Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von der Landesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen Union für die Berufe im Gesundheitswesen wurde vom Plenum in seiner 41. Sitzung am 13. Oktober 2015 in Erster Lesung einstimmig angenommen und zur weiteren Beratung an den zuständigen Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie überwiesen.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 speziell für die landesrechtlich reglementierten Gesundheitsberufe in saarländisches Recht umgesetzt. Bezüglich der Einführung des europäischen Berufsausweises, der Einrichtung eines europäischen Vorwarnmechanismus bei Entscheidungen betreffend die Berufsausübung und der Voraussetzungen eines partiellen Berufszugangs werden in dem Gesetz die Zuständigkeiten, der Datenschutz und die Ermächtigungsgrundlagen für das Verwaltungshandeln geschaffen.
Der Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 04. November 2015 gelesen und auf die Durchführung einer Anhörung verzichtet. In der gleichen Sitzung wurde ein gemeinsamer Abänderungsantrag der CDU- und der SPD-Landtagsfraktion beraten.
Durch ihn wird klargestellt, dass für die bundesrechtlich reglementierten Gesundheitsberufe die bundesrechtlichen Zuständigkeitsregelungen vorrangig gelten.
Der Ausschuss hat abschließend das Gesetz als Ganzes unter Berücksichtigung dieses Abänderungsantrages einstimmig - mit den Stimmen aller Fraktionen - angenommen. Er empfiehlt dem Plenum die Annahme des Gesetzes unter Berücksichtigung des Abänderungsantrages in Zweiter und letzter Lesung. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Der Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat mit der Drucksache 15/1562 einen Abänderungsantrag zu dem Gesetzentwurf eingebracht. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Abänderungsantrag. Wer für die Annahme des Abänderungsantrages Drucksache 15/1562 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Danke. - Das ist einstimmig. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Wer für die Annahme des Gesetzentwurfs Drucksache 15/1526 in Zweiter und letzter Lesung unter Berücksichtigung des angenommenen Abänderungsantrages ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Danke. - Ich stelle fest, dass der Gesetzentwurf in Zweiter und letzter Lesung unter Berücksichtigung des angenommenen Abänderungsantrages einstimmig angenommen ist.
Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: 60 Jahre nach der Saar-Abstimmung - Aufarbeitung und Neubewertung der Saarpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg
Beschlussfassung über den von der CDULandtagsfraktion und der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: 60 Jahre Saar-Abstimmung - Geschichte als Auftrag und Selbstverpflichtung (Drucksache 15/1579)
Zur Begründung des Antrags der DIE LINKE-Landtagsfraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ausgangspunkt unseres Antrages war der 60. Jahrestag der Volksabstimmung des Saarlandes, aber auch die Tatsache, dass in verschiedenen Landesparlamenten eine Aufarbeitung der Vergangenheit stattgefunden hat, im Wesentlichen auf Antrag der Fraktion DIE LINKE, wenn es darum ging, die Zusammensetzung der Landtage nach dem Kriege zu untersuchen, in denen viele ehemalige Funktionäre der Nationalsozialisten Platz genommen und die Nachkriegspolitik mitbestimmt haben. Wir waren der Auffassung, dies sei notwendig. Wir waren daher auch der Auffassung, dies sei ebenfalls im Saarland notwendig.
Wir haben vor einiger Zeit die Broschüre „Braune Spuren im Saar-Landtag“ vorgelegt. Sie alle werden sie zumindest visuell zur Kenntnis genommen haben. Diese Broschüre war dringend notwendig, weil wir durch die Arbeit eines Wissenschaftlers erfahren haben, wie sich das Saar-Parlament nach der SaarAbstimmung zusammengesetzt hat. Selbst mir waren viele Sachverhalte nicht bekannt, weil es eben keine Informationen über die Zusammensetzung des Saar-Parlamentes gab. Diese Broschüre war auch ein Gesprächsangebot an die anderen Fraktionen, insbesondere an die CDU Saar. Ich habe in dieser Broschüre in meinem Vorwort beispielsweise die Person Franz Josef Röders gewürdigt, die in der Debatte hinsichtlich der Vergangenheit in der NSDAP umstritten ist. Ich habe dies als Gesprächsangebot an die CDU verstanden, habe allerdings den Eindruck, dass es mir nicht gelungen ist, deutlich zu machen, dass es hier um ein Gesprächsangebot geht.
