Protocol of the Session on August 28, 2020

Heute wissen wir, dass es den Begriff Rasse biologisch nicht gibt. Und noch immer haben wir es auf der Welt mit Rassismus zu tun. Während die Mütter und Väter des Grundgesetzes hehre und starke Ziele für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft hatten und diese in unserer Verfassung abgebildet haben, haben die Kinder und Enkel des Grundgesetzes die höchst verantwortungsvolle Aufgabe, die Verfassung in ihrem Wesen und in ihrer Zielrichtung zu erhalten. Das bedeutet aber nicht, dass das Grundgesetz konserviert werden muss. Auch unsere Verfassung muss den gesellschaftlichen Wandel anerkennen. Und da muss man eindeutig sagen: Der Rasse-Begriff ist in unserem Sprachgebrauch längst nicht mehr zeitgemäß. Im Gegenteil, er befördert eine Debatte, derer sich Rassisten gern bedienen, und von der wir uns und unsere Verfassung sich eindeutig und unmissverständlich distanzieren müssen.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Natürlich muss sich das Grundgesetz immer wieder einer kritischen Überprüfung unterziehen, auch hinsichtlich seiner Sprache, denn es ist der Spiegel und der Rahmen einer Gesellschaft. Ich möchte aber auch ganz deutlich sagen: Das Grundgesetz ist keine Spielwiese für parteipolitische Taktierereien. Jede Änderung der Verfassung muss mit äußerster Sorgfalt betrieben und diskutiert werden. Wir Liberale sind in der Regel sehr zurückhaltend bei Änderungen des Grundgesetzes. Für Symbolpolitik darf kein Platz in unserer Verfassung sein.

(Beifall FDP)

Beim Begriff der Rasse sind wir aber der Meinung, dass er dort nichts mehr zu suchen hat. Ich erwähnte es bereits. Stattdessen sind wir Freie Demokraten der Meinung, dass wir eine Alternative finden müssen, die glasklar deutlich macht, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund ethnischer Merkmale weiterhin verboten bleibt. Uns wäre ein Ersatz lieber als eine Streichung. Deshalb werbe ich auch sehr für unseren Antrag, der - wie meine Vorredner sagten - kein Blankoscheck ist, sondern diese Diskussion wirklich breit aufnimmt.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Beate Raudies [SPD])

Meine Damen und Herren, abschließend sollten wir uns wirklich alle im Klaren sein, dass der Wegfall von Begriffen oder die Ersetzung von Begriffen das

Problem an sich nicht lösen. Deshalb gilt natürlich auch heute der Appell an uns alle: Solange es Rassismus auf der Welt gibt, ist die Streichung des Begriffs allein nicht die Lösung, sondern ein einzelner Schritt. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Schaffer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Begründet wird der Antrag der SPD mit der Annahme, dass der Begriff Rasse in Gesetzen, Verfassungen und Rechtstexten die argumentative Grundlage für die Existenz von menschlichen Rassen darstelle. Und wer dieser Idee folge, der sei ein Rassist.

Wissenschaft und Forschung sind sich in der Frage, ob es menschliche Rassen überhaupt gibt, tatsächlich nicht ganz einig. Folgt man aber der herrschenden Meinung, wonach das menschliche Genom eine Einteilung der Spezies Mensch in klar zu unterscheidende Untergruppen mit übereinstimmenden genetischen Merkmalen, also Rassen, nicht erkennen lasse, dann kann man diesem Punkt in der Begründung des SPD-Antrags sogar noch folgen. Das wäre dann aber auch der einzig sinnvolle Punkt.

Ein Blick in die deutsche Vergangenheit hilft uns da weiter, denn der normative Ansatz ist ein anderer als der wissenschaftliche. Bei diesem Blick in die Vergangenheit wird sehr deutlich, warum der Begriff Rasse ins Grundgesetz kam, denn das Grundgesetz ist Grundlage für die weiteren Rechtsnormen gewesen. Es war nämlich Ziel, der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus, wonach Menschen unterschiedlicher Rassen unterschiedliche Wertigkeiten haben sollten, etwas entgegenzusetzen, und zwar etwas, das stark, für jedermann unmissverständlich und im Idealfall für alle Zeiten gültig ist.

Die Fortführung des Begriffs Rasse im Recht ist auch in der jüngeren Zeit nicht nur in Deutschland aus gutem Grund vorgenommen worden. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die UN-Antirassismuskonvention, die EU-Antirassismusrichtlinie von 2000 verzichten bewusst nicht auf den Begriff Rasse als Rechtsbegriff. Sie verwenden diesen

(Oliver Kumbartzky)

Begriff als klares Bekenntnis gegen jede Form von Rassismus.

