Protocol of the Session on September 23, 2020

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Barbara Ostmeier.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tragödie, die sich derzeit im Lager Moria auf Lesbos ereignet, ist bedrückend und fordert sofortige und entschiedene Hilfe. Darüber besteht im Bund wie in weiten Teilen dieses Hauses Einvernehmen. Ich freue mich sehr, und ich bin dankbar dafür, dass es uns gelungen ist, gemeinsam mit SPD und SSW einen Antrag zu formulieren, den wir auch gemeinsam tragen können. Vielen Dank an alle Beteiligten dafür, dass dies gelungen ist.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Es ist unser gemeinsames Anliegen, unseren Beitrag für eine unverzügliche Hilfe für die Menschen, die durch die Brandkatastrophe unverschuldet in Not geraten sind, zu leisten. Diese Hilfe verdient keinen Aufschub. Sie ist das humanitäre Gebot der Stunde. Unser Ziel entspricht dem Wunsch vieler Gemeinden und zahlreicher Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein, die dies deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Die Aufnahmebereitschaft bundesweit und insbesondere hier in Schleswig-Holstein beeindruckt mich sehr, und sie ist keine Selbstverständlichkeit.

(Vereinzelter Beifall SPD und FDP)

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für diese Unterstützung bedanken. Jetzt!

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Denn letztlich ist unsere Landesregierung, sind wir alle, auf diese Unterstützung angewiesen, wenn es darum geht, die schutzbedürftigen Menschen aufzunehmen. Wir wollen eine schnelle, unkomplizierte Hilfe, insbesondere für Familien mit Kindern, und fordern den Bund auf, über den Weg der Dublin-IIIVerordnung den Weg für die Aufnahme frei zu machen.

Es ist richtig, sich an das Bundesprogramm anzudocken, denn wir wollen an den bundeseinheitlichen Voraussetzungen festhalten. Es darf auch nicht zu einem Ranking der Bundesländer und Kommunen untereinander kommen. Wir wollen auch keine

(Minister Jan Philipp Albrecht)

Flüchtlingsrechte zweiter Klasse schaffen. Deswegen lehnen wir als CDU-Fraktion ein Selbsteintrittsrecht der Länder und Kommunen ohne Beteiligung des Bundes ab.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Lager Moria, mit der Aufnahme von weiteren 1.553 Flüchtlingen aus Griechenland, sind die Probleme aber längst nicht behoben. Auch in Anbetracht der durch die Brände ausgelösten verheerenden Zustände vor Ort darf nicht aus dem Blick geraten, dass es dringend einer längst überfälligen Reform der Migrationspolitik bedarf. Die Bundesregierung muss dazu die Chancen nutzen, die sich aus der EU-Ratspräsidentschaft ergeben, und ich freue mich, dass wir mit SPD und SSW Einigkeit in der Frage haben, dass wir dringend ein einheitliches europäisches Asylsystem mit einheitlichen Verfahren und einheitlicher Rechtsanwendung brauchen. Mit „wir“ meine ich Jamaika.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

- Mit dem „wir“ ist das manchmal ein bisschen schwierig, aber das möchte ich an dieser Stelle klarstellen.

Hier sind alle europäischen Regierungen gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Die Menschen werden weiterhin an den EU-Außengrenzen - beispielsweise in Griechenland - ankommen. Dort müssen sie zumindest vorerst untergebracht werden. Das heißt: Auch unabhängig von funktionierenden Verteilmechanismen werden wir Hilfe vor Ort anbieten müssen. Darüber hinaus müssen wir gemeinsam vor Ort für die Durchführung von Asylverfahren unter humanitären Bedingungen sorgen.

Die Auflösung der Lager auf den griechischen Inseln lehnen wir als CDU ab. Eine solche Forderung erscheint uns realitätsfern und nicht zielführend.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin außerordentlich dankbar, dass sowohl unsere Innenministerin Frau Dr. Sütterlin-Waack als auch unser Ministerpräsident Daniel Günther in dieser Situation wieder einmal sofort öffentlich die Hilfsbereitschaft bekundet haben. Deswegen bin ich überzeugt, dass die Landesregierung sich mit aller Kraft und unmissverständlich im Bund dafür starkmachen wird, dass die unverschuldet in Not geratenen Familien mit Kindern aus dem Lager in Moria zu uns nach Schleswig-Holstein kommen können. Zahlreiche unserer Kommunen haben bekundet, dass sie auch dazu bereit sind.

Mit dem gemeinsamen Vorgehen können wir der Landesregierung bestmöglich den Rücken stärken. Deswegen bitte ich um Zustimmung. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Strategie der Abschreckung ist gescheitert. Ja, Kolleginnen und Kollegen, Sie haben richtig gehört - eine Strategie, die es in Kauf nimmt, dass Humanität und Menschlichkeit ausgeblendet werden, um abzuschrecken. Genau das ist seit Jahren auf den griechischen Inseln Fakt. Die unwürdige Unterbringung und Versorgung der Kinder, Frauen und Männer ist seit 2015 bittere Realität.

