Protocol of the Session on September 23, 2020

(Beifall CDU, Joschka Knuth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anna- bell Krämer [FDP])

Über 150 Millionen € werden wir in einen Infrastrukturfonds investieren und damit bei den Themen Ganztag, erneuerbare Energien und kommunale Radwege helfen. Wir kompensieren die Gewerbesteuerausfälle und bis zu 110 Millionen € auch die Einkommensteuerausfälle und haben eine Einigung beim Finanzausgleichsgesetz mit den Kommunen hinbekommen. Das schafft für die Kommunen Planungssicherheit und Vertrauen, und Vertrauen und Verlässlichkeit sind in dieser Zeit immens wichtig.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Herr Abgeordneter!

Die CDU-geführte Jamaika-Koalition macht in dieser Sache eine seriöse Haushaltspolitik. Wir stehen für Verlässlichkeit und Weitsicht.

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Ende kommen.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns diese schwere Zeit gemeinsam anpacken. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP - Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Beate Raudies.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich 2012 in den Landtag gewählt wurde, stand es nicht gut um die Finanzen des Landes. Schleswig-Holstein war Haushaltskonsolidierungsland. Wir erhielten Konsolidierungshilfen und standen unter der Aufsicht des Stabilitätsrates. Wir kämpften mit dem Stellenabbaupfad, einem Investitionsstau und Kürzungsplänen - keine guten Voraussetzungen für Politik, die gestalten und verändern will. Trotzdem haben wir es in der Küstenkoalition angepackt, die Ärmel hochgekrempelt und gearbeitet. Und wir wurden belohnt: Sparsames Wirtschaften und eine gute Konjunkturentwicklung brachten Haushaltsüberschüsse, die wir für zusätzliche Investitionen nutzen konnten. Wie stolz waren wir, als zu Beginn des Jahres 2017 die Schuldenuhr rückwärtslief!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dass das nicht so bleibt, war absehbar: Der Verkauf der HSH Nordbank war schon in Vorbereitung. Aber niemals hätte ich mir damals vorstellen können, einmal für eine Kreditaufnahme die Hand heben zu müssen, die durch eine außergewöhnliche Notsituation begründet wird. Und doch haben die Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion im März und im Mai dieses Jahres keine Minute gezögert, als zu

(Ole-Christopher Plambeck)

Beginn der Coronapandemie schnelles Handeln gefordert war, und den Notkrediten zugestimmt. Herr Nobis, hören Sie gut zu: Die Schuldenbremse haben wir dabei übrigens nicht gerissen, im Gegenteil. Das Grundgesetz und unsere Landesverfassung lassen diese Schuldenaufnahme ausdrücklich zu.

(Beifall SPD und SSW - Jörg Nobis [AfD]: Als Notmaßnahme!)

Die Schuldenbremse funktioniert ein bisschen wie ein ABS: Manchmal muss man die Bremse loslassen, wenn man nicht aus der Kurve fliegen will.

Erwartungsgemäß zeigt uns die September-Steuerschätzung, dass wir noch lange Zeit mit den finanziellen Folgen der Coronakrise zu rechnen haben. Es ist davon auszugehen, dass die Einnahmesituation des Landes über mehrere Jahre schwierig wird. Für uns ist klar: Gegen diese enormen Einnahmeausfälle kann man nicht ansparen, und schon gar nicht von heute auf morgen. Wer das Gegenteil behauptet, Herr Nobis, hat keine Ahnung. Sie waren doch bei der Anhörung im Finanzausschuss dabei. Hätten Sie zugehört, wären Sie ein bisschen klüger aus dieser Sitzung hinausgegangen.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen erteilen wir Forderungen nach Einstellungsstopps oder der Haushaltssperre eine klare Absage. Die Forderung, jetzt die Ausbildung auszusetzen und dann zum Beispiel die nächsten zwei oder drei Jahre keine Polizisten oder Finanzbeamte auszubilden - du liebe Güte, das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall SPD, SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Hans-Jörn Arp [CDU])

