Protocol of the Session on September 21, 2017

Die Pflegepersonaluntergrenzen stärken die Patientensicherheit und verbessern die Arbeitsbedingungen in der Pflege. Kurz-, mittel- und langfristig müssen wir jedoch zuallererst eines anpacken: den nachhaltigen Personalaufbau in allen Bereichen der Pflege. Jamaika will den Pflegeberuf attraktiver machen durch mehr Anerkennung und mehr Wertschätzung und durch mehr Angebote zum psychischen und physischen Belastungsabbau. Wir brauchen mehr Menschen, die sich heute und auch in Zukunft bewusst für diesen Beruf entscheiden. Außerdem müssen wir uns für bessere Rahmenbedingungen starkmachen, damit die Pflegekräfte langfristig in ihrem Beruf arbeiten. Wir sorgen auch für eine Weiterentwicklung der Pflegeberufe durch eine gemeinsame Grundausbildung mit einer neu geregelten kostenlosen Ausbildungsfinanzierung für die Auszubildenden sowie für mehr Ausbildungsplätze.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, wir setzen uns für bundeseinheitliche Standards bei der Personalbemessung in der Pflege und für eine konsequente Umsetzung des Arbeitsschutzes für Pflegekräfte ein. Wenn das nichts ist! - Danke schön.

(Beifall CDU, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pflege ist ein Schwerpunktthema für Jamaika. Wer einen Blick in den Koalitionsvertrag wirft, wird das dort nachlesen können.

Bei der Pflege brennt es an allen Ecken und Enden; da bin ich mir mit der Kollegin Pauls einig. Ob in den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen oder in der häuslichen Pflege: Es muss besser werden in der Pflege. Wir sind uns in der Jamaika-Koalition einig, dass wir dieses Vorhaben voranbringen werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Wir haben - das ist absehbar - einen Zuwachs an Pflegebedürftigen. In wenigen Jahren werden wir etwa 125 000 Pflegebedürftige bei uns in Schleswig-Holstein haben. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl derjenigen, die überhaupt als Fachkraft infrage kommen, durch den Geburtenanstieg derzeit wieder leicht zu, aber sie stehen dem Arbeitsmarkt noch nicht zur Verfügung.

Ihre Analyse ist richtig, Frau Kollegin Pauls: Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden. Deswegen freue ich mich riesig darüber, dass es in den Koalitionsverhandlungen mit Jamaika möglich war zu sagen: Ja, wir wollen ein Personalbemessungssystem. Das ist die einzige Möglichkeit zu sagen: Wir haben eine Mindestgrenze. In Jamaika gehen wir sogar noch darüber hinaus. Wir sagen, dass auch der Arbeitsschutz konsequent eingehalten werden muss. Da müssen Sie doch eigentlich an unserer Seite und nicht dagegen sein!

(Beifall CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 2035 könnten insgesamt sogar 270.000 Fachkräfte fehlen. Das besagt eine aktuelle Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung. Bei der Pflege ist es wie beim Deichbau: Die Flut steigt und steigt und steigt, und deswegen - da kennen wir uns in Norddeutschland aus - müssen wir rechtzeitig handeln und Deiche bauen.

Das müssen wir auch in der Pflege. Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die jetzt noch fit sind, erst möglichst spät in ihrem Leben pflegebedürftig werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Stellen, die da sind, mit Fachkräften besetzt werden können. Wir haben in der Küstenkoalition sehr erfolgreich, und das machen wir mit Jamaika weiter - dafür gesorgt, dass im Krankenhausgesetz auch die Finanzierung der Krankenhäuser besser wird. Das stärkt