Nun könnte man sagen: Noch elender, noch schlimmer kann es nicht kommen. Leider aber ist es so gekommen. Mit dem Feuer im Camp Moria ist es zu einer weiteren menschlichen Katastrophe gekommen. Jetzt können wir uns sehr lange und vor allem breit darüber austauschen, was unsere griechischen Partner nicht gut gemacht haben, was sie nicht richtiggemacht haben, warum sie die NGOs und die Hilfsgüterlieferungen aus Deutschland, vor allem von Nahrung und weiteren Hilfsmitteln, nicht zulassen, um durch deren Verteilung im Lager die erste Not zu lindern. Das wäre nicht fair. Vor allem würde es ausblenden, dass wir es sind, die seit Jahren die Griechen mit einer Hinhaltetaktik aufgehalten haben und nicht dabei geholfen haben, zu einem guten Verteilsystem und zu einer hohen Aufnahmebereitschaft in den europäischen Ländern zu kommen.

(Beifall SPD)

Wir können nicht auf andere schimpfen, wenn wir Deutschland, das größte und stärkste Land in der EU - nicht einen angemessenen Beitrag leisten. Es reicht nicht aus, Aufnahmebereitschaft deutlich zu signalisieren; wir müssen es dann wirklich machen.

Auf den ersten Druck hin ist es uns gelungen - mit „uns“ meine ich in diesem Fall die SPD, Kollegin Ostmeier -, in der Großen Koalition durchzusetzen, dass Deutschland 1.500 Geflüchtete aufnimmt.

(Barbara Ostmeier)

(Beifall SPD)

Dies ist aber nur der allerallererste Anfang; denn die Situation auf den anderen griechischen Inseln ist nicht besser. Auch auf Samos gab es bereits einen Brand im Camp für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin dennoch sehr froh darüber, dass wir hier in das Parlament einen gemeinsamen Antrag der Demokratinnen und Demokraten einbringen können. In diesem fordern wir die schnelle Aufnahme der Flüchtlinge von Camp Moria. Schleswig-Holstein ist ein weltoffenes Land. Immer, auch unter wechselnden Regierungskonstellationen, sind wir bereit gewesen, Menschen in Not aufzunehmen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Denn: Wir haben Platz!

Nicht nur wir haben Platz, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sondern weitere elf Kommunen in Schleswig-Holstein; auch sie haben Platz. Diese Kommunen sind ein sicherer Hafen und wollen es auch für andere sein.

Leider konnte Jamaika sich nicht überwinden, diesen, wie ich finde, wichtigen Punkt in den gemeinsamen Antrag aufzunehmen.

(Unruhe CDU)

Unsere Forderung bleibt aber bestehen.

In allen 16 Bundesländern gibt es Kommunen - insgesamt sind es 174 in Deutschland -, die bereit sind, aufzunehmen. Leider haben wir vom Bundesinnenminister bis heute keinen einzigen Ton dazu gehört. Seehofer lehnt die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ab und ignoriert damit weiterhin die Aufnahmebereitschaft der Bundesländer und der Kommunen. Daher sind in diesem Fall Daniel Günther - der Ministerpräsident ist gerade nicht da - und ich, wir beide, gefragt, den Druck auf Seehofer weiter zu erhöhen.

(Widerspruch CDU)

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Ministerpräsident nicht gern allein nach Berlin fährt. Also bin ich sehr gern bereit, ihn zu begleiten und zu unterstützen, damit Seehofer endlich diesen Weg freimacht.

(Beifall SPD - Zuruf Werner Kalinka [CDU])

Erst vor einigen Wochen - noch vor dem Brand im Camp Moria, verehrte Kolleginnen und Kollegen

hat Bundesinnenminister Seehofer den Antrag des Landes Berlin, zusätzliche Geflüchtete aufzunehmen, abgelehnt.

Was uns wiederum eint, verehrte Kolleginnen und Kolleginnen, ist die Position, dass wir endlich ein einheitliches Asylsystem brauchen, vor allem eine gerechtere Verteilung innerhalb der EU. Denn Dublin III ist gescheitert!

Auch hier reden wir uns seit Jahren den Mund fusselig. Eine einheitliche Regelung ist nach bisheriger Rechtslage nur dann möglich, wenn alle EU-Länder aufnehmen wollen. Dies wird es, das sage ich Ihnen sehr deutlich, in naher Zukunft nicht geben; das wissen wir. Daher müssen wir den nächsten Schritt gehen und mit nunmehr zwölf weiteren EU-Ländern - der Koalition der Willigen; so nennen sie sich - endlich die Evakuierung der griechischen Inseln voranbringen.

Der Zeitpunkt könnte tatsächlich nicht besser gewählt sein; denn durch die Ratspräsidentschaft haben wir größeren Handlungsspielraum. Nutzen wir diesen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, für Humanität und Menschlichkeit!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Feuer in Moria war kein Unfall. Es war vorhersehbar und unvermeidlich.

(Zuruf AfD: Es war Brandstiftung!)

Eine Katastrophe mit Ansage! Über sieben Jahre lang hat Europa, hat Deutschland dabei zugesehen, wie immer mehr Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht wurden: Kinder, Frauen, Schwangere, alte Menschen, vereint in ihrer Schutzlosigkeit in Dreck und Elend.

Nicht einmal angesichts der aktuellen Pandemie war Europa bereit, den Menschen adäquaten Schutz zu geben, vernünftige Unterbringung zu organisieren, geschweige denn eine Verteilung nach Europa. Selbst nach dem Brand schaffte es Europa nicht, eine gemeinsame Antwort zu finden und eine vernünftige, menschenwürdige Unterbringung zu orga