Protocol of the Session on May 19, 2010

Betrachtet auf den gesamten Lebensweg, sind das verschiedene Angebote, die man im frühkindlichen Bereich, im Bildungsbereich sowie im Arbeits- und Lebensbereich machen muss. Wenn es um Wunsch- und Wahlrecht geht, dann muss man auch Angebote haben, zwischen denen gewählt werden kann. Das ist das Anliegen unseres Antrages. Es müssen bestimmte Angebotsstrukturen aufgebaut und ausgeweitet werden, und wir brauchen mehr Transparenz. Dabei halten wir es allerdings für nicht verantwortlich, dass bestimmte vorhandene Strukturen, die mehr auf Integration setzen, von heute auf morgen verschwinden sollen. Wir halten es für nicht

verantwortbar zu sagen, dass Förderschulen von heute auf morgen verschwinden sollen. Es ist auch nicht klar, ob sie insgesamt verschwinden können. Ebenso wenig treten wir dafür ein, dass Werkstätten verschwinden, sondern dafür, dass sie erhalten bleiben. Diese Werkstätten müssen allerdings dem Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen durch veränderte innere Strukturen mehr Rechnung tragen. Das sind die Ziele, die wir uns vorgenommen haben.

Es geht darum, mehr gemeinsames Lernen, mehr gemeinsames Leben und mehr gemeinsames Arbeiten zu bewerkstelligen, aber wirklich am Menschen orientiert. Das darf im Einzelfall nicht zu einer Überforderung führen, sondern muss dem jeweiligen Menschen gerecht werden. Dafür brauchen wir Umsetzungskonzepte, die wir in unserem Antrag dargestellt haben. Bezogen auf das Persönliche Budget kann ich durchaus unterstützen, dass das gestärkt werden muss. Dies muss aber über Budgetassistenz als zusätzliche Leistung geschehen. Kostenüberschreitungen müssen ebenfalls verändert werden. Dazu sollte eine Bundesregelung gemacht werden. Das liegt aber nicht unbedingt in der Verantwortung des saarländischen Landtags. Ich denke, es ist vor allen Dingen kein Grund, warum man deswegen unseren Antrag ablehnen müsste. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Regierungskoalitionen.)

Nächste Wortmeldung: Herr Abgeordneter Schnitzler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Zu dem Antrag der CDU-Fraktion kann man feststellen, er enthält in der Tat eine gute Beschreibung der UN-Konvention, die gerade die Inklusion behinderter Menschen, Menschen mit Handicaps, in allen Bereichen der Gesellschaft fordert. Insofern gehen wir fachlich mit Ihnen konform. Wir vermissen aber jegliche konkreten Maßnahmen und jeglichen konkreten Vorschlag, wie das umgesetzt werden soll, und was angegangen werden soll. Sie wollen lediglich, dass die Landesregierung prüft und kuckt, was man da tun kann.

Das, meine Damen und Herren, ist zu wenig. Das ist kein Schritt nach vorne. Das ist ein Treten auf der Stelle. Getretener Quark wird noch lange keine Butter. Das muss man ganz einfach sehen, insofern fordern wir einen Schritt, besser viele Schritte nach vorne. 2009 war diese UN-Konvention in Kraft getreten. Wir müssen auch konkret die Dinge umsetzen. Wir wissen, dass drei zentrale Bereiche notwendig sind, damit ein Mensch zufrieden und glücklich leben kann. Das sind genau die drei Bereiche, die behinderten Menschen fehlen. Das ist einmal die Gesundheit. Die meisten Behinderten sind in irgendei

(Abg. Kühn (FDP) )

ner Form gesundheitlich beeinträchtigt. Der zweite Faktor ist der Bereich Arbeit. Wer keinen Sinn in seinem Leben finden kann in Arbeit, in einem Teilnehmen, Teilhaben an der Gesellschaft, fühlt sich minderwertig, fühlt sich ausgeschlossen. Gerade der Arbeitsmarkt, das wissen Sie ganz genau, meine Damen und Herren, ist ein hoch komplizierter Bereich. Wir wissen, dass viele Betriebe sich von der Quote, Menschen mit Handicaps beschäftigen zu müssen, freikaufen. Dieses Freikaufen muss aufhören!