Wir haben den vorgelegten Antrag auch so formuliert, dass wir der Auffassung waren, alle Fraktionen könnten diesem Antrag zustimmen. Der Antrag hat folgenden Wortlaut: „Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf, geeignete Schritte zu unternehmen“ - wir sagen bewusst nicht, welche Schritte, sondern einfach nur geeignete Schritte -, „um die Aufarbeitung der Geschichte des Saarlandes nach dem Kriege und der Volksabstimmung 1955 und eine objektive Würdigung der Ereignisse und handelnden Personen zu ermöglichen.“
Es zeigt sich nun, dass die Koalitionsfraktionen der Auffassung sind, sie müssten einen anderen Antrag vorlegen. Dabei geht es um zwei Argumente. Einmal sagen sie, es sei nicht Aufgabe des Staates, solche Forschung zu betreiben oder historische Einordnungen vorzunehmen. Das ist zweifellos richtig. Darum geht es aber überhaupt nicht. Insofern - ich will das in aller Ruhe feststellen - verfehlt die Stoßrichtung Ihres Antrags wirklich die Sache. Denn es geht hier um Geschichtspolitik. Die Geschichtspolitik aller Regierungen - ob diktatorische oder nach unserem
Sprachgebrauch demokratische Regierungen - ist enorm. Schauen wir einmal außerhalb Europas. Wir stellen wir fest, dass dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush eine eigene Bibliothek, also ein eigenes Denkmal, eingerichtet worden ist, womit sein Eintreten für Freiheit und Demokratie gewürdigt wird. Daran erkennen Sie, dass Regierungen Geschichtspolitik betreiben und dass ihr Urteil sich nicht immer mit dem anderer decken muss. Nehmen Sie unser Nachbarland Frankreich als Beispiel und die berühmte Rede von André Malraux über den Widerstandskämpfer Jean Moulin. Das war eine enorme historische Einordnung der Regierung Charles de Gaulles. Regierungen betreiben immer Geschichtspolitik, auch die Regierung hier an der Saar. Ich will das nur einmal feststellen.
Insofern geht es nicht darum, dass wir die Auffassung vertreten, es müssten Saar-Regierungen in irgendeiner Form historische Forschung betreiben. Es geht um etwas ganz anderes. Wir sind heute darin auch bestärkt worden durch das Interview des Historikers Dietmar Hüser, das wir wie Sie zur Kenntnis genommen haben. Das war nicht vorbereitet, nicht abgesprochen, nichts. Er nimmt selbst das Wort „Geschichtspolitik“ der Landesregierung nach 1955 in seinen Sprachgebrauch auf. Er sagt: Es stimmt, dass geschichtspolitisch die Hoffmann-Regierung jahrzehntelang unter die Räder gekommen ist.
