Protocol of the Session on June 19, 2020

Bekannt ist aber bereits, dass die Bewältigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie eine zentrale Rolle spielen wird, ebenso wie die Frage, welche Lehren wir aus der Krise ziehen müssen, um die EU besser auf vergleichbare Herausforderungen in der Zukunft vorzubereiten. Dies wird sich wie ein roter Faden durch die deutsche Ratspräsidentschaft ziehen.

Bei diesem Leitgedanken werden auch die Themen Klimaschutz, Digitalisierung und Innovation genauso im Mittelpunkt stehen wie die dringend notwendigen Reformen des gemeinsamen europäischen Asylrechtes, die Rechtsstaatlichkeit und auch die Stärkung der sozialen Dimension der EU. Die Landesregierung wird sich wahrnehmbar in diese Debatten einbringen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, der Europabericht gibt erkennbar den Kenntnisstand vom Februar dieses Jahres wieder. Was zwischenzeitlich auf EUEbene zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise vorgelegt worden ist, berührt auch europapolitische Schwerpunktthemen unseres Landes. Das betrifft zum einen den mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 der EU und die neue Förderperiode der EU-Fonds ab dem Jahr 2021.

Vor gut zwei Jahren hatte die EU-Kommission ihren ursprünglichen Vorschlag zum MFR vorgelegt. Darin war eine Steigerung auf rund 1,135 Billionen € als Obergrenze der Ausgaben vorgesehen. Die Verhandlungen der Mitgliedstaaten dazu steckten bis Februar in einer Sackgasse. Unter dem Eindruck der Coronakrise hat die EU-Kommission Ende Mai einen erneuten MFR-Vorschlag veröffentlicht. Begleitend dazu hat die EU-Kommission einen auf vier Jahre befristeten Fonds „Next Generation EU“ mit einem Volumen von 750 Milliarden € vorgeschlagen. Mittlerweile sprechen wir also über einen Gesamtumfang von 1,85 Billionen €. Derartige Dimensionen hat es bislang für die Haushalte der EU nicht gegeben. Das heißt also: Wir stehen am Anfang neuer Verhandlungen für den künftigen

(Vizepräsidentin Aminata Touré)

Haushaltsrahmen der EU. Das gilt auch für die Strukturfondsverordnung, zu der die EU-Kommission ebenfalls Ende Mai überarbeitete Entwürfe vorgelegt hat.

Unter dem Eindruck dieser gewaltigen Umwälzungen lassen sich Aussagen zu den zukünftigen Rückflüssen nach Deutschland jedoch noch nicht vorhersagen.

Lassen Sie mich abschließend noch auf ein etwas erfreulicheres Thema kommen. Unter den regionalen europapolitischen Schwerpunkten des Landes hat mich nach erster Lektüre am meisten die deutsch-dänische Zusammenarbeit überzeugt.

(Beifall CDU, FDP und SSW)

Denn in der unmittelbaren bürgernahen Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg lässt sich besser der europäische Mehrwert darstellen und vermitteln als über die großen Erzählungen auf EU-Ebene. Zuletzt stand die Schließung der Grenzen im Vordergrund der Berichterstattung und auch der Kritik. Deshalb hat mich mein erster Ortstermin nach Krusau geführt, um mir ein Bild über die Folgen der coronabedingten Grenzschließungen zu machen. Umso mehr freue ich mich, dass nunmehr auf beiden Seiten die Wiederöffnung der Grenze stattgefunden hat, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass die Zahl der Coronainfektionen beherrschbar bleibt.

Ich will mich ganz konkret um die Weiterentwicklung der deutsch-dänischen Zusammenarbeit kümmern. Das gilt sowohl für die Zusammenarbeit mit den Regionen Syddanmark und Sjælland als auch für die Fortführung des erfolgreichen INTERREGProgramms „Deutschland-Danmark“.

Eine Bemerkung zu dem Antrag wollte ich noch machen. Es wird auf die Ostseepolitik Bezug genommen. Den Ostseebericht haben wir dem Landtag bereits vorgelegt. Wir werden, soviel ich weiß, in der August-Plenarsitzung darauf zurückkommen. Ich freue mich darauf, wenn ich ihn dann hier vorstellen darf, und auf die Zusammenarbeit im Europaausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Wolfgang Baasch [SPD])