(Beifall bei der LINKEN.)

Menschen mit Handicaps haben das Recht, auf dem Arbeitsmarkt in allen Bereichen eingesetzt zu werden, eine Arbeit zu haben. Der dritte Bereich, Liebe und soziale Anerkennung, ist auch etwas, was für behinderte Menschen viel schwerer zu erreichen ist, als das für einen normalen Menschen in seinem sozialen Umfeld möglich ist. Auch hier kommt von Ihrer Seite kein Vorschlag. Sie führen in Ihrem Antrag kein Modell vor, Sie geben keine Richtung vor, wo man sagen kann, hier wird ein Weg gegangen, ein Schritt nach vorne gemacht, der diese Konvention, die das im Prinzip richtig beschreibt - das haben Sie in Ihrem Antrag wiederholt -, dann auch in die Umsetzung bringt. Genau das fehlt Ihrem Antrag. Deswegen stimmen wir dem Antrag nicht zu.

(Beifall bei der LINKEN.)

Das Wort hat nun die Ministerin Frau Kramp-Karrenbauer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zur Umsetzung der UN-Konvention am heutigen Tage im Landtag ist keine Debatte, die wir an einem Nullpunkt beginnen oder in einem luftleeren Raum führen, sondern sie ist wie die UN-Konvention selbst Ergebnis der sich ändernden Einstellung zu Menschen mit Behinderungen weltweit und auch bei uns im Land.

Man muss sich einmal vor Augen führen, dass es in Deutschland noch keine 80 Jahre her ist, dass der Staat behinderte Menschen als „lebensunwert“ getötet hat. Das war Realität in unserem Land. Dass wir seitdem in einem so großen Maße bis hin zur UNKonvention Schritte und Fortschritte gemacht haben, das ist ein Zeichen für die Zivilisation unserer Gesellschaft auch hier in Deutschland. Und dass vielleicht gerade in Deutschland in einer besonderen Art und Weise der Fürsorgegedanke für Menschen mit Behinderungen gelebt und aufrechterhalten worden ist, das ist, glaube ich, auch etwas, was sich aus der Historie unserer eigenen Gesellschaft erklären lässt. Wir haben - das ist wichtig zu wissen - natürlich in

den vergangenen Jahren und Jahrzehnten weltweit und auch in Deutschland schon Schritte weg von diesem reinen Fürsorgegedanken, von dieser passiven Behandlung von Menschen mit Behinderungen gemacht, wie sie auch in dem Antrag der Koalitionsfraktionen beschrieben ist.

Auf diesem Weg ist die UN-Konvention ein weiterer Meilenstein, der diese Entwicklung weiter vorangetrieben hat und natürlich in einem umfassenden Maße und quer über alle Lebensbereiche Veränderungsprozesse bei uns nach sich zieht. Deswegen sollten wir in der heutigen Debatte nicht, auch wenn es vielleicht dem einen oder anderen politisch opportun erscheint, den Eindruck erwecken, als beginne in diesem Land, in unserem Bundesland, Politik für Menschen mit Behinderungen heute bei der Stunde null.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten - das betrifft alle Vorgängerregierungen, auch die heutige - immer gemäß der aktuellen Situation Dinge auf den Weg gebracht, Dinge nach vorne gebracht. Für die Vorgängerregierung der heutigen gilt dies insbesondere im Jahr 2003 mit dem Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Saarland, ein Gesetz, das in seinen Vorgaben und Zielsetzungen durchaus stilbildend auch für Gesetze anderer Bundesländer ist. Wir haben weitergemacht mit der Behindertengleichstellungsverordnung, was etwa den barrierefreien Zugang nicht nur im öffentlichen Raum, nicht nur bei baulichen Maßnahmen anbelangt, sondern gerade auch, was den barrierefreien Zugang mit Blick auf moderne Medien, mit Blick auf Verwaltungshandeln anbelangt.

