Protocol of the Session on January 23, 2020

Wir leben in einem freiheitlichen Land, und für uns sollte so etwas nicht akzeptabel sein.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ich finde, Politik und auch Gesellschaft können hier nicht oft genug eindeutig Stellung beziehen, die Rechte der Frauen zu achten und sie zu schützen.

Wir hier in Schleswig-Holstein gehen genau diesen Weg. Als erstes Bundesland haben wir uns 2018 dazu entschieden, die Umsetzung der Istanbul-Konvention aktiv voranzutreiben. Mit Vertretern aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Facheinrichtungen ist im Oktober 2018 mit einer Kick-Off-Veranstaltung zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland gestartet worden. Gerade das hier vorgetragene Anliegen des Landesverbands Frauenberatung Schleswig-Holstein e. V., ein breites Bündnis für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen zu schmieden, hat großen Zuspruch erhalten.

Gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien dieses Hauses haben wir vor genau einem Jahr den Antrag „Gewalt gegenüber Frauen entschlossen entgegentreten“, Drucksache 19/1105 (neu) - für denjenigen, der das nachlesen möchte -, beschlossen. Es ist also viel erreicht worden.

Wir haben die Frauenhausplätze um 30 Plätze erweitert, die Platzkostenpauschale aufgestockt und die Landesmittel für die Frauenberatungsstellen fortgeschrieben. Außerdem haben wir eine Bedarfsanalyse auf den Weg gebracht, die zeigt, wie viel Bedarf besteht, ob weiter ausgebaut werden muss und wenn ja, um wie viele Plätze.

Es gibt die Kooperation mit Hamburg, und vor allen Dingen gibt es die regelmäßigen Gespräche mit der Polizei. Das Prinzip der Wegweisung ist ein erfolgreiches Instrument.

Die Einrichtung der interdisziplinären Arbeitsgruppe 35 des Landespräventionsrates, welche seit Ende August 2019 Bedarfe und Zuständigkeit erarbeitet, aber auch konkrete Maßnahmen für die zukünftige Überarbeitung des Aktionsplans häusliche Gewalt

(Aminata Touré)

entwickelt, unterstützen wir genauso wie SCHIFF und insgesamt die Arbeit von PETZE, die viel auf den Weg gebracht hat und gerade in Schulen dafür Sorge trägt, dass die jungen Menschen wissen, was Nein heißt.

Meine Damen und Herren, weiter fördert das Land den Gewaltschutzbereich mit jährlich rund 10 Millionen €.

Mein Dank geht also noch einmal an Frau Ministerin Sütterlin-Waack, die sich fortlaufend für eine Politik ausspricht, die von Gewaltfreiheit geprägt ist.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Ich möchte mich an dieser Stelle auch im Namen meiner Fraktion bei den vielen ehrenamtlich Tätigen in diesem Bereich bedanken, die sich mit ihrer Arbeit Tag für Tag für eine gewaltfreie Gesellschaft einsetzen und vor allem die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“ mit organisieren. Das hat mit dazu beigetragen, dass das Thema in der Gesellschaft diskutiert wird. Das ist sehr wertvoll. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Vielen Dank für den Bericht. Er zeigt uns in der Tat, dass hier der Weg schon richtig und weit vorangehend beschritten ist. Es ist allerdings tatsächlich noch vieles zu tun. Das hörten wir bereits.

Wir haben bereits vieles zu den wirklich grauenvollen Statistiken gehört. Ich will ein, zwei Sachen ergänzen, um das vielleicht noch etwas deutlicher zu machen, denn zu den Tötungsdelikten, die stattgefunden haben, kommen noch einmal Tötungsversuche mit dem Faktor drei hinzu, also in dreimal so vielen Fällen haben Männer versucht, ihre Partnerinnen zu töten.

Jede vierte Frau in Deutschland wurde im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Opfer körperlicher oder auch sexueller Gewalt durch ihren Partner. Ich will das ganz unmissverständlich und deutlich sagen: Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben,

sind erbärmlich, sie sind feige, und sie sind Täter. Diese Taten sind nicht zu tolerieren, und in der Tat ist es vollkommen richtig, den Blick von den Opfern weg und stärker auf die Täter zu lenken. Dazu werden wir uns mehr Mühe geben müssen. Das Strafrecht bietet einiges an Spielraum, den wir an dieser Stelle stärker ausnutzen sollten.

Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, besser bekannt als IstanbulKonvention, sieht abgestimmte und zielgerichtete Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vor. Diese Maßnahmen umfassen Gewaltprävention, Schutz sowie verstärkte Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern, außerdem konsequente Strafverfolgung und eine dahin gehend abgestimmte Gesetzgebung. Die Regelungen des Gewaltschutzgesetzes haben der IstanbulKonvention inhaltlich in vielem und auch schon lange vorgegriffen. Sie wurden den wichtigen und erhöhten Anforderungen, die ein wirksamer Schutz von Frauen vor Gewalt und gerade auch vor häuslicher Gewalt an sie stellen, laufend angepasst.

Wegweisungen sind hier erwähnt worden. Der Grundsatz „Wer schlägt, der geht“ ist ein so simpler wie konsequenter Grundsatz, der regelmäßig durch Wegweisungen der zumeist männlichen Täter bei Fällen häuslicher Gewalt umgesetzt wird. Auch ich habe diesen Grundsatz in meiner Dienstzeit sehr konsequent angewendet.

So weit, so gut. Zur Wahrheit gehört auf diesem Feld aber, dass danach die Probleme für die Frauen, die dann allein dastehen, diese Wegweisungen gerichtlich und verwaltungsrechtlich zu bestätigen, erst beginnen. Dabei brauchen sie Unterstützung. Diese Unterstützungsarbeit muss personell und finanziell auskömmlich gestaltet und zur Verfügung gestellt werden. Vorhandene Schutz- und Hilfestrukturen müssen ausgebaut und finanziell gesichert werden.

Gewaltbetroffenheit geht meist nicht nur mit erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen einher. Verstärkt wird diese Belastung oft durch soziale Aspekte wie Wohnungslosigkeit, Krankheit oder Behinderung, Verschuldung oder schlicht durch Armut. Ins Frauenhaus flüchten oft Frauen, die keine andere Möglichkeit haben. Wer relativ leicht eine eigene Wohnung bekommt, sich ein Hotelzimmer leisten oder bei Verwandten unterkommen kann, geht meist nicht ins Frauenhaus. Hier sind es vor allem Frauen, die nicht aus Deutschland stammen - denn diese haben diese Möglichkeiten oft nicht -, die Frauenhäuser über

(Anita Klahn)

proportional häufig in Anspruch nehmen. Das ist ein Teil migrationsbegleitender Kriminalität, der in unseren Frauenhäusern Realität ist. Das wirklich Schlimme daran ist: Er betrifft Frauen mit Migrationshintergrund, die glauben, in diesem Land Schutz gefunden zu haben.

Bundesweit fehlen 770 Frauenhäuser mit durchschnittlich 19 Plätzen, also rund 14.600 Plätze für gewaltbetroffene Frauen. Die Forderung der Istanbul-Konvention ist zumindest in diesem Punkt nicht zur Gänze umgesetzt. Die zusätzlich vorgesehenen 30 Frauenhausplätze für Schleswig-Holstein decken bei Weitem nicht den tatsächlichen Bedarf.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das bitte in aller Deutlichkeit sagen: Es ist wirklich beschämend, dass in Deutschland und auch in SchleswigHolstein Frauenhäuser überhaupt notwendig sind. Der effektive und unmittelbare Zugang zu Schutzunterkünften, vertraulichen und vertrauensvollen Beratungs- und Unterstützungsleistungen muss für jede betroffene Frau in unserem Land möglich sein.

Schutz und Unterstützung gewaltbetroffener Frauen sind eine staatliche Pflichtaufgabe. Schutz und Unterstützung können jedoch nur dann richtig wirksam sein, wenn sie für alle Frauen verlässlich zugänglich sind. Es wäre mir sehr lieb, wenn wir das in ein paar Jahren einfach gar nicht mehr bräuchten und es uns gelänge, gesamtgesellschaftlich Prävention und Strafverfolgung so konsequent zu gestalten, dass das Thema endlich vom Tisch ist. - Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal vielen Dank für den mündlichen Bericht, liebe Frau Ministerin. Auf alle Fälle ist es so - das wurde schon gesagt -: Fast auf den Tag genau vor einem Jahr haben wir uns darüber unterhalten, wie wir alle Gewalt gegen Frauen am besten entgegentreten können und welche Erwartungen wir gemeinsam an unsere Landesregierung stellen.

