Protocol of the Session on August 29, 2019

(Beifall FDP, CDU und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Minister hat die Redezeit um 2 Minuten und 11 Sekunden überschritten. Ich sehe aber nicht, dass irgendjemand davon Gebrauch machen möchte. Deswegen schließe ich die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 19/1612 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Pflegebedürftige von Eigenanteilen bei der häuslichen und stationären Pflege entlasten

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/1524

Pflegefinanzierung zukunftsfest gestalten

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1557

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Claus Schaffer von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Pflege macht arm, zumindest wenn der Trend so weitergeht. Es besteht nach unserer Auffassung dringender Handlungsbedarf; denn die Pflegekosten steigen nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit stark an.

Verbunden mit diesem Anstieg ist auch ein stetiger Anstieg der Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Das System der Pflegeversicherung krankt an allen Ecken und Enden. Während die Pflegeversicherungen abhängig vom jeweiligen Pflegegrad nur einen Festbetrag leisten, sind die Eigenanteile der Pflegebedürftigen nach oben offen. Diese liegen in Schleswig-Holstein monatlich bei durchschnittlich

1.800 €. Die Investitionskosten machen hiervon oft einen Anteil von bis zu 600 € aus.

Ein Missstand ist, dass Pflegeheime immer öfter in den Fokus von Private-Equity-Gesellschaften rücken, also als reine Anlageobjekte dienen. Im Vergleich zu anderen Kapitalanlagen werden hier exorbitant hohe Renditen von durchschnittlich 18 % erzielt. Die privaten Kapitalgeber haben vorrangig meist kein Interesse an guten Arbeitsbedingungen oder an der Qualität der Pflege, sondern sie arbeiten in erster Linie gewinnorientiert. Nicht ohne Grund haben zwei Drittel dieser Gesellschaften ihren Sitz in Steueroasen, wie beispielsweise auf den Cayman Islands.

Meine Damen und Herren, wir müssen hier etwas tun. Das Land Schleswig-Holstein kann etwas aus eigener Kraft tun, ohne dass es auf die Hilfe anderer Länder oder den Bund angewiesen ist.

Die letzte Initiative der Jamaika-Regierung liegt im Bundesrat im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis. Schleswig-Holstein hatte sich auf Betreiben des Sozialministeriums zusammen mit Bremen und Berlin der Hamburg-Initiative im Bundesrat zur Deckelung der Eigenanteile angeschlossen. Zusätzlich sollte aus Bundesmitteln noch ein Steuerzuschuss gezahlt werden. Die vier genannten Länder hatten sich in den Ausschüssen immerhin auf eine konkrete Empfehlung für den Bundesrat geeinigt. Der Tagesordnungspunkt ist aber von der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Bundesrats abgesetzt worden, übrigens auf Initiative der unionsgeführten Länder. Seitdem ruht dieser See doch recht still.

Unser Land muss daher selbst handeln, und es kann dieses auch. Das Land hat die Möglichkeit, die Pflegebedürftigen bei den Investitionskosten noch mehr zu entlasten; denn die pflegerische Infraversorgungsstruktur liegt in der Verantwortung der Länder.

Der Durchschnitt der von den Pflegebedürftigen zu tragenden Investitionskosten liegt in SchleswigHolstein über dem des Bundes. Im Jahr 2018 lag er in Schleswig-Holstein bei 469 €; der Bundesdurchschnitt lag dagegen bei 429 €. 40 € Unterschied zum Bundesdurchschnitt im Monat - das sind immerhin 480 € jährlich - sind für viele Menschen in unserem Land kein kleiner Betrag. Wenn wir die Pflegebedürftigen in unserem Land allein von diesem Differenzbetrag entlasten wollen, kommen wir in eine Größenordnung von gerundet 29 Millionen € jährlich. Gegengerechnet werden müssen noch die Einsparungen auf kommunaler Ebene, da sich die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege auch in

(Minister Dr. Heiner Garg)

einem entsprechenden Umfang verringern würden. Bei der Erarbeitung eines Konzepts können wir die Kommunen für die Gegenfinanzierung damit kostenneutral in Höhe der zu erwartenden Einsparungen mit ins Boot holen.

