Ihr Antrag hat zwei Stoßrichtungen, nämlich zum einen die Frage, wie stark Mitglieder dieses Parlaments nach 1955 Verwurzelungen in der NSDAP hatten, was ja der Fall war. Das galt im Übrigen für alle Parteien. Außer für die CVP gilt der Satz, dass
die Fraktionen in diesem Parlament, auch die Sozialdemokraten, also die Partei, in die Sie eingetreten sind, Herr Lafontaine und auch die Christdemokraten, Verwurzelungen persönlicher Natur in Mitgliedschaften in der NSDAP hatten. Das ist der eine Themenkomplex.
Und der andere Themenkomplex, den Sie ansprechen, ist die Frage, wie ist die Geschichte des Saarlandes zu interpretieren. Ich will beginnen mit einer Aussage zu der Frage, wo stehen wir eigentlich das ist wichtig in diesem Kontext, damit kein falscher Zungenschlag entsteht - sechs Jahrzehnte nach der Saar-Abstimmung. Denn auch die ist ja umstritten. Der Kollege Ulrich hat am 23. Oktober das eine oder andere dazu erklärt. Er hat von einer historisch verpassten Chance gesprochen. Ich will an der Stelle ein Bekenntnis abgeben. Wenn wir feststellen, dass wir tatsächlich vom Zankapfel zwischen zwei Nationen zum Motor der deutsch-französischen Freundschaft geworden sind, vom Schauplatz von Krieg und Zerstörung zum Labor für das zusammenwachsende Europa, dann will ich Ihnen die Frage stellen: In welcher Region dieser Welt und wo in der Geschichte haben wir ein Beispiel dafür, dass eine Region an der Grenze sich so nachhaltig zum Besseren entwickelt hat? Wo haben sich so nachhaltig Hass, Ablehnung und Feindschaft in Freundschaft, Zusammenarbeit und Zuneigung entwickelt?
Die Abstimmung zum Saarstatut, das Akzeptieren Frankreichs der Entscheidung der Saarländerinnen und Saarländer und das europäische Projekt haben dazu geführt, dass wir Saarländer heute, nach sechs Jahrzehnten, sagen können: Unser Schicksal, im Vergleich mit anderen früher umstrittenen Grenzregionen, ist ein Schicksal, auf das wir nur mit großer Dankbarkeit schauen können. Wir waren Teil eines großen Glücks. Sie haben ja zu Recht darauf hingewiesen, was die Widerstandskämpfer nach 1955 glaubten, was passieren würde, wenn das Saarland wieder in die Bundesrepublik eingegliedert wird. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht naturgegeben war, dass es zu dieser positiven Entwicklung kam. Deshalb muss doch am Beginn dieser Debatte zunächst einmal die Dankbarkeit für das Glück stehen, dass wir Saarländerinnen und Saarländer in den vergangenen 60 Jahren Teil dieses europäischen Projektes sein durften. Ich finde, das gehört an den Beginn einer solchen Debatte und das gehört auch an den Beginn eines solchen Antrags. Und deshalb haben wir das an dieser Stelle auch noch einmal festgehalten.
Weil wir die Debatte auch nutzen, um das eine oder andere an historischen Bewertungen auszutauschen, möchte ich mein Unverständnis gegenüber denjenigen zum Ausdruck bringen, die sagen, wir haben da eine historische Chance verpasst. Ich
weiß, dass fiktive Geschichte immer etwas Faszinierendes ist, also zu fragen, was wäre gewesen, wenn. In der Tat, man kann darüber interessiert nachdenken. Aber, verstellt diese Aussage nicht auch ein wenig den Blick auf die Chancen, die wir tatsächlich nach 1955 hatten und auf die Chancen, die wir genutzt haben und die dazu geführt haben, dass wir heute als stolzes Bundesland in einem wiedervereinten Deutschland, in einem Europa, das bei allen Problemen die es hat, in einer Großregion, umgeben von Partnern und Freunden, zusammenwächst? Dass wir dieses Glück haben, ist nicht Teil verpasster Chancen, sondern es ist das Ergebnis genutzter Chancen, und darauf können wir Saarländerinnen und Saarländer gemeinsam stolz sein.