Wenn ich jetzt einmal Ihren Antrag nehme, dann muss ich feststellen, dass Ihnen dort ein schwerer Fauxpas unterlaufen ist. Ich will Sie dabei nicht zu sehr verhaften, aber irgendeinem hätte das auffallen müssen. Es ist ein Fauxpas erster Ordnung, wenn Sie Folgendes schreiben: „Das Saarland ist 60 Jahre nach der Saar-Abstimmung vom 23. Oktober eine weltoffene, tolerante und europäische Region mit einer stabilen und wehrhaften Demokratie, die für die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unserer Verfassung eintritt. Unser Land ist vom Zankapfel zwischen zwei Nationen zum Motor der deutsch-französischen Freundschaft geworden.“ Bis dahin in Ordnung. Aber jetzt kommt wirklich ein gravierender Fauxpas: „Das ist das Ergebnis des politischen Wirkens vieler Frauen und Männer in den vergangenen 60 Jahren.“
Das zeigt, wie notwendig es ist, dass wir unseren Antrag vorgelegt haben. Wenn es um die deutschfranzösische Verständigung geht und Sie die Zeit vor der Saar-Abstimmung ausklammern, dann ist das wirklich völlig ahistorisch und ich würde Sie bitten, diesen Antrag zurückzuziehen; er ist so nicht abstimmungsfähig. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, die hier an der Saar Verantwortung getragen haben.
Wenn es um die Würdigung derjenigen geht, die die deutsch-französische Zusammenarbeit aufgebaut haben, dann kann man nicht nur stehen bleiben bei der Zeit vor 1955, der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Man muss den untrennbaren Zusammenhang zwischen der Abstimmung ‘55 und der Abstimmung ‘35 sehen. Teilweise waren es dieselben Personen, die agiert haben. Teilweise gab es dieselben Plakate, wenn auch in etwas abgewandelter Form. Es ging um dieselben Emotionen, die in der Bevölkerung angesprochen worden sind. Insofern gibt es hier einen Zusammenhang.
Ich will nur darauf hinweisen, dass schon ‘35 diejenigen, die sich später wiederum aus Ihrer Sicht um die deutsch-französische Verständigung bemüht haben, engagiert waren. Ich nenne beispielsweise - mit Blick auf die Sozialdemokraten - den legendären Max Braun, der in der Anti-Hitler-Front eine herausgehobene Rolle gespielt hat, später dann auch bei der Organisation des Widerstandes in Paris. Ich nenne ganz bewusst Johannes Hoffmann, der damals schon eine führende Rolle gespielt hat und dessen Rolle man natürlich sehen muss, wenn man darüber spricht, wie es überhaupt zu der deutschfranzösischen Verständigung kommen konnte.
Ich sage es noch einmal: Diejenigen, die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben, waren diejenigen, die die deutsch-französische Verständigung überhaupt erst ermöglicht haben. Deshalb darf so etwas nicht in einem Antrag des saarländischen Landtages stehen.
Das Besondere im Saarland war, dass wir direkt nach dem Krieg eine Emigrantenregierung hatten. Das war in anderen Bundesländern nicht so, auch nicht auf Bundesebene. Ohne alte Wunden aufreißen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass auf Bundesebene der Ministerialdirigent Globke schon im Kanzleramt gearbeitet hat - direkt nach dem Krieg -, als er noch nicht Staatssekretär war. Wie er historisch einzuordnen ist, wissen Sie alle. Zumindest wird sich jeder sein Urteil gebildet haben. Das war das Besondere hier an der Saar. Ich bin als Saarländer stolz darauf, dass wir nach dem Krieg Männer und Frauen hatten, die unbelastet waren, die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben, die den Wiederaufbau des Landes auf den Weg gebracht haben. Ich bin - das sage ich auch als ehemaliger Ministerpräsident dieses Landes - stolz auf diese Frauen und Männer, auf diese Saarländerinnen und Saarländer.
Ich übersehe dabei nicht, dass in der Frontstellung des Nationalsozialismus und der späteren Entwicklung diese Männer und Frauen auch erhebliche Fehler gemacht haben. Diejenigen, die sich mit der Ge
schichte beschäftigt haben, wissen das. Aus Angst, der Rechtsradikalismus könnte wieder stark werden, haben sie den demokratischen Freiheitsrechten nicht in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Sie haben die Parteien nicht rechtzeitig zugelassen. All das ist bekannt. Es gab auch polizeistaatliche Methoden, auch das ist bekannt. Aber das ändert nichts daran, dass man diesen Frauen und Männern gerecht werden muss und ihre persönliche Situation verstehen muss.
