Protocol of the Session on March 16, 2010

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Stärkung der Bürgerrechte durch mehr direkte Demokratie stand in der vergangenen Legislaturperiode mehrmals auf der Tagesordnung. Um genau zu

(Minister Jacoby)

sein: Wir haben fünf Mal im Plenum beraten. Über einen Zeitraum von drei Jahren haben wir immer wieder unseren Gesetzentwurf eingebracht, damals noch Seite an Seite mit FDP und GRÜNEN, das Ergebnis war allerdings gleich null. Die Regelungen zur Volksgesetzgebung sind nach wie vor praxisuntauglich. Sie sind sogar die bürgerunfreundlichsten in ganz Deutschland. Dies wurde gerade wieder dieser Tage im dritten Volksentscheid-Ranking des Vereins Mehr Demokratie e. V. bestätigt.

Das Saarland ist nach wie vor Schlusslicht in Deutschland, wenn es um die Frage der Praxistauglichkeit in Sachen Volksbegehren und Volksentscheid geht. Trauriger Beleg dafür ist, dass seit Einführung des Gesetzes, also seit 60 Jahren, in diesem Bundesland kein einziger Volksentscheid erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnte. Entscheidender Grund dafür ist das absolute Finanztabu. Genau an diesem Punkt war - zumindest in der vergangenen Legislaturperiode - die CDU gänzlich unbeweglich. Bei der CDU war man vielmehr der Auffassung, dass alle Regelungsmaterien, die sich auch nur im geringsten Umfang auf den Haushalt auswirken, von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen sein sollten.

Stattdessen legte die CDU ein - wie in der Anhörung beschrieben - Gesetz des schönen Scheins vor. Es wurde weiter beschrieben, es sei ein Luftballon, aus dem sofort die Luft entweiche, wenn man ihn nur anfasse. Es wurde gar als eine Mogelpackung bezeichnet, was wir hier als Beratungsgrundlage von der CDU vorliegen hatten. Ich weiß nicht, ob die CDU heute in der Sache anders denkt, möglicherweise nicht. Im Koalitionsvertrag steht allerdings drin, dass man die restriktiven Regelungen des Finanztabus ändern will, das man Quoren absenken und das Verfahren insgesamt erleichtern will sowie das Instrument der Volksinitiative einführen will.

Allein diese Worte helfen in diesem Land jedoch keinem weiter. Diesen Worten müssen auch Taten folgen. Ich bin sogar der Auffassung, die Taten hätten schon lange erfolgt sein müssen.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Denn wenn es nun eine, wie ich hoffe, verfassungsändernde Mehrheit in diesem Hause gibt, dann gibt es auch keinen Grund mehr, dieses Vorhaben auf die lange Bank zu schieben. Vor diesem Hintergrund ist es also mehr als verwunderlich, dass Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, noch keine Initiative ergriffen haben, dass Sie auch nach den Aussagen der GRÜNEN-Landesvorsitzenden Willger-Lambert so schnell nicht vorhaben, Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

Für diese Vorgehensweise, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als SPD-Landtags

fraktion kein Verständnis. Wir sind vielmehr der Auffassung, dass es geradezu ein Gebot der demokratischen Fairness ist, ein so grundsätzliches Thema unmittelbar zu Beginn der Legislaturperiode auf den Weg zu bringen. Nur so kann man gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern glaubwürdig auftreten.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Wenn man allerdings als Regierung erst alle umstrittenen Projekte durchziehen will, bevor man den Bürgerinnen und Bürgern stärkere Beteiligungsrechte einräumt, wenn man es so macht, meine sehr verehrten Damen und Herren, verliert man natürlich jegliche Glaubwürdigkeit, zumindest in dieser Frage.

Schlimmer noch: Es entsteht zu Recht der Eindruck, dass die Regierung offenkundig Angst vor ihren Bürgerinnen und Bürgern hat. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben offensichtlich Angst, dass Ihre Vorhaben von der Bevölkerung nicht getragen werden, dass Sie dafür keine ausreichende Mehrheit in der Bevölkerung finden. Deshalb halten Sie lieber vorerst an den Verhinderungsregelungen fest, wie wir sie aktuell haben. In der Saarbrücker Zeitung war es auch zu lesen: Jamaika hat Angst vor dem Volk. - Eine Regierung, die Angst vor den Bürgern hat, das ist mit Sicherheit ein Dokument des Scheiterns.

