Protocol of the Session on September 21, 2017

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und AfD)

Ich denke, das ist generell Konsens. Daher setzen wir uns für Freibeträge bei der Anrechnung auf die Grundsicherung ein.

Weitere wesentliche Aspekte, die schon länger an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigehen, sind die starre Altersgrenze und erst recht eine pauschale Erhöhung der fixen Regelaltersgrenze.

Wir haben gerade schon darüber gesprochen. Die Erhöhung auf das Renteneintrittsalter mit 67 Jahren wurde damals im Bundestag mit den Stimmen der SPD entschieden. Warum sollte man eine angestellte Ingenieurin nach Hause schicken, wenn sie gern bis 70 weiterarbeiten möchte? Warum sollte man auf der anderen Seite einem Tiefbauer Steine in den Weg legen, wenn er früher den Rentenbezug beginnen möchte? - Politik sollte hier mehr auf den einzelnen Menschen und somit den jeweils individuell erworbenen Rentenanspruch fokussieren, statt einfach eine fixe Altersgrenze wie ein Mantra vor sich herzutragen.

(Beifall FDP und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich möchte einen Satz aus dem Familienreport 2017 des SPD-Bundesfamilienministeriums zitieren:

„Der beste Schutz vor Armut ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile.“

Die beste Möglichkeit, sich selbst vor Altersarmut abzusichern, ist natürlich ein auskömmlicher Job. Das haben wir schon von allen Rednern gehört, das ist so. Es ist aber kaum zu ertragen, dass die Stellung als Elternteil oder als alleinerziehender Mensch in Deutschland statistisch gesehen ein gesteigertes Armutsrisiko bedeutet. Das ist wirklich eine Schande in diesem Land.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und AfD)

Ich möchte gern einen Schwenk zur Landespolitik machen. Wir sind schließlich an der Kieler Förde und nicht an der Spree.

Achten Sie bei Ihrem Schwenk bitte auf die Redezeit.

Ja. - Was können wir als Land Schleswig-Holstein bewerkstelligen? - Zum einen werden wir eine Modernisierung der Kita-Finanzierung voranstellen, damit Elternteile arbeiten gehen können, statt aus Kostengründen das Kind allein betreuen zu

müssen. Wir werden eine Wirtschaftspolitik vorantreiben, die Unternehmen und Arbeitsplätze nach Schleswig-Holstein führen wird, und wir werden eine gute Bildungspolitik verfolgen, die unsere jungen Menschen gut aufs Berufsleben vorbereitet. Dass ist das, wofür Jamaika steht und wofür wir als Freie Demokraten in die Regierung gegangen sind.

Ich bitte um Abstimmung in der Sache. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Für die AfD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Frank Brodehl das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Der Antrag der SPD beginnt:

„Eine lebensstandardsichernde, gesetzliche Rente ist für die soziale Sicherheit und für das Vertrauen in den Sozialstaat von grundlegender Bedeutung.“

Wenn das, was Sie hier schreiben, für den Sozialstaat von grundlegender Bedeutung ist, dann frage ich Sie, wo die SPD eigentlich in den letzten Jahren war. Dass Ihnen dieses Thema drei Tage vor der Wahl einfällt und wieder wichtig wird, spricht Bände, und die Rechnung dafür kommt am Sonntag.

Was sagt der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2017? - Jeder fünfte Rentner ist armutsgefährdet, und das Gleiche gilt sogar für fast jeden vierten jungen Erwachsenen, nämlich für 23,8 %. Jetzt, so unmittelbar vor der Wahl, schwelgt man in Berlin wieder in juristisch korrekten hohen Beschäftigungsquoten und niedrigen Arbeitslosenzahlen. Aber es wird verschwiegen, dass der Anteil der sogenannten Working Poor kontinuierlich steigt, und das sind nicht diejenigen, die gut und gern hier in diesem Land leben. In SchleswigHolstein ist inzwischen fast jeder zweite neue Arbeitsvertrag befristet. Die prekären Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor steigen und steigen, und zwar schneller, als wir gucken können.