Ich will, noch einmal an die Sozialdemokraten gerichtet, sagen, da gab es einen Mann namens Richard Kirn, den ich noch kennenlernen konnte. Richard Kirn musste ebenfalls emigrieren, er hat Widerstand geleistet gegen den Nationalsozialismus. Er wurde in Frankreich inhaftiert und kam in das Zuchthaus Brandenburg. Er ist dann befreit worden und hat nach der Befreiung an der Saar mitgeholfen, das Land wieder aufzubauen. Er ist aber dann aber nach der Abstimmung ‘55 nach Frankreich gezogen, nach Saargemünd, weil er Angst hatte, dass der Rechtsradikalismus wieder erstarken könnte und dass er vielleicht wieder der Verfolgung ausgesetzt sein könnte.
Diese Angst war ja nicht unbegründet, wenn man sich das Lebensschicksal dieser Frauen und Männer vergegenwärtigt! Stellen Sie sich einmal vor, was sie empfunden haben müssen, als sie zum ersten Mal ein Plakat gesehen haben: „Wir sind wieder da.“ Was mit dem „Wir sind wieder da“ gemeint war, ist klar. Das war die DPS, Heinrich Schneider, das muss ich hier nicht erläutern. Wenn man einmal von den Nazis verfolgt war, wenn man einmal im Zuchthaus gesessen hat, wie man das dann aufgenommen hat - es war keine einfache Zeit.
Dass dann nach der Volksabstimmung natürlich nicht versucht worden ist, die Geschichte des Saarlandes sorgfältig aufzuarbeiten, ergab sich wiederum aus den persönlichen Biografien der handelnden Personen. Das ist ja auch von dem Historiker heute gesagt worden. Ich beziehe mich bewusst auf ihn, weil er vielleicht nicht als parteiisch vorbelastet angesehen wird; ich weiß gar nicht, welche Vorlieben er als Bürger dieses Landes hat. Wenn er darauf hinweist, dass die Biografien der Männer und Frauen, die nach 1955 Verantwortung trugen, nicht ausreichend aufgearbeitet worden sind, dann ist das eine Feststellung, die wir mit unserer Broschüre, wenn man so will, wissenschaftlich unterlegt haben. Damals war die Reaktion die, dass man gesagt hat, jawohl, wir wollen auch als Saar-Landtag das aufarbeiten. Denn man kann die Geschichte dieses Landes nicht verstehen, wenn man nicht bereit ist, auch diese Zeit aufzuarbeiten, und zwar wahrheitsgemäß und fair und nicht, indem man leichtfertig über andere den Stab bricht.
Ich wiederhole etwas, was ich zu meiner Studentenzeit immer wieder gesagt habe, wenn die Diskussion auf den Nationalsozialismus kam. Ich habe immer wieder gesagt: Wenn wir zur damaligen Zeit jung gewesen wären, wer von uns kann von sich sagen, dass er nicht zum Mitläufer geworden wäre? Wer von uns kann wirklich guten Gewissens sagen, dass er nicht in den nationalsozialistischen Staat verwickelt worden wäre? - Das ist und bleibt meine Auffassung. Niemand kann im Nachhinein von sich behaupten, er hätte das Zeug zum Widerstandskämpfer gehabt und könnte insofern den moralischen Zeigefinger erheben.