(Katja Rathje-Hoffmann)

die Pflege, darin sind wir uns doch einig, und das ist auch richtig so.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Dennys Bornhöft [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, manche Menschen in unserer Gesellschaft sagen, dass beim Thema Pflege alles viel zu langsam geht. Das geht mir auch so. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass wir bei diesem Thema alles allein auf Landesebene wuppen können. Deswegen ist es so, dass am Sonntag, genau wie beim Thema Rente, auch über das Thema Pflege die entscheidenden Weichen gestellt werden. Ich kann nur sagen: Ich wünsche mir das, was in unserem Wahlprogramm steht: Ein Sofortprogramm von 1 Milliarde € für die Pflege, damit endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden und damit die Situation der Pflege ganz vorn auf die Tagesordnung kommt.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In der Jamaika-Koalition tun wir das, was wir auf Landesebene tun können. Wir haben im Bildungsbereich in der Küstenkoalition eine ehrliche Eröffnungsbilanz gezogen und gesagt: Wir werden das auch tun. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten sinngemäß: Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit medizinischen Leistungen stellt für uns eine zentrale Aufgabe dar. Wir werden daher eine vollständige Bestandsaufnahme mit konkreten Handlungsempfehlungen für den Landtag machen. Ich glaube, das ist auch unsere Aufgabe als Landespolitikerinnen und Landespolitiker.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Bezug auf die Pflege ist es so, dass wir alle in unserem Umfeld wissen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Wir sind dafür, dass wir hier im Land alles dafür tun, was wir tun können. Ich freue mich sehr darüber, wenn wir die Bundesratsinitiative starten und sie weiterführen können, denn, liebe Frau Kollegin Pauls, ich bin mir sicher: Standards nur für die Nacht und auf den Intensivstationen werden nicht ausreichen. Ich bin mir sicher, dass wir uns hier einig sind. Wir müssen viel mehr tun und viel schneller werden, sonst kann das nicht funktionieren. Das müssen wir verhindern. Bessere Arbeitsbedingungen für die Pflege so schnell wie möglich! - Vielen Dank, liebe Kollegen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt CDU)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dennys Bornhöft das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine angemessene Qualität und eine ausreichende Personalausstattung in der Pflege sind zusammen eines der größten politischen und gesellschaftlichen Themen, das auf allen staatlichen Ebenen angegangen werden muss. Eine Vorgabe für eine Personalbemessung bei der Pflege werden wir brauchen. Aber: Nur weil wir auf Bundes- oder Landesebene zum Beispiel einen Personalschlüssel festsetzen, heißt das noch lange nicht, dass mit einem Federstrich eine Vielzahl an neu ausgebildeten Pflegekräften ihren Dienst bei bisher unterbesetzten Pflegeeinrichtungen werden beginnen können.

Die kurzfristige Konsequenz bei sofortiger Umsetzung wären Situationen, wie wir sie im Sommer im Städtischen Klinikum in Kiel erlebt haben, wo Pflegestationen wegen Unterbesetzung geschlossen werden mussten. Diese Konsequenz, dass flächendeckend Stationen nicht nur aus fachlicher, sondern auch aus gesetzlicher Sicht geschlossen werden müssen, will vermutlich niemand. Das Prinzip „Vogel Strauß“, als Bund oder als Land einfach den Kopf in den Sand zu stecken und sich bloß nicht zu bewegen, ist natürlich auch keine Alternative für Schleswig-Holstein.

Zwei Maßnahmen brauchen wir sehr zeitnah, um das Pflegepersonal zu stärken: Erstens brauchen wir eine umfassende Personalgewinnungsmaßnahme. Dazu gehören auch entsprechende Tariflöhne und Imagekampagnen, die zum Beispiel bei der Erzieherausbildung vor drei Jahren recht gut liefen, und vor allem eine Senkung von formalen Hürden für den Quereinstieg in den Pflegeberuf.

Zweitens braucht es Zeit für Pflege. Derzeit verwenden Pflegekräfte im Schnitt 21 Minuten pro Stunde auf Bürokratie und Dokumentation. Die Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft macht man aber nicht, um ein Drittel der Zeit als Verwaltungsfachangestellte zu arbeiten. Wir brauchen weiterhin den Abbau von Bürokratie, um beim bestehenden Personal mehr Zeit für die Pflege, mehr Zeit für den Dienst am Menschen zu haben. Die Prüfrichtlinie, die vom damaligen und nun wieder amtierenden Sozialminister Dr. Heiner Garg eingeführt wurde, ist hierbei ein wesentliches Instrument.