(Beifall bei der SPD.)

Und falls Sie uns nicht glauben und sagen, das ist alles wieder nur Gerede von der SPD, will ich Ihre Aufmerksamkeit einmal auf entsprechende Presseverlautbarungen der Jugendorganisation der FDP, der JuLis, lenken. Die haben dazu ganz interessante Presseveröffentlichungen gemacht, die möglicherweise Rückschlüsse auf die eine oder andere Überlegung in der Koalition zulassen. Ich darf an der Stelle aus einer Pressemitteilung der JuLis zitieren: „Im Wahlkampf und im Koalitionsvertrag wurde den Bürgern mehr direkte Demokratie versprochen. Ein so wichtiges Thema darf nicht bis zum Ende der Legislaturperiode aufgeschoben werden.“ - Richtig! Genau das habe ich eben gesagt. Ich zitiere weiter: „Gerade die GRÜNEN, die mit am lautesten für mehr direkte Demokratie gekämpft haben, müssen jetzt dazu stehen.“ - Ich frage mich, warum die JuLis sich Sorgen machen, dass die GRÜNEN vielleicht nicht dazu stehen könnten. - Ich zitiere weiter: „Dazu gehört, dass sie sich ihre umstrittenen Gesetzesvorhaben in der Jamaika-Regierung von der saarländischen Bevölkerung bestätigen lassen. Glaubwürdige Politik verlangt, dass man nach einem Wahlsieg an sich selber dieselben Maßstäbe setzt, wie man sie zu Oppositionszeiten von anderen gefordert hat.“ So weit zur Pressemitteilung der JuLis.

(Beifall bei der SPD.)

(Abg. Rehlinger (SPD) )

Die spitzen das sogar noch zu. Das war also nicht nur ein Einzelläufer, den die herausgebracht haben, sondern das hat offensichtlich Methode. In einer weiteren Pressemitteilung heißt es, nachdem gerade wieder festgestellt worden ist, dass wir Schlusslicht sind: Wer wie die GRÜNEN vor der Wahl große Töne spuckt, muss sich hinterher auch daran halten. Offensichtlich sind die JuLis außerordentlich besorgt, dass gerade die GRÜNEN möglicherweise von ihrer Absicht abrücken, etwas für die Bürgerinnen und Bürger tun zu wollen.

Schließlich gibt es noch eine Pressemitteilung der JuLis, die das Ganze bestens auf den Punkt bringt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte mich bei der Vorbereitung der Rede eigentlich gefragt: Was soll ich denn alles erzählen, ich habe ja in der letzten Legislaturperiode schon fünf Mal zu diesem Thema gesprochen. Glücklicherweise bin ich auf die Pressemitteilung der JuLis gestoßen. Da steht all das drin, was man an dieser Stelle als Opposition eigentlich sagen muss. Deshalb möchte ich auch fortfahren und daraus zitieren: „Es kann nicht sein, dass führende GRÜNEN-Politiker sich innerhalb der Jamaika-Regierung dafür einsetzen, dass die Vereinfachung des Volksentscheides auf die lange Bank geschoben wird.“

(Abg. Commerçon (SPD) : Wer kann das nur sein?)

