Antisemitismus ist immer abscheulich, aber nirgendwo auf der Welt so sehr wie im Land der Schoah. Hätte jemand 1949 bei der Erarbeitung des Grundgesetzes eine jüdische Einwanderung nach Deutschland als Möglichkeit erwogen, wäre das wohl als grausamer Zynismus verstanden worden.
Und doch ist im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion eine Einwanderungswelle sowjetischer Juden nicht nach Israel und nicht in die USA, sondern nach Deutschland gegangen. Rund 220.000 Juden haben in diesen Jahren den Weg nach Deutschland gefun
den. Nicht alle waren religiös engagiert. Aber diese Einwanderung hat die Existenz vieler bestehender jüdischer Gemeinden gesichert und die Voraussetzungen für das Entstehen neuer Gemeinden geschaffen.
Und heute? - Nicht nur wegen Halle, sondern auch wegen der zunehmenden Straflosigkeit, mit der antisemitische Äußerungen an Boden gewinnen, sagen viele Juden, sie würden sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. Mit anderen Worten: Deutschland ist dabei, aufs Spiel zu setzen, was in den Nachkriegsjahrzehnten mühsam aufgebaut worden ist.
Deshalb ist es gut, dass der Landtag heute mit sehr breiter Mehrheit ein Signal an unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aussendet. Und es ist auch gut, dass Sie dort oben auf der Tribüne heute hier sind.
Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass es ein Allheilmittel gegen Antisemitismus geben könne. Politische Bildung spielt sicher eine zentrale Rolle, aber sie wird nicht jeden Einzelnen daran hindern, die Juden oder wahlweise jede andere gesellschaftliche Gruppe für seine persönlichen Probleme oder für das, was er als gesellschaftliche Missstände ansieht, verantwortlich zu machen.
Was man aber tun kann, ist, die Verbreitung menschenfeindlicher Propaganda so weit wie möglich zu behindern. Es ist kein Zufall, dass die Massenmörder des Jugendlagers von Oslo und der Moscheen in Christchurch ebenso wie der Attentäter von Halle Internetkameras mit sich führten und Erklärungen ins Netz stellten. Deshalb verlangen wir von den Großunternehmen, die sehr viel Geld damit verdienen, dass sie Plattformen bereitstellen und soziale Medien anbieten, dass sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stärker als bisher stellen.
(Starker Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
Es müssen Ressourcen dafür geschaffen werden, entsprechende Inhalte so schnell wie möglich zu identifizieren und zu löschen und gegebenenfalls auch die Accounts von Usern zu löschen, die solche Inhalte einstellen und verbreiten. Es muss klar sein: Bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit findet die Meinungs- und Redefreiheit ihr Ende.
(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])
Von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist es nicht weit zur AfD. Deswegen noch ein Wort zu Ihrem Antrag. Es bleibt dabei, was viele Jüdinnen und Juden zur AfD erklärt haben: „Diese Alternative ist nicht koscher.“ Nicht einmal bei diesem Anlass konnte es sich die AfD verkneifen, einen Rundumschlag zu machen, bei dem der völkische und rechtsradikale Antisemitismus mit arabisch-islamistischem und linksradikalem Antisemitismus über einen Leisten geschlagen wird.
Ich kann nur sagen: Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür. Sie dulden in Ihrer Partei Leute wie den sächsischen Landtagsabgeordneten Ulbrich, der ein versuchtes Tötungsdelikt an den Besuchern der Synagoge leugnete und nur von Sachbeschädigung wegen der beschädigten Synagogentür sprach.
Und der AfD-Bundestagsabgeordnete Brandner wusste nichts Besseres zu tun, als zu fragen, warum „Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rumlungern“. Seine Quittung dafür hat er ja gestern bekommen. Er war in der Geschichte der Bundesrepublik der erste Ausschussvorsitzende, der vom Bundestag abgewählt wurde. Gut so!