Da kann ich nur sagen, dort wo wir Verantwortung haben, auch an Landesstellen, tragen wir diese. Ich bitte, dass jeder an seiner eigenen Stelle dort, wo er Verantwortung hat, sei es in der Kommune, sei es in anderen Gremien, zuerst einmal kritisch überprüft, wie weit er die Möglichkeiten und die Forderungen, die wir mit dieser Gleichstellungsverordnung auf den Weg gebracht haben, schon umgesetzt hat. Ich glaube, da hat jeder noch sein eigenes Päckchen zu tragen.

Wichtig mit Blick auf die UN-Konvention ist, dass hier nicht der Eindruck erweckt wird, als ob wir im Saarland diese UN-Konvention zur Kenntnis nehmen und dann zur Seite legen. Ich will es Ihnen noch einmal von den Zeitabläufen deutlich machen. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist im Jahr 2006 von der Vollversammlung verabschiedet worden. Sie wurde 2008 in Deutschland unterzeichnet. Und wenn der eine oder andere meint, er müsste sich heute als großer Verfechter dieser Konvention hierhin stellen, darf ich an

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) )

eine Denkschrift zur UN-Konvention vom Oktober 2008 erinnern, die im Bundeskabinett unter Einbeziehung des damaligen Arbeits- und Sozialministers und des damaligen Bundesbehindertenbeauftragten, beide Sozialdemokraten, verabschiedet wurde, mit folgende Stellungnahme: „Die derzeitige deutsche Rechtslage entspricht den Anforderungen des Übereinkommens.“

Dann hat sich in diesem Bereich bis zum Regierungswechsel im vergangen Jahr nichts mehr getan, es gab keine Vorbereitung für einen Aktionsplan. Ein Paradigmenwechsel ist erst mit der christdemokratisch-liberalen Regierungskoalition in Berlin eingeleitet worden. Darauf sind wir auch stolz, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Der Bund hat festgelegt und hat auch die Länder gebeten, gemeinsam mit ihm einen nationalen Aktionsplan zu erarbeiten. Die Informationen über diesen geplanten Aktionsplan sind im März dieses Jahres an die Länder weitergegeben worden. Jetzt im Juni steht ein Workshop an, in dem die genauen Dinge noch erarbeitet werden. Der erste Entwurf des Aktionsplanes soll im Dezember 2010 vorgelegt werden. Das Bundeskabinett wird aller Voraussicht nach im März 2011 über diesen Plan entscheiden. Genau in dieser Phalanx, in diesem Geleitzug, bewegt sich das Saarland. Wenn Rheinland-Pfalz jetzt mit einem eigenen Aktionsplan vorgeprescht ist, was natürlich überhaupt nichts mit eventuell anstehenden Landtagswahlen zu tun hat, dann empfehle ich einen Blick in diesen Aktionsplan. Der neue Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der Bundesregierung hat mir bei einem Gespräch letzte Woche hier in Saarbrücken dargelegt, das Einzige, was in diesem Aktionsplan in Rheinland-Pfalz festgelegt wurde, sei, dass Arbeitsfelder benannt werden und dahinter mit Blick auf die konkreten Planungen dann „fortlaufende Aufgabe“ steht. Ich kann sagen, wenn das die Vorstellung eines Aktionsplanes ist, dann ist diese Landesregierung auch in der Lage, nächste Woche diesen Plan vorzulegen. Nur, das bringt für die Menschen in diesem Land überhaupt nichts. Dieser Plan muss sorgfältig vorbereitet werden. Deswegen haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, damit von externer Stelle überprüft wird, wo wir Veränderungsbedarf haben. Dass dieser Weg sinnvoll ist, erkennen Sie daran, dass viele Länder dem Beispiel des Saarlandes folgen wollen. - Herr Kollege Schnitzler.