Der Begriff Rasse ist nicht die Grundlage für Rassismus. Er ist vielmehr das Instrument, um Rassismus erkennbar zu machen. Wir können so Rassismus benennen, wir können ihn adressieren, und genau das brauchen wir, um Rassismus wirksam entgegenzutreten. Die Verwendung des Begriffs Rasse impliziert nicht etwa die Akzeptanz einer solchen Theorie. Vielmehr schafft der Begriff der Rasse im Gesetzestext die Anknüpfung an den Begriff des Rassismus und erhält so die wichtige Signalwirkung dieses Wortes. Professor Thüsing von der Universität Bonn ist da sehr klar, ich zitiere ihn mit Ihrer Erlaubnis:

„Wer nur den Wortlaut ändern will und nichts in der Sache, der betreibt bloße Gesetzgebungskosmetik.“

Er sagt weiter:

„Es ist also gerade das klare Bekenntnis des Grundgesetzes gegen den Rassismus, das droht verloren zu gehen. Wichtiger, als die Rasse aus der Verfassung zu entfernen, ist es, den Rassismus aus unserer Gesellschaft zu entfernen.“

Wolfgang Thierse, SPD, Germanist und ehemaliger Bundestagspräsident, sagte zu diesem Thema im Deutschlandfunk: Man soll sich nichts vormachen, die Tilgung eines Begriffs erledigt nicht die Aufgabe. - Er zeigte sich eher skeptisch gegenüber Säuberungsakten in der Sprache und in der Öffentlichkeit.

Die politische Diskussion verengt sich zunehmend auf den Begriff Rassismus und ähnlich intendierte Bezeichnungen. Diese Begriffe werden im öffentlichen Diskurs als Kampfbegriffe und Totschlagsargumente genutzt. Aber: Man ist nicht Rassist, wenn man das Fehlverhalten einer Minderheit kritisiert. Man ist auch nicht antiislamischer Rassist, wenn man den politischen Islam kritisiert. In der gleichen rhetorischen Mechanik ist man auch kein Klimaleugner, wenn man nicht bedingungslos der Energiewende folgt.

Wo wir eine differenzierte und faktenbasierte Debattenkultur brauchen, folgt stets der rhetorische Totschlag. Rassisten und Extremisten profitieren tatsächlich von unserer zunehmenden Unfähigkeit, hochbrisante und wichtige Diskussionen im öffentlichen Raum angemessen und frei auszutragen. Bei der Verwendung des Begriffs Rassismus müsse darauf geachtet werden, so Wolfgang Thierse, dass wir diesen nicht ubiquitär, fast totalitär verwenden und

alles des Rassismus verdächtigen, sodass Leute gar nicht mehr wissen, in welcher Sprache sie überhaupt noch reden dürfen

Meine Damen und Herren, das Grundgesetz ist nicht das Problem. Die nationalen oder internationalen Rechtstexte sind nicht das Problem, sondern Rassismus ist das Problem. So sprechen wir ohne jeden Zweifel von Rassismus, wenn ein Mensch mit einer anderen Hautfarbe als Abkömmling eines Gorillas oder als jüdischer Neger bezeichnet wird. Diese Worte stammen von dem Rassisten und Vordenker kommunistischer oder sozialistischer Politik Karl Marx. Den hat die SPD vor zwei Jahren noch mit einem kommunistischen Geschenk aus China mit einem riesigen Monument in Trier gefeiert. Karl Marx ist für die SPD „in“. Er ist ein Denker, und sie hat ihn für sich neu entdeckt.

Meine Damen und Herren, wir stehen klar gegen Rassismus. Wir stehen aber auch ebenso klar gegen die Verwendung des Vorwurfs von Rassismus gegen missliebige Meinungen. Sprachpolizeilichen Ansinnen, wie inzwischen aus der linken Ecke gewohnt, erteilen wir eine klare Absage. Schade, dass die CDU sich dazu nicht durchringen kann. Sie hat dazu offensichtlich nicht mehr die Kraft.

Vielleicht sollten die Damen und Herren von der SPD zunächst einmal über ihre eigenen Idole und Helden nachdenken, bevor sie sich anmaßen, in Deutschland die Deutungshoheit über Begriffe innezuhaben.

Ihren Antrag lehnen wir ab. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch Sie haben sicherlich die vielen Artikel und Diskussionsrunden verfolgt, die es seit dem Vorschlag der Grünen gegeben hat, den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz zu ersetzen. Niemand, der ernst zu nehmen ist, redet da davon, dass es menschliche Rassen gäbe. Vollkommen indiskutabel ist das! Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

(Claus Schaffer)

Das Dilemma, in dem man in der Frage des Grundgesetzes steckt, ist doch folgendes: Die Formulierung des Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG zielt darauf ab, Rassismus zu bekämpfen. Sie ist ein Gegenentwurf zum NS-Staat, zur Verfolgung und Ermordung von Menschengruppen. Sie soll schützen. Und doch trägt die Formulierung, niemand dürfe „wegen … seiner Rasse … benachteiligt oder bevorzugt werden“, ungewollt dazu bei, dass die Vorstellung menschlicher Rassen aufrechterhalten bleibt. Eben diese Vorstellung, dass es Rassen gibt, ist ja erst einmal die Grundlage von rassistischem Denken und Handeln.