Was mich in dieser Frage hoffnungsvoll stimmt, sind zwei Dinge: Zum einen ist es die breite und laute gesellschaftliche Debatte. Gewalt gegen Frauen, Gewalt, die von Männern ausgeht, patriarchale

Gewalt oder wie auch immer man es nennen möchte, ist ein Thema, das in vielen Zusammenhängen angesprochen und mutig diskutiert wird. Zum anderen ist es, dass auch in diesem Parlament ein großes Einverständnis zu herrschen scheint, dass wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen und über Parteigrenzen hinweg Seit‘ an Seit‘ stehen.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher danke ich noch einmal der Ministerin und auch ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den guten Austausch in den letzten Jahren.

Mein Hauptaugenmerk lag in den letzten Monaten auf der Situation der Frauenhäuser, denn - wie wir alle wissen und des Öfteren hier besprochen haben -: Der Zustand unseres Hilfesystems im Land ist unzureichend. Die Bedarfsanalyse der Hilfesysteme läuft, und trotzdem fällt es mir enorm schwer, geduldig zu bleiben. Die Versorgungssituation gerade im Norden des Landes ist einfach wirklich schlecht.

Wir verweisen immer wieder auf die Istanbul-Konvention, weil wir uns mit ihr auf ein völkerrechtlich bindendes Übereinkommen stützen können, das vielfältige Maßnahmen in der Prävention und Bekämpfung gesellschaftsspezifischer Gewalt vorsieht. Dabei schützt die Istanbul-Konvention nicht nur Frauen, sondern auch Kinder. Nach der Istanbul-Konvention müssten in Schleswig-Holstein 720 Betten in den Frauenhäusern zur Verfügung stehen. Es fehlen also fast 400 Betten. Das äußert sich dann so, dass im Jahr 2017 die Frauenhäuser in Schleswig-Holstein etwa 1.500-mal Frauen und deren Kinder abweisen mussten und diese sich hilfesuchend an andere wenden mussten.

Unsere SSW-Kreistagsfraktion in Nordfriesland setzt sich vehement für ein Frauenhaus in der Gegend ein, gemessen an der Istanbul-Konvention mit Kapazitäten für mindestens 17 Familien. Dabei ist natürlich klar, dass es mit den Räumlichkeiten allein nicht getan ist, sondern es eine entsprechende sozialpädagogische Betreuung und Unterstützung im Haus braucht. Frauenhäuser auch entfernt von unseren großen Städten aufzubauen, ist deswegen so wichtig, weil manchmal Frauenhaus, Arbeitsplatz der betroffenen Frauen und Schule der betroffenen Kinder in unterschiedlichen Orten liegen. Das macht die Unterstützungsangebote für betroffene Frauen besonders schwer zugänglich.

Eines der Hauptprobleme ist für mich weiterhin, dass Frauen mit Beeinträchtigungen es besonders schwer haben, Hilfsangebote bei Gewalterfahrun

(Claus Schaffer)

gen in Anspruch zu nehmen. Frauen mit Behinderung sind überproportional oft von Gewalt betroffen, aber bisher sind nur 10 % der Frauenhäuser behindertengerecht.

Für mich bleiben Präventionsarbeit und Sensibilisierung besonders wichtig. Deswegen freue ich mich sehr, wenn ich mitbekomme, dass die Initiative SCHIFF wirklich gut läuft und der Landesverband Frauenberatung mit seiner Informationsarbeit so erfolgreich im Land an- und herumkommt. Ich bedanke mich auch beim Landespräventionsrat für seine Arbeit im Gewaltschutz.

Wir müssen immer wieder vermitteln, dass Gewalt kein akzeptables Kommunikationsmittel ist. Niemand muss in einer Beziehung Gewalt akzeptieren. Hier unterscheiden wir nicht: mit oder ohne Migrationshintergrund.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Peter Lehnert [CDU])

Es ist die Aufgabe und Verantwortung von Land, Kommunen und Kreisen, Strukturen zu schaffen und aufrechtzuerhalten, die den Weg aus gewaltvollen Beziehungen ermöglichen. Wir müssen helfen, den Teufelskreis, der sich ergibt, wenn in Familien Gewalt ausgeübt wird, zu durchbrechen, damit auch Kinder wissen: Wir lösen Konflikte in Familien anders. Niemals mit Gewalt!

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 19/1925 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Damit ist der Tagesordnungspunkt insgesamt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes des Landes Schleswig-Holstein (KAG)