Protocol of the Session on February 15, 2019

Man mag es mir verzeihen, dass ich eher mit Rolf Zuckowski aufgewachsen bin. Das mag vielleicht einfach an meinem Alter liegen.

Kinder und Jugendliche müssen bestmöglich geschützt und unterstützt werden, da sind wir uns einig, vor Gewalt, vor Erniedrigung und allem, was ihre Entwicklung einschränkt. Wenn sie dann aus den verschiedensten Gründen in Heimen oder anderen Jugendhilfemaßnahmen untergebracht werden, dann haben sie noch einmal ein besonderes Schutzbedürfnis, und der Staat hat die Verantwortung und die Pflicht, hier genau hinzusehen.

Wir haben in Schleswig-Holstein in Teilen leider eine traurige Tradition. Hier wurde in der Vergangen

heit leider oft nicht genau hingesehen. Das reiht sich ein in Skandale über Gewalt, Missbrauch und sehr viele Grenzüberschreitungen, was die Rechte von Kindern und Jugendlichen auf ein unbeschwertes Leben angeht. Die Friesenhof-Vorfälle haben uns da in den letzten Jahren noch einmal richtig wachgerüttelt.

Ob aus Machtgehabe, Böswilligkeit, falscher Erziehungsmethode oder vielleicht sogar aus überzeugter schwarzer oder harter Pädagogik heraus, immer waren und sind es die Seelen der Kinder, die verletzt wurden und bei vielen bis heute verletzt bleiben. Für uns Sozialdemokraten ist die Stärkung der Kinder und Jugendlichen in ihren Rechten ein elementares Anliegen. Ihr Schutz vor Grenzüberschreitung, Hilfe, die man auch so nennen kann, und der Ausbau der Partizipation stehen ganz oben auf der Agenda.

An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an Peter Eichstädt, der heute hier ist.

(Beifall)

Der Runde Tisch Heimerziehung des Sozialausschusses, der in der vergangenen Legislaturperiode getagt hat, und die umfangreichen Beratungen und Empfehlungen aus dem Friesenhof-Untersuchungsausschuss haben bewiesen, dass wir uns ernsthaft mit den Problemen und Herausforderungen befassen. Als wir nach dem Friesenhof-Skandal die Beschwerdestelle bei der Bürgerbeauftragten eingerichtet haben, wussten wir aber auch, dass wir damit vielleicht in ein Wespennest stechen. Wir wussten, dass wir vielleicht noch viel mehr Missstände aufdecken werden oder Dinge ans Licht kommen, die wir bisher nicht auf dem Schirm haben und dass wir schnelle Hilfen für die Betroffenen organisieren müssen.

Heute können wir sagen: Das hat geklappt. Ich bin wirklich ein Fan und Anhänger der ombudschaftlichen Arbeit, denn es gibt viele Probleme und Konflikte, bei denen eigentlich noch keine Heimaufsicht oder ein Jugendamt eingreifen müssen oder können, trotzdem sind sie so hart, dass sie von den jungen Leuten als belastend empfunden werden. Hier ist eine schnelle pragmatische Lösung notwendig.

Bei rund 700 Eingaben und vielen konkreten Hilfegesuchen kann man ganz deutlich sagen: Die Beschwerdestelle ist notwendig. Sie wird gebraucht, und sie hilft ganz konkret.

(Beifall SPD und Dennys Bornhöft [FDP])

(Katja Rathje-Hoffmann)

Immer wieder ging es um Schwierigkeiten mit Jugendämtern, Einrichtungsleitungen und so weiter. Hier konnte viel geholfen werden. Sie arbeiten, so kann man das sagen, an vorderster Stelle und haben das Wohl und die Rechte der Kinder im Blick, und dafür kann man nur Danke sagen. Ich ziehe meinen Hut vor Ihrem Engagement. Vielen Dank!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dennys Bornhöft [FDP])

Wir wollen heute aber auch über weitere Konsequenzen aus dem ersten Bericht reden und einige konkrete wichtige Punkte vorlegen. Das haben wir mit unserem Antrag getan. Sie sollen zur Verbesserung der Praxis dienen. Wir wollen, dass die Heimmitarbeiter, die eine sogenannte Tätigkeitsuntersagung bekommen haben, endlich bundesweit in einer Datenbank erfasst werden und dass die Jugendämter, wenn sie Kinder und Jugendliche aus anderen Bundesländern unterbringen wollen, diese öfter besuchen und dazu auch verpflichtet werden. Mit dem Prinzip: „Schön weit weg, an die frische Luft und an die Nordsee“, machen es sich manche zu einfach. Wir wollen, dass die jungen Menschen wohnortnah untergebracht und nicht quer durch Deutschland geschickt werden. Das muss der neue Grundsatz werden.