Ihr Antrag kommt vor allem mit Schlagwörtern daher: Verletzlichkeit, Lebensstandard und natürlich Gerechtigkeit. Als vermeintlicher Populist sage ich Ihnen: Das ist Populismus. Aber damit werden Sie die Altersarmut in Deutschland um keinen Deut

(Dennys Bornhöft)

verringern, und ich sage Ihnen auch warum: Nach dem Jahresbericht der Deutschen Bank 2017 wurden trotz der höchsten Einnahmen des Staates seit Bestehen der Bundesrepublik weder für die Renten noch für die Pensionen ausreichend Rücklagen zurückgelegt. Nicht einmal 10 % der erforderlichen Rücklagen wurden von dem vielen Geld, was in den ganzen letzten Jahren eingenommen wurde, zurückgelegt - trotz Steuereinnahmen zum Abwinken, trotz verringerter Ausgaben im Schuldenabbau und trotz brutaler wirtschaftlicher Ausnutzung des für Deutschland massiv unterbewerteten Euros auf Kosten der europäischen Nachbarländer. Da fragt man sich: Wo um Himmels willen bleibt die Absicherung? - „Spare in der Zeit …“; scheinbar ist das nicht mehr bekannt.

Die Experten der Deutschen Bank rechnen bis 2060 mit einer Schuldenquote von 200 %, aber bereits ab einer Quote von 90 % gehen Ökonomen davon aus, dass die Schuldenlast aus eigener Kraft nicht mehr abgebaut werden kann. Aus der Deutschen Bank heißt es: Das heutige Politikermotto „nach uns die Sintflut“ wird sich besonders für die Jüngeren bitter rächen.

Dazu, wie sich Altersarmut verhindern lässt, stelle ich Ihnen die fünf wichtigsten Sofortpunkte unseres sich noch in der Erarbeitung befindlichen Rentenkonzepts vor:

Erstens. Die Abgabenlast für Familien muss gesenkt werden. Die Freibeträge in der Steuer müssen auf das tatsächliche Existenzminimum angehoben werden. Wir brauchen ein Familiensplitting, einschließlich der Beseitigung der Benachteiligung von Eltern und Kindern aus Trennungsfamilien.

Zweitens. Der Erwerb von Wohneigentum durch Eltern muss durch zinslose Darlehen, Zuschüsse und den Erlass oder eine Reduzierung der Grunderwerbsteuer nachhaltig gefördert werden.

Drittens. Die Leistung der Eltern durch das Großziehen von Kindern muss in der Rentenversicherung viel besser berücksichtigt werden.

Viertens. Prekären Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnbereich muss entschieden der Kampf angesagt werden. Wir fordern eine gesetzlich festgeschriebene Obergrenze an Zeitarbeitsverträgen in allen Betrieben.

Fünftens. Unsere Position zur Eurorettungspolitik, zu den Auswirkungen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und zu den Folgen unqualifizierter Zuwanderung in unsere Sozialsysteme

kennen Sie, aber auch diese Punkte haben einen Einfluss auf die Altersarmut.

Summa summarum: Im SPD-Antrag befindet sich viel Wahlkampf, aber wenig Konkretes.

(Thomas Hölck [SPD]: Das ist kein Pro- gramm!)

Der Alternativantrag von Jamaika ist tatsächlich anspruchsvoller, aber einen Aspekt sucht man auch hier vergeblich, nämlich das Wort „Kinder“. Wenn schon die Rente nicht sicher ist, so ist doch eines sicher, nämlich dass in punkto Rente ohne Kinder noch immer herzlich wenig gehen wird.

