Herr Minister, ich muss Sie kurz unterbrechen. Ich bitte die Medien, ihre Arbeit im Medienraum durchzuführen. Das stört hier. Das ist eigentlich nicht zulässig.
Insofern weise ich alle Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit formuliert wurden, wir würden hier durch die Einführung einer Gemeinschaftsschule oder eines Zwei-Säulen-Modells ein Trojanisches Pferd installieren, entschieden zurück. Dieses Modell ist die richtige Antwort für mehr Bildungsgerechtigkeit und die richtige Antwort auf die demografische Entwicklung in diesem Land, und nichts anderes. Hier wird mit einer Unterstellung gearbeitet. Ich weise entschieden zurück, dass wir in der Form Bildungspolitik betreiben würden!
Natürlich muss man sagen, dass die Einführung des Zwei-Säulen-Modells nicht zu einer Vermehrung der Gesamtschülerzahl im Lande führt. Das ist klar angesichts der demografischen Entwicklung. Aber das Modell beinhaltet durch das komplette Bildungsangebot, das wir anbieten, doch die Chance, dass sich die Schülerströme auf die einzelnen Schulstandorte im Land anders, auch gleichmäßiger, verteilen. Ebenso wird der Wettbewerb zwischen den Erweiterten Realschulen und den Gesamtschulen beendet. Dies vereinfacht eine Schulentwicklungspla
nung, es erleichtert Personalisierungen und es erleichtert insbesondere den Eltern die Schulwahlentscheidung. Das wollen wir doch alle, meine Damen und Herren!
Dem heutigen Tag mit dem Einbringen der erforderlichen Rechtsregelungen zur Verfassungsänderung in Erster Lesung sind eine Reihe von Verhandlungsgesprächen mit den Oppositionsparteien vorangegangen, die am 23. Februar ihren Abschluss gefunden haben. Die Landesregierung und die Regierungsfraktionen haben sich in diesen Verhandlungen sehr weit bewegt und ein Höchstmaß an Transparenz und auch Entgegenkommen gezeigt, insbesondere bei der Gestaltung des Differenzierungsmodells, der Oberstufenkonstruktion, einer Aussage zur Inklusion und ebenso in der Frage der Klassengrößen. Unter dem Motto "Gemeinsam geht Bildung besser" haben wir zugesagt, dass eine Änderung des Schulordnungsgesetzes nach der Verfassungsänderung erfolgt, die es ermöglicht, auch kleinere Standorte zu erhalten.
Ich nehme allerdings wahr, dass Teile der Opposition und ihr eventuell nahestehende Interessengruppen versuchen, der Landesregierung irgendwelche Schulschließungspläne in die Schuhe zu schieben.
Das weise ich weit von mir. Solche Unterstellungen haben mit einer seriösen Bildungspolitik und einer seriösen Bildungsdiskussion nichts zu tun. Meine Damen und Herren, das ist reine Stimmungsmache, dies soll Ängste in der Bevölkerung erzeugen. Meines Erachtens ist so etwas schlichtweg verantwortungslos!
Wir haben weiter zugesagt, die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen durch ein entsprechendes Lehrerfortbildungsprogramm zu begleiten. Ein inhaltlicher Schwerpunkt dieses Programms wird der Umgang mit heterogenen Schülergruppen sein, der Umgang mit Heterogenität in der Klasse schlechthin und natürlich die individuelle Schülerförderung. Die neue Gemeinschaftsschule wird eine Funktionsstellenstruktur erhalten, die sich an einem bereits schon früher entwickelten Modell für die Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen orientiert.
Wir werden des Weiteren eine Verkleinerung der Klassen anstreben, allerdings ohne dies zum Ausschließlichkeitskriterium für guten Unterricht und Schulqualität zu machen. Mir ist es wichtig, dass alle Schulen gute Rahmenbedingungen für Lehren und Lernen haben. Da die Bedingungen der Schulen in regionalspezifischer, soziokultureller und siedlungs
struktureller Hinsicht sehr unterschiedlich sind, erfolgen auch unterschiedliche Personalisierungsmaßnahmen.