Solange solche Politiker in Ihrer Partei Führungsaufgaben wahrnehmen und Mandatsträger sind, die Sie präsentieren, brauchen wir von Ihnen keinerlei Belehrungen über die Gefahren muslimischer Judenfeindlichkeit.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir als Parlament in Zukunft häufiger Gelegenheit haben werden, uns mit dem jüdischen Leben in Schleswig-Holstein zu befassen, ohne dass dieses Thema durch Verbrechen auf die Tagesordnung gesetzt würde. Die Einweihung einer neuen Synagoge in Kiel scheint mir eine gute Gelegenheit zu sein.
Ich freue mich, dass wir dem gemeinsamen Antrag mit großer Mehrheit zustimmen werden, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Fraktionsvorsitzende, die Abgeordnete Eka von Kalben.
Landes mit all dem Wissen im Gepäck stehen wir heute hier in Deutschland im Jahr 2019 und halten es für unerlässlich, uns für den Schutz jüdischen Lebens einzusetzen, halten es für nötig, uns unmissverständlich gegen Antisemitismus zu positionieren. Es ist schier unfassbar, dass dieses Zeichen in unserem Land überhaupt vonnöten ist.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn- Wittgenstein [fraktionslos])
Die grausame Tat von Halle hat viele Menschen wachgerüttelt, hat sie schockiert. Aber gleichzeitig hat sie auch bestätigt; denn Antisemitismus ist nicht, wie manche vielleicht glauben, 1945 in den Winterschlaf gegangen und nun plötzlich wieder aufgetaucht. Antisemitismus war immer und zunehmend die Lebensrealität der Betroffenen, nicht nur in Halle, sondern in ganz Deutschland, auch hier in Schleswig-Holstein. Er reicht von Beleidigungen über Ausgrenzung bis hin zu Gewalt.
Ich habe ein Beispiel. Seit etwa einem Jahr stehe ich in Kontakt mit einer Familie aus SchleswigHolstein, mit der Familie Gottschalk, die während des Holocaust viele Mitglieder ihrer Familie verloren hat. Diese Familie hat sich gegen Antisemitismus engagiert. Aufgrund ihres Engagements bekam sie einen Brief, in dem Jüdinnen und Juden - ich zitiere - als „Köterrasse“ beschimpft wurden.
Frau Gottschalk hat Anzeige erstattet und recht bekommen. Das ist gut so. Jede antisemitische, jede rassistische und jede rechtsextremistische Tat muss rechtsstaatliche Konsequenzen haben und bestraft werden.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn- Wittgenstein [fraktionslos])
Wir haben eine historische Verantwortung, und zwar unabhängig von unserem Geburtsdatum. Die grausame Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden während des Holocaust ist beispiellos. Deshalb kann Antisemitismus auch nicht allgemein unter Fremdenhass subsumiert werden.
Aber - auch das verdeutlicht die Tat von Halle - Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus gehen Hand in Hand. Sie versuchen, Menschen aus unserer Gesellschaft auszugrenzen. Sie sind eine Gefahr für Leib und Leben vieler Individuen und eine Bedrohung unserer demokratischen Gesellschaft im Gesamten.
Genauso wie in den 30er-Jahren sind es auch jetzt wieder rechtspopulistische und antidemokratische Parteien, die Ängste und Hass im Land schüren, die einzelne Gruppen unserer Gesellschaft gegeneinander aufhetzen, deren Hetze zu Morddrohungen und Gewalttaten führt.
Genau deshalb ist der Antrag der AfD zu diesem Thema scheinheilig. Wenn Sie in dem Antrag extremistische und antisemitische Ansichten als Problem ansehen, dann verlassen Sie Ihre Partei, die genau diese Ansichten schürt und deckt.
Meine Damen und Herren, wir fordern null Toleranz gegenüber Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus, und das erwarten wir auch von allen anderen demokratischen Parteien. Es ist gut, dass wir in vielen Fragen hier im Haus unterschiedlicher Auffassung sind und in unserer politischen Arbeit unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Das Ringen um gute Kompromisse bedeutet auch, Teil einer Demokratie zu sein. Aber an dieser Stelle müssen Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Wir dürfen nicht nachgeben, keinen Fußbreit.
Deshalb - schönen Gruß nach Thüringen - darf es für eine demokratische Partei keine Option sein, mit einer antidemokratischen Partei Sondierungsgespräche aufzunehmen, geschweige denn zu koalieren. Allein der Gedanke daran ist paradox.
