Zweitens. Das Thema ist recht komplex. Es geht um unheimlich hohe Summen, und es sind alle politischen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen sowie die Selbstverwaltung unseres Gesundheitssystems – beteiligt. Für populistische, griffige und schnelle Konzepte ist das Thema also hinreichend ungeeignet.
Drittens. Die meisten Menschen setzen sich mit dem Thema Pflege erst dann auseinander, wenn sie selbst oder An- und Zugehörige unmittelbar davon betroffen sind.
Doch dann ist es meist zu spät. Denn wer pflegender Angehöriger ist, hat meist nicht mehr die Kraft, sich noch zusätzlich in den politischen Prozess, die gesellschaftliche Debatte und den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.
Hinzu kommt, dass die Pflegefachkräfte und Menschen, die in der Pflege tätig sind, es noch immer nicht geschafft haben, sich standespolitisch eindeu
Aktuell haben wir ein Dickicht an staatlichen Leistungen – Steuermittel wie „Hilfe zur Pflege“, unser Pflegewohngeld und Leistungen aus der Pflegeversicherung. Allein die Drittelfinanzierung der Pflegeausbildung aus stationären Pflegeeinrichtungen – die diese Ausbildungskosten auf die Bewohnenden umlegen –, Land und Pflegeversicherung ist ein gutes Beispiel für die Komplexität und die ineinanderlaufenden Säulen unseres Pflegesystems.
Dieses komplexe Konstrukt folgt nicht immer einem logischen Konzept. Klar ist aber, dass es das Leben für die Pflegebedürftigen und Angehörigen unnötig schwer macht. Die Vielzahl an Anträgen und Nachweisen, die die Menschen für die Beantragung von Leistungen vorlegen müssen, ist für viele gar nicht zu erbringen. Hier muss grundsätzlich etwas verändert werden.
Meine Redezeit ist leider gleich vorbei. Ich hatte noch einiges Weitere geplant. Ich möchte einmal drei Punkte setzen, die aus meiner Sicht im Bereich Pflege am allerwichtigsten sind.
Erstens: Wir müssen die pflegenden Angehörigen besser entlasten. Da geht es um Steuervorteile, da geht es um Rentenpunkte, da geht es aber auch um eine grundsätzliche Reform.
Zweitens: Das erreichen wir nur, wenn wir auf der Einnahmeseite etwas verändern. Wir müssen Politikerinnen und Politiker, Beamte, Abgeordnete, aber auch andere Posten für die Einnahmeseite hinzugewinnen, sonst können wir uns das alles nicht leisten.
Drittens – das ist einer meiner wichtigsten Punkte –: Pflege muss vor Ort koordiniert werden. Wir brauchen Quartierskonzepte, Quartierspflege,
denn die Akteurinnen und Akteure, die vor Ort aktiv sind, wissen am besten, was für die Menschen vor Ort relevant ist.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank an die Sozialdemokraten, an die Kollegin Pauls, für die erneute Initiative, weil sie Gelegenheit gibt, darüber zu sprechen, dass – in der Tat, Herr Kollege Balke – eine der, jedenfalls aus meiner Sicht, größten innenpolitischen Herausforderungen für unsere Gesellschaft nicht nur im Bundestagswahlkampf keine Rolle gespielt hat, sondern auch sonst meistens irgendwie so unter dem Radar läuft. Dabei ist es eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft, weiterhin für eine menschenwürdige Pflege zu sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich finde, wir können ruhig mal grundsätzliche Dinge, die der Kollege Balke angerissen hat, diskutieren. Da ist einmal die Frage, ob wir festhalten wollen an der Teilkostenversicherung, die Norbert Blüm damals, 1994, in einer christlich-liberalen Regierung verabschiedet hat – das war ja ausdrücklich als Teilkaskoversicherung gedacht –, oder ob wir zu einer Vollversicherung kommen wollen. Das ist die erste Frage, die wir uns stellen müssen.
