Protocol of the Session on March 27, 2019

In einem Punkt haben Sie dann doch den Antrag abgeändert. Bei uns „muss“ der Behindertenbeauftragte in den Kommunen verpflichtend eingeführt werden. Bei der AfD steht da nur, dass er eingeführt werden „soll“. „Soll“ heißt aber nichts anderes als „kann“, weil das eben nicht muss. Eingeführt werden kann er auch heute schon. Das zeigen die vorhandenen kommunalen Behindertenbeauftragten. Deswegen geht der Vorschlag der AfD auch klar am Ziel vorbei.

Uns ist natürlich klar, dass ein verpflichtend eingeführter kommunaler Behindertenbeauftragter auch Konnexität auslösen würde. Deswegen schlagen wir vor, dass der Behindertenbeauftragte ehrenamtlich tätig wird. Vor dem Hintergrund der real anfallenden Aufwendungen für die derzeitigen kommunalen Behindertenbeauftragten kann man aber die Kosten vergleichsweise gut abschätzen. Nach diesen Erfahrungen müssen wir mit nicht mehr als 500 € pro Monat an Aufwandsentschädigung und Sachkosten pro Beauftragtem rechnen. Somit kann man mit Gesamtausgaben für das Land in Höhe von rund 700.000 € rechnen. Das beinhaltet die derzeitigen Beauftragten genauso wie diejenigen, die dann neu geschaffen werden.

Da wir ohnehin eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs bekommen werden, ließe sich das dort sicherlich mit veranschlagen. Aber selbst wenn dies nicht ginge, erhalten die Kommunen bisher noch 3 Millionen € jährlich für die Verwaltungsaufgaben des Tariftreuegesetzes. Diese fallen ja nun weg; das haben Sie ja beschlossen. Für eine Gegenfinanzierung ist also in jedem Fall gesorgt.

Wir wollen, dass der Beauftragte politisch unabhängig und neutral ist. Er soll ohne Weisungen in den Angelegenheiten der Menschen mit Handicap jederzeit in den Ausschüssen gehört werden können. Er soll sich vor allem auch selbst zu Wort melden können. Natürlich soll er auch Anträge im Rat und in den Ausschüssen stellen können, mit denen sich dann die Gremien zu befassen haben.

Es geht uns hier darum, dass wir als SSW der Überzeugung sind, dass Behindertenbeauftragte sehr viel dazu beitragen können, wie sich eine Gemeinde, ein Kreis oder ein Amt entwickelt.

Wir wollen, dass Menschen mit Handicap dauerhaft und umfassend an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Das hilft den behinderten Menschen genauso wie der Kommune an sich. Ich bin davon überzeugt, dass gerade ein solcher Beauftragter in

Fragen der Mobilität, der Sicherheit im Straßenverkehr oder auch in Fragen der Inklusion in den kommunalen Einrichtungen wertvolle Anregungen geben kann. Gleiches gilt natürlich auch für das Megathema Wohnungsbau.

Wen diese Argumente nicht überzeugen, meine Damen und Herren, dem sei gesagt, dass wir in unserem Landesbehindertengleichstellungsgesetz Ziele festgelegt haben. Damit diese Ziele umgesetzt werden können, brauchen wir auf kommunaler Ebene jemanden, der diese Ziele nicht nur allgemein als Querschnittsziele ansieht, sondern sich explizit für genau diese Ziele, die wir gesetzlich festgelegt haben, auf kommunaler Ebene einsetzt. Genau so jemand wäre ein kommunaler Behindertenbeauftragter. Deswegen brauchen wir ihn, damit das, was wir hier beschlossen haben, nicht auf Landesebene bleibt, sondern vor allem auf kommunaler Ebene greift. Das muss auch verpflichtend sein, meine Damen und Herren. - Vielen Dank.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat nun für die antragstellende Fraktion zu b) der Abgeordnete Frank Brodehl aus der AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Gäste! Die Arbeit des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung hat sich bewährt. Dafür, dass die Abgeordneten des SSW einen Gesetzentwurf einbringen, um diese Arbeit nun auch in die Fläche zu bringen und auf kommunaler Ebene zu installieren, möchte ich mich sehr bedanken.

In der Tat brauchen wir auch auf Kreis- und Gemeindeebene Beauftragte für Menschen mit Behinderung. Denn diese sind die Spezialisten, wenn es etwa um Fragen wie Barrierefreiheit, Mobilität, Ausbildung und Arbeit oder auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit Behinderung geht. Die Beauftragten für Menschen mit Behinderung sind die Ansprechpartner für Verwaltung, Unternehmen und Bürger gleichermaßen.

In vielen, in rund 50 Kreisen und Gemeinden haben wir bereits schon Beauftragte. Allerdings zeigt sich in Schleswig-Holstein diesbezüglich ein völlig uneinheitliches Bild, gerade was die Arbeitsvoraussetzungen betrifft. Deshalb brauchen wir in der Tat eine gesetzliche Regelung und allgemeingültige Standards.

