Protocol of the Session on September 26, 2019

Für die Landesregierung hat das Wort die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Harms! Ich will mich jetzt nicht weiter zu der Frage auslassen, ob man sich den Missbrauch des nationalen Narrativs durch eine DDR-Diktatur irgendwie zum Vorbild nehmen sollte. Ich glaube, das ist dem Anlass unserer Debatte auch nicht angemessen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Claus Schaffer [AfD])

Stattdessen will ich es Herrn Harms ein bisschen gleichtun. Ich will nicht auf Herrn Günter Kunert eingehen, der es verdient hat, hier heute gewürdigt zu werden, aber mir ist ein anderer Literat und Liedermacher in den Kopf gekommen: Stephan Krawczyk - die Älteren unter uns kennen ihn -, der über den 9. November gesagt hat: „Der Himmel fiel aus allen Wolken“. Das ist der Titel eines Buches, das er 2009 geschrieben hat. Eine Zeitreise von 1989 bis 2009. Mit dem Buch hat er sehr schön erfasst, was dieser 9. November für viele Menschen bedeutet hat: Plötzlich war alles anders.

Für mich - erlauben Sie auch mir eine persönliche Bemerkung - war es zugleich der verrückteste und der glücklichste Tag der deutschen Nachkriegsgeschichte. Glücklich, weil das Unrechtsregime der DDR endete, die Freiheit nun für alle Deutschen Wirklichkeit wurde und auch die Wiedervereinigung in greifbare Nähe rückte, und verrückt, weil der unmittelbare Auslöser für diesen Moment der Geschichte so banal daherkam. Sie erinnern sich an die Pressekonferenz von Günter Schabowski - unglaublich.

Ich erinnere mich auch sehr genau an den Moment, als ich an dem Abend den Fernseher einschaltete,

an die Gänsehaut, die ich hatte, und - ich gebe es ehrlich zu - an die Tränen des Glücks, die ich auch angesichts der vielen Menschen, die sich nach Jahren, nach Jahrzehnten in den Armen lagen, vergossen habe. Helmut Kohl hat es den Triumph der Freiheit genannt. Ich kann diesen Moment noch heute erspüren.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich denke, jeder von uns hat seine eigenen Erinnerungen, die er mit diesem Tag verbindet. Uns alle in diesem Land eint dabei die Erinnerung an das großartige Wir-Gefühl; auch das ist angesprochen worden. Ich will an dieser Stelle Willy Brandt mit dem Satz zitieren: „Es wächst zusammen, was zusammengehört“, der immer noch sehr gut beschreibt, was viele von uns empfunden haben. Ja, meine Damen und Herren - es ist in der Differenziertheit heute schon mehrfach beschrieben worden -, wir wachsen zusammen.

Aber vier Jahrzehnte getrennte Entwicklung in Freiheit und in einem totalitären Staat haben ihre Spuren hinterlassen. Die Wiedervereinigung erfordert ein achtsames, respektvolles und wertschätzendes Bemühen umeinander und, ja, mehr Diskursfähigkeit. Dachten die Menschen beim Mauerfall noch, den Himmel könnten sie nicht teilen, so wurden sie bald eines Besseren belehrt. „Der Himmel teilt sich zuallererst“, lässt Christa Wolf 1966 die Hauptfigur ihres berühmten Romans traurig feststellen. Ein so geteilter Himmel, der lässt sich eben nicht in wenigen Jahren vereinen. Er ist am 9. November 1989 aus allen Wolken gefallen und hat uns die Chance auf erneutes Zusammenwachsen gegeben. Aber die Menschen brauchen Zeit, sich an dem neuen Horizont zu orientieren, und das offenbar in Ost und West.

Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer spüren wir die Folgen der deutsch-deutschen Teilung. Heute müssen wir besonders darauf achten, dass unser Wir-Gefühl nicht leidet; denn die Gräben in unserer Gesellschaft sind nicht zu leugnen, und es wäre doch besonders tragisch, wenn diese Gräben entlang der ehemaligen Grenze verlaufen würden. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Auf die Besonderheit des Datums 9. November ist hingewiesen worden. Wir sprechen in diesem Jahr über 1919, die Weimarer Verfassung, ihre Stärken und Schwächen. Wir sprechen über 1939 und über

1989, über die wechselvolle Geschichte, die dieser Tag hat, der uns zugleich immer auch Auftrag sein muss. Wir müssen unsere Demokratie verteidigen, an jedem Ort, zu jeder Zeit und in jeder Generation aufs Neue.