Die zweite Frage ist – das will ich gleich aufgreifen, Frau Kollegin Pauls – die Frage einer Bürgerversicherung. Ich bin da völlig undogmatisch; ich will nur sagen: In eine Bürgerversicherung zahlen alle ein – sehr populär, die vielen, vielen, die hunderttausend Politikerinnen und Politiker, die wir hauptberuflich haben; Ironie Ende. Und ich sage Ihnen: Jeder, der neu einzahlt, hat auch einen Leistungsanspruch. Das wird leider immer vergessen.
Deswegen muss man sich ehrlich machen. Ich bin bereit, diese Debatte zu führen. Welche Einkommen sollen eigentlich herangezogen werden? Das ist nämlich die viel wichtigere Frage, die in dem Zusammenhang diskutiert werden muss.
Dann weiterhin: Wissen Sie, wozu ich Lust hätte? Mir ist völlig egal, wer dieses Ressort in der kommenden Legislaturperiode übernimmt – ich hätte Lust, eine Diskussion darüber zu führen, warum eigentlich das SGB XI so verkompliziert wurde, warum man nicht mal über die Möglichkeit nachdenkt, dass Pflegebedürftige nach ihren jeweiligen Pflegegraden ein persönliches Pflegebudget erhalten und sich selbst aussuchen können, wie sie gepflegt werden:
von pflegenden Angehörigen, durch einen ambulanten Pflegedienst oder in der vollstationären Einrichtung. Das käme dem Wunsch- und Wahlrecht von Menschen viel näher,
als das SGB XI mit jeder Reform noch komplizierter zu machen. Das, Kollege Balke, führt dann nämlich zu den vielen, vielen Anträgen, mit denen nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern häufig auch deren Angehörige völlig überfordert sind und die aus meiner Sicht vollkommen überflüssig sind.
Im Antrag von SPD und SSW können wir den ersten drei Punkten, also den Buchstaben a bis c, wegen der Deckelung der Eigenanteile problemlos zustimmen. Ich sage es bei jeder Diskussion: Die Kollegin Leonhard und ich haben das mit einer Bundesratsinitiative versucht; wir sind da leider nicht weitergekommen. Ich finde es nach wie vor richtig und notwendig, in einem ersten Schritt die Eigenanteile auf ungefähr 1.000 Euro zu begrenzen.
Zweitens: Sich auf Bundesebene für die Übernahme der Ausbildungskosten einzusetzen, finde ich auch richtig. Was die Übernahme der Investitionskosten betrifft, so gefällt mir der Antrag von CDU und Grünen gut. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nicht Sache des Bundes. Es ist im SGB XI – solange Sie daran festhalten – ganz klar geregelt, wer dafür zuständig ist. Und das sind die Länder. Ich habe Verständnis dafür, dass das bei der jetzigen Haushaltslage nicht jetzt und sofort und auf einmal geht. Das wäre ein dreistelliger
Millionenbetrag. Aber Sie haben sich bislang jeder Diskussion verweigert, wie wir in die Übernahme wenigstens einsteigen.
Dann, liebe Kollegin Tschacher – sorry, ich verstehe gar nicht, warum Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben –: Das Pflegewohngeld ist kein individueller Anspruch. Das Individuum ist eine Berechnungsgröße. Das Pflegewohngeld erhält die Einrichtung,
und es kommt darauf an, wie viele bedürftige Menschen dort leben. Aber es ist nicht so, dass das Individuum einen individuellen Anspruch auf Pflegewohngeld hat. Das stimmt einfach nicht.
Deswegen bin ich der Auffassung, die erste Maßnahme wäre, dass man in einem reformierten oder novellierten Landespflegegesetz eine komplett neue Investitionskostenfinanzierung auf die Beine stellt. Da muss man im Zweifel in einem ersten Schritt noch gar nicht so fürchterlich viel zusätzliches Geld auf den Weg bringen.
Wir können gerne über beide Anträge noch mal im Ausschuss reden, weil es sich wirklich lohnt zu überlegen: Wo können wir in diesem Land tatsächlich wirkungsvoll ansetzen, damit pflegebedürftige Menschen endlich das erhalten, was sie wirklich brauchen?