Aber wenn wir heute aufarbeiten - und das sage ich gerade mit Blick auf die aktuelle Entwicklung nicht nur in Deutschland, sondern in Gesamteuropa -, dann müssen wir eben diese Zeit aufarbeiten. Wir müssen vor allen Dingen der gesellschaftlichen Entwicklung Beachtung schenken, die zu solchen nationalistischen Übersteigerungen und riesigen Menschheitsverbrechen geführt hat. Wenn wir diese Zeit aufarbeiten, müssen wir aber im Besonderen die Frauen und Männer würdigen, die damals Widerstand geleistet haben. Versuchen Sie sich vorzustellen, was es heißt, etwa bei der Abstimmung ‘35, wenn man gekämpft hat - und es waren hervorragende Frauen und Männer, ich nenne auch einmal den Schriftsteller Gustav Regler - und dann feststellt, dass eine erdrückende Mehrheit, fast alle Saarländerinnen und Saarländer damals für den Anschluss ans Reich gestimmt haben. Das ist eine ganz, ganz schwierige Situation. Wenn Sie das übersetzen auf die Zeit von 1955, dann war es so, dass die Leute, die Widerstand geleistet haben, irgendwie das Empfinden hatten, dass es vielleicht umsonst war. Das mussten sie haben, nachdem sie gesehen haben, was da passiert war: „Wir sind wieder da.“ Die Emigration wurde von den Heimatbundparteien, das heißt von der DPS, ich muss es präzisieren, missinterpretiert oder missbraucht, indem sie gesagt haben, damals hetzten sie gegen Deutschland.
Ich will damit sagen, es gibt Zeiten, in denen nichts schwieriger ist, als Widerstand zu leisten und Nein zu sagen, insbesondere wenn die Mehrheit in eine andere, eine falsche Richtung geht. Und deshalb sollten wir immer stolz auf diejenigen sein, die Widerstand leisten und die dadurch die Grundlage dafür schaffen, dass Jahre später die Dinge wieder anders sein können. Das gilt insbesondere für die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich.
Zur Begründung des Antrags der Koalitionsfraktionen erteile ich Herrn Abgeordneten Roland Theis das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus der Broschüre, die Sie, sehr geehrter Herr Lafontaine, vor einiger Zeit veröffentlicht haben und die wir nicht nur optisch wahrgenommen haben, sondern die wir mit großem Interesse an der Geschichte dieses Hauses gelesen haben, ist mir ein Gesprächsangebot weder erinnerlich noch deutlich geworden. Umso besser ist es aber, dass wir heute darüber sprechen, denn die alte Wahrheit lautet: Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist dazu verdammt, sie wieder zu erleben. Insofern ist ein solcher Diskurs hier im Parlament ein Wert an sich. Ich gebe zu, ich höre Ihnen auch gerne zu, Ihnen als jemand, der Dinge historisch einordnet, der vieles und viele als Zeitzeuge erlebt hat. Insofern ist das mit Sicherheit ein Gewinn für den heutigen Tag.
Ich will Ihnen allerdings an dem einen oder anderen Punkt doch widersprechen, bevor ich zur Begründung unseres Antrags komme, weil Sie meines Erachtens sowohl Ihren Antrag als auch unseren Antrag missinterpretieren, und ich möchte das im Gesamtzusammenhang tun, um an der Stelle keine Missverständnisse zuzulassen. Zunächst einmal sagen Sie, man muss hier unterscheiden zwischen Geschichtspolitik auf der einen Seite und staatlichen Vorgaben für historische Bewertung. Das ist richtig. Geschichtspolitik an sich ist nicht falsch. Museen zu bauen und dafür zu sorgen, dass es einen Rahmen für historische Aufarbeitung gibt, Bibliotheken zu bauen und dafür zu sorgen, dass Forscher die Möglichkeit haben, an der Geschichte zu arbeiten, dass Journalisten Zugang haben, dass sie publizistisch arbeiten können, das kann man Geschichtspolitik nennen. Dazu gibt es Traditionen in anderen Ländern, in unserem Land im Übrigen weniger. Auch das ist eine Reaktion auf die Geschichte unseres Landes.
