Protocol of the Session on June 18, 2020

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Wir haben eben schon einmal gehört: Essen auf Rädern und auf Rädern zum Essen. Ich fand das sehr schön, wie Sie das gesagt haben. Ganz besonders wichtig in Schleswig-Holstein ist der Erhalt der Mobilität im ländlichen Raum.

(Beifall Werner Kalinka [CDU])

Die Mobilität mit Anruffahrten - ALFA ist hier ein sehr schönes Beispiel -, mit Sammeltaxen oder mit Bürgerbussen wie in Nordfriesland zu erhalten, das sind Modelle für die Zukunft. Das sind Modelle, die wir von Jamaika begrüßen und auch gern weiter fördern wollen.

(Werner Kalinka [CDU]: So ist es! - Beifall Katja Rathje-Hoffmann [CDU] und Kay Ri- chert [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Älterwerden ist eine große Herausforderung. Das ist jetzt schon mehrfach gesagt worden. Fast alle Seniorinnen und Senioren möchten gern in ihrem eigenen Zuhause bleiben. Ich komme noch einmal auf den Anfang meiner Rede zurück: Freiheit und Selbstbestimmung ist das, was wir uns alle wünschen, wenn wir jung und topfit sind. Freiheit und Selbstbestimmung gehört auch für alle anderen gewährleistet. Daran zu arbeiten, ist eine große Freude, und es wird bestimmt auch eine große Freude werden, wenn wir im ersten Quartal des nächsten Jahres den Bericht des Sozialministers dazu hören werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jörg Hansen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Die Coronapandemie hat es noch einmal verdeutlicht: Die ältere Generation braucht eine besondere Fürsorge. Jeder hat wohl die gleiche oder eine ähnliche Erfahrung wie ich gemacht, und zwar im Verwandtenkreis. Zu Beginn der Einschränkungen habe ich bei meiner Mutter in Flensburg angerufen und habe sie gefragt: „Du, Mama, kann ich dir etwas Gutes tun, kann ich

(Dr. Marret Bohn)

vorbeikommen?“ Und sie sagte - tapfer wie sie ist -: „Ich komme schon zurecht, Junge. Bleib lieber zu Hause, denn wir wollen ja alle gesund bleiben.“ Natürlich war das vernünftig und auch richtig, aber nicht das, was ich gern hören wollte. Ich wollte gern helfen. Aber sie ist zurechtgekommen. Zum Glück hat sie eine gute Nachbarschaft, und meine Schwester wohnt sehr nah bei ihr. Das beruhigte mich etwas, aber es ist weiß Gott nicht überall so. Denn es gibt viele Menschen, die in dieser Zeit einsam und allein waren.

Die ältere Generation möchte überwiegend im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung bleiben. Diesen sehr persönlichen Wunsch gilt es zu respektieren. Manche sagen: Damit wachsen die Probleme. Ich aber sage: Einen Wunsch nach Selbstbestimmtheit darf man nicht als Problem bezeichnen.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Jamaika knüpft hier an einen Antrag aus dem Altenparlament an. Demnach sollen im Rahmen einer kommunalen Quartiersbetreuung die Kommunen Unterstützung erfahren, „eine aufsuchende Beratung von Seniorinnen und Senioren zu etablieren“. So heißt es wörtlich im Text.

(Birte Pauls [SPD]: Ja, genau!)

Mit viel Engagement hatte das Altenparlament das Thema aufgearbeitet, also die Betroffenen selbst, die hier eine Stimme erhalten. Ich danke noch einmal herzlich für diesen erneuten Impuls.

(Vereinzelter Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass ältere Bürgerinnen und Bürger möglichst lange selbstbestimmt in der gewohnten und vertrauten Umgebung leben können. Wir wollen das nicht als Problem sehen, sondern sie dabei tatkräftig unterstützen. Damit unterstützen wir auch die Selbstbestimmtheit dieser Generation und die eigene individuelle Entscheidung.

Daher setzen wir auch beim Thema Beratung auf die Selbstbestimmtheit. Uns ist bewusst, dass es in diesem Kontext vielerlei Projekte gibt - nationale wie internationale. Diese richten sich zumeist am Lebensalter aus. Wir haben es gehört. Der SPD-Antrag spricht von 75 Jahren, das Projekt in LübeckMoisling spricht von 65 Jahren. Aus meiner Sicht das kam auch schon zur Sprache - ist das zu kurz gedacht, denn ein Wunsch nach Unterstützung, wie ihn Hausbesuche bieten können, kann auch früher entstehen. Warum also ein Alter definieren? Der

persönliche Bedarf oder Wunsch ist doch für uns entscheidend.

