Protocol of the Session on May 16, 2019

(Martin Habersaat)

Das zweigliedrige Schulsystem mit Gemeinschaftsschulen, Gymnasien im allgemeinbildenden Bereich sowie den beruflichen Schulen als dritter Säule hat sich bewährt.

An den Gemeinschaftsschulen sind die Schülerinnen und Schüler nicht von Anfang an auf einen bestimmten Schulabschluss festgelegt. Den Schülerinnen und Schülern wird Zeit gegeben, sich zu entwickeln, Lernfortschritte zu machen und ihre Potenziale auszuschöpfen. Erst im Verlauf der Schulzeit ergibt sich die Entscheidung für den passenden Schulabschluss.

Einen ausgezeichneten Beleg für das bessere Gelingen von Schule ohne abschlussbezogene Klassen haben wir mit der Anne-Frank-Schule in Bargteheide. Diese war 2013 Hauptpreisträgerin des Deutschen Schulpreises. „Niemanden zurücklassen und niemanden aufhalten“ - nach diesem Motto wird an dieser Gemeinschaftsschule mit Oberstufe erfolgreich gearbeitet.

Der Erfolg zeigt sich in den Abschlüssen. Die Abschlüsse der Anne-Frank-Schule können sich sehen lassen: In den letzten 15 Jahren waren Abgängerinnen und Abgänger ohne Schulabschluss die große Ausnahme. Alle Schülerinnen und Schüler werden immer darin unterstützt, ein bisschen mehr zu versuchen, als sie sich selbst zugetraut hätten. Egal, ob Förderbedarf oder Überfliegerinnen und Überflieger: Alle lernen sich gegenseitig zu unterstützen.

Und die Offenheit für die Entwicklung der Kinder zahlt sich aus. Die Statistiken zeigen das deutlich. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler erreicht hier einen besseren Abschluss als in der Grundschulempfehlung prognostiziert. Der Anteil an höheren Schulabschlüssen wächst kontinuierlich seit dem Bestehen der Schule: Im Jahr 2017 schlossen über 60 % der Schülerinnen und Schüler mit dem Abitur die Schule ab, und deutlich mehr als 10 % konnten die Fachhochschulreife erreichen.

Diese Schule ist nicht nur gut für alle Kinder, sie leistet auch einen herausragenden sozialpolitischen Beitrag für unsere Gesellschaft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mar- tin Habersaat [SPD] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

In der Anhörung gab es überwiegend Ablehnung für den Gesetzentwurf der AfD. In der Stellungnahme von der „Aktion Humane Schule“ wird es besonders deutlich formuliert:

„Da sich die Bundesrepublik entschlossen hat, die Behindertenrechtskonvention zu un

terzeichnen, sollte sich auch das Parlament in SH darum bemühen, ein inklusives Schulsystem aufzubauen und personell wie sächlich so auszustatten, dass Kinder aller Leistungsstärken ihre Fähigkeiten optimal entwickeln können. Diesem Ziel widerspräche eine Zustimmung zu der beantragten Änderung des Schulgesetzes in krassester Weise.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Wortmeldung Dr. Frank Brodehl [AfD])

Frau Abgeordnete, gestatten Sie -

Nein! - Uns ist auch klar, dass die Arbeit in heterogenen Lerngruppen eine gute Personalausstattung, auch mit Schulsozialarbeit und anderen Professionen, braucht und die Lehrkräfte weiter in binnendifferenziertem Unterricht geschult werden müssen. Dies ist wichtig, um allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden.

Wir müssen unsere Schulen also weiterhin mit mehr Lehrkräften ausstatten, Lehrkräfte fortbilden und für Arbeitsentlastung sorgen. Das machen wir in Jamaika, und wir werden diesen Weg weitergehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Packen in Schubladen ist von gestern. Mit abschlussbezogenen Klassen hindern wir die Schülerinnen und Schüler an ihrer Entfaltung. Grüne Bildungspolitik will aber Leistungsmöglichkeiten nicht begrenzen, sondern unterstützen.

Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Deutung der Absichten des vorliegenden Antrags fiel mir ehrlicherweise nicht besonders schwer; denn die AfD hat versucht, einen kleinen Spaltpilz hereinzutragen, weil die Koalitionäre bei diesem Thema nicht unbedingt einer Meinung

(Ines Strehlau)

sind. Ich bin Ihnen insofern dankbar, weil sie damit genau das Gegenteil erreicht haben.