(Beifall AfD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns im Sozialausschuss auch darüber miteinander sprechen. Wir plädieren für Überweisung. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Spätestens in Wahlkampfzeiten entdecken alle Parteien ihr Herz für die Rentnerinnen und Rentner im Land. Das ist auch gut so. Doch leider sind viele Forderungen, die jetzt auf den Tisch kommen, schon seit vielen Jahren aktuell. Der Kampf gegen Altersarmut ist eines der dicksten sozialpolitischen Bretter unserer Zeit. Leider kommen wir hier nur sehr schleppend voran. Das liegt natürlich auch daran, dass die Weichen für ein Leben in Armut oft sehr früh gestellt werden. Die Ursachen sind vielfältig, und nicht selten wird Armut sogar direkt vererbt. Aber losgelöst von den Ursachen wird jeder, der etwas genauer hinschaut, sehen, dass leider mehr ältere Menschen an den Tafeln Schlange stehen oder Flaschen sammeln; nicht, um sich irgendwelche Extras zu leisten, sondern um einfach nur über die Runden zu kommen. Diese Entwicklung ist aus Sicht des SSW wirklich beschämend.

(Beifall SSW, vereinzelt AfD und Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Weil diese Probleme alles andere als neu sind, haben wir auch hier im Landtag sowohl über Ursachen als auch über Lösungsansätze ausgiebig und

(Dr. Frank Brodehl)

oft diskutiert. Trotz der primären Zuständigkeit des Bundes muss ich ganz ehrlich sagen: Wirklich viel ist dabei bis heute nicht herausgekommen. Der SSW fordert bekanntlich seit Langem einen Systemwechsel in der Alterssicherung. Wir haben immer wieder gesagt, dass wir das bestehende System für viel zu kompliziert und im Kern für ungerecht halten. Die großen Risiken durch Lücken in der Erwerbsbiografie, die mangelhafte Absicherung der Selbstständigen oder die undurchsichtigen privaten Zusatzangebote zeigen deutlich, dass immerzu repariert und herumgedoktert wird, wobei eigentlich eine große Lösung her muss. Doch ganz offensichtlich fehlt hierzu bisher der nötige politische Wille.

Wir halten daran fest, dass eine wirklich gerechte Alterssicherung aus Steuern finanziert werden muss, denn heute bekommen die Rentnerinnen und Rentner letztlich nur eine Rente nach aktueller Kassenlage. Sie können ein Leben lang hart gearbeitet haben, am Ende zählt dann doch nur, was die aktuellen Beitragszahler einzahlen. Auch der Hinweis, dass man sich zusätzlich privat absichern kann, hilft Geringverdienern herzlich wenig. Für uns ist deshalb klar: Das bestehende System ist schlicht und einfach ungerecht, und wir sollten alle miteinander den Mut aufbringen, es umzustellen.

Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Natürlich helfen auch die Vorschläge, die die SPD auf den Tisch gelegt hat. Auch die von uns beantragte Mindestrente soll die Situation der Betroffenen vorübergehend verbessern. Aber all das ist eben nicht der ganz große Wurf. Auf lange Sicht sehe ich einfach keine Alternative zu einem Modell, das alle Erwerbstätigen und Einkommensarten einbezieht, auch die Beamtinnen und Beamten.

Deshalb halte ich die steuerfinanzierte Rente für gerecht, weil sie die Lasten nicht nur auf alle Schultern verteilt, sondern weil die breitesten Schultern dann auch die größte Last tragen.

(Beifall SSW und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bürgerversicherung ist damit die einzige zukunftssichere Altersversorgung, die diesen Namen auch verdient. Ich glaube ganz bestimmt, dass die dänische Folkepension zeigt und ein Beweis dafür ist, dass dieser Ansatz wirklich funktionieren kann.

Natürlich wird die Umsetzung einer Bürgerversicherung nicht von heute auf morgen gelingen. Gleichzeitig steigt aber das Risiko, im Alter zu verarmen. Deshalb müssen sich jetzt alle gesellschaftlichen Kräfte dafür einsetzen, dass das Niveau der Rente nicht weiter abgesenkt wird. Für uns ist die

Frage, wie eine Gesellschaft diejenigen absichert, die im Alter nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern, eine grundlegende Frage der Gerechtigkeit.

(Vereinzelter Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)