Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der Debatte zugehört hat, stellt man fest, uns ist eines gelungen, was wir erreichen wollten, nämlich dass wir die Debatte nicht für das instrumentalisieren, für das solche Debatten sonst üblicherweise instrumentalisiert werden. Dafür bin ich dankbar. Es war eine insgesamt nachdenkliche Debatte. Das ist auch richtig so.
Der Punkt ist nur, dass wir manche Sachen nicht richtig sortiert bekommen. Im Kern geht es nämlich nicht um die Frage, was Religionsfreiheit ist. Das interpretieren wir nämlich nicht. Das interpretiert bei uns das Bundesverfassungsgericht. Ich sage noch einmal: Das tut es bei uns in sehr differenzierter Form. Immer dann zum Beispiel, wenn jemand sagt: „Ich will nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, weil mich die Periode daran hindert“, entscheidet ein Gericht und sagt: „Das musst du aber; wir gestehen aber zu, dass es vielleicht vernünftig ist, das mit einem Burkini oder in einer anderen Form zu tun, die für dich mit der ausgeübten Religion kompatibel ist“. - Das sind Formen, in denen Gerichte bei uns entscheiden.
Eka von Kalben, ich will Ihnen bei der Frage widersprechen, dass wir Männer darüber reden, wie die Rechte von Frauen eingeschränkt werden. Darum geht es nicht. Das Gleiche würde gelten, wenn ein Mann mit Thor-Steinar-Klamotten oder mit irgend
welchen Nazi-Tattoos neben mir in der Vorlesung sitzt. Das finde ich in der Kneipe nicht schön, aber in einer öffentlichen Einrichtung will ich das nicht dulden. In öffentlichen Einrichtungen können wir es regeln, in Kneipen nur dann, wenn es verbotene Symbole sind. Das ist der Unterschied, und da haben wir schon eine Verantwortung.
Bei der Hochschule kommt noch etwas anderes hinzu - darauf hatte Herr Kollege Dunckel hingewiesen -, was, so finde ich, ein bisschen wenig beachtet worden ist, nämlich: Hochschulen sind Orte der Freiheit von Forschung und Lehre und auch der Frage, wie mit dieser Freiheit umgegangen wird. Deswegen glaube ich, dass Heiner Dunckel recht hat: Im Wesentlichen können die das selbst regeln. Zu der Frage, ob wir, wenn die Hochschule sagt: „Wir wollen aber mehr Klarheit haben“, daraus dann eine gesetzliche Regelung machen müssen kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein. Wir glauben, dass man das möglicherweise nicht muss. Und wir bekommen ganz oft Probleme, wenn aus Einzelfällen heraus Debatten geführt werden, die uns zu irgendwelchem gesetzgeberischen Handeln zwingen.
Übrigens werden auch Gesetze am Ende von Verfassungsgerichten überprüft. Wir haben also möglicherweise gar kein Problem. Ich finde, mit dem Teil, uns jedenfalls nicht provozieren und nicht missbrauchen zu lassen - was einzelne Fraktionen gerne möchten -, ist dieses Parlament schon einmal gut umgegangen. Das finde ich in Ordnung. Aber möglicherweise brauchen wir gar keine Regelung.
Und dann stellen wir auch noch fest - ich war dem Kollegen Harms sehr dankbar dafür, dass er das hier so dargestellt hat -, dass die Praxis in den europäischen Ländern noch eine vollständig unterschiedliche ist. Da gibt es welche, die das komplett verbieten. Wir verbieten übrigens auch manches, was man nicht darf. Wir wollen nicht haben, dass jemand mit Ku-Klux-Klan-Klamotten irgendwo herumläuft oder andere Dinge. Wir erlauben Nudisten nicht, das außerhalb bestimmter Regionen zu tun, was sie richtig finden und privat ja praktizieren mögen. So gibt es viele andere Einschränkungen, die wir vornehmen. Ich will das nicht vergleichen.