Meine Damen und Herren, es ist kein großes Geheimnis, dass die Freien Demokraten und auch die CDU nicht am Bedarf von abschlussbezogenen Klassen zweifeln, und dass wir uns im Wahlkampf durchaus für eine entsprechende Öffnung im Schulgesetz ausgesprochen haben.

(Beifall Dennys Bornhöft [FDP])

Aber wir haben in den Koalitionsverhandlungen für diese Meinung eben keine Mehrheit gefunden, und wer Koalitionsverträge abschließt, der hält sich auch daran. Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich, dass gerade der Interessenverband der Lehrkräfte darüber enttäuscht war und sich bei uns in nicht gerade freundlicher Art und Weise darüber beschwert hat.

(Martin Habersaat [SPD]: So kennen wir die gar nicht!)

Ich muss sagen, dazu stehe ich, und das Rückgrat habe ich auch. Denn letztendlich bleibt festzustellen - das wurde heute hier gesagt, und das war auch die Argumentation für mich, während der Koalitionsverhandlungen zuzustimmen -, dass wir das Schulgesetz an dieser Stelle nicht ändern: Die Gemeinschaftsschulen können nach den Vorgaben der KMK fächerbezogene differenzierte Lerngruppen einrichten.

Wir haben während der Koalitionsverhandlungen verabredet, dass das Ministerium die Schulleitungen darüber noch einmal informiert und sie darauf hinweist, wenn sie es in ihrem Ermessen für wichtig erachten, es auch zu nutzen. Es gibt ebenfalls die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler, die zum Erreichen des für die Prüfung zum ersten allgemeinbildenden Schulabschluss erforderlichen Leistungsstandes mehr Zeit und einen engeren Praxisbezug benötigen, die Jahrgangsstufen 8 und 9 in einer sich über drei Schuljahre erstreckenden flexiblen Übergangsphase durchlaufen können, und über die Einrichtung einer solchen flexiblen Übergangsphase entscheidet die Untere Schulaufsichtsbehörde auf Antrag der Schule, die für die organisatorische, inhaltliche Ausgestaltung verantwortlich ist. Die Entscheidung über die Aufnahme in die flexible Übergangsphase trifft die Schulleiterin oder der Schulleiter auf Antrag der Eltern.

Es geht doch darum, dass wir Jugendlichen zu einem guten Schulabschluss verhelfen wollen, damit sie eine Perspektive für ihr weiteres Leben in Eigenständigkeit haben.

Meine Damen und Herren, wir stärken des Weiteren Schulen mit zusätzlichen Planstellen. Ich hoffe, dass damit eine Entlastung für den schulgesetzlich verankerten binnendifferenzierten Unterricht entsteht. Die zusätzlichen Finanzmittel für die PerspektivSchulen werden Wirkung entfalten. Zusätzliche Leitungsstunden, Gesundheitsstudien, die Umwandlung von G 8 zu G 9, zusätzliche Unterrichtsstunden in der Grundschule - das alles sind Maßnahmenbündel, die unsere Schulen stärken. Das ist meiner Meinung nach im Ergebnis wesentlich besser, wesentlich entlastender für alle Beteiligten, als allein abschlussbezogene Klassen einzurichten. Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für den SSW steht fest, dass das längere gemeinsame Lernen, wie wir es aus den skandinavischen Ländern kennen, das zielführende Modell ist, wenn man den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln möchte. Deshalb stehen wir so stark hinter unseren Gemeinschaftsschulen. Das gemeinsame Lernen wird dort so umgesetzt, dass jede Schülerin und jeder Schüler beim Erreichen des Schulabschlusses begleitet wird, der für ihn oder sie passend ist. Schülerinnen und Schüler werden dort individuell gefördert. Die Differenzierung in der individuellen Förderung soll aber nicht mit Blick auf den Schulabschluss stattfinden, sondern die individuellen Voraussetzungen vor Augen haben. Abschlussbezogene Klassen stellen daher gerade keine Möglichkeit dar, auf die unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Sie manifestieren lediglich Unterschiede und verhindern Bildungsgerechtigkeit.

Wenn die AfD von Gemeinschaftsschulen spricht, schwingt immer irgendwie mit, dass der Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler dort nicht Rechnung getragen werde. Dem soll dann durch Segregation der Schülerschaft entgegengewirkt werden. Dabei wissen wir, dass abschlussbezogene Klassen gar nicht die Auswirkungen haben, die sich ihre Befürworter versprechen. Auf die Lerneffekte scheinen sie bis auf minimale Vorteile bei ohnehin Leistungsstarken keinen großen Einfluss zu haben.