Deshalb - jetzt komme ich zum Thema politische Bildung - ist politische Bildung so unverzichtbar, und deshalb ist sie natürlich auch wichtiger und verpflichtender Bestandteil unserer Stundentafeln an den weiterführenden Schulen. Politische Bildung ist immer auch Demokratiebildung. Sie findet in vielen Facetten auch in der historischen-politischen Bildung in unseren Schulen statt. Dazu gehört auch das Gedenken und die Befassung mit der deutschdeutschen Teilung und die Würdigung des Mauerfalls.

Dieses Gedenken ist der Landesregierung wichtig. Deshalb arbeiten wir auch seit Regierungsantritt an der Weiterentwicklung der ehrenamtlichen Grenzdokumentationsstätte in Lübeck-Schlutup. Gemeinsam mit der Hansestadt Lübeck nimmt die Grenzdokumentationsstätte am Projekt „Grenzgeschichten“ der Metropolregion Hamburg teil. Die Grenzmuseen der Region vernetzen sich und erzählen gemeinsam die Geschichte der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Der Austausch zwischen den Menschen ist dabei besonders wichtig. Wer miteinander spricht, baut Vorurteile ab und erweitert seinen Horizont. Das ist eine grundlegende Voraussetzung, um das Zusammenwachsen zu vollenden.

Deshalb werden wir den 9. November in diesem Jahr als Erinnerungstag gemeinsam mit Schulen aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gestalten. Geplant sind dabei viele unterschiedliche Veranstaltungsformate von Diskussionen über die Zukunftsperspektiven für die jüngere Generation über Zeitzeugenbefragung bis hin zu einem Schülerwettbewerb.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der 9. November 1989 war ein Glücksmoment unserer Geschichte. Wir verdanken diesen Moment vielen mutigen Menschen in der ehemaligen DDR und Politikern, die die Gunst der Stunde genutzt haben. 30 Jahre später geht es nun darum, die gesellschaftliche Einheit unseres Landes zu vollenden. Das Eintreten für unsere gemeinsamen demokratischen Werte erfordert Mut, aber es lohnt sich. Auch das feiern wir bei unserem Bürgerfest am 3. Oktober 2019, in der kommenden Woche, hier in Kiel.

Meine Damen und Herren, es lohnt sich; denn Mut verbindet.

(Beifall)

Die Ministerin hat die vorgesehene Redezeit um gut 1,5 Minuten erweitert. - Ich sehe nicht, dass eine Fraktion von diesem erweiterten Rederecht Gebrauch machen will; denn weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Es ist beantragt worden, über die Anträge in der Sache abzustimmen.

Ich lasse somit zunächst über den Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/1638 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW, der FDP-Fraktion und der CDUFraktion bei Enthaltung der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein gegen die Stimmen der AfDFraktion abgelehnt.

Ich lasse nun über den Alternativantrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/1731 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung 13:12 Uhr bis 15:02 Uhr)

Meine Damen und Herren, bevor wir mit der Sitzung fortfahren, begrüßen Sie mit mir gemeinsam auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Besucherinnen und Besucher der Volkshochschule Leck sowie ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums und Mitglieder der Volksinitiative Sozialverband und Mieterbund. - Seien Sie uns allen herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

FINISH - Finanzstrategie Nachhaltigkeit in Schleswig-Holstein

(Ministerin Karin Prien)

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1698

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne somit die Aussprache. Das Wort hat für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete Lasse Petersdotter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor etwa einem Jahr hat sich in Kalifornien der bisher schlimmste Waldbrand des US-Bundesstaates ergeben. Insgesamt 80 Tote, Tausende zerstörte Häuser und Zehntausende verbrannte Hektar Wald waren die Konsequenz. Der Auslöser für diesen verheerenden Waldbrand war ein defekter Stromkasten der Firma Pacific Gas and Electric. Das Feuer konnte sich so schnell ausbreiten, weil es dort zu diesem Zeitpunkt eine klimabedingte Dürre gab. Herkömmliche Ratingagenturen haben zu dieser Zeit, 2018, die Firma Pacific Gas and Electric mit guten Bewertungen eingestuft und die Bonität der Firma stets als gut attestiert. Trotzdem musste das Unternehmen beinahe über Nacht Insolvenz anmelden.

Dieser Fall ist deswegen so interessant, weil das ein Fall von einem Großunternehmen ist, das aufgrund von Fehlern im Management der Klimarisiken pleitegegangen ist. Das besonders Interessante an dem Fall ist, dass bereits 2017 die renommierte Ratingagentur oekom research ein Jahr vor dem Brand diesem Unternehmen die zweitschlechteste Bewertung gegeben hat. Der Grund dafür war für diese nachhaltige Ratingagentur das schlechte Management bei Waldbrandrisiken. Hier sehen wir, dass die Auswirkungen der Klimakrise auf Unternehmen und auf Unternehmensführungen und auf ihr Risikomanagement verheerend sein können und stärker in den Fokus genommen werden müssen.