Meine Damen und Herren, wer setzt sich denn da als führender GRÜNEN-Politiker dafür ein, dass das, was er vorher so vehement versprochen hat, jetzt nicht auf den Weg gebracht werden soll, obwohl offenkundig alle Mittel dafür zur Verfügung stehen? Es heißt dann weiter: „Die GRÜNEN wollen mehr Mitbestimmungsrechte für die Bürger, aber bitte nur, wenn die eigenen politischen Ideen dadurch nicht gefährdet werden. Verantwortungsbewusst zu regieren bedeutet auch, nicht gegen den Willen der Saarländerinnen und Saarländer zu handeln und sie in die politische Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, so wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist. Wir fordern mehr Mitbestimmung bei wichtigen politischen Entscheidungen, und zwar sofort.“ - Völlig zu Recht! Und es wird noch ein Absatz eingefügt und damit mache ich das rund: „Dieses Placebo-Argument“ - gemeint ist das Argument der Kollegin Willger-Lambert - „dient doch nur dem taktischen Spiel, die Saarländerinnen und Saarländer von diesen wichtigen Entscheidungen auszuschließen und die Bürger in unserem Land zu bevormunden. Was von den GRÜNEN vor der Wahl versprochen wurde, muss auch nach der Wahl gehalten werden.“ - Recht hat der junge Mann! Das können wir als SPD-Landtagsfraktion nur unterstützen.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass jetzt ausgerechnet die GRÜNEN beim Thema mehr Bürgerbeteiligung, beim Thema mehr direkte Demokratie im Bremserhäuschen sitzen, war nach den Verlautbarungen der Vergangenheit ganz sicher nicht zu vermuten. Aber wir als SPD hätten ja auch so einiges anderes im Hinblick auf die GRÜNEN nicht unbedingt vermutet. - Verwundert wird sich sicherlich auch der Verein Mehr Demokratie e. V. die Augen reiben. Denn das vermeintlich beste Pferd im Stall, nämlich die GRÜNEN, verweigert jetzt, wo es darauf ankommt, vor dem Hindernis. Wir als SPDLandtagsfraktion hingegen bleiben auch in diesem Punkt unserer Linie treu. Wir kämpfen auch weiterhin für mehr Bürgerbeteiligung und wollen daher mit dem vorgelegten Gesetzentwurf die bisherige AlibiVolksgesetzgebung durch praxistauglichere Regelungen ersetzen. Wir haben dabei auch eine Reihe von Anregungen aus der Anhörung der letzten Legislaturperiode berücksichtigt und den Gesetzentwurf entsprechend weiterentwickelt. Neu eingeführt werden soll das Instrument der Volksinitiative, sozusagen eine Befassungspflicht für den saarländischen Landtag. Auf der Stufe der Volksbegehren sehen wir gleich in mehrfacher Hinsicht Veränderungsbedarf. Zunächst einmal senken wir das Unterstützungsquorum von 20 Prozent auf 8 Prozent, das heißt von 160.000 auf 64.000 Unterstützer. Außerdem verlängern wir die Frist für das Sammeln der Unterschriften von 14 Tagen auf drei Monate und lassen zusätzlich zur Amtseintragung auch die freie Unterschriftensammlung zu.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit erreichen wir gerade auch in der konkreten Kombination der Änderungen weitreichende Verbesserungen. Wichtig ist aber vor allem, dass wir die bestehende Blockade durch das absolute Finanztabu auflösen. Bisher war es so, dass alle Gesetze, deren materielle Umsetzung finanzielle Folgen haben, von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen waren. Dieses absolute Finanztabu ist natürlich ein K.o.-Kriterium für die ganz überwiegende Anzahl von Themen. Eine solche Vorzensur ist nach unserer Auffassung mit einer echten Bürgerbeteiligung nicht vereinbar. Insofern ist es nur konsequent, auch hier Veränderungen vorzunehmen. Nach unserem Vorschlag sind Volksbegehren erst dann unzulässig, wenn sie 0,5 Prozent des Landeshaushaltes überschreiten. Dies ist ein Vorschlag, der sich an die aktuelle Rechtsprechung anlehnt und so in der vergangenen Legislaturperiode auch von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemacht wurde. Dies ist, wie ich meine, ein Kompromissvorschlag, dem auch die CDU, die zumindest in der Vergangenheit am absoluten Finanztabu festhalten wollte, zustimmen könnte.