(Lars Harms)

Allerdings - jetzt komme ich zum Gesetzentwurf des SSW - geht der Gesetzentwurf des SSW in einigen Punkten sehr weit, sodass wir heute einen eigenen, praktikableren und realistischeren Gesetzentwurf einbringen. Dieser unterscheidet sich von dem Entwurf des SSW im Wesentlichen in drei Punkten:

Punkt eins: Beim SSW heißt es, dass der Beauftragte „allumfassender Interessenvertreter“ der Menschen mit Behinderung sein solle. Allumfassender Interessenvertreter klingt zunächst einmal gut, ist es aber gar nicht. Denn die Interessen von Menschen mit Behinderung werden schon wahrgenommen, unter anderem von Wohlfahrtsverbänden, in Behindertenbeiräten und in Selbstvertretungsorganisationen.

(Zuruf Lars Harms [SSW])

Die Funktion eines Beauftragten im Sinne der BRK ist aber vielmehr, dazu beizutragen, gleiche Lebensbedingungen und gleichberechtigte Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit und ohne Behinderung herzustellen. Genau das findet sich in unserem Gesetzentwurf wieder. Es geht um Gleichstellung, und es geht nicht primär um Interessenvertretung. Hier muss differenziert werden, genauso, wie dies auch in anderen Bundesländern getan wird und wie dies auch dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz entspricht.

Der zweite Punkt ist, dass wir die Verpflichtung eines kommunalen Beauftragten auf Kreisebene als Soll-Vorschrift und auf Gemeindeebene als KannVorschrift ausgestalten. Sie sprachen das an. Beim SSW liegt die Betonung auf verpflichtend, das heißt, Gemeinden und Kreise müssen zwingend einen Beauftragten bestellen. In dem Ziel sind wir uns einig, das ist anzustreben. Aber es muss auch klar sein, dass das einen erheblichen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstellen würde. Darüber muss man im Ausschuss dann sprechen.

Punkt drei: Wir geben in unserem Gesetzentwurf nicht vor, dass - wenn bereits ein „Beirat für Menschen mit Behinderung“ existiert - dieser notwendigerweise auch die Funktion des kommunalen Behindertenbeauftragten übernehmen muss, wie es in Ihrem Entwurf der Fall ist, denn es kann durchaus Besonderheiten geben, die zur Folge haben, dass der Beiratsvorsitzende nicht zwingend auch zum kommunalen Behindertenbeauftragten bestellt wird. Wir sollten Kreisen und Gemeinden hier nichts vorschreiben, ihnen keine unnötigen Vorschriften machen, sondern ihnen Flexibilität ermöglichen.

Zu all dem kommt noch ein weiterer Aspekt. Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Ent

wicklung müssten letztendlich im utopischen Sinne alle Kommunen barrierefrei sein. Das müsste eigentlich das Ziel sein. Auch abseits des klassischen Behindertenbegriffs können wir es uns deshalb nicht leisten, auf den Sachverstand eines kommunalen Behindertenbeauftragten zu verzichten, wenn wir den Bürgern in unseren Kreisen und Gemeinden auch im fortgeschrittenen Alter ein gutes, möglichst barrierefreies Leben bieten wollen. Die Schaffung von Stellen für Beauftragte für Menschen mit Behinderung vor Ort, in der Fläche ist so gesehen eine wichtige Dienstleistung für alle Bürger.

Ich komme zum Ende. Es geht uns heute also primär um den gesetzlichen Rahmen. Mit dem vorliegenden Entwurf bieten wir allen Gemeinden und Kreisen, die einen kommunalen Beauftragten für Menschen mit Behinderung bestellen wollen, eine sichere Gesetzesgrundlage. Ich glaube, dass das als erster Schritt ausreicht. Wir brauchen nicht unbedingt eine Muss-Bestimmung. Warten wir doch erst einmal ab, was passiert, wenn wir diese Grundlage geschaffen haben.

Arbeiten wir also daran, dass davon möglichst viel Gebrauch gemacht wird. Ich bitte Sie um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf, und ich bitte darum, beide Gesetzentwürfe in den Sozialausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hans Hinrich Neve.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Menschen mit Behinderung beziehungsweise Inklusion ist in den Gemeinden, Städten, Ämtern und Kreisen nicht neu, sondern allgegenwärtig. Es werden zurzeit Bushaltestellen barrierefrei umgebaut, es werden Klassenräume, Schulen, Kitas, Verwaltungen entsprechend umgebaut. Ein Beispiel: Klassenräume werden mit Akustikdecken und Teppichboden ausgestattet, damit auch Hörgeschädigte am Unterricht teilnehmen können. Vor Ort wird in den Städten und Gemeinden sehr viel getan - nicht nur weil es gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern auch, weil es ein Herzensanliegen unserer kommunalen Ebene ist. Und - das ist unbestritten - es bleibt noch sehr viel zu tun.