Wenn ich daran denke, wofür an anderer Stelle alles Geld ausgegeben wird, dann haben wir genügend Potenzial für Einsparungen im Landeshaushalt. Bei den alten und pflegebedürftigen Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben, dürfen wir hingegen nicht sparen. Hier ist das Geld gut und richtig angelegt.

(Beifall AfD)

Wir können und wir müssen aber noch mehr tun.

Das Land muss sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Leistungsbeträge nicht nur für die stationäre, sondern auch für die häusliche Pflege angehoben und jährlich nach oben angepasst werden. Hierbei ist es wichtig, dass diese Anpassung an die Kostenentwicklung in den Pflegeeinrichtungen und ambulanten Diensten vorgenommen wird. Der bisherige Verbraucherpreisindex bildet die tatsächliche Preisentwicklung als Maßstab von Pflegeleistungen nur sehr ungenügend ab. Durch die verbesserte Anpassung der Leistungsbeträge steigern wir gerade auch die Attraktivität der häuslichen Pflege. Das ist immens wichtig; denn zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause entweder von den Angehörigen oder von ambulanten Pflegediensten betreut.

Mit Blick auf die bereits erwähnten Private-EquityGesellschaften müssen Strategien und Konzepte entwickelt werden, die die geltenden Qualitätsvorgaben in der Pflege wieder mehr in den Vordergrund stellen. Genauso müssen Qualitätsaspekte bei den Pflegeeinrichtungen - hierzu gehören auch die Ergebnisse der Kontrollen durch die Heimaufsicht bei den Vergütungsverhandlungen stärker Berücksichtigung finden. Denn nur dann, wenn bei der Vereinbarung der Höhe der Pflegesätze zwischen den Trägern der Pflegeeinrichtungen und den Pflegekassen die Qualität der Pflegeleistungen, aber auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle spielen, besteht eine Aussicht auf das Erreichen von nachhaltigen Verbesserungen für Pflegebedürftige und die Menschen, die eine menschenwürdige Pflege gewährleisten. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbesserungen in der Pflege, wer will das nicht! Ich glaube, das Thema eint uns alle. Wir Sozialpolitiker arbeiten tagtäglich daran; nur der Weg dahin ist höchst unterschiedlich.

Es lohnt sich ein Blick zurück zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Insoweit haben wir schon eine Menge gemacht. Die Pflegestärkungsgesetze 1 bis 3 fangen an zu wirken und durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff bekommen Pflegebedürftige und ihre Familien immerhin 12 Milliarden € mehr im Jahr. Das ist schon ein großer Erfolg. Aber wir wissen: Der demografische Wandel steht bevor, und die Menschen werden immer älter, was auch gut ist. Deswegen müssen wir weiter daran arbeiten.

Dadurch, dass wir fünf Pflegegrade haben, haben wir mehr zu Pflegende, die dann auch Anspruch auf Hilfe haben. Trotzdem gehen viele dieser guten Neuerungen in der problembehafteten Diskussion über die Pflege unter. Wir dürfen uns nicht entspannt zurücklehnen, sondern wir müssen weitermachen. Wir müssen eine intensive Diskussion zu einer nachhaltigen Finanzierung von Pflegeleistungen im Allgemeinen und im Besonderen führen. Reformen in der Pflege dürfen deshalb auch zukünftig keine kurzfristigen Maßnahmen sein, sondern sie müssen zukunftsfest gestaltet werden. Es müssen Maßnahmen sein, auf die wir setzen und aufbauen können. Wir brauchen langfristigere und grundlegendere Maßnahmen, um dem System und der wachsenden Bedeutung von Pflege in unserer Gesellschaft begegnen zu können. Und wir müssen Antworten speziell auch hinsichtlich der Kostenentwicklung von Eigenanteilen finden.

Im März dieses Jahres haben wir als Jamaika-Koalition bereits Lösungsvorschläge präsentiert und die Landesregierung gebeten, im Bund aktiv zu werden. Ich will diese gern noch einmal nennen.