Wir sind uns mit der Regierung und allen verantwortungsbewussten Parlamentarierinnen und Parlamentariern einig: Gegen die Krise anzusparen - das habe ich schon gesagt -, ist das falsche Rezept. Wir müssen die Wirtschaft stützen, Investitionen finanzieren und besonders Betroffenen Unterstützung geben. Deshalb kommt es darauf an, eine Haushaltspolitik zu machen, bei der die Schwerpunkte in der Stützung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Stärkung wichtiger Bereiche wie zum Beispiel der Krankenhäuser und Schulen liegen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung schlägt nun weitere Notkredite in Höhe von 4,5 Milliarden € vor. Das ist eine enorme Summe, die uns noch lange begleiten wird. Die Verschuldung des Landes erhöht sich signifikant. Über

40 Jahre wird die Rückzahlung dieser Schulden unsere Haushalte belasten und unsere Möglichkeiten einschränken. Aber wir sind als Opposition trotzdem bereit, Jamaika die Hand zu reichen, und gehen selbstbewusst und zuversichtlich mit eigenen Vorschlägen in die Gespräche. Denn jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist parlamentarisches Handeln gefragt - über die Grenzen aller demokratischen Fraktionen hinweg.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, Hans-Jörn Arp [CDU] und Dennys Bornhöft [FDP])

Keine Zeit haben wir für das, was die AfD gerade wieder einmal versucht: Sie spalten, Sie hetzen die Menschen gegeneinander, Sie bedienen diejenigen, die in der Krise egoistisch denken. Sie schüren Neid und Missgunst, Sie verbreiten Panik. Das brauchen wir nicht, und das wollen wir nicht.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Denn der Egoismus ist die falsche Antwort. Nur solidarisch kommen wir aus dieser Krise. Wir sind dazu bereit. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Jan Marcus Rossa [FDP])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir haben schon in vielen Debatten über die Haushalte der letzten Jahre gesprochen und immer wieder die Debatte um Rekordsteuereinnahmen geführt. Ich will nur noch einmal daran erinnert haben: Das, was wir gerade erleben, ist die Situation, wenn wir einmal keine Rekordsteuereinnahmen haben. Genau deswegen ist es gut, dass die Rekordsteuereinnahmen in der deutschen Geschichte zur Norm gehören und nicht zur Ausnahme. Wenn die Steuerschätzung so eintritt wie bisher prognostiziert, werden wir vermutlich bis 2024, 3,6 Milliarden € weniger einnehmen als erwartet.

Einige reagieren in nachvollziehbarer Weise mit der Frage: Was ist, wenn es besser läuft? - Es gibt Hinweise darauf, dass es womöglich besser laufen könnte. Das könnte teilweise die Erfahrung der letzten Jahre sein oder auch gestern die Konjunkturschätzung des ifo Instituts, das eine Konjunkturpro

(Beate Raudies)

gnose abgegeben hat, die deutlich besser ist als noch vor einigen Monaten.

Das Ding ist nur: Wir haben in allen Szenarien, auch denen, die wir jetzt gerade entwickeln, in der Zukunft immer noch Lücken und Schwierigkeiten und Herausforderungen und Fragezeichen und womöglich Einsparnöte. Es ist ja nicht so, dass alles geklärt wäre. Um das nicht so negativ auszudrücken: Es ist letztendlich überall noch Spielraum für Hoffnung. Das ist auch gut so.

Wenn wir deutschlandweit eine bessere wirtschaftliche Entwicklung haben, dann ist es schön, wenn wir weniger einsparen müssen, wenn wir vielleicht den einen oder anderen Kredit nicht aufnehmen müssen oder wenn wir wieder schneller in die Vorhand kämen. Aber wir können eine Finanzplanung nicht auf Hoffnung aufbauen, sondern auf den Zahlen, die wir haben und die Unabhängige uns zuliefern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Deswegen ist das, was jetzt von der Landesregierung vorgestellt wurde, ein guter Plan. Dabei darf man nicht vergessen, dass Kredite kein Selbstzweck sind. Auch dieser Kredit wäre kein Selbstzweck. Wir wollen die Kommunen mit 517 Millionen € unterstützen, wo es ganz explizite Projekte wie eben den Infrastrukturfonds für Klimaschutz, Mobilität und Schule gibt. Wir wollen in der Pandemie weiterhin reagieren können, weil wir höhere Testkapazitäten brauchen. Wir müssen auf die Infrastrukturbedarfe dieses Landes reagieren, wir müssen sie sicherstellen. Wir müssen bisherige Aufgaben erledigen. Wir müssen auch die Ausfälle ausgleichen können.

