen wir bei etwa 60 Prozent an akademisierungswilligen jungen Menschen. Herr Ulrich, Sie haben eben gesagt, wir haben im Ausbildungsbereich eine sehr hohe Abbrecherquote. Das ist richtig. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind allesamt offiziell bestätigt. Aber wir haben auch im akademischen Bereich bei 500.000 jungen Menschen rund 100.000, die das Studium abbrechen. Also haben wir auch in diesem Bereich eine ähnliche Entwicklung, die auch damit zusammenhängt, dass junge Menschen in dieser Lebensphase von Schule zu Beruf erstens vielleicht nicht ausreichend informiert worden sind oder zweitens falsche Vorstellungen von dem haben, was sie letztlich wählen. Das sind wichtige Aspekte. Wenn man die eine Zahl nennt, muss man ihr auch die andere Zahl gegenüberstellen.

Diese Balance zwischen Facharbeitern und Akademikern ist etwas, was uns in der Tat Sorge machen muss. Wenn man den Prognosen des IAB halbwegs vertrauen kann, so werden wir in zehn Jahren etwa eine Million Akademikerinnen und Akademiker mehr haben, die einen Job suchen, jedoch nicht adäquat zu dem fündig werden, was sie studiert haben. In der gleichen Größenordnung werden wir zu wenig Facharbeiterinnen und Facharbeiter haben. So stellt sich die Situation dar. Deshalb ist es richtig, dass die Koalitionsfraktionen genau dieses Thema heute hier im Plenum wieder aufgerufen haben.

Ich habe mir Ihren Antrag genau angeschaut, sehr geehrter Herr Kollege Ulrich. Sie haben recht, er enthält sehr wichtige Ansatzpunkte und ich hätte mich gefreut, wenn Sie auf uns zugekommen wären und wir einen gemeinsamen Antrag hätten formulie

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) )

ren können. In Ihrem Antrag sind sehr viele Ansätze, die ich richtig finde und die ich unterstützen kann.

Sie sprechen aber davon, dass die Warteschleifen unnötig und ohne Sinn sind. Das würde ich so aber nicht unterschreiben, das kann man so nicht stehen lassen. Vor fünf oder sechs Jahren sind alle Politiker dieses Hauses in die Unternehmen gegangen und haben dafür geworben, dass überproportional ausgebildet wird und wir die jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt gedrängt haben, in eine Ausbildung hineinbekommen. Wir haben das nicht immer geschafft, aber die Unternehmen haben diese Aufforderung wahrgenommen und zum großen Teil über ihre Bedarfe hinaus ausgebildet.

Dabei ist aber auch deutlich geworden, dass viele junge Menschen - damit komme ich auf das Thema der hohen Abbrecherquote zurück - in diesem Alter noch nicht wissen, welchen Weg sie einschlagen sollen, ob sie in den Facharbeiterbereich gehen, ob sie mit Metall oder Holz arbeiten wollen oder ganz andere Neigungen haben. All das ist häufig in diesem Alter noch nicht klar ausgebildet. Aus der betrieblichen Praxis kann ich Ihnen sagen, dass wir auch damit zu kämpfen haben, dass viele junge Menschen, die zu uns kommen, noch nicht ausbildungsreif sind. Es geht hier eigentlich nicht um Warteschleifen, sondern um Qualifizierungszeiten, wo junge Menschen in ihrem jeweiligen Entwicklungsstadium unterstützt werden, wo ihnen Hilfen geboten werden, damit sie den richtigen Weg für ihre berufliche Laufbahn finden.

Der Kollege Krutten hat sehr ausführlich und zutreffend die Maßnahmen, die Projekte dargestellt, die diese Problematik sehr gut aufgreifen und mit denen den jungen Leuten geholfen wird, wo sie auch während der Ausbildung betreut werden. Aber wir haben natürlich auch die Situation, dass diese jungen Menschen ihren Weg noch nicht gefunden haben. Hinzu kommt, dass wir sehr viel mehr Stellen zur Verfügung haben als Bewerberinnen und Bewerber. Das heißt, die Zahl 3.183, die Sie in Ihrem Antrag genannt haben, Herr Ulrich, umfasst auch solche jungen Leute, die noch nicht wissen, was sie wollen, die noch nicht ausbildungsreif sind und deshalb in diese sogenannten Warteschleifen kommen. Daher müssen wir die Qualität der Ausbildung - das gilt für die Handwerksbetriebe genauso wie für den Bereich der Industrie- und Handelskammer und alle anderen Unternehmen auch - verbessern und zusehen, dass wir attraktiv sind für junge Menschen, damit sie diesen Weg wählen und sich auch bewerben. Man kann nie sagen, darin sind wir gut und sind am Ende. Vielmehr ist das ein ständiger Prozess, denn das Berufsleben unterliegt einem ständigen Wandel.

Wir von der Handwerkskammer sind im Moment dabei, ein Projekt zu beschließen. Wir wollen in alle Schulformen hineingehen und sogenannte Botschaf

ter für eine berufliche Ausbildung hinschicken. Ich nenne das Beispiel des Dachdeckermeisters, der hingeht und das Schuldach mit einer Drohne ausmisst und letztendlich den jungen Menschen zeigt, dass die Ziegel eben nicht mehr nur noch mit irgendwelchen Wägelchen oder von Hand und mit Kraft bewegt werden müssen, sondern dass da auch ganz viel Hightech dabei ist und darin viele Möglichkeiten und Entwicklungschancen stecken.