Neben einer Verkleinerung der Klassen wird es auch eine Verbesserung des Unterrichtsangebotes geben. Die Gemeinschaftsschule erhält eine neue Stundentafel, in der mit dem neuen Fremdsprachenkonzept der Landesregierung - das ist unser erklärtes Ziel - die Mehrsprachigkeit umgesetzt wird. Zur Vermeidung von Unterrichtsausfällen an allen weiterführenden Schulen werde ich mit der Einführung des Zwei-Säulen-Modells ab dem Schuljahr 2012/ 2013 zusätzlich eine schrittweise Erweiterung der mobilen Lehrerreserve vornehmen.
Dies alles zusammengenommen zeigt, dass die Landesregierung keineswegs nur oberflächlich Veränderungen an den Strukturen des Schulsystems vornimmt, sondern verantwortungsvoll und konzeptionell durchdacht handelt.
Die Strukturänderungen gehen einher mit einer verbesserten Lehrerausstattung, einem Ausbau des Fortbildungs- und Unterrichtangebotes sowie mit mehr Gestaltungsfreiheit für die einzelnen Schulen bei der inhaltlichen Konzeption und der Profilbildung, verbunden mit dem Ziel, mehr Qualität und mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Das am 23. Februar vorgelegte Eckpunktepapier zur Gemeinschaftsschule ist in dieser Hinsicht mehrfach überarbeitet worden und ist heute eine wesentliche Grundlage zur Ausgestaltung der neuen Schulform. Auf dieser Basis erfolgt die Ausarbeitung der neuen Gemeinschaftsschulverordnung, an der ich Schulpraktiker und Bildungsexperten beteiligen werde.
Die von mir in den vergangenen Monaten durchgeführte Anhörung zu dem geplanten Zwei-Säulen-Modell hat gezeigt, dass die meisten Anzuhörenden tendenziell eine solche Neugliederung des Schulsystems vom Grundsatz her als sinnvoll erachten. Dies gilt insbesondere für die Gesamtlandeselternvertretung, die Gesamtlandesschülervertretung, die Handwerkskammer, die Industrie- und Handelskammer, die Arbeitskammer des Saarlandes sowie für den saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverband.
Auf die Bedenken und Vorschläge anderer Verbände, Organisationen und Gewerkschaften hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Gemeinschaftsschule - ich beziehe mich auf die noch zu gestaltende Gemeinschaftsschulrechtsverordnung, die Personalisierung und die Zuweisung beziehungsweise die Berechnung des Schulbudgets - werde ich im Rahmen von Informationsveranstaltungen sowie in der Diskussion um die Ausarbeitung der Schulverordnung natürlich näher einzugehen haben.
Fest steht, meine Damen und Herren, dass die Neugestaltung unseres Schulsystems durch die Überleitung der bisherigen Dreigliedrigkeit in Richtung einer Zweigliedrigkeit nach den übergeordneten Gesichtspunkten Standortsicherung, Demografiefestigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Durchlässigkeit und Wahlfreiheit der Eltern bereits eine breite gesellschaftliche Zustimmung in unserem Land erfahren hat. Mit dem neuen verbesserten Schulsystem haben wir im Saarland die Chance, uns an die Spitze der Bundesländer zu setzen, die angesichts der demografischen Entwicklung sowie der Gerechtigkeitsdiskussion in der Bildung ebenfalls eine Straffung ihrer Schulstrukturen vornehmen wollen.
Den Entwicklungsweg zum Aufbau eines Zwei-Säulen-Modells haben die meisten Bundesländer de facto bereits eingeschlagen. Im Saarland haben wir darüber hinaus die Chance, endlich die überkommenen, ideologisch gefärbten Schulgrabenkämpfe - ich nenne es mal so - zu beenden und einen dauerhaften Schulfrieden zu erreichen. Das neue Schulmodell ist meines Erachtens sehr pragmatisch ausgerichtet. Es verbindet viele Interessen, schafft zudem aber neue Möglichkeiten, unterschiedliche pädagogische Ausrichtungen miteinander zu vereinbaren. Die letzte Verfassungsänderung in der Schulformfrage, meine sehr geehrten Damen und Herren, liegt 15 Jahre zurück. Heute haben wir die Chance, durch eine neue Verfassungsänderung für die Schullandschaft des Saarlandes ein Zwei-Säulen-Modell zu installieren, das den Menschen in diesem Land für die nächsten 15 Jahre Verlässlichkeit und Sicherheit, insbesondere aber auch Ruhe an der Schulfront bringen kann.