Für uns gelten dabei drei Aspekte: Erstens das Angebot, zweitens die Information und drittens die Motivation. Ältere Menschen sollen über ein Angebot, das vielerorts bereits existiert oder noch etabliert wird, darüber informiert werden, welche Möglichkeiten für sie bestehen, um dann eine passgenaue Hilfe zu erhalten. Das ist unser Weg. In diesem Dreiklang sieht Jamaika einen guten Weg, Menschen wieder zum Mitmachen zu bewegen, die soziale Teilhabe zu stärken und mögliche Vereinsamung und damit seelische oder psychosomatische Erkrankungen zu minimieren - und das alles aus ihrer vertrauten Umgebung heraus.

Ein flächendeckender präventiver Hausbesuch ist zwar ein ehrenwertes Ziel, es hapert allerdings an der praktischen Umsetzbarkeit. Die Zeiten sind vorbei, als die typische Gemeindeschwester mit dem Fahrrad durch das Dorf gefahren ist und sich im positivsten Sinne kümmerte. Das mag in kleinen Gemeinden vielleicht noch denkbar sein, aber in Metropolen, an die wir auch denken müssen, fehlt es an Vorschlägen, auch im SPD-Antrag.

Jamaika setzt neben dem Angebot auch auf die Mobilität - wir sprachen darüber - und seit Neuestem auch auf die Digitalisierung. Wenn man teilnehmen möchte, muss man auch dorthin kommen. Corona hat es gezeigt: Auch für ältere Menschen gehört ein Video-Chat mittlerweile mehr und mehr dazu.

Mir ist klar: Rahmenbedingungen ersetzen nicht das Kümmern und die persönliche Ansprache. Es ist klar, dass viele Behörden und Organisationen beteiligt werden sollten.

Konzentrieren wir uns darauf, uns auf den Weg zu machen. Dies zeigt auch der SPD-Antrag, mit dem kleinen Unterschied, dass wir den Blick auf das Umsetzbare und für die Bürger Bestmögliche wenden. Nehmen wir die heutige Debatte zum Startschuss, die ältere Generation weiter zu unterstützen. - Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Schaffer das Wort.

(Jörg Hansen)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Uns liegt ein SPD-Antrag vor, der die Einführung präventiver Hausbesuche ab einem Lebensalter von 75 Jahren vorsieht, sowie jetzt auch der Alternativantrag der Jamaikaner, der zu diesem Antrag nicht unbedingt im Widerspruch steht, sondern zusätzlich darauf abzielt, Senioren bei der Digitalisierung zu unterstützen.

Auch ich muss jetzt einmal unser Nachbarland Dänemark loben, denn dort sind solche Hausbesuche seit Jahren gang und gäbe. Mit solchen Hausbesuchen wird der präventive Ansatz verfolgt, Vereinsamung, Isolation, Pflegebedürftigkeit und damit letztlich den Gang ins Alters- oder Pflegeheim zu vermeiden.

In Deutschland gibt es hierzu seit immerhin 20 Jahren zahlreiche Modellversuche, die sehr erfolgversprechend verlaufen sind. So hat der Evaluationsbericht zum Projekt „Gemeindeschwester plus“ in Rheinland-Pfalz gezeigt, dass ein solches Angebot ein großer Gewinn für hochbetagte Senioren ist, die keinen Pflegegrad haben und zu Hause leben.

In den Jahren 2014 bis Ende 2017 gab es in drei großen Kommunen in Baden-Württemberg ein ähnliches Projekt. Kernbestandteil waren präventive Hausbesuche für selbstständig lebende ältere Menschen. Im Rahmen dieses Projekts wurden mehr als 700 Senioren besucht und rund 1.700 Beratungsgespräche durchgeführt und ausgewertet. Auch hier waren die Ergebnisse durchweg positiv.

Das Gemeinsame all dieser Projekte ist, dass meistens in der Prävention speziell geschulte Pflegekräfte weitgehend selbstständig und gesunde Ältere individuell beraten. Ein Hausbesuch dauerte im Schnitt zwischen einer und zwei Stunden; die Mehrzahl der Senioren benötigte einen Hausbesuch, andere dagegen zwei bis drei. Hier zeigt sich bereits der erhebliche Personalbedarf, um ein solches Angebot für Senioren in Schleswig-Holstein flächendeckend zu etablieren.