Es ist wahr: Über diese Einschätzungen können wir streiten. Das ist in einer pluralistischen Gesellschaft genau richtig. In ihr ist es angelegt, dass solche Debatten in aller Freiheit geführt werden können. An Tatsachen kommen wir gleichwohl nicht vorbei. Einige dieser Tatsachen hat Kollege Lafontaine vorhin angesprochen und dazu gehört, dass die Geschichte dieses Landes vor und nach 1955 Schattenseiten hat, deren Aufarbeitung, auch im Hinblick auf die NS-Vergangenheit, nach wie vor notwendig und bis heute aktuell ist. Tatsache ist, dass in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz Deutschland, in West wie in Ost - ich erspare Ihnen übrigens, Herr Kollege Lafontaine, heute alle Bemerkungen zu Ihrer eigenen Partei - und deshalb natürlich auch im Saarland, Menschen in der Verantwortung gestanden haben, die in der Zeit des Nationalsozialismus einer verbrecherischen Ideologie anhingen oder gar selbst Verbrechen begangen haben.
Diese historische Tatsache muss auch heute noch benannt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Wissen um diese Tatsache, um die Fehler der Vergangenheit, das ist doch gerade Grundlage unseres Bekenntnisses zur Menschenwürde, zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit, zu Toleranz und Weltoffenheit. Wehrhaftigkeit gegen die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ob rechtsextrem oder linksextrem, ob religiös oder anders motiviert, das ist doch gerade unsere Antwort auf die Geschichte unseres Landes. „Nie wieder Auschwitz“ ist für alle demokratischen Parteien gerade auch an der Saar Teil der politischen DNA. Wir wollen dafür aus der Vergangenheit die richtigen Schlüsse ziehen und haben das, wie ich finde, bisher auch stets getan.
In einer freiheitlichen Staatsordnung, darauf bin ich bereits eingegangen, ist es nun einmal so, dass diese historische Aufarbeitung, dass dieser historische Diskurs Teil der Zivilgesellschaft ist, dass er das Vorrecht der Wissenschaft, das Vorrecht der freien Medien ist. In einem freien Land werden eben histo
rische Wahrheiten nicht durch Kabinettsbeschluss oder qua Mehrheitsbeschluss festgelegt, es wird eben nicht gesagt, was die offizielle Version der Geschichte eines Landes zu sein hat. Anderen Staatsordnungen, die wir alle nicht wollen, ist dies allerdings immanent.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, wir haben mit dieser Debatte eine Chance: die Chance, einen Beitrag zur Geschichtsschreibung im Saarland zu leisten. Tatsache ist, dass sowohl die Geschichte des Nationalsozialismus an der Saar als auch die Geschichte des Saarstaats, auch die Hoffmann-Ära, sehr wohl Gegenstand historischer Befassung waren und sind. Daran können wir uns beteiligen. Die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus im Raum des heutigen Saarlands verdanken wir bereits zahlreichen Autoren: Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul, Professor Hudemann, Rainer Möhler, Elisabeth Thalhofer, in meiner Heimatstadt Ottweiler gerade jüngst Mitbürgern wie Hans-Joachim Hoffmann. Viele haben sich daran beteiligt, die Geschichte des Nationalsozialismus an der Saar aufzubereiten. Ich finde, wir werden ihnen nicht gerecht, wenn wir von dieser Stelle aus den Eindruck erwecken, dies alles sei noch zu leisten. Ich meine, dass viele bereits Beachtliches dazu beigetragen haben.
Das gilt auch für die Zeit des Saarstaats. Sie haben ja vorhin Dietmar Hüser zitiert, leider nicht vollständig. Denn die Hoffmann-Ära ist gerade in den vergangenen Jahrzehnten, wie Herr Hüser heute in der Saarbrücker Zeitung noch einmal erklärt hat - wer die Dinge in den vergangenen Jahren nicht nur optisch wahrgenommen, sondern auch gelesen hat, kann diese Aussage nur unterstützen -, intensiv bearbeitet worden. Wir haben heute, insoweit gebe ich Herrn Professor Hüser absolut recht, ein sehr nuanciertes Bild der Zeit zwischen 1945 und 1955.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Lafontaine, Sie sehen: Die Wissenschaftler, die zahlreichen Stiftungen, die Journalisten, die Publizisten, die diese Arbeit in den vergangenen sechs Jahrzehnten und ganz intensiv in den vergangenen beiden Jahrzehnten geleistet haben, haben nicht auf einen Antrag des Parlaments gewartet. Wir werden angesichts dessen Ihrem Antrag heute nicht zustimmen. Wir werden aber die Debatte suchen und die Debatten über die Geschichte unseres Landes führen. Hier kann die Politik einen Beitrag leisten - in aller Freiheitlichkeit. Auf diese Debatten freue ich mich. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Fraktionsvorsitzender Hubert Ulrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Debatte etwas anders beginnen als meine Vorredner, die beide sehr viel Richtiges und Wahres gesagt haben. Ich will die Debatte beginnen mit dem Satz, dass man dem Politiker und Menschen Johannes Hoffmann in diesem Lande viel Unrecht getan hat, aber nicht nur ihm, sondern auch Menschen wie Richard Kirn und vielen anderen. Diese Feststellung sollte am Beginn der Debatte in diesem Hause stehen. Die Abstimmung im Jahr 1955, auch das sollte man erwähnen, war auch eine Abstimmung über Biografien in diesem Lande. Auf der einen Seite standen eben Leute wie Johannes Hoffmann und Richard Kirn, Antifaschisten, und auf der anderen Seite standen gestandene alte Nazis wie Heinrich Schneider von der DPS, ein Mann, der im SD war, jemand, der im Reichssicherheitshauptamt saß. Das sollte man bei dieser ganzen Debatte nicht vergessen. Die Regierung Johannes Hoffmann war eine Regierung von Antifaschisten. Ein Beispiel hierfür: Edgar Hector, Innenminister, jemand, der aktiv in der Résistance gekämpft hat.