(Beifall SPD, Dennys Bornhöft [FDP] und Flemming Meyer [SSW])

Außerdem haben wir uns nach langer und intensiver Beratung dazu entschieden, das Schulgesetz zu ändern. Wir haben Kinder und Jugendliche, die bisher keine Schulpflicht in Schleswig-Holstein haben, wenn ihr Wohnsitz in einem anderen Bundesland ist. Das betrifft fast 3.000 Kinder. Wir wollen, dass diese jungen Menschen im öffentlichen Schulsystem beschult werden. Nur so haben wir sie auch fest im Blick, nur so können sie nicht mehr irgendwo rausfallen. Es wurden schon richtige Schritte gemacht, doch glauben wir, dass eine Änderung des Schulgesetzes echte Klarheit schafft. Deswegen müssen wir das machen.

(Beifall SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir arbeiten Schritt für Schritt an der Verbesserung der Qualität und der Partizipation in der Heimerziehung. Es muss bei allem Formalen und Rechtlichen immer darum gehen. Die Stärkung der jungen Menschen ist besonderer Mittelpunkt unserer Arbeit. Von daher freue ich mich, dass die Koalition unseren Antrag in großen Teilen mittragen möchte.

Zum Abstimmungsverfahren möchte ich noch sagen, dass wir die ersten drei Punkte übernehmen. Wir möchten, dass über den Absatz: „Der Schleswig-Holsteinische Landtag begrüßt“, und so weiter, in dem es um die Schulpflicht geht, einzeln und getrennt abgestimmt wird. Den anderen Teil würden wir dann übernehmen. Wir haben hier dann zwei Abstimmungen. Ich würde mich freuen, wenn wir so verfahren. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Halten Sie sich bitte zur Klärung des Abstimmungsverfahrens noch ein bisschen in der Nähe auf, damit wir das auch richtig mitschreiben.

(Heiterkeit)

Jetzt hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Aminata Touré das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorfälle in den Friesenhof-Heimen haben gezeigt, wie hilflos Kinder und Jugendliche den Bedingungen in Heimen gegenüberstehen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat sich in der vergangenen Legislaturperiode deshalb intensiv mit der Situation in der Heimerziehung auseinandergesetzt.

Die Einrichtung der Ombudsstelle war eine der Konsequenzen. Kinder und Jugendliche sollen eine Ansprechperson haben, an die sie sich bei allen Fragen, Problemen und Nöten wenden können. Niedrigschwellig, anonym, positiv parteilich; das sind die Eckpfeiler des Konzeptes.

Die Küstenkoalition hat sich entschieden, die Ombudsstelle bei der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten anzusiedeln. Das ist gut, denn sie ist als Institution bereits bekannt und in sozialen Angelegenheiten sehr erfahren. Der erste Bericht macht deutlich, wie kompetent und sorgfältig auch mit der Zuständigkeit für die Kinder- und Jugendhilfe umgegangen wird.

Auch der Kinderschutzbund steht als Ansprechpartner für Kinder und Jugendliche bereit. Er hat drei Vertrauensstellen in Flensburg, Heide und Rendsburg eingerichtet. Aus grüner Sicht ist das keine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung. Beide Angebote können ergänzen und befruchten sich.

Für uns steht der Schutz von Kindern und Jugendlichen an allererster Stelle. Jeder einzelne Fall ist

(Tobias von Pein)

wichtig. Jedes Kind, das Hilfe und Unterstützung benötigt, muss diese auch bekommen. Heimerziehung ist ein gravierender Eingriff in das individuelle Leben. Heimerziehung ist die Ultima Ratio, wenn alle anderen Maßnahmen in den Familien und zur Unterstützung der Familien nicht weiterhelfen.

In Schleswig-Holstein gibt es rund 1.300 Kinderund Jugendhilfeeinrichtungen mit knapp 9.000 Plätzen. Das ist eine ganze Menge. Hier dürfen wir keine Missstände dulden. Als weitere Konsequenz aus dem Friesenhof-Fall hat die Landesregierung ein Maßnahmenpaket mit konkreten Vorschlägen auf den Weg gebracht: mehr Qualität und bessere Standards, effektivere Kontrollen, mehr Kooperation und bessere Koordination. Dazu gehören ein Schlüssel für fachlich qualifiziertes Personal in den Einrichtungen und eine personelle Aufstockung im Landesjugendamt. Heute sind dort zwölf statt vier Personen tätig.

Um diese Ziele zu erreichen, hat Schleswig-Holstein seine Kinder- und Jugendhilfeverordnung novelliert. Es ist nötig, dass das pädagogische Konzept einer Einrichtung bei der Erteilung einer Betriebserlaubnis und in regelmäßigen Abständen danach geprüft wird. Schleswig-Holstein hat sich außerdem intensiv in einer neuen Arbeitsgruppe der Jugend- und Familienministerinnen- und Ministerkonferenz engagiert und sich für eine Novellierung des KJHG, also des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, eingesetzt.

Der Bericht zeigt konkrete Anregungen für weitere Verbesserungen: dass sich die entsendenden Jugendämter um ihre Kinder und Jugendlichen kümmern müssen, Kontakt halten und sie auch vor Ort regelmäßig besuchen, sollte natürlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Unterbringung in der Regel wohnortnah organisiert wird und dann außerhalb des Bundeslandes stattfindet, wenn Fall und Situation dies nahelegen. Dass begründete Tätigkeitsuntersagungen von Beschäftigten nicht unter der Decke gehalten werden, sondern in einer internen Datenbank Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen bundesweit zugänglich sind, ist sicherlich datenschutzrechtlich nicht einfach, aber es ist in der Sache sinnvoll und geboten. Ich bin zuversichtlich, dass eine rechtskonforme Lösung gefunden werden kann.