Ich möchte auch den Punkt Volksentscheid ansprechen. Während nach der derzeitigen Regelung noch 50 Prozent der Stimmberechtigten dem Gesetz zu

(Abg. Rehlinger (SPD) )

stimmen müssen - das sind rund 400.000 Wahlberechtigte -, würde die Hürde durch unseren Gesetzentwurf erheblich gesenkt werden. Wir schlagen ein Beteiligungsquorum von 25 Prozent und eine einfache Mehrheit, bezogen auf die tatsächlich abgegebenen Stimmen, vor. Gleichzeitig soll das rechtmäßige Zustandekommen von Volksbegehren eine aufschiebende Wirkung für die Regelungsmaterie entfalten, sodass dem Volksbegehren nicht nachträglich durch Änderung der gesetzlichen Ausgangslage der Boden unter den Füßen entzogen werden kann. So geschehen in der letzten Legislaturperiode bezogen auf die Debatte zu den Grundschulschließungen. Und schließlich sollen die Abstimmungsberechtigten mit einer Karte benachrichtigt und umfassend über den Gegenstand des Volksentscheides informiert werden. Letztlich sollte es nach unserer Meinung auch möglich sein, per Volksentscheid die Verfassung zu ändern, natürlich nach Überwindung der entsprechend höher zu legenden Hürden. 50 Prozent der Stimmberechtigten müssen daran teilnehmen und zwei Drittel der abgegebenen Stimmen auf den Vorschlag entfallen. Bisher ist eine Änderung der Verfassung per Volksentscheid gänzlich ausgeschlossen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir halten unseren Vorschlag für ausgewogen und auch für zustimmungsfähig, sodass er in diesem Hause auch eine Zweidrittelmehrheit erreichen könnte, wenn Sie es denn tatsächlich wollten, wenn Sie es vor allem auch zu diesem Zeitpunkt wollten. Wenn es hier überhaupt eine Debatte über diesen Vorschlag geben wird, werden wir uns nicht um zwei oder drei Prozent rauf oder runter streiten, um eine oder zwei Wochen Frist oder darum, ob länger oder kürzer. Wir wären selbstverständlich gesprächsbereit, wenn es Ihnen überhaupt darum ginge, Verbesserungen bei der Bürgerbeteiligung zu erreichen. Wir folgen mit unserem Vorschlag dem Motto „Das Machbare umsetzen, ohne dabei das Wünschenswerte aus dem Auge zu verlieren.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man darf nicht in schöner Regelmäßigkeit in Wahlanalysen die geringe Wahlbeteiligung als Ausdruck von Politikverdrossenheit beklagen, zwischen den Wahlterminen dann aber alles dafür tun, dass die Politikverdrossenheit eher größer als kleiner wird. Der Politikverdrossenheit leistet man aber Vorschub, indem man mit Alibiregelungen eine Bürgerbeteiligung vorgaukelt, die so nicht funktionieren kann.

(Zuruf des Abgeordneten Schmitt (CDU).)

Wir von der SPD wollen eine faire und bürgerfreundliche Demokratie. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie auch leben können. Wir sind bereit, hier und heute das dafür Erforderliche zu tun. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Herr Fraktionsvorsitzender Hubert Ulrich.

(Abg. Spaniol (DIE LINKE) : Eigentlich müsste ich jetzt rausgehen. - Heiterkeit bei den Oppositionsfraktionen.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Plebiszite sind eine wichtige Möglichkeit, die Menschen in einer Demokratie auf direktem Wege an der Demokratie zu beteiligen.

(Zurufe von der LINKEN: Bravo!)

Alle Parteien beklagen sich zu Recht seit langen Jahren über ein hohes Maß an Politikverdrossenheit, über zurückgehende Wahlbeteiligungen, über ein zu geringes Engagement der Menschen in den Parteien. Allerdings trägt die politische Klasse selbst immer munter und kräftig zu dieser Politikverdrossenheit bei.

(Zurufe von der LINKEN: In der Tat! - Abg. Schmidt (SPD) : Ein wahres Wort!)

Wir erleben ja gerade im Saarland einige nette Beispiele dafür.

(Zuruf des Abgeordneten Commerçon (SPD).)

Schuld, Herr Commerçon, sind natürlich immer die anderen. Die Folge davon ist,

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) : Was denn?)

dass sich in unserem Lande immer mehr Menschen von der Parteipolitik abwenden.

(Abg. Hoffmann-Bethscheider (SPD) : Ja, ganze Arbeit geleistet!)

Und daran, meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade auch Sie von der Opposition, können wir alle kein Interesse haben.

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) : Zustimmung! Dann fangen Sie mal an!)

Denn das bedeutet am Ende einen Schaden für die Demokratie insgesamt.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Geht es aber um konkrete Themen,

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) : Ja, was ist dann?)