Abg. Schnitzler (DIE LINKE) mit einer Zwischenfrage:

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, lassen Sie jetzt prüfen, welche Bereiche entsprechend der UN-Konvention noch vorangebracht werden sollen. Insofern ist meine Frage möglicherweise ver

früht, ich stelle sie trotzdem. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie eingeleitet oder welche haben Sie im Blick im Bereich Arbeitsmarkt, also die Inklusion von Menschen mit Handicaps in den Arbeitsmarkt und nicht nur - obwohl das auch eine gute Beschäftigung ist - in Behindertenwerkstätten oder anderen beschützenden Einrichtungen?

Zweitens. Wie gehen Sie mit dem Problem des selbstbestimmten Wohnens von Menschen mit Handicaps um? Und drittens interessiert mich, wie Sie mit der Situation der Förderschulen im Saarland umgehen, eine sehr schwierige Sache, da sich vieles ändern müsste, wenn man die Konvention ernst nimmt. Man sollte nicht nur warten, bis irgendein Gremium Ihnen sozusagen die Ideen liefert. Was tun Sie konkret, um diese Konvention umzusetzen? Es muss ja etwas anderes sein und mehr als das, was bisher Praxis war. Auch wenn man über viel Gutes reden kann, ist es dennoch an vielen Stellen nicht ausreichend.

Als Letztes möchte ich das Thema Persönliches Budget ansprechen, was im Saarland sehr defizitär ist; Kollege Georgi hat die Zahlen genannt. Wie gedenken Sie mit diesem Thema umzugehen, denn das ist der Schlüssel für eine inklusive Lebensform von behinderten Menschen? - Danke.

Sehr geehrter Herr Kollege Schnitzler, da ich bisher von meinen 20 Minuten Redezeit erst sieben verbraucht habe, werde ich die restliche Redezeit unter anderem nutzen, um auf diese Punkte einzugehen, was ich ohnehin vorhatte. - Ich habe eben dargestellt, wie das weitere Verfahren aussehen wird. Wir werden uns nicht nur auf das Gutachten stützen, sondern es wird parallel dazu eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe geben, die genau diese Fragen auch in der Schnittstelle zwischen den einzelnen Ressorts aufgreifen wird. Dazu werden wir einen Beirat einrichten, in dem nicht nur diejenigen Akteure, die in dem Bereich arbeiten, zu Wort kommen, sondern in dem insbesondere die Menschen mit Behinderungen selbst gehört werden. Das ist ein Punkt, der in diesem Haus auch parteiübergreifend verlangt worden ist.

Wir werden ferner noch in diesem Jahr - entweder vor der Sommerpause oder unmittelbar danach - eine große Fachtagung durchführen, auf der genau diese Punkte noch mal aufgearbeitet werden. Zu den einzelnen Punkten werden wir auch noch mal Experten anhören. Es wird also ein großes öffentliches Hearing geben, bei dem vor allem aber die Menschen mit Behinderung selbst das Wort ergreifen können. Wir haben den Landesbehindertenbeirat gebeten, seinerseits die Arbeitsfelder zu benennen und Vorschläge zu machen für einen Aktionsplan. Dort sind einige Themenfelder bereits erarbeitet

(Ministerin Kramp-Karrenbauer)

worden. Der Landesbehindertenbeirat hat die Arbeitsgruppen schon eingesetzt, ist schon am Arbeiten. Dieser Prozess zur Umsetzung der UN-Konvention ist also schon am Laufen.

Ich will natürlich auch zu den anderen Themen Stellung nehmen, weil auch das Punkte sind, die schon lange Gegenstand der Politik sind und jetzt nicht neu erfunden werden müssen. Bei einigen Themenfeldern - das ist eben angesprochen worden - müssen wir noch wesentlich mehr Fortschritte machen, als das bisher der Fall war. Bereits angesprochen wurde die Barrierefreiheit, wo es in den letzten Jahren sicherlich gute Entwicklungen gegeben hat, wo aber nach wie vor Defizite festzustellen sind. Daher werde ich heute hier auch auf keinen Fall sagen, mit Blick auf die Inklusion, auf das Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten stehe im Saarland alles zum Besten. Natürlich gibt es hier auch noch weitere Baustellen zu bearbeiten, wir sind dabei.