Dann haben wir noch den Vorschlag der SPD: Wenn ich die dpa-Meldung gerade richtig gelesen habe, möchte man im Kostenrahmen bleiben, und man könne sich mehr im Bereich Wohnungsbau, Krankenhäuser und Schulbusse vorstellen. Das sind alles Projekte, die sinnvoll sind. Man muss einmal sagen: Wir gehen schon einmal in eine richtige Richtung. Wichtig ist nur, dass wir investiv bleiben und nichts strukturell machen, aber das weiß die SPD genauso gut wie wir. Wir haben alle schon einmal regiert. Insofern sollte es in den kommenden Tagen gut möglich sein, dort zusammenzukommen.

Wie schlimm sind Kredite eigentlich? Herr Nobis hat sich gerade hierhin gestellt und gesagt: Oh mein Gott, jetzt nehmen wir hier Kredite auf, das darf ja wohl nicht wahr sein! - Sie sagen die ganze Zeit: Was hat das denn mit Corona zu tun? - Das Pro

blem dabei ist, dass die Auswirkungen von Corona und natürlich auch die Reaktionen auf Corona sehr viel vielfältiger sein müssen, als nur im Bereich des Gesundheitssystems zu reagieren und zum Beispiel die Testkapazitäten zu erhöhen. Auswirkungen von Corona sind zum Beispiel auch, dass bestimmte Jobs nicht mehr so ausgeübt werden wie bisher, dass Steuereinnahmen in den Kommunen einbrechen.

Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollten grundsätzlich keine Notkredite unterstützen und deswegen die 500 Millionen € für die Kommunen und auch die 100 Millionen € für die Erhöhung der Testkapazitäten nicht haben, weil Sie der Auffassung sind, das alles habe nichts mit Corona zu tun, dann denken Sie von der Tapete bis zur Wand. Das ist eine Weitsicht, mit der wir hier im Land keine Politik machen können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SSW)

Belassen wir es dabei.

Gucken wir auf die Geschichte der Verschuldung Deutschlands, nicht nur Schleswig-Holsteins. Wir sollten nicht immer nur auf die schleswig-holsteinischen Schulden gucken, sondern auf die Verschuldung deutschlandweit. Im Wesentlichen gab es in der Bundesrepublik drei große Sprünge im Schuldenanstieg. Der erste große Sprung war 1989 bis 1995. Dort haben sich die Staatsschulden von 475 Milliarden € um weitere 544 Milliarden € erhöht, also mehr als verdoppelt. Das stand natürlich in Zusammenhang mit der Wiedervereinigung. Der zweite große Sprung waren die Steuersenkungen 2001. Wir wissen, wer da regiert hat. Da haben sich die Staatsschulden bis 2006 um 322 Milliarden € erhöht. Der dritte große Anstieg war die Reaktion auf die Finanzkrise 2008, wo sich die Staatsschulden von 2009 bis 2010 noch einmal um 317 Milliarden € erhöht haben.

Das sind die großen Sprünge der Schuldengeschichte in der Bundesrepublik Deutschland. Das hat nichts mit einer bestimmten politischen Couleur oder Partei zu tun, sondern mit Krisen, auf die man gefälligst auch mit Krediten reagieren musste, so wie es jeder im Privaten und wie es jedes Unternehmen macht. In einer solchen Krise sind wir jetzt auch, deswegen braucht es solche Kredite.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben jetzt keine geringere fiskalische Herausforderung. Die Schuldenbremse wurde immer als

(Lasse Petersdotter)

Akt der Generationengerechtigkeit argumentiert. Gerade deswegen ist es richtig, Kredite für investive Maßnahmen, für Infrastrukturausgaben aufzunehmen, weil natürlich diejenigen, die es am Ende in den nächsten Jahrzehnten tilgen werden, die sind, die auf den Straßen fahren, in den Schulen zur Schule gehen oder ihre Kinder in die Kita schicken: auch in den Jahren 2030, 2040 oder 2050. Genau deswegen ist die Maßnahme generationengerecht.

Dass wir dabei den Klimaschutz mitdenken und berücksichtigen und auch mit angehen wollen, ist nicht falsch, sondern ökonomisch und gerechtigkeitspolitisch richtig. - Vielen Dank, ich freue mich auf die weitere Debatte.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)