Ich möchte das hier nicht lächerlich machen, sondern ich will nur sagen: Das zeigt, dass wir eine komplexe Debatte haben, in der es um ganz unterschiedliche Dinge geht und man sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. Die Hürde aber, bevor man als Parlament handeln muss und Gesetze erlässt, finde ich, ist eine sehr hohe.
Ein Letztes: Ich fühle mich in der Bundesrepublik Deutschland sehr gut aufgehoben, wo ich weiß, dass Verfassungsgerichte überprüfen, ob Freiheiten eingeschränkt werden oder nicht. Das ist in Deutschland gut geregelt. Das will ich nicht ändern, und da haben wir gar kein Problem. - Vielen herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament liegen jetzt nicht mehr vor. - Ich erteile der Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich glaube, eines ist in der sehr leidenschaftlich und auf hohem Niveau geführten Debatte deutlich geworden, dass wir jedenfalls die Antwort auf die These der AfD - wofür braucht ihr eigentlich eine Anhörung? - jetzt schon gegeben haben: Wir brauchen eine intensive Debatte, und zwar tatsächlich auf verschiedenen Ebenen. Herr Dr. Stegner hat eben hier noch einmal herausgearbeitet, dass wir hier auf ganz verschiedenen Ebenen debattieren. Ich glaube, alle verdienen es, tatsächlich intensiv beleuchtet zu werden.
Ich möchte zu Anfang noch einmal verstärken, dass wir hier tatsächlich keine Kopftuchdebatte führen. Wir führen auch keine Anti-Islam-Debatte, sondern wir führen eine Debatte darüber - da kann man sagen, das sei ein Stöckchen, aber es ist die Wahrheit -, dass die CAU hier einen Rechtsakt als Selbstverwaltungskörperschaft erlassen hat, dass eine Klage gegen diesen Rechtsakt angekündigt ist und dass wir als Politik deshalb gefordert sind, uns darüber eine Meinung zu bilden und zu entscheiden, ob wir Handlungsbedarf sehen. Das kann man sicherlich unterschiedlich sehen. Aber dass wir hier über ein Stöckchen gesprungen wären, über das wir nicht hätten springen sollen, will ich an dieser Stelle zurückweisen.
Ich will aufgrund der auf sehr hohem Niveau geführten Debatte niemanden hier mit juristischen Ausführungen langweilen, aber ich will trotzdem noch einmal darauf hinweisen: Das Grundgesetz sieht nicht ohne Grund vor, dass ein Grundrecht nur auf Grundlage eines Gesetzes eingeschränkt werden
darf. Das hat Lasse Petersdotter ja völlig richtig ausgeführt. Denn Grundrechte sind Abwehrrechte. Das bedeutet, wenn Grundrechte durch staatliche Gewalt, übrigens auch durch Selbstverwaltungskörperschaften, eingeschränkt werden, bedarf es eines Gesetzes.
Deshalb sage ich zu der These, die heute hier vertreten wurde, die auch Sie, Herr Harms, vertreten haben, es sei ja alles gelöst, die Universität habe eine Regelung getroffen, damit sei die Sache erledigt: Nein, erledigt ist die Sache damit nicht, sondern wir wissen, dass das Ganze beklagt werden wird, und wir haben - ich will es nicht Hilferuf nennen - eine klare Aufforderung der Universität, die uns als Ministerium in schriftlicher Form vorliegt, die uns bittet, die notwendige rechtliche Grundlage genau dafür zu schaffen. Deshalb sind wir aufgefordert, uns hier darum zu kümmern, ob wir die ausreichende Rechtsgrundlage dafür haben oder ob wir sie nicht haben und ob wir sie am Ende für notwendig erachten. Darüber werden wir uns unterhalten müssen.
Ich finde es toll, und wenn Sie sagen: „Kopftuch ja, Vollverschleierung nein“, dann kann ich das hundertprozentig unterschreiben. Aber dann im gleichen Nachsatz zu sagen: „Ein Gesetz halten wir nicht für erforderlich“, ist ein bisschen die alte Bärenweisheit: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! - Ich glaube, dass wir es uns so einfach nicht machen können.