Ein Thema, das uns sehr beschäftigt, ist das Arbeitsleben. Wenn Sie den Koalitionsvertrag oder den gerade erst verabschiedeten Haushalt gelesen haben, dann wissen Sie, dass wir in diesen Vereinbarungen und auch jetzt im Haushalt als erste Schritte festgelegt haben, dass etwa mit Blick auf die Integration in den Arbeitsmarkt, zum Beispiel über Integrationsbetriebe, verstärkte Anstrengungen unternommen werden. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir an der Schnittstelle zwischen dem Bildungssystem und dem Arbeitsleben generell noch sehr viel effektiver vor allem mit der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten.

So hat vor einiger Zeit auch ein Gespräch mit der Leitung und mit Vertretern der Regionaldirektion der BA stattgefunden, wo es genau um diese Fragen ging, wie wir behinderte Schülerinnen und Schüler und deren Eltern sehr viel früher informieren und stärker begleiten können beim Übergang in eine Ausbildung und wie wir Arbeitsmöglichkeiten schaffen können, sei es in Integrationsbetrieben oder in Werkstätten. Ich will dies ausdrücklich sagen, und das gilt auch für den Bildungsbereich: Wenn wir über Inklusion sprechen, dann bedeutet das, dass die Menschen mit Behinderungen, um die es hier geht, selbst entscheiden können, was für sie das Beste ist und was sie wollen oder nicht wollen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Deswegen lehne ich es kategorisch ab, hier etwas nach dem Motto „Komme, was wolle“ und teilweise auch gegen die Interessen und gegen den Willen der Betroffenen umzusetzen. Das betrifft alle Bereiche, die Sie angesprochen haben. Natürlich werben wir für das Persönliche Budget, aber ich werde niemanden zum Persönlichen Budget zwingen. Wir stellen heute fest, dass man dort überzeugen muss, weil es große Ängste gibt, zum Beispiel von Eltern,

die sich mit dem Persönlichen Budget überfordert fühlen. Da werde ich nicht, nur um etwas aus Prinzip durchzusetzen, sagen, das gilt jetzt für alle und muss umgesetzt werden. Derjenige, der das Persönliche Budget will - dafür werden wir werben -, der soll es bekommen. Aber diejenigen, die eine andere Form der Unterstützung wollen, sollen die andere Form bekommen. Das ist menschengerecht und das ist das, was Menschen ohne Behinderung für sich auch in Anspruch nehmen. Auch die wollen sich nicht in eine feste Rolle drängen lassen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das Gleiche gilt beim Thema ambulantes Wohnen. Vor zwei oder drei Wochen gab es eine große Fachtagung mit Betroffenen und Experten zu diesem Thema. Da haben wir uns noch mal die Zahlen angeschaut, aber auch darüber gesprochen, was denn eigentlich als Hindernis im Weg steht, sodass das ambulante Wohnen nur allmählich angenommen wird. Da gilt das Gleiche, was ich eben zum Persönlichen Budget gesagt habe. Es gibt Menschen mit Behinderungen, die in einer ambulanten Gruppe wohnen können oder wollen. Und es gibt Menschen, die schon seit längerer Zeit in Einrichtungen leben. Wenn Sie diesen Menschen sagen, dass sie jetzt nur weil wir das zum Prinzip erhoben haben - ambulant untergebracht werden, dann haben sie das Gefühl, dass sie bestraft werden, dass sie ihrer Heimat - als solches empfinden sie nämlich die Einrichtungen - beraubt werden. Daher gilt auch dort: Sensibel und mit Fingerspitzengefühl vorgehen und sich den Einzelfall anschauen.