Eines muss man natürlich auch sagen, Kollege Lafontaine hat das zu Recht eben angesprochen: Natürlich hat das Demokratieverständnis der Regierung Hoffmann nicht dem Verständnis entsprochen, das wir heute haben. Das ist aus der Zeit erklärbar, das ist erklärbar aus dem Leiden der Handelnden, das ist erklärbar vor dem Hintergrund dessen, was sie im Zusammenhang mit den Nazis erleiden und erdulden mussten.
Natürlich, auch das muss gesagt werden, war die Rolle der Franzosen in diesen ganzen Zusammenhängen nicht immer unbedingt eine glückliche. Dadurch ist in der damaligen Zeit im Saarland ja auch der Eindruck entstanden, Johannes Hoffmann wäre eine Marionette der Franzosen. Dass er das keineswegs war, hat die moderne Geschichtsschreibung auf der Grundlage vieler Dokumente mittlerweile eindeutig belegt. Johannes Hoffmann war ein saarländischer Patriot, das sollte man in diesem Hause ganz klar sagen, ganz klar so formulieren. Das ist einer der Punkte, die, wie wir finden, in der Öffentlichkeit in stärkerem Maße aufgearbeitet werden sollten. Dazu sollte sich auch dieses Parlament in seiner Gänze in stärkerem Maße bekennen.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür nennen, dass man die Geschichte durchaus auch anders betrachten kann, und an dieser Stelle möchte ich Oskar Lafontaine einmal ausdrücklich loben: Oskar Lafontaine war der Ministerpräsident, der in seiner Amts
zeit dafür gesorgt hat, dass in der Staatskanzlei neben den Portraits der anderen Ministerpräsidenten die teilweise durchaus problematisch waren, ich will jetzt aber gar nicht auf einzelne Namen eingehen ein Porträt von Johannes Hoffmann aufgehängt wurde. Dieses Porträt hängt erst seit Lafontaines Zeit dort, das muss man klar festhalten.
Ein weiterer Punkt, den man hier ansprechen sollte, ist das Ergebnis der Saarabstimmung von 1955 selbst. Ich habe mich am 23. Oktober zusammen mit dem Kollegen Leinen von der SPD entsprechend geäußert: Man muss das nicht unbedingt so werten, wie das von manchem gewertet wurde, dass das eben alles so toll war, wie das damals abgelaufen ist. Ich glaube, seinerzeit, als das Ergebnis 1955 bekannt gegeben wurde, haben sich in Luxemburg viele die Hände gerieben. Luxemburg hat, so glaube ich, von dieser Entscheidung im Saarland in starkem Maße profitiert.
Auch den Wahlkampf im Jahr 1955 sollte man hier vielleicht einmal ansprechen. Wie ist das denn damals so gelaufen? Er wurde ja schon sehr nationalistisch geführt. In ganz starkem Maße wurde auch mit Verteufelung gearbeitet: „Der Dicke muss weg!“ Diesen Satz kennen wir alle. Das war eine massive Verunglimpfung, das war eine massive Verteufelung eines Menschen, der aktiv gegen die Nazis gekämpft hatte, der letztlich bis nach Brasilien vor den Nazis fliehen musste und der, wie auch andere, gerade so überlebt hatte. Die Konflikte gingen seinerzeit quer durch die Familien. Auch heute noch, viele Ältere auch in der CDU und SPD werden das wissen, wird über die damalige Zeit intensiv diskutiert.