Aber staatliche Vorgaben zu machen, das geht nicht. Und deshalb verweise ich auf Ihren Antrag. Sie haben nämlich als Beschlussempfehlung nicht nur die zwei Zeilen formuliert, die Sie am Ende vorgetragen haben, sondern Sie haben den gesamten Antrag formuliert. Und dort stehen historische Feststellungen drin, die ich nicht teilen kann, zum Beispiel - Sie haben den Artikel von Professor Hüser heute Morgen zitiert - die Feststellung, dass die Geschichte des Saarlandes in dieser Zeit nicht richtig aufbereitet wurde. Wenn Sie Herrn Hüser richtig zitiert hätten, wenn Sie ihn nämlich bis zum Ende zitiert hätten, dann hätten Sie nicht nur den Satz angeführt - ich mache das jetzt einmal aus dem Gedächtnis -, es stimmt, dass die Geschichtspolitik der Landesregierung nach 1955 versucht hat, dies nicht so darzustellen, sondern auch, dass in den letzten beiden Jahrzehnten die Hoffmann-Ära sehr wohl aufbereitet worden ist. Und in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich daraus - Zitat - ein sehr nuan
ciertes Bild der Hoffmann-Ära ergeben. Das heißt, Ihre Beschlussempfehlung ist nicht richtig. Das zeigt, Geschichtspolitik und Vorgaben staatlicherseits sind nicht richtig. Und deshalb lehnen wir sie zu Recht ab, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich möchte zu einem zweiten Punkt kommen, bei dem ich glaube, dass es nicht fair ist, unseren Antrag so zu interpretieren, wie Sie es jetzt gerade versucht haben. Sie haben gesagt, wir nennen die Männer und Frauen nach 1955 als Akteure des Motors der deutsch-französischen Freundschaft und Sie haben uns damit unterstellt, wir würden andere weglassen. Der Christdemokratie zu unterstellen, sie sei der Auffassung, dass Konrad Adenauer keinen wesentlichen Beitrag in den Jahren 1949 bis 1955 geleistet hat und den Sozialdemokraten zu unterstellen, sie würden Kurt Schumacher unter den Tisch fallen lassen, das ist an den Haaren herbeigezogen, Herr Lafontaine.
Sie haben eine Studie vorgelegt über die Männer und Frauen nach 1955 in diesem Haus. Und unsere Gegenbehauptung war, auch in diesem Haus gab es Frauen und Männer, die Motor der deutsch-französischen Freundschaft waren. Herr Lafontaine, ich gebe es zu: Ich habe sogar Sie gemeint. Deshalb ist es nicht falsch, was wir da geschrieben haben. Es ist richtig und es ist die richtige Antwort auf Ihren Antrag. Und es grenzt niemand aus. Die Frauen und Männer im Widerstand, die Frauen und Männer, die im Übrigen bereits nach dem Ersten Weltkrieg und vor den Zeiten des Nationalsozialismus mit dem Ziel gearbeitet haben, Deutschland und Frankreich einander näher zu bringen, die verstanden haben, dass wir in Europa nur dann Frieden erreichen werden, wenn die beiden Länder Deutschland und Frankreich sich mitten in Europa nicht feindlich gegenüberstehen, diese Frauen und Männer wegzulassen, wäre völliger Unfug. Und deshalb ist das auch nicht in diesen Antrag hineinzulesen. Wir Christdemokraten, die Antragsteller dieses Antrags - und ich glaube, ich spreche auch für die SPD - vergessen niemanden, der dazu einen Beitrag geleistet hat. Aber in diesem Parlament gab es auch nach 1955 Akteure für diese Verständigung. Nur das wollten wir zum Ausdruck bringen und das ist uns meines Erachtens auch gelungen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ihr Antrag hat zwei Stoßrichtungen, nämlich zum einen die Frage, wie stark Mitglieder dieses Parlaments nach 1955 Verwurzelungen in der NSDAP hatten, was ja der Fall war. Das galt im Übrigen für alle Parteien. Außer für die CVP gilt der Satz, dass