(Dr. Marret Bohn)

Bürokratie begegnet man prinzipiell auf zwei Wegen: Erstens. Nicht zwingende oder unsinnige Bürokratieelemente wie zum Beispiel Positivdokumentationen und stündliche Kontrollen, ob ein Gerät funktioniert, gehören entweder umgekehrt oder abgeschafft. Zweitens. Erforderliche bürokratische Elemente, denn es ist nicht alles Unsinn, was gemacht wird, vor allem aber häufig wiederkehrende Elemente sind weitestgehend zu automatisieren, um somit die Last von Pflegekräften zu verringern. Hier sollten Digitalisierung, Telemedizin und Robotik als Chancen verstanden werden.

Ein Blick in die Ferne, auf Japan, ein ebenfalls hochtechnologisiertes Land, das sogar noch stärker gegen den Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels, den Frau Bohn gerade angesprochen hat, kämpfen muss: Dort gibt es bereits weitreichende Anwendungsfelder von computergestützter Hilfe bei der Pflege.

Ein Element, das von vielen, nicht von allen, Pflegekräften zumindest in persönlichen Gesprächen und Telefonaten als nicht förderliche Bürokratie empfunden wird, ist die sich in der Gründungsphase befindende Pflegekammer: Der Einflussbereich auf die Rahmenbedingungen der Pflegekräfte sei gering. Bei der Entlohnung sei dieser aufgrund der Tarifautonomie, die wir als Liberale auch wollten, sogar nicht vorhanden. Demgegenüber steht eine kostenpflichtige Zwangsmitgliedschaft. Ich hoffe aber, dass meine Koalitionskollegen von den Grünen recht behalten werden und dass sich diese Institution für die Pflegekräfte bewährt und einen Mehrwert für die betroffenen Frauen und Männer schaffen wird.

Bis dieser Zustand erreicht ist, werden wir die Gründung und die Umsetzung natürlich weiter konstruktiv und kritisch begleiten. Aber bevor gleich aus der Opposition ein Koalitionskrach herbeigeschrien wird, noch ein deutlicher Hinweis: Vor der Landtagswahl wollten wir als Freie Demokraten die Zwangsmitgliedschaft der Pflegekräfte in der Pflegekammer nicht, aber wir haben uns als CDU, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag auf die Gründung und den Erhalt der Pflegekammer geeinigt, und das gilt für uns alle.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP)

Auch in dieser Koalition sind wir nicht zu einer Einheitspartei fusioniert, sondern wir bleiben weiterhin drei individuelle starke Partner. Vielfalt ist auch hier unsere Stärke.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Zum Glück habe ich die Zeit noch: Ich möchte mich zum Schluss dafür bedanken, dass wir zu diesem Thema eine sehr sachliche Debatte führen. Gestern Abend habe ich, kurz bevor ich zu Bett gegangen bin, noch etwas von Sahra Wagenknecht lesen dürfen, die der Großen Koalition aufgrund ihrer Pflegepolitik die Tötung von Menschen anlastet. OTon: Die Große Koalition tötet Menschen aufgrund der Pflegepolitik. Nach Sonntag sehe ich schon Sahra Wagenknecht und Alice Weidel händchenhaltend im Populismus im Bundestag. Das ist eine Art der Debatte, die meiner Meinung nach der Sache nicht dient. Ich bin froh, dass diese bisher nicht mit Populismus behaftet war.

Vielen Dank dafür und für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Frank Brodehl das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Kollegen! Gute Pflege braucht ausreichend Personal. Ich habe es auch aufgeschrieben: Es ist gut, dass wir uns über die meisten Themen hier im Haus sachlich unterhalten können. Dieser Seitenhieb eben war vollkommen unnötig, aber das ist egal.