Insofern ist meines Erachtens heute schon ein historischer Tag in der Schulgeschichte des Saarlandes. In diesem Sinne bitte ich alle Fraktionen des Landtages, in möglichst großer Gemeinsamkeit für die dauerhafte Neugestaltung des Schulwesens im Saarland ihrer Verantwortung nachzukommen und sowohl der Verfassungsänderung als auch sich daraus ergebenden weiteren schulrechtlichen Änderungen zuzustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister Kessler, für die Begründung der beiden Gesetzentwürfe. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Commerçon von der SPD-Landtagsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch in der zweiten wichtigen Debatte des heutigen Tages, der Bildungsdebatte, geht es im
Kern um die Glaubwürdigkeit. Deshalb möchte ich zu Beginn noch einmal erwähnen, was wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den Menschen vor der Wahl versprochen hatten. Nach dem Murks bei G 8 und nach der Grundschulschließungswelle in der letzten Legislaturperiode hatten wir vor der Landtagswahl gesagt: Es muss Schluss sein mit den Experimenten an unseren Schülerinnen und Schülern. Wir dürfen die Schülerinnen und Schüler nicht weiter zu Versuchskaninchen machen! - Zentrales Ziel der Bildungspolitik, das haben wir den Menschen versprochen, muss sein, dass jedes Kind die optimalen Bedingungen bekommt, um individuell gefördert zu werden und den jeweils bestmöglichen Schulabschluss zu erreichen.
Vor der Wahl haben wir gesagt, dass wir nicht primär an Strukturen herumdoktern wollen. 1996 - der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen - sind wir bereits den entscheidenden Schritt der Schulstrukturreform in diesem Land gegangen, indem wir die immer mehr zur Restschule verkommene Hauptschule abgeschafft haben. Seitdem hat ein Schüler die Möglichkeit, den mittleren Bildungsabschluss in jeder Gemeinde dieses Landes zu machen. Seitdem gibt es bereits, Herr Minister, die zwei Wege zum Abitur, einerseits am Gymnasium und andererseits in der Regel auch an der Gesamtschule. Sofern die Minister nicht, wie Sie beispielsweise auch, Befristungsanträge aufgehoben haben, ist es an Gesamtschulen möglich, Oberstufen zu bilden. Auf dem zweiten Weg kann dieser Abschluss auch im Anschluss an der Erweiterten Realschule erworben werden. Die GRÜNEN waren damals gegen diese Entschließung, der GEW-Vorsitzende war allerdings dafür. SPD und CDU haben damals in der Tat einen verantwortungsvollen, ich glaube sogar den entscheidenden, Schritt getan.
Wir haben allerdings vor der letzten Wahl auch gesagt, dass wir in diesem Land zunächst kleinere Kassen brauchen. Um die Individualisierung des Lernens zu ermöglichen, brauchen wir bessere Rahmenbedingungen. Wir brauchen aber - darum geht es im Kern in der heutigen Debatte - kein weiteres blindes Herumbasteln an äußeren Strukturen. Wer etwas anderes behauptet - die GRÜNEN tun das ständig -, sagt an dieser Stelle die Unwahrheit. Das alles steht in unserem Regierungsprogramm! Herr Kollege Schmitt, Sie brauchen jetzt nicht den Kopf zu schütteln, genau das haben wir vor der Wahl versprochen.
Wer etwas anderes behauptet, sagt die Unwahrheit. Lügen werden nicht dadurch wahrer, dass man sie häufig wiederholt.
Die Koalition hat sich im Gegensatz dazu darauf verständigt, den Schwerpunkt eben nicht auf inhaltliche, auf Qualitätsverbesserungen im Bildungswesen zu legen, sondern hat stattdessen zwei Strukturreformen vereinbart. Die erste Strukturreform, die Sie vereinbart hatten - ich will heute erneut daran erinnern -, war der Versuch, in diesem Land ein fünftes Grundschuljahr einzuführen. Sie wurden damit als Koalition zur Lachnummer in der Republik. Die Menschen sind uns bis heute dankbar dafür, dass wir wenigstens die Schülerinnen und Schüler und dieses Land insgesamt davor bewahrt haben, zur Lachnummer der Republik zu werden.