Herr Dunckel, Sie haben zu Recht den Fall der vollverschleierten Schülerin in Osnabrück angesprochen. Die rot-grüne Koalition in Niedersachsen hat genau diesen einen Fall zum Anlass genommen, um das Schulgesetz in Niedersachsen zu ändern. So ist das gewesen. Das ist auch nicht ohne Grund so gewesen, sondern deshalb, weil die Verfassungsrechtler in einer Anhörung des Niedersächsischen Landtags gesagt haben: Das, was ihr da im Schulgesetz stehen habt, reicht eben nicht aus, um diesen Fall zu lösen. - Das nur der Vollständigkeit halber.
Meine Damen und Herren, ich würde mir trotzdem gern erlauben, noch ein paar Sätze zu dem gesellschaftspolitischen Thema zu sagen, das dahinter steht, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das haben wir inzwischen alle, so glaube ich, jedenfalls hier in Schleswig-Holstein, nicht nur akzeptiert, sondern auch angenommen. Wenn das so ist, dann müssen wir uns mit bestimmten Fragen tatsächlich auseinandersetzen, mit denen man sich vielleicht gesellschaftlich vor zehn, 20 oder 30 Jahren noch nicht auseinandersetzen musste oder glaubte, es nicht zu müssen. Da stellen sich die Fragen der Toleranz ganz neu.
Wir haben dankenswerterweise ja hier in Kiel die Forschungsstelle für Toleranz, und die beschäftigt sich ja genau mit diesen Fragen. Professor Simon, der Leiter dieser Forschungsstelle, hat sehr klug definiert: „Toleranz ist durch Respekt gezähmte Ablehnung“ - ein Satz, den man sich ein bisschen auf der Zunge zergehen lassen muss. Da ist aber, glaube ich, viel dran.
Es geht in diesem Fall um die Frage, ob wir die Zumutung aushalten müssen, die von jemandem ausgeht, der glaubt, seine religiöse - vielleicht religiöse - oder politische Auffassung durch das Tragen eines Niqab oder einer Vollverschleierung zum Ausdruck zu bringen, ob wir demjenigen mit dieser Haltung Respekt entgegenbringen müssen. Wir ringen um diese Frage der Zumutbarkeit. Wir erleben im Grunde ein Lehrstück gesellschaftlicher Entwicklung. Darauf muss sich auch die Rechtslage einstellen.
Übermorgen ist Weltfrauentag, Eka von Kalben hat es ausgeführt. Wir lesen, wir diskutieren ganz viel über die Frage: Haben wir eigentlich schon genug an Gleichstellung erreicht? Wir reden über Rechte von Mann und Frau, über Unterdrückung und Unfreiheit hier bei uns, aber vor allem in vielen Teilen der Welt. Wir müssen uns daher auch der Frage stellen, bis zu welchem Grad die Vollverschleierung von Frauen und die damit einhergehende Symbolik der Unterdrückung - das ist sie, meine Damen und Herren, die Symbolik der Unterdrückung durch religiösen Extremismus oder politischen Islamismus mit unseren Werten vereinbar ist und wie weit wir das tolerieren wollen.
Zu der ganzen Argumentation, Herr Petersdotter, die ich wirklich sehr nachdenkenswert finde, die Sie uns vorgetragen haben, stellt sich doch die Frage: Müssen und sollen wir an dieser Stelle eine gesellschaftliche Norm definieren, oder sollen wir das nicht? In der Frage des Antisemitismus sind wir uns, so glaube ich, einig: Wir müssen gesellschaftli
che Normen definieren, wir müssen auch darauf achten, dass diese Normen eingehalten werden, auch dann, wenn das Ganze übrigens nicht zur Deradikalisierung derer beiträgt, die solche Positionen vertreten. Ob wir das in diesem Zusammenhang mit dem politischen Islam und dem Salafismus, jedenfalls dem radikalen Salafismus, nicht müssen, müssen wir, glaube ich, miteinander ausdiskutieren.