Beauftragte auf kommunaler Ebene gibt es schon einige: Seniorenbeauftragte, Gleichstellungsbeauf

(Dr. Frank Brodehl)

tragte, Minderheitenbeauftragte - mal verpflichtend, mal freiwillig. Zurzeit läuft die Installation der Datenschutzbeauftragten auf kommunaler Ebene. Das ist eine Pflichtaufgabe. In meiner Amtsverwaltung werden wir das entsprechend dem Anforderungsprofil so lösen, dass das ein Volljurist machen wird. Das sind Bedingungen, die das vor Ort nicht immer einfach machen.

Auch wenn man sich in der Sache mit der kommunalen Ebene im Einvernehmen befindet, kommt es bei der Frage der Umsetzung schnell zu Konfrontationen. Generell: Zwang löst keine Probleme.

Das Antrags- und Rederecht in unserer kommunalen Vertretung haben die vom Volk gewählten Vertreter. Dieses Recht ohne demokratische Legitimation auf weitere Personen zu erweitern, wirft verfassungsrechtliche Fragen auf.

Schon heute haben wir in den kommunalen Verwaltungen Inklusionsbeauftragte entsprechend den Bestimmungen des § 181 SGB IX bestellt. Da sind wir gehalten, behinderte Menschen mit dieser Aufgabe zu beauftragen. Da stellen sich die Fragen: Soll das parallel laufen? Soll das zusätzlich sein? Sollen sie sich ergänzen? Kann das auch nur eine Person machen? - Insofern sind hier sehr viele Fragen offen, die wir unbedingt im Ausschuss erörtern sollten. Danke schön.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Frau Präsi - -, nein, Herr Präsident!

Das geht schon einmal gut los, Herr Kollege.

(Heiterkeit - Zuruf: Gender!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt handeln, lautet die Empfehlung des Landesbeauftragten an die Landespolitik, die Kommunen und an den Bund, wenn es darum geht, die Umsetzung von Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein auf den Weg zu bringen. Uli Hase hat in seinem letzten Tätigkeitsbericht für die Jahre 2015 bis 2017 gefordert, die Bestellung von kommunalen Beauftragten beziehungsweise Beiräten in der Kreis- beziehungsweise Gemeindeord

nung zu regeln. Dieser Aufforderung folgt der Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen vom SSW, und das ist gut so.

(Beifall SSW)

Wir, die SPD-Fraktion im Landtag, unterstützen den Gesetzentwurf und die Initiative der Kolleginnen und Kollegen vom SSW. Laut Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung arbeiten in 47 Städten und Gemeinden sowie in Kreisen und kreisfreien Städten kommunale Beauftragte beziehungsweise Beiräte. Damit gibt es bereits in neun von elf Landkreisen und in allen kreisfreien Städten kommunale Beauftragte beziehungsweise Beiräte, die sich für die Interessen von Menschen mit Behinderung einsetzen. Die Arbeit der kommunalen Beiräte hat sich also bewährt. Das zeigt, dass ihre Expertise bei der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung auf kommunaler Ebene unerlässlich ist.

Kommunale Beauftragte oder Beiräte sorgen dafür, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung auch aus eigener Betroffenheit heraus vertreten werden. Dabei beraten die kommunalen Beauftragten und Beiräte die kommunale Ebene, die Kommunalpolitik, mit ihrer Expertise und sind Ansprechpartner für die Menschen mit Behinderung in der Kommune.

Kommunale Beauftragte oder Beiräte sind dabei oft der Motor, wenn es darum geht, einen kommunalen Aktionsplan zur Umsetzung von Barrierefreiheit oder umfassende Teilhabeplanung für Menschen mit Behinderung zu erstellen. Dieser Tage - gestern in diesem Jahr - jährt sich zum zehnten Mal das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Das bedeutet, dass Selbstbestimmung und Inklusion wie selbstverständlich auch in unseren Kommunen und auf kommunaler Ebene umgesetzt werden müssen.

In der Diskussion und Beschlussfassung um die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Schleswig-Holstein haben wir letztes Jahr gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom SSW gefordert, in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt eine Arbeitsgemeinschaft nach § 25 Absatz 2 SGB IX einzurichten. Gemeinsam soll die Realisierung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung sowie die Umsetzung der Eingliederungshilfe vor Ort diskutiert und weiterentwickelt werden. So ist sichergestellt, dass die Beteiligung von Menschen mit Behinderung auch vor Ort umgesetzt wird. Dies wurde damals leider von der Jamaika-Koalition nicht übernommen und abgelehnt. Umso richtiger und not

(Hans Hinrich Neve)

wendiger ist daher heute der Gesetzentwurf zur Einführung von kommunalen Beauftragten für Menschen mit Behinderung in der Gemeindeordnung.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Wir werden die Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuss konstruktiv unterstützen und hoffen mit der Verankerung von kommunalen Beauftragten für Menschen mit Behinderung in der Gemeindeordnung auf eine Stärkung der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung, denn das ist, wie gesagt, zehn Jahre nach Inkrafttreten und Unterzeichnung der UN-Behindertenkonvention in der Bundesrepublik Deutschland dringend notwendig und zeitgemäß.

(Beifall SPD und SSW)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Ines Strehlau.