Nicht nur die Bevölkerung ist dafür dankbar, auch weite Teile in diesem Haus sind dafür dankbar, dass wir diesen völligen Schwachsinn beendet haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte beispielsweise aus dem entsprechenden Schreiben der Jungen Union an die Öffentlichkeit zitieren. Da heißt es - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: „Die Weigerung der SPD, einer Verlängerung der Grundschulzeit auf fünf Jahre zuzustimmen, hat bei den meisten CDU-Mitgliedern zu großer Erleichterung geführt.“
Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, trotzdem sind wir sehr stolz darauf, dass wir das getan haben.
Sie haben eine zweite Strukturdebatte angeschoben. Sie wollten die Gesamtschulen abschaffen das hat die CDU schon immer gewollt -, die wir damals aus gutem Grunde, Herr Minister, mit in der Verfassung verankert haben. Sie wollten diese mit den Erweiterten Realschulen zusammenlegen und umbenennen in Gemeinschaftsschulen. Wir haben an dieser Stelle gesagt, wir sind bereit, mit den Koalitionsfraktionen darüber zu verhandeln. Wir haben das - das werden Sie kaum bestreiten können; alle Belege, alle Papiere, die wir dazu vorgelegt haben, kennen Sie, die sind veröffentlicht - wirklich transparent gemacht. Das haben wir in aller Ernsthaftigkeit getan.
Wir haben aber auch gesagt, dass wir klare Erwartungen daran haben, dass es dabei um ein Paket gehen muss, dass wir eben nicht die Katze im Sack kaufen. All das, was in den heutigen Gesetzestexten, die Sie vorgelegt haben, steht, reicht eben nicht aus, um wirklich dafür zu sorgen, dass wir Gewissheit haben, dass wir Sicherheit haben, dass auch das wirklich drinsteckt, was Sie hier in hehren Worten verkünden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deswegen haben wir gesagt, nur in Verbindung mit verbindlich festgelegten Qualitätsverbesserungen, nur in Verbindung mit einer wirklich manife
stierten Gleichwertigkeit und unter Wahrung der wesentlichen Erfolge der Gesamtschulen, sind wir bereit, einer solchen Verfassungsänderung zuzustimmen.
Im Mittelpunkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss dabei aus unserer Sicht bei jeder Schulreform die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes stehen, wenn es wirklich um Bildungsgerechtigkeit gehen soll. Es ist eben so - das wird nur möglich sein, wenn wir kleinere Lerngruppen haben -, es wird nur möglich sein, wenn wir eine bessere Personalausstattung haben, das wird nur möglich sein mit einem soliden pädagogischen Konzept, mit einer gut ausgebauten Schulsozialarbeit. In all diesen Punkten haben Sie sich bis zum heutigen Tage verweigert, ein verbindliches, nachvollziehbares, auch rechtlich verbindliches Angebot vorzulegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Minister. Deswegen werden wir an diesem Tage dieser Verfassungsänderung nicht zustimmen können.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus der letzten Ausgabe der „Erziehung und Wissenschaft“, Ihnen bekannt als ehemaliger GEW-Vorsitzender. Das ist die Zeitschrift der GEW. Dort heißt es zu diesem Thema - mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: „Eines ist klar, was bislang von Regierungsseite an Zusagen bezüglich der Konzeption und Ausstattung gemacht wurde, reicht nicht aus, um die Gemeinschaftsschule auf eine Startposition zu setzen, die zum Erfolg führt. Die Zusage einer durchschnittlichen Klassengröße von 26 ist in diesem Zusammenhang doch wohl eher als Drohung, wenn nicht gar als Provokation zu verstehen. Berechnungen der Landeselterninitiative für Bildung (...) zufolge liegt der derzeitige Durchschnitt der Klassengrößen an saarländischen Gesamtschulen und Erweiterten Realschulen zusammengenommen bei 24,1.“ So weit das Zitat.
Ihr Angebot war in Wahrheit eine Drohung, eine Provokation. Provokationen nimmt man nicht an, die schlägt man aus, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es kommt ein zweiter Bereich dazu. Sie betonen hier immer wieder die Gleichwertigkeit. Ein Aspekt Sie haben das angesprochen - ist die Oberstufe. Ich zitiere an dieser Stelle noch einmal aus dem Text der Gesetzesbegründung. Da heißt es - Sie haben das selbst zitiert -, es gehöre zum Wesen des grundständigen Gymnasiums, dass es eine eigene Oberstufe besitzt.