(Anita Klahn)

Leistungsschwächere hingegen haben Nachteile durch die Trennschärfe in der Schule, weil sie in ihrem Bildungsangebot begrenzt werden. Daher ist so hat es auch die GEW beschrieben - davon auszugehen, dass abschlussbezogene Klassen gerade nicht dazu führen, dass auf die unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler eingegangen wird. Stattdessen werden verschiedene Leistungsniveaus festgeschrieben und Bildungszugänge verbaut.

Der Gemeinschaftsschulverband lehnt die vorgeschlagenen Änderungen der AfD daher ab - und das klipp und klar: Erstens stehe der Antrag der AfD wir haben es bereits von anderen gehört - zur Idee der Gemeinschaftsschulen im Widerspruch, zweitens weil sich die angeführte wissenschaftliche Untersuchung von Professor Esser nicht hinreichend auf die Absichten des Antrags beziehe und drittens, weil der Antrag in sich widersprüchlich sei.

Bemerkenswert an den Stellungnahmen war für mich außerdem die Einordnung der Studie, die die AfD in ihrem Antrag als Begründung angeführt hat. Denn so, wie es die AfD möchte, lassen sich die Thesen des angeführten empirischen Beitrags auch aus Sicht anderer Stellungnehmender nicht anwenden.

Der AStA der Europa-Universität hat sich ja geradezu erstaunt gezeigt, da bereits im Abstract der Studie zu lesen sei, dass sich die Studie auf die Verbindlichkeit einer Empfehlung beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe beziehe und sich mit der im Gesetzesentwurf angeführten Studie keine validen Vorhersagen für die Abschlussklassen an Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein treffen ließen.

Das Präsidium der Christian-Albrechts-Universität hat es ebenfalls deutlich formuliert:

„Aus wissenschaftlicher Perspektive ist … die von der AfD-Fraktion vorgebrachte Begründung für eine Änderung des Schulgesetzes nicht nachvollziehbar, da die Heterogenität von Lerngruppen sich nur geringfügig auf die Leistungsentwicklung des Individuums auswirkt.“

Erneut stellt sich heraus, dass wir besonders aufmerksam sein müssen, wenn die AfD ihre ideologischen Anliegen wissenschaftlich belegen möchte. Da bin ich dann doch immer wieder überrascht und frage mich, worin dieses Fehlverständnis begründet ist. Ist es der Unwillen, zu recherchieren? Sind es schlicht unbeabsichtigte Missverständnisse, oder ist es der bewusste Versuch der Manipulation?

Unsere Schulen haben jetzt schon in angemessener Weise die Möglichkeit, dem individuellen Leistungsvermögen unserer Schülerinnen und Schüler entgegenzukommen. Dafür brauchen sie keine abschlussbezogenen Klassenverbände. Abschlussbezogene Klassen und stärkere Binnendifferenzierung widersprechen der Gemeinschaftsschule in ihrer Gesamtstruktur, und Lernerfolge bekommen wir dann, wenn Ruhe ins System einkehrt. Für mich steht abschließend eines fest: Wir brauchen auf absehbare Zeit keine Strukturdebatten mehr! Deshalb lehnen wir natürlich den AfD-Gesetzentwurf ab.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags den Landesvorstand der Jungen Liberalen aus Schleswig-Holstein. - Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die Landesregierung hat die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Frau Karin Prien.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf möchte die Differenzierungsmöglichkeiten an Gemeinschaftsschulen erweitern und begründet diesen Antrag damit, dass sich die Erwartungen, die mit der Abschaffung der abschlussbezogenen Klassen verbunden waren, nicht erfüllt hätten. Eine steile These, möchte man sagen. Grundlage Ihrer Einschätzung ist allerdings weder die schleswig-holsteinische Schulpraxis noch bildungswissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit den Verhältnissen in Schleswig-Holstein beschäftigt haben.

Vielmehr berufen Sie sich auf eine theoretische Modellierung des Mannheimer Soziologen Hartmut Esser, der sich gar nicht mit dem jetzigen Schulsystem beschäftigt hat und der die These vertritt, dass über die kognitive Harmonisierung der Schülerinnen und Schüler die Effizienz des Kompetenzerwerbs steige. Der Ansatz von Esser bezog sich wie wir gehört haben - auf das Schulsystem im Schleswig-Holstein der 17. Legislatur. Er ist übrigens nicht unumstritten. Es gibt auch viele andere