Deshalb bin ich sehr froh, dass wir diesen Weg der Anhörung gewählt haben. Ich finde, steht uns als Gesellschaft - auch gerade, weil wir eine liberale Gesellschaft sind - an, das so zu tun. Ich finde, das ist auch Schleswig-Holstein-Style, wenn ich das einmal so sagen darf.
Ich glaube, meine Herren von der AfD, wir können den Gesetzentwurf aus Bayern auch aus diesem Grund nicht einfach auf Schleswig-Holstein übertragen. Das geht so einfach nicht, nicht nur, weil wir hier keine Berge haben und so weiter, nein, darum geht es nicht, sondern es geht darum, dass die Regelung in Bayern viele Differenzierungen vermissen lässt, über die wir heute schon gesprochen haben, die - so glaube ich - in diesem Zusammenhang wichtig sind und die die CAU im Übrigen ja auch vorgenommen hat. Es geht eben nicht um ein generelles Vollverschleierungsverbot, sondern es geht um ein sehr differenziertes Verbot.
Es geht um die Frage, in genau welchen Situationen eine Vollverschleierung verboten sein soll. Es ist keineswegs die Verbannung vom Campus, die in der Richtlinie enthalten ist, sondern es ist ein ganz differenziertes und um Verhältnismäßigkeit bemühtes Verschleierungsverbot, und das enthält die bayrische Regelung nicht. Ich glaube, schon deshalb kann sie für unser Land nicht der richtige Weg sein.
Ob man am Ende zu dem Ergebnis kommt, dass ein Gesetz tatsächlich genau vorschreibt, wie ein solches Verbot auszusehen hat; ob man zu dem Ergebnis kommt, dass das Gesetz nur einen rechtlichen Rahmen für die Hochschulen schafft; oder ob man zu dem Ergebnis kommt, dass man am Ende kein Gesetz braucht, das werden wir nach der Anhörung sehen.
Ich persönlich habe meine Meinung dazu kundgetan. Andere haben das auch getan. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass wir gemeinsam mit der gebotenen Offenheit in diese zukünftige Debatte gehen, und ich darf mich ausdrücklich dafür bedanken, dass offensichtlich die meisten Mitglieder die
Frau Ministerin, wir waren am Anfang nicht so überzeugt, ob eine Anhörung Sinn macht. Nach der Debatte ist es aber vielleicht tatsächlich sinnvoll, die Anhörung durchzuführen, allerdings - danach wollte ich Sie fragen - vielleicht auch mit der Offenheit, in dieser Anhörung zu klären, ob das wirklich ein Grundrechtseingriff ist. Denn die Antwort der Anhörung könnte auch sein, dass wir keine gesetzliche Regelung brauchen, weil dies gar kein Grundrechtseingriff ist. Wenn man Ihrer Argumentation folgt, dass das ein Symbol der Unterdrückung und eben nicht der Ausdruck von Religionsfreiheit ist, dann ist das auch keine Beschränkung eines Grundrechts. Zu der Einschätzung könnte man auch kommen.
Wenn die Anhörung dies erlaubt, wäre wiederum die Konsequenz, dass die Uni handeln kann, wie sie es möchte, ohne dass wir das Gesetz ändern müssen. Wenn diese Offenheit in der Anhörung besteht, dann hätte diese Diskussion heute - so finde ich - ein gutes Ende erreicht.
- Herr Dr. Stegner, wenn die Anhörung zu diesem Ergebnis kommen würde, dann hätten wir an dieser Stelle tatsächlich keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Ich fürchte nur, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Verfassungsexperten eine andere Meinung vertritt. Deshalb sind wir noch nicht ganz raus aus der Bredouille, aber ich freue mich auf die offene Debatte.