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Regina Poersch.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In etwa zwei Wochen übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Das letzte Mal ist 13 Jahre her, das war im Jahr 2007. In diesem Jahr ist es eine besondere Situation. Ich finde, das Jahr 2020 ist ein Schicksalsjahr der Europäischen Union. So viele Themen stehen an und warten darauf, europäisch gelöst zu werden, auch ohne Coronapandemie: Die Situation Geflüchteter, der Klimaschutz, die Bedingungen, zu denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der EU arbeiten und entlohnt werden, die Steuerpolitik. Gleichzeitig nehmen Fliehkräfte zu, und um die europäischen Werte ist es nicht überall gleich gut bestellt. Das ist wahrlich genügend Stoff für ein halbes Jahr EU-Ratspräsidentschaft. Und nun: Corona.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der COVID-19-Pandemie verlangen eine umfassende und gemeinsame europäische Antwort. Europa kann jetzt beweisen, dass es in schwerer Zeit solidarisch handelt und Menschen Halt geben kann.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erhobene Zeigefinger war gestern, Solidarität heißt: Kein Land, keine Region, kein Mensch darf bei der Bewältigung der Coronakrise und ihrer Folgen zurückgelassen werden. Deshalb brauchen wir ein solidarisches europäisches Recovery-Programm für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau Europas. Da liegen gute Vorschläge von der Kommission, von den Regierungen Deutschlands und Frankreichs sowie des deutschen Bundesfinanzministers auf dem Tisch. Lassen Sie uns darüber reden, wie das solidarisch ausgestaltet werden kann.

Ich bin überzeugt, dass die Investitionen zum Wiederaufbau dem European Green Deal zum Durchbruch verhelfen werden und umgekehrt. Auch dem mehrjährigen Finanzrahmen kommt natürlich eine besondere Bedeutung zu.

Unserem Land kann es immer nur so gut gehen wie unseren europäischen Partnern. Ein starkes und gerechtes Europa ist in unserem ureigenen Interesse. Wir erleben gerade, wie wichtig funktionierende Lieferketten und Absatzmärkte sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erwarte ich, dass mit einem umsichtigen Krisenmanagement und mit klarem Kurs der Zusammenhalt in Europa gestärkt wird. Zusammenhalt bedeutet auch, die europäische Säu

(Minister Claus Christian Claussen)

le sozialer Rechte mit Leben zu füllen: Ein europäischer Mindestlohn, ein europäischer Plan für ein Kurzarbeitergeld, Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch eine verlässliche EU-Entsenderichtlinie, die europäische Jugendgarantie sowie eine dauerhafte Arbeitslosenrückversicherung, damit die nationalen Arbeitslosenversicherungen auch in Zeiten wirtschaftlich schwerer Krisen ihre wichtige Sicherungsfunktion erfüllen können.

Wir brauchen europaweit, also für alle Europäerinnen und Europäer, hohe soziale Mindeststandards.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Jette Waldinger-Thier- ing [SSW])

Die Coronakrise zeigt aktuell, wie wichtig eine auskömmliche Lebensgrundlage als Stütze für die europäische Wirtschaft ist.

Des Weiteren steht die europäische Steuerpolitik auf der To-do-Liste. Europäische Solidarität kann nur gelingen, wenn neben den EU-Mitgliedstaaten auch multinationale Unternehmen ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise und ihrer Folgen sowie zur Finanzierung des Gemeinwohls leisten.

Die Coronapandemie hat uns auch in SchleswigHolstein vor Augen geführt, dass die Europäische Union unabhängiger von Dritten, dass sie im medizinischen Bereich krisenfester und souveräner werden muss. Die Produktion von Medikamenten muss in die EU rückverlagert werden. Ich bin sehr dankbar für die Diskussion, die wir dazu unter dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt geführt haben. Und weil er gerade noch da ist: Sehr geehrter Herr Sozialminister Dr. Garg, auch das, was Sie zur europäischen Patientenversorgung gesagt haben, teile ich ausdrücklich. - Danke dafür.

(Beifall SPD, FDP und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesvorstand meiner Partei hat in der vergangenen Woche beschlossen, die Ratspräsidentschaft zu nutzen, um verbindliche Mechanismen zur Überprüfung europäischer Grundwerte und zur Sanktionierung von Verstößen auf den Weg zu bringen. Dem will ich mich ausdrücklich anschließen. Ich habe schon in der letzten Tagung gesagt: Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie die COVID-19-Pandemie in einigen Mitgliedstaaten als Vorwand missbraucht wird, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzuschränken.

(Beifall SPD, FDP, Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Solidarität bedeutet auch, ungleichmäßig verteilte Herausforderungen unter den Mitgliedstaaten fair aufzuteilen. Gemeint ist die europäische Flüchtlings- und Asylpolitik. Es ist eine Schande, wie es gerade in griechischen Flüchtlingslagern zugeht. Das ist eines Friedensnobelpreisträgers EU nicht würdig.

(Beifall SPD, Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Ich bedanke mich für den Europabericht des Ministers. Zu ihm habe ich viele Fragen und würde ihn gern in den Europaausschuss und mitberatend in alle anderen Ausschüsse überweisen lassen. Leider taucht das Wort „Solidarität“ im Antrag der Koalition nicht auf. Das ist bedauerlich; denn nie sind Zusammenhalt und Solidarität in Europa so wichtig gewesen wie heute. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hartmut Hamerich das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es beim Thema Europa um zwei wirklich wichtige Tagesordnungspunkte. Der erste Tagesordnungspunkt betrifft den Europabericht der Landesregierung 2019 bis 2020, für den ich sehr dankbar bin. Alljährlich bekommen wir die vielschichtigen Themen Europas, an denen unser Land beteiligt und aktiv ist, hier vorgelegt und ausführlich dargestellt. An dieser Stelle gilt mein herzlicher Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesregierung, die an dieser Arbeit beteiligt waren.