Künftig sollen die Kosten für die medizinische Behandlungspflege im stationären Bereich ebenfalls von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, übrigens genauso wie im ambulanten Bereich, um die frei werdenden Mittel der Pflegeversicherung zur Begrenzung der weiteren Pflegekosten zu verwenden.

(Claus Schaffer)

Wir haben auch das Ziel, das bestehende System der Pflegeversicherung dahin gehend zu ändern, dass der zu zahlende Eigenanteil der Pflegebedürftigen an den notwendigen Pflegeleistungen mit einer Obergrenze versehen wird, sodass

(Zustimmung Dennys Bornhöft [FDP])

- ja, da kann man ruhig klatschen -

(Beifall CDU und FDP)

die Pflegeversicherung die darüber hinausgehenden Kosten trägt.

Um das alles zu finanzieren, bedarf es zudem eines Zuschusses aus dem Bundeshaushalt an den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung. Hierüber besteht Einigkeit in den Bundesländern. Das ist sehr schön, und das scheint dann auch irgendwann zum Erfolg zu führen. Jedenfalls gibt es dazu einen einstimmigen Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom vergangenen Jahr.

Wir werden nicht darum herumkommen, eine Grundsatzdebatte über das Tragen der Pflegekosten in einer wachsenden Beanspruchung des Systems zu führen, Stichwort: alternde Gesellschaft. Exorbitante Eigenanteile können wir weder Betroffenen vermitteln noch zumuten. Menschenwürdige Pflege darf nicht zu einem Existenzrisiko werden; diese Angst ist mit der Pflege heutzutage leider auch verbunden. Deswegen begrüßen wir die Entscheidung des Bundeskabinetts, künftig eine Einkommensgrenze von 100.000 € brutto festzusetzen. Nur wer leistungsfähig ist, soll bei den entstehenden Kosten für die stationäre Pflege herangezogen werden.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Hierzu stehen die Verhandlungen mit dem Bund an, wer die zusätzlichen Kosten für diese Obergrenze zu tragen hat. Man muss ja auch sehen, dass das Geld irgendwoher kommen muss und wir als Länder nicht zu stark belastet werden.

Auch nehmen wir zur Kenntnis, dass die Beitragssprünge für die Pflegeversicherung nicht nur häufiger werden, sondern Prognosen gehen davon aus, dass der Pflegebeitragssatz im Jahr 2045 auf 4,25 % steigen muss.

Liebe Kollegen von der AfD, es ist bemerkenswert, dass Sie sich erst jetzt mit dem Thema Pflege auseinandersetzen. Wir machen das schon die ganze Zeit, wir machen uns ständig Gedanken darüber und arbeiten an Lösungen für die Zukunft. In Schleswig-Holstein gehen wir stets mit gutem Beispiel voran. Wir zahlen allein 14 Millionen € an

Pflegewohngeld. Das machen nicht sehr viele Bundesländer, und es ist gut, dass wir uns für die, die wenig haben, engagieren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Und Weiteres sehen Sie anhand unseres Alternativantrags: Ausbildung von Pflegefachkräften, Neuregelung des Elternunterhalts, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und so weiter. Unser Engagement ist stetig, ständig, besteht seit Langem und ist nicht so kurzfristig wie bei Ihnen von der AfD. - Danke schön.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Birte Pauls.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erwarte wirklich nichts von Ihnen, gar nichts erwarte ich von Ihnen. Von Rechtsaußen kommt schon wieder, auch an dieser Stelle, ein kopierter Antrag, der eins zu eins übernommen wird, diesmal aus Sachsen. Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? - Wirklich, das ist so schwach, das ist so grottenschlecht.

Ich wiederhole mich gern: Pflege darf nicht zur Armutsfalle werden. So hieß unser Antrag, den wir im Frühjahr dieses Jahres in dieses Parlament eingebracht haben. Es gab in diesem Jahr empfindliche Erhöhungen des Eigenanteils für die Bewohnerinnen und Bewohner hier im Land. Das ist für die allermeisten Familien eine enorme zusätzliche Belastung. Wenn man dann aber für das Lesen und Verstehen der Bescheide ein betriebswirtschaftliches Studium benötigt, werden Patientenwohl und Bürgerfreundlichkeit mit Füßen getreten.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])