So gesehen ist, so glaube ich, die Diskussion, die wir heute führen, auch keine parteipolitische Diskussion. Ich meine, wir sollten diese Diskussion auch nicht parteipolitisch führen, das wäre wirklich nicht angezeigt.
Denken Sie bitte auch an die Plakate aus der damaligen Zeit: „Sie hetzten gegen Deutschland“, so die Plakate gegen Johannes Hoffmann, die Aussage mit einem toten Wehrmachtssoldaten unterlegt. Das war die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille war das Konterplakat gegen Schneider & Co.: „Sie sind wieder da!“ Das macht die damaligen Frontstellungen klar. Da ging es durchaus auf der einen Seite um die alten Nazis und auf der anderen Seite um ein anderes Saarland, eben mit einem europäischen Status. Da wurden zum Teil wirklich alte Schlachten geschlagen. Deshalb - das wiederhole ich - war die Abstimmung von 1955 eine Abstimmung über Biografien. Ab 1955 wurde dann die Ära Hoffmann in diesem Lande für lange Zeit totgeschwiegen, das hat sich erst in den letzten Jahren ein wenig geändert - ein Beispiel ist das Porträt, das
Aber selbst 2007 - was haben wir denn da gefeiert im Lande? Wir haben 50 Jahre Saarland gefeiert. Man muss die Frage stellen: War das richtig? Nein, das war falsch, es waren 60 Jahre Saarland. 1947 hat die Regierung Hoffmann ihre Arbeit hier aufgenommen, nicht 1957. Man sieht also, bis in die heutige Zeit hinein schleicht sich da vieles ein, was eigentlich bei genauerer Betrachtung so nicht richtig ist.
Damit komme ich zu dem Problem, das wir mit dem Antrag der Großen Koalition haben; da pflichte ich Oskar Lafontaine bei. Diesen Satz „Das ist das Ergebnis des politischen Wirkens vieler Frauen und Männer in den vergangenen 60 Jahren“ kann man so nicht stehen lassen. Deshalb werden wir uns bei dem Antrag der Großen Koalition enthalten, obwohl wir ihn im Kern für richtig halten, das sage ich ganz offen. Aber an dieser Stelle, tut mir leid, hätten Sie ein wenig genauer formulieren oder darüber nachdenken müssen, ob Sie das wirklich so sehen wollen, wie es hier steht.
Das verzerrte Bild der Regierungszeit Hoffmann sollte sich ändern. Aber da sind wir uns einig, Politik sollte keine Geschichtsschreibung betreiben. Ich glaube, das ist bei dem Antrag der LINKEN nicht wirklich gemeint, das würden wir auch so nicht unterschreiben. Dem Antrag der LINKEN werden wir zustimmen, weil wir ihn im Kern für richtig halten. Aber das Bild der Regierungszeit Johannes Hoffmann sollte in diesem Lande schon in stärkerem Maße zurechtgerückt werden - nicht durch Beschlüsse der Politik, aber durch Unterstützung seitens der Politik. Auch die Idee des europäischen Saarlands und wie es damals ging, sollte man heute noch mal in stärkerem Maße diskutieren.
Wie gesagt, wir teilen viele Einschätzungen des Antrags der LINKEN, aber die Lehre aus der Zeit von 1955 und danach ist die, dass Politik sich aus der Geschichtsschreibung konkret heraushalten sollte. Wie gesagt, der Antrag nimmt viele Gedanken auf.
Sinnvoll wäre es, glaube ich, wenn dieses Parlament eine unabhängige Historikerkommission einsetzen würde, die die ganze Zeit bis 1955 und danach mit einem neutralen Licht beleuchten würde. Ich glaube, dann kämen wir zu einem Ergebnis, das allen Seiten hier gerecht werden könnte. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stellen uns der Vergangenheit, denn Zukunft braucht immer auch Herkunft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe nach der bisherigen Debatte den Eindruck, dass wir kaum, wenn überhaupt, auseinander liegen. Nur Weniges braucht hier eine kleine Korrektur.
Der saarländische Landtag hat eine einzigartige europäische Geschichte und eine mit allen Landtagen gemeinsame geschichtliche Verantwortung in der Bundesrepublik. Das Thema der persönlichen Verstrickung einzelner ehemaliger Politiker darf nicht vergessen werden. Sie sind ein Teil der historischen Brüche der deutschen Geschichte - dies gilt gerade hier bei uns im Saarland. Unser Saarland hat eine bewegte Geschichte. Fakt ist, heute hat niemand in diesem Haus eine antidemokratische Vergangenheit. Wir stellen uns also heute hier ganz ohne falsche Rücksichtnahme diesem sehr schwierigen Thema. Es ist ein Thema, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, das sich nicht für parteitaktische Spielchen eignet; das wäre völlig unangemessen. Wir wollen vielmehr aus unserer Vergangenheit heraus unsere Zukunft gestalten.