Wir müssen zusehen, dass wir gute Rahmenbedingungen haben. Wir brauchen behindertengerechte Wohnungen, daran fehlt es noch vielerorts. Wir brauchen die entsprechenden Begleitumstände, auch privater Art. Deswegen muss auch in Zukunft der Fokus auf den Kindern und Jugendlichen liegen, um ihnen, wenn sie ins Erwachsenenalter kommen, dort, wo es möglich ist, ambulante Wohnformen anzubieten. Es ist sehr schwierig - das sagen auch alle Experten -, jemanden, der sich schon seit vielen Jahren in einer Einrichtung eingelebt hat, umzusteuern. Ich glaube, dass das auch nicht immer menschengerecht ist.

In diesem Sinne tritt diese Landesregierung auch für die drei Säulen in der Bildung ein, weil wir ein differenziertes System möchten, bei dem für jedes Kind und jeden Bedarf ein entsprechendes Instrumentarium zur Verfügung steht. Nicht für jedes Kind ist die inklusive Beschulung das Richtige. Nicht für jedes Kind ist die Beschulung im Rahmen einer Förderschule das Richtige. Aber Sie müssen alles vorhalten! Ich bin dankbar dafür, dass der SPD-Antrag ein kleines Stück realitätsnäher ist als der der LINKEN. Die SPD spricht wenigstens davon, dass man ausgebildete Fachkräfte und Förderschullehrer braucht.

(Ministerin Kramp-Karrenbauer)

Wenn ich inklusive Beschulung will, dann brauche ich Pädagogen, die mit dieser Inklusion umgehen können. Wir haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder Förderschullehrer, die zumindest in der zweiten Phase in diesem Land ausgebildet werden. Wir bringen im Kultusministerium eine Fortbildungsreihe auf den Weg, in der wir die Kolleginnen und Kollegen entsprechend ausbilden, weil die entscheidende Frage die Qualität für die Kinder ist. Die Kinder nur in eine Regelschule zu geben, ohne dass ich dort die baulichen Voraussetzungen und die Pädagogen habe, die mit den Kindern arbeiten können, ist weder im Sinne noch im Interesse dieser Kinder.

(Abg. Schnitzler (DIE LINKE) : Hätten Sie richtige Ganztagsschulen!)

Deswegen brauchen wir an dieser Stelle entsprechende Anstrengungen. Aber wir brauchen weiterhin auch Förderschulen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Weil es gut ist, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen, will ich an dieser Stelle aus einem Vortrag von Frau Dr. med. Margret Pohl auf einer Fachtagung in Frankfurt zitieren. „Ich stehe heute hier als Mutter einer elfjährigen, schwer mehrfachbehinderten Tochter und Mutter eines knapp vierzehnjährigen gesunden Sohnes. Ich bringe aber auch die Erfahrung einer sechsjährigen Vorstandsarbeit im Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte Mainz mit und die zweiundzwanzigjährige Erfahrung als Kinder- und Jugendärztin. Franziska - so heißt die Tochter - hat eine Hirnfehlbildung durch eine Infektion, die ich in der Schwangerschaft hatte. Sie kam als vermeintlich gesund zur Welt. Sie kann nicht sprechen und versteht unsere Sprache nicht. Sie wird immer inkontinent sein, das heißt, es muss regelmäßig eine neue Windel angelegt werden. Franziska wird viermal am Tag sondiert, muss über eine Sonde, die über die Bauchdecke direkt in den Magen führt, ernährt und mit Flüssigkeit versorgt werden, zusätzlich zu dem, was ihr oral angeboten wird. Sie hat ein schweres Anfallsleiden mit zum Teil lebensbedrohlichen Krampfanfällen, die unterschiedlich beginnen und deshalb manchmal gar nicht richtig als Anfall gedeutet werden. Sie muss in jedem Augenblick des Tages von einem erfahrenen Auge beobachtet werden und wird nachts monitorüberwacht. Ihre Position muss über den Tag, aber auch in der Nacht häufig gewechselt werden. Franzi steht in einem Stehständer mindestens eine Stunde am Tag, was alleine in der Vorbereitung des Orthesenanlegens, der Gurtung des Hinlegens auf das Rückenliegebrett und das langsame Aufrichten zirka 15 Minuten benötigt.“