Auch die Frage, was das genaue Ziel der präventiven Hausbesuche sein soll und welche Themenfelder mit den Senioren besprochen werden sollen, muss noch beantwortet werden. Das vorrangige Themenspektrum sollten tatsächlich Prävention und Vorsorge über Pflegebedürftigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Alter sein. Hierzu gehört auch die Kontaktaufnahme mit Ämtern und Versicherungen, denn in der Praxis hat sich gezeigt, dass ältere Menschen mit dem Schriftverkehr oft

mals überfordert sind. Hier leisten Berater eine enorm wichtige Arbeit.

Berater können auch als Ansprechpartner der Kommunen für die Senioren fungieren und so Brücken in ganz verschiedene Bereiche bauen, etwa in die Bereiche der häuslichen Unfallverhütung oder was in einem Pflege- oder Krankheitsfall zu tun ist.

Zusammengefasst betrachtet sind die präventiven Hausbesuche sehr gut geeignet, ältere Menschen frühzeitig zu erreichen, um diese zu informieren, zu sensibilisieren, zu bewegen und dabei zu unterstützen, sich mit dem eigenen Risiko der Pflegebedürftigkeit auseinanderzusetzen. Dadurch werden ältere Menschen oft sicherer und selbstständiger und können so bei Bedarf besser Hilfe und Unterstützung für sich organisieren.

Darüber hinaus liefern die Hausbesuche wertvolle Informationen für Kommunen und weitere Akteure zu Pflege- und Betreuungsbedarfen in Quartieren und Stadtteilen, um genauer für die Zukunft planen zu können.

Die AfD-Fraktion unterstützt daher grundsätzlich das Konzept zu flächendeckenden und präventiven Hausbesuchen für Senioren. Das neue Konzept erfordert aber ein Umdenken. Unser Sozialleistungsrecht und das darin verankerte Subsidiaritätsverständnis betonen immer noch stark die Selbsthilfe der Menschen, bis das solidarisch getragene Unterstützungssystem greift. Auch ist das Aufgabenspektrum der Berater rund um die präventiven Hausbesuche multidimensional, denn die Berater müssen sich den verschiedensten Themenfeldern widmen, die ein breit aufgestelltes Wissen und Praxisspektrum erforderlich machen.

Auf kommunaler Ebene müssen wir ein Kompetenz- und Angebotswirrwarr vermeiden. Auch das klang hier schon an. Wir haben bereits sehr viele Angebote, um älteren Menschen das Leben zu erleichtern, sie zu beraten und sie möglichst lange von erforderlicher Hilfe fernzuhalten. Wir haben vergleichbare und überschneidende Angebote, und die Angebote dürfen nicht miteinander kollidieren und sich stören.

Im Ergebnis aber können präventive Hausbesuche eine sinnvolle und präventive Ergänzung zu bestehenden Angeboten wie etwa der Pflegeberatung und den Pflegestützpunkten darstellen und dazu beitragen, Nachfrage und Angebot vor Ort besser aufeinander abzustimmen.

Wir sehen bei beiden Anträgen das Potenzial, gemeinsam für die älteren Menschen mehr zu errei

chen, und würden eine Überweisung an den Sozialausschuss befürworten. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus sozialpolitischer Sicht ist es unheimlich schwer zu verstehen, dass wir uns nicht alle mit vollem Einsatz für präventive Angebote einsetzen. Ob im Gesundheitswesen, in der Suchberatung, beim Thema Obdachlosigkeit oder ganz allgemein in der Jugend- oder Familienhilfe: Überall trägt Prävention dazu bei, menschliches Leid zu verhindern oder zumindest zu verringern. Fast immer profitiert die gesamte Gesellschaft, weil mittel- bis langfristige Folgekosten vermieden werden können.

Mir ist bewusst, dass der finanzielle Spielraum für Land und Kommunen begrenzt ist. Außerdem müssen nicht nur in diesen Ausnahmezeiten auch viele andere Dinge bezahlt werden. Trotzdem hält sich das Verständnis des SSW in Grenzen, wenn man hier und heute mit Finanzierungsbedenken argumentiert.

Aus unserer Sicht macht der Antrag der SPD absolut Sinn. Wir halten es für richtig, allen Menschen über 75 ein freiwilliges und selbstverständlich kostenloses Beratungsangebot zu machen. Deshalb unterstützen wir die ursprüngliche Forderung an die Landesregierung, den präventiven Hausbesuch gemeinsam mit Kommunen und Pflegekassen einzuführen.

(Beifall SPD)

Der Alternativantrag der Koalition verfolgt ein ähnliches Ziel. Wenn wir ehrlich sind, dann ist er dabei deutlich weniger konkret.

(Werner Kalinka [CDU]: Noch!)