Ich bin froh, dass in dieser Frage alle Demokratinnen und Demokraten in diesem Haus eng zusammenstehen, und möchte insbesondere unserem CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther in dieser Frage ganz herzlich für seine ausgesprochen klare Haltung danken. Anders wäre Jamaika auch nicht denkbar. - Vielen Dank dafür.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der antisemitische Terroranschlag von Halle hat uns alle fassungslos gemacht. Wir verurteilen diese verabscheuungswürdige Tat auf das Schärfste. Ich will ganz deutlich sagen: Es war kein Amoklauf, wie mehrfach berichtet wurde. Es war ganz klar ein Terroranschlag, weil es ein eindeutiges politisches, ein antisemitisches Motiv gab. Es gab in der Vergangenheit bereits ähnlich gelagerte Terroranschläge im Ausland, wenn man das überhaupt vergleichen kann, in Skandinavien, in Neuseeland das wurde schon genannt -, auch in Nordamerika und Frankreich.
Am 9. Oktober mussten wir nun erleben, dass so etwas trotz aller Vorkehrungen auch in Deutschland traurige Realität wurde und wir eben nicht davon ausgehen können, dass wir von dieser neuen Dimension des Terrors in Zukunft in Deutschland verschont bleiben werden. Zwei junge Menschen wurden wahllos ermordet, und nur durch die Sicherung der Synagoge konnte ein Massaker unter den Mitgliedern und Gästen der jüdischen Gemeinde verhindert werden.
Auch in Schleswig-Holstein mussten wir es schon erleben, wenn man an die Synagoge in Lübeck denkt. Auch dort steht nicht ohne Grund seit vielen Jahren die Polizei vor der Tür. Auch wenn es schmerzt, dass Synagogen und andere jüdische Einrichtungen in Deutschland im Jahr 2019 immer noch geschützt werden müssen, ist für die Sicherung der Gebäude zu sorgen, damit das Risiko entsprechend minimiert werden kann. Es ist traurig, aber leider notwendig. Deshalb werden wir alles dafür tun.
Das ist, glaube ich, auch heute das Signal. Wir sagen heute erneut ganz klar Ja zu einem aktiven jüdischen Leben in Schleswig-Holstein, das wir gewährleisten und unterstützen. Das beinhaltet nicht nur die Sicherung von Gebäuden oder andere Sicherheitsmaßnahmen. Das beinhaltet den Staatsvertrag von 2018 und die Schaffung einer neuen Beauftragtenstelle. Das können nur einzelne Bausteine sein, die aber alles andere als unbedeutend sind, um das deutlich zu sagen.
Das Wichtigste aus meiner Sicht aber ist: Wir müssen Antisemitismus in allen Bereichen der Gesellschaft konsequent entgegentreten und uns viel intensiver mit der Frage beschäftigen, wie und warum sich junge Menschen in unserem Land derart radi
kalisieren können, dass sie solche Taten vorbereiten und ausführen. Dabei ist die Frage sehr wichtig, was wir gegen das gesellschaftliche Klima tun können, in dem immer offener und schamloser extremistische und antisemitische Gedanken geäußert werden und somit ein Klima geschaffen wird, in dem Anschläge von radikalisierten Menschen zunehmend wahrscheinlicher werden. Es geht dabei auch um die grundsätzliche Frage, wie wir in unserer Gesellschaft miteinander leben wollen, wie wir miteinander umgehen. Wie schaffen wir es, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und den weiter zunehmenden Hass, die Beleidigungen im Netz und die Hetze gegen Andersartigkeit wieder zurückzudrängen?
Besondere Sorge bereitet es mir, wenn diese Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft auftauchen, vor allem, wenn in dieser Mitte Antisemitismus stillschweigend geduldet wird. Damit fängt es ja an, und dadurch droht in breiten Schichten der Gesellschaft, dass es schleichend wieder salonfähig wird. Das ist eine Entwicklung, die mir große Sorge macht und mit der wir uns viel intensiver beschäftigen müssen.