Unser Selbstverständnis als Parlament ist es, gemeinsam der Demokratie zu dienen, und zwar mit dem Mittel der freien und parlamentarischen Auseinandersetzung. In fairen und freien Wahlen haben die Menschen im Saarland das Recht, ihre Volksvertretung zu bestimmen. Dieses demokratische Recht haben sie seit der Überwindung der grauenhaften Naziherrschaft über Deutschland und Europa. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen, was es bedeutet, von den braunen Schergen diffamiert und verfolgt zu werden. Wir mussten auf das Schmerzlichste erfahren, was eine Gewaltherrschaft für die Beherrschten bedeutet. Niemals dürfen und niemals werden wir das vergessen.
Der heutige saarländische Landtag ist für die Naziverbrechen juristisch nicht zur Rechenschaft zu ziehen, keine Frage. Aber wir stellen uns einer historischen Frage - das ist Gegenstand des Antrages der LINKEN und auch desjenigen der Koalitionsfraktionen -: Wie hält es der Landtag mit der Vergangenheit ehemaliger Mitglieder? Das ist ein Teil unserer Geschichte, der wir uns stellen, denn dieser Teil unserer Geschichte muss nicht nur für uns, sondern auch für die kommenden Generationen objektiv in unserem Wertegefüge seinen Platz finden - mahnend, lehrend und mobilisierend. Aber wir werden uns nicht der Kritik aussetzen, dass wir uns selbst erforschen. Das überlassen wir denen, die das besser können, nämlich der Wissenschaft.
Die Freiheit der Wissenschaft, meine Damen und Herren, gewährleistet nämlich, dass die Suche nach der Wahrheit unabhängig und ergebnisoffen geschieht. Die historische Einordnung des Vergangenen werden nicht die Vertreter der gewählten Parteien vornehmen, auch die Landesregierung wird sich hier nicht einmischen, denn wir wollen keine staatliche Geschichtsschreibung. Ich glaube, das ist auch Konsens in diesem Hause. Der Staat - damit auch der Landtag - ist der saarländischen Verfassung und den in Artikel 5 niedergeschriebenen Kommunikationsfreiheiten verpflichtet. Zum Schutz der Meinungsfreiheit muss sichergestellt werden, dass eine ausreichende Basis zur Meinungsbildung geschaffen wird. Die freie geistige Auseinandersetzung mit historischen Darstellungen ist für eine Demokratie existenziell.
Wir wollen verhindern, dass es am Ende heißt: Die Wahrheit ist für alle die gleiche, nur die Bewertung ist unterschiedlich. Das hat sich ja eben schon in der unterschiedlichen Bewertung der Anträge gezeigt, meine Damen und Herren. Herr Ulrich und Herr Lafontaine haben Anträge in einer Weise interpretiert, die man so nicht stehen lassen kann. Ich glaube, die SPD Saar und die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an der Saar haben ihren Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern allen Respekt entgegengebracht und wir gedenken ihrer immer noch. Aber darum geht es in diesem Antrag nicht, das hat hiermit nichts zu tun. Wir stellen ausdrücklich klar, dass die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer Hervorragendes geleistet haben für unsere Geschichte im saarländischen Landtag. Wir werden Ihnen wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft jeglichen Respekt zollen und ihrer immer auch in aller Würde gedenken.
Wir überlassen die Aufarbeitung der Geschichte der vergangenen 60 Jahre Institutionen, die nicht in staatlicher Verantwortung und Verpflichtung stehen. Herr Lafontaine, es geht um das, was auch in Ihrem Antrag gemeint ist, um das Aufdecken brauner Spuren, um diejenigen, die Verbrechen begangen haben. Wir stellen uns mit diesem Vorgehen einer moralischen Verantwortung, denn unser Hohes Haus ist das Kraftzentrum der Demokratie im Saarland, und wir, die wir hier sitzen, sind die Verfechter dieser Demokratie. Daran besteht doch wohl kein Zweifel.
Meine Damen und Herren, viele von uns haben das in der vorigen Woche auf den Straßen Saarbrückens klargemacht. Bei der Bunt-statt-Braun-Demonstration waren Vertreter aller Fraktionen, und ich danke Ihnen an dieser Stelle ganz herzlich für diese klaren Statements.
Die Jungsozialisten, unsere Jusos, haben zusammen mit dem DGB letzte Woche die Organisation dieser Demonstration übernommen.