Jedes Jahr haben wir die Qual der Wahl, die wichtigen Punkte, die speziell unser Land betreffen, anzusprechen. Hierzu zählt auf jeden Fall die Ausgestaltung unserer engen Beziehungen zu unserem Nachbarn Dänemark mit allen ihren vielschichtigen Facetten. Ich nenne nur stichwortartig einige: 100 Jahre Volksabstimmung zur Grenzziehung, Minderheitenpolitik, Fehmarnbelt-Querung, Bildungseinrichtungen entlang der Grenze, grenzüberschreitender

(Regina Poersch)

Arbeitsmarkt, Grenzkontrollen und nicht zuletzt auch der Wildschweinzaun.

Ich danke insbesondere unserem Ministerpräsidenten, Daniel Günther, und unserem neuen Europaminister, Claus Christian Claussen, dass sie alles dafür tun, die Beziehungen zu Dänemark gerade auch in persönlicher Hinsicht zu stärken. Dazu zählt auch unsere Botschaft in Brüssel, unser Hanse-Office, das wir schätzen, dringend benötigen und am liebsten stärken möchten. Ein Dank geht auch an Herrn Thorsten Augustin und sein Team, insbesondere für die gute Vorbereitung unserer Besuche des Europaausschusses in Brüssel und für die dortigen interessanten Gesprächspartner.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU und Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Unser diesjähriger Besuch ist Opfer der Coronakrise geworden.

Zu nennen sind natürlich auch unsere länderübergreifenden Gremien und Konferenzen. Die schwächelnde Nordseekooperation sollten wir nach dem Brexit unbedingt stärker auf die Tagesordnung unseres Agierens setzen. Alle diese Punkte sind durch die Coronapandemie ein wenig aus dem Blickfeld geraten. Wichtige Begegnungen, wie zum Beispiel die BSPC und das Parlamentsforum Südliche Ostsee, sind zunächst abgesagt. Im nächsten Jahr wird das hoffentlich anders aussehen. Diese Konferenzen leben stark von persönlichen Begegnungen und können nicht durch Videokonferenzen ersetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronapandemie wird uns als extrem dramatisches Ereignis mit ihren Nachwirkungen sicherlich noch stark und sehr lange beschäftigen. Alle Politikbereiche sind betroffen. Und so sind wir beim zweiten Tagesordnungspunkt, der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli dieses Jahres angelangt.

Vielleicht ist es ein Glücksfall, dass in dieser Situation unsere Kanzlerin, Angela Merkel, mit all ihrer Erfahrung auf dem europäischen Parkett und ihrem festen Willen, Europa als Ganzes zu erhalten und zu stärken, diese wichtige Führungsrolle übertragen bekommt. Überschattet durch den Ausstieg des britischen Königreichs aus der EU gilt es, nicht nur die ohnehin aktuellen dringenden Fragen der zukunftsgerechten Ausgestaltung des neuen EU-Finanzrahmens -

(Unruhe)

- Wenn ich störe, müssen Sie mir das sagen.

(Heiterkeit)

Es gilt, die Ausgestaltung des neuen EU-Finanzrahmens bei begrenzten Finanzspielräumen abzustecken. Gestern hat die Kanzlerin im Bundestag erste wichtige Punkte für diese Zeit skizziert. Was sie gesagt hat, spricht für das große Verantwortungsbewusstsein, das sie in der Coronakrise einmal mehr unter Beweis gestellt hat. Sie betont, dass wir diese Verantwortung in einer Zeit, in der die Europäische Union der größten Herausforderung ihrer Geschichte gegenübersteht, übernehmen, und sie macht deutlich, dass wir die Zeit der großen Umbrüche und Neuorientierungen auch für Reformen nutzen müssen, um uns für die Zukunft besser aufzustellen. Dazu gehört klimafreundliches Handeln genauso, wie für einen gehörigen Schub in der Digitalisierung zu sorgen. Europa muss sich gemeinsam so aufstellen, dass es im Wettbewerb der Weltmächte noch eine Rolle spielen kann.

Die Bundeskanzlerin hat ihre Schwerpunkte für die anstehende EU-Ratspräsidentschaft genannt. Ich zähle auf: die Verhandlung des mehrjährigen Finanzrahmens 2021 bis 2027, die zukünftigen Beziehungen der EU zum Vereinigten Königreich, der Klimaschutz, die Digitalisierung, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Rechtsstaatlichkeit - wobei ich Probleme bei der Überprüfung sehe - und die Rolle der EU in der Welt.