FINISH soll genau hier ansetzen und ökonomisch sinnvollere Entscheidungen treffen. Seit Jahren haben wir in Schleswig-Holstein dank Monika Heinold eine sehr gute Anlagerichtlinie, wenn es um den Pensionsfonds unseres Landes geht. Dabei handelt es sich um mehrere Millionen Euro, die angelegt werden, um später die Pensionen auszahlen zu können. Um genau zu sein, handelt es sich - wenn ich recht informiert bin - um etwa 700 Millionen €. Diese Summe wird bereits seit Jahren nachhaltig angelegt.

Das Ganze nennt sich Divestment. Wir nehmen zum Beispiel Anlagen von Kohleunternehmen oder Anleihen von Staaten aus, die Kinderarbeit befürworten oder die im Freedomhouse-Index nicht besonders stark sind, weiter raus. Diese deinvestieren wir, und wir investieren in nachhaltige Unternehmen. Das hat viele Vorteile. Es bringt Stabilität, und das ist gerade bei den Anlagen, die wir als Land haben, wichtig. Das ist insbesondere bei den Pensionen wichtig, die über viele Jahre aufgebaut werden. Es ist aber auch ökonomisch sinnvoll. Das haben mehrere Studien bewiesen. Besonders viel Aufmerksamkeit hat eine Studie bekommen, die 2000 Studien zusammengefasst und dabei erneut die Rentabilität nachgewiesen hat.

Mit unserem Ansatz von FINISH, also Finanzstrategie Nachhaltigkeit in Schleswig-Holstein, wollen wir diese gute Anlagerichtlinie gesetzlich festhalten und auf Beteiligungen, auf Stiftungen und andere Vermögen ausbauen. Damit sind wir das erste Bundesland in Deutschland, das ein solches Gesetz schafft, und wir sind damit unzweifelhaft an der Spitze der gesamten Bewegung von nachhaltigen Finanzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass Umweltzerstörungen nicht stattfinden. Dann ist es nur konsequent, dass wir von diesen Umweltzerstörungen auch nicht profitieren möchten. Genau deswegen ist es sinnvoll, Unternehmen zu fördern, die Teil der Lösung sind und nicht Teil des Problems. Wie gesagt, all das ist ökonomisch sinnvoll. Wir sind auch nicht die Ersten, die das machen, wir sind in Deutschland dann, wenn wir dieses Gesetz beschlossen haben, nur die Konsequentesten.

New York hat den Pensionsfonds Divested mit über 5 Milliarden €. Norwegen hat einen Divested-Pensionsfonds für den gesamten Staat Norwegen. Wir haben viele Studien, die ich eben zitiert habe. Wir haben den Rockefeller-Trust. Ich habe in der Vergangenheit schon häufig gesagt: Die Rockefeller sind keine Hippies. Das muss sich für die ökonomisch schon lohnen.

Der ökonomische Teil ist für uns als Staat, der auf Steuergelder achten muss, natürlich sehr wichtig. Daher ist es auch sinnvoll, aus Kohleanlagen auszutreten, denn die Kohleblase, die sich aktuell an den Märkten zeigt, ist alles andere als stabil. Viele Kohleunternehmen sind maximal überbewertet, insbesondere dann, wenn wir davon ausgehen können, dass die Staaten tatsächlich ihre Klimaziele einhalten werden. Dann ist das Geschäft mit Kohle eines

(Vizepräsidentin Annabell Krämer)

mit einem Enddatum, und genau darauf reagieren wir hier.

Wir werden unsere Finanzstrategie zukunftsfest und gegenwartsgerecht machen, und das genau im Sinne dessen, worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben, nämlich Ökonomie und Ökologie zusammenzutragen und hiermit gute Akzente für andere Bundesländer zu setzen, denn der große Vorteil von diesem Vorgehen ist, dass wir die Möglichkeit geben, es zu kopieren. Wir wollen nicht lange das einzige Bundesland mit einem solchen Gesetz bleiben, sonders es sollen gern andere Bundesländer und auch der Bund folgen. Auch dort liegt überall Geld, und auch die Kommunen und die Hochschulen können das machen.

Das ist noch ein weiter Weg, nichtsdestotrotz gehen wir hier einen sehr großen, einen sehr wichtigen und auch einen sehr guten Schritt. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Beate Raudies das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, beginne ich meinen Beitrag mit einem etwas längeren Zitat. Es stammt aus dem Buch „Die Känguru-Offenbarung“ von Marc-Uwe Kling.