Aufgabe des Gesetzgebers sollte es bei einer solch sensiblen Sache wie der Pflege sein, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Pfleger, die wir haben, wieder motiviert und nicht demotiviert arbeiten können. Der gestellte Antrag der SPD ist immens wichtig, und ihm ist inhaltlich uneingeschränkt zuzustimmen. Wir haben dennoch einen Änderungsantrag eingebracht, weil wir einen oder zwei Aspekte konkreter formuliert haben wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Pfleger genügend Zeit haben, dann kann echte Pflege entstehen. Genügend Zeit ist das Gegenteil von Zeitnot. Leider ist es die Zeitnot, die die Pflege pflegebedürftiger Menschen heutzutage prägt. Die Folgen sind bekannt. Durch Zeitnot entsteht Stress, und mit dem Stress wächst die Frustration. Im schlimmsten Fall wächst sich dieser Stress zu gewalttätigen Übergriffen auf die zu pflegenden Personen aus. Meist dürfte dies nur in Extremfällen bekannt wer

(Dennys Bornhöft)

den. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher ist als die Anzahl der Fälle, die bekannt werden.

Gerade in der stationären Pflege werden generell zu wenig Pfleger eingesetzt. Hier müssten Betreiber durch gesetzliche Vorgaben gezwungen werden, mehr Personal einzusetzen. Derzeit kümmern sich zwei Pfleger um bis zu 20 Patienten beziehungsweise 30 Bewohner. Meine Zahlen lauten ein wenig anders, aber das Problem bleibt das gleiche. Jeder, der die Zahlen hört, kann sich eigentlich vor stationärer Pflegebedürftigkeit nur fürchten, zumindest wird er Bedenken bekommen. In der ambulanten Pflege scheinen die Verhältnisse etwas besser zu sein. Die Sätze der Krankenkassen sind hier aber niedriger, was sich natürlich auf das Lohnniveau auswirkt. Hier ist eine Erhöhung der Leistungskomplexe erforderlich.

Über die Masse an Dokumentationspflichten brauche ich hier nicht zu sprechen. Die ursprünglich gewünschte Wirkung könnten diese aber nur dann entfalten, wenn nach etwaigen Verstößen auch spürbare Konsequenzen erfolgen würden. Aus der Praxis wird allerdings angemahnt, dass dies eben zu wenig geschehe und dass sowohl MDK als auch Heimaufsicht ohnehin stärker kontrollieren sollten.

Eine Krankenschwester- beziehungsweise -pflegerstunde kann nur deshalb so viel weniger kosten als eine Monteurstunde, weil unter teils menschenunwürdigem Zeitdruck gearbeitet werden muss. Die wichtigste Aufgabe ist demnach die Erhöhung des Pflegeschlüssels der Leistungskomplexe. Dies wird sich positiv auf die Pflege auswirken und so natürlich auch auf die Attraktivität des Berufs.

Dass das Pflegestärkungsgesetz bereits auf den Weg gebracht worden ist, wurde von allen Gesprächspartnern, mit denen ich im Vorhinein gesprochen habe, ausdrücklich begrüßt. Lassen Sie uns das Thema dennoch im Sozialausschuss weiter ganz oben auf der Agenda behalten. Ich bitte um Überweisung. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vorab eine kurze Bemerkung: So wichtig und so lobenswert alle Initiativen zur Ver

besserung der Arbeits- und Versorgungssituation in der Pflege auch sind, wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir diese Berufe nicht schlechtreden. Ich habe gehört, dass Neuntklässlerinnen und Neuntklässler schon jetzt sehr starke Nerven haben und äußerst motiviert sein müssen, wenn sie sich nach all den gegenwärtigen Berichten über Pflegenotstand, Überstunden und Stress überhaupt für ein Praktikum in einem Pflegeberuf entscheiden.