Protocol of the Session on February 14, 2019

Wir Grüne wollen auch Rechtssicherheit. Wir wollen faire Verfahren und einen effektiven Rechtsschutz für alle Menschen, die in der Hoffnung auf Sicherheit nach Deutschland - zu uns - gekommen sind. Für schnellere Rückführungen sind aber Abkommen mit den Heimatländern die entscheidende Voraussetzung. Eine Einstufung als sichereres Herkunftsland bedeutet noch lange nicht, dass die entsprechenden Länder die Menschen zurücknehmen werden.

Warum führen wir also diese Debatte gerade jetzt? Die Einstufung der Maghreb-Länder und Georgiens als sicher ist ganz klar im Kontext der aktuellen Asylverschärfung auf Bundesebene zu sehen. Diese restriktive Politik schadet uns jedoch wesentlich mehr, als dass sie uns weiterbringt. Was für Krisen die ewigen Debatten um die Flüchtlingspolitik auf Bundesebene hervorrufen, haben wir alle gesehen.

In Schleswig-Holstein halten wir uns an unseren Koalitionsvertrag. Wir werden einer Einstufung zu sicheren Herkunftsstaaten nicht zustimmen und den Antrag der AfD ablehnen.

Ich kann verstehen, dass die FDP und die CDU nicht glücklich darüber sind, dass wir Grüne nach wie vor sehr kategorisch bei unserem Nein bleiben. Aber das ist doch auch der Sinn von Koalitionsverträgen:

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

sich daran zu halten, gerade dann, wenn sich in der Gemengelage nichts verändert hat.

(Beifall Barbara Ostmeier [CDU])

Wir halten uns an die Abmachung. Wir als Grüne haben in diesem Koalitionsvertrag auch Punkte schlucken müssen, und ihr genauso. Aber das ist doch das Wesen der Demokratie, Kompromisse zu finden. Deshalb gibt es auch keinen Grund für schlechte Laune, oder irgendwer habe irgendwas von irgendwem geschluckt, oder man sei irgendwie eingeknickt. Die Tatsache, dass wir die Verabredungen im Koalitionsvertrag ernst gemeint haben und auch eineinhalb Jahre später ernst meinen, ist der Grund, weshalb wir extrem gute Umfragewerte haben und weshalb unsere Koalition im Gegensatz zu

Berlin funktioniert. Darauf sollten wir als Koalition stolz sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat die sicheren Herkunftsländer zum Thema der heutigen Debatte gemacht, wohl wissend, dass die Zustimmung im Bundesrat Regierungshandeln ist und der Zustimmung aller koalitionstragenden Fraktionen bedarf. Nun ist es ja kein Geheimnis - das hat auch die heutige Debatte gezeigt -, dass insbesondere die Grünen so ihre Schwierigkeiten mit dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten im Asylrecht haben. Eine Zustimmung des Landes Schleswig-Holstein zum Gesetz zur Einstufung Georgiens, Algeriens, Marokkos und Tunesiens als sichere Herkunftsstaaten scheint jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt und in der vorliegenden Gesetzesfassung eher unwahrscheinlich zu sein. Genau das hat die AfD bei ihrem Antrag einkalkuliert.

Doch dieses Kalkül wird jetzt möglicherweise nicht mehr aufgehen, denn der Bundesrat wird wohl am morgigen Freitag nicht in der Sache entscheiden. Vielleicht können wir dann doch noch einen Weg finden, damit auch Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, einem Gesetz über sichere Herkunftsländer im Bundesrat zustimmen. Ich halte das vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir gerade hier in der Jamaika-Koalition in den vergangenen Monaten gemacht haben, für nicht ausgeschlossen.

Lassen Sie mich das erklären: Es ist meine Absicht, gemeinsam mit meinen Koalitionspartnern zu versuchen, auch bei der Frage der sicheren Herkunftsstaaten und der daraus resultierenden Konsequenzen mit neuen Ideen Lösungsvorschläge zu entwickeln, die dann auch von unserem grünen Koalitionspartner mitgetragen werden können. Denn eines muss man auch sagen: Die Welt ist auch in dieser Frage nicht schwarz und weiß, wie Sie, werte Kollegen von der AfD, glauben, sondern sie hat Grautöne. Und die sollten auch in einem Gesetz berücksichtigt werden. Das ist bis heute nicht der Fall.

Unzweifelhaft und unbestreitbar hat das Asylrecht in unserem Rechtsstaat einen sehr hohen Rang. Das

(Aminata Touré)

werde ich aber sicherlich nicht mit der AfD diskutieren, denn die Absicht des Antrags der AfD war, die demokratischen Parteien in diesem Landtag vorzuführen. Da machen wir nicht mit.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Ihre Rechnung wird nicht aufgehen - schade für Sie, gut für die demokratischen Parteien in diesem Land.

Ich will hier und heute die Gelegenheit nutzen, um dafür zu werben, althergebrachte Positionen zum Thema sichere Herkunftsstaaten noch einmal infrage zu stellen und dann in einem offenen Dialog innerhalb der Koalition über ein Konzept nachzudenken, wie wir einerseits Asylverfahren beschleunigen können, indem wir sichere Herkunftsstaaten bestimmen und für Menschen aus solchen Staaten die Verfahren beschleunigen, ohne aber andererseits das berechtigte Rechtsschutzbedürfnis der Asylbewerber, die aus solchen sicheren Herkunftsländern kommen, zu vernachlässigen, sondern auch für sie ein faires und rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten. Das ist meines Erachtens möglich, wenn man an einigen Stellschrauben dreht.

Lassen Sie uns als Beispiel darüber nachdenken, ob wir sichere Herkunftsländer in unterschiedliche Kategorien einteilen können, für die eine unterschiedliche Darlegungs- und Beweislast gilt. Je sicherer ein Staat eingeschätzt wird, desto höher sind die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast und den Nachweis der persönlichen politischen Verfolgung. Kann ein Staat aber nicht vorbehaltlos als sicher eingestuft werden - das ist gerade bei den hier genannten Staaten der Fall -, sollte ermittelt werden, bei welchen Sachverhalten beziehungsweise Fallgruppen ein konkretes Verfolgungsrisiko bestehen kann, sodass die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast insoweit gezielt abzusenken sind.

(Beifall FDP)

Nehmen wir das Beispiel Algerien. In diesem Land - das haben Sie ausgeführt - kann eine Verfolgung wegen Homosexualität nicht ausgeschlossen werden. Was keine Erwähnung fand: Es gibt in diesem Land nach