Die SPD hat aus diesen Vorschlägen der Ombudsstelle einen Landtagsantrag gemacht. Das macht fachlich Sinn, und wir Grüne unterstützen viele Punkte. Gerade Kinder, die aus ihrem alten Umfeld gerissen und in ein neues verbracht werden, brauchen Strukturen, um neu anfangen zu können. Dazu

gehört natürlich auch die Beschulung. Deshalb hat es einen entsprechenden Erlass aus dem Bildungsministerium gegeben. Er soll dafür Sorge tragen, dass alle Kinder und Jugendlichen in der Regelschule beschult werden. Wir in Jamaika sind der Meinung, dass die Umsetzung und Wirkung des Erlasses in der Praxis evaluiert werden muss. Wenn es funktioniert, ist alles gut, wenn nicht, müssen und werden wir nachsteuern. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ole- Christopher Plambeck [CDU] und Dennys Bornhöft [FDP])

Vielen Dank. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren über den ersten Rechenschaftsbericht der im Dezember 2015 neu geschaffenen Funktion Ombudsperson für Kinder und Jugendliche, die in Heimen und Wohngruppen untergebracht sind. Dass der Bedarf an dieser Funktion gegeben ist, zeigen allein schon die 416 Petenten in dem Berichtszeitraum. Ich möchte mich zunächst, bevor ich auf die näher beschriebenen Situationen eingehe, bei Frau Samiah El Samadoni und ihrem Team bedanken.

(Vereinzelter Beifall)

Vielen Dank, dass Sie hier sowohl eine Stütze für die Kinder und Jugendlichen als auch für deren Angehörige sind. Vielen Dank aber auch dafür, dass Sie helfen, dass sowohl den Kindern als auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Einrichtungen mehr Unterstützung zukommt.

Ich möchte gern zwei Fallbeispiele aus Ihrem Bericht aufgreifen. Der erste handelt von der Beteiligung und Selbstbestimmung der Kinder und Jugendlichen in den Heimeinrichtungen. SchleswigHolstein hat mit dem Modellprojekt „Demokratie in der Heimerziehung“ einen wichtigen Meilenstein gesetzt. Als jemand, der eine ungewöhnliche Frisur hat, konnte ich den Fall des 12-Jährigen, der mit seinem Betreuer immer wieder über die Länge seiner Haare in Konflikt geraten ist, sehr gut nachvollziehen, ich konnte mich sehr gut hineinversetzen. Das zeigt auf, dass viele Menschen auch in jungen Jahren über Dinge, die sie selbst betreffen, entscheiden sollen, insbesondere in Bereichen, die ihr Sein oder ihre Persönlichkeit ein Stück weit darstellen. Dazu gehört Kleidung, dazu gehört aber auch

(Aminata Touré)

die Frisur. Das ist ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, und das sollte respektiert werden.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das respektieren wir vollständig!)

- Herr Stegner, genau. Zur Kleidung kann ja zum Beispiel auch mal eine rote Fliege gehören. Auch das kann ein Teil der Persönlichkeit sein.

(Beifall Stephan Holowaty [FDP], Oliver Kumbartzky [FDP] und Kay Richert [FDP])

Die Heimträger müssen daher die Beteiligung und Entscheidungsmöglichkeiten der Kinder noch offener einbeziehen und umsetzen.

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Das zweite Beispiel möchte ich sowohl aufgrund der Anschaulichkeit als auch der Tragweite herausgreifen: Beim zweiten Fall handelt es sich um einen 15-jährigen Jungen mit Asperger-Syndrom, der ursprünglich aus Bayern kam. Zufällig kam der schwerbehinderte Junge während seiner regelmäßigen Zugfahrten in Schleswig-Holstein in Kontakt mit anderen Menschen und häufig auch ins Gespräch. Nach vielen Gesprächen mit Bahnreisenden wurde er auf die Beschwerdestelle hingewiesen, denn der Junge äußerte sich nämlich zunächst über die Missstände in seinem Heim wie Schimmelbefall und dass sich keiner auch nur annähernd in seinem Alter in diesem Heim befunden habe. Nach einem durch die Ombudsstelle angestoßenen Heimwechsel geht es dem Jugendlichen besser. Aber ein Punkt, der in dem Bericht deutlich hervorgehoben wurde, ist, dass der Junge über Jahre hinweg in der Einrichtung nur schulvorbereitende Ersatzmaßnahmen empfing, so dass er trotz 16 Jahren Lebensalter keinen Schulabschluss erreichen konnte. Daher bleibt voraussichtlich die einzige berufliche Perspektive die Tätigkeit in einer Werkstatt.

Frau El Samadoni, Sie wiesen darauf hin, dass diese Person sehr wohl eine reguläre Schule hätte besuchen können. Es war aber nicht so.