Es ist ein Privileg von als „weiß“ geltenden Menschen, dass wir uns über unsere Hautfarbe und das, was damit einhergeht, nicht allzu oft Gedanken machen müssen. Faktisch ist die Diskussion um den Rassebegriff im Grundgesetz eine Debatte, die schon lange läuft, auch wenn viele von uns das vielleicht nicht mitbekommen haben.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte beispielsweise hat vor zehn Jahren empfohlen, den Begriff „Rasse“ aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen und durch das Verbot „rassistischer Benachteiligung oder Bevorzugung“ zu ersetzen.

Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland hat einen eigenen Vorschlag eingebracht, „Rasse“ durch „rassistische Diskriminierung“ zu ersetzen.

Es kommt aber immer wieder der Hinweis - auch heute -, dass es bei einer eventuellen Ersetzung wichtig ist, den Blick auf die rassistische Tat zu lenken, damit der schützende Charakter erhalten bleibt.

Es gibt aber auch diejenigen Stimmen, die sich insgesamt gegen eine Veränderung des Grundgesetzes positionieren, weil sie befürchten, dass damit der Schutzcharakter des Artikels wegfallen könnte. Das darf natürlich nicht passieren; darüber sind wir uns einig. Aber ich glaube, das ist kein Automatismus, wenn der Begriff geändert wird. Kluge Juristen können so etwas sicherlich klug formulieren.

Ich möchte daher wirklich davor warnen, diese Vorschläge als Symbolpolitik oder Scheindebatte abzukanzeln. Hier geht es darum, ein deutliches Zeichen gegen Rassismus zu setzen, und das ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je.

Auch die Frage der internationalen Dokumente ließe sich weiter diskutieren; denn „race“ und „Rasse“ sind nicht gleichbedeutend. Deutsche Übersetzungen von fremdsprachigen internationalen Gesetzes

texten kann man sicherlich anpassen; aber das wäre nur ein Nebenschauplatz.

Es geht hier um einen Baustein im Kampf gegen Rassismus als System. Man darf sich keine Illusionen machen: Das Ersetzen der Kategorie „Rasse“ bedeutet nicht die flächendeckende Abschaffung rassistischer Handlungen. Rassismus ist nicht einfach nur der böse Nazi, der mutwillig rassistisch handelt. Rassismus ist eine Struktur, die sich über Jahrhunderte in unsere Gesellschaft eingeschrieben hat. Deshalb müssen wir diesen Begriff aus dem Grundgesetz tilgen.

Um der Sache willen fände ich es sehr unverdient, wenn wir nicht wenigstens versuchen würden, unter den demokratischen Parteien hier zu einem gemeinsamen Antrag zusammenzufinden.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wenn es möglicherweise keine Einigung auf einen gemeinsamen Antrag gibt, stünde es uns gut zu Gesicht, dann zumindest miteinander in ein Fachgespräch zu gehen und natürlich die rechtsphilosophische Diskussion, aber auch die soziologische, kulturwissenschaftliche und linguistische Debatte zu führen. Aber, meine Damen und Herren - das ist mir sehr wichtig -, wir sollten auch und insbesondere die Expertise von Akteuren und Initiativen, die von Rassismus betroffen sind, hören. Das ist nur möglich, wenn wir das im Ausschuss machen. Insofern würde ich mich freuen, wenn wir die zwei Anträge vielleicht doch in den Innen- und Rechtsausschuss überweisen könnten. Vielleicht schaffen wir es ja doch noch, einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Ich finde, es sollte uns etwas wert sein, diese Debatte auch im Ausschuss zu führen; denn das Thema ist zu wichtig, als dass sich die Demokraten über Formulierungen streiten sollten. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt SPD)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zwei sehr ernsthafte Anmerkungen zu dieser Debatte machen: Wir hatten in den vergangenen Wochen und Monaten gelegentlich Grund, betrübt darüber zu sein, dass die Koalitions

(Lars Harms)

fraktionen mit Anträgen, die wir früher gemeinsam eingebracht hatten, nicht auf uns zugekommen sind. Wir haben das ein paar Mal moniert. Bei diesen Themen ging es unter anderem um Antisemitismus und Rassismus. Ich finde, diese Themen sind zu wichtig, als dass man auf diese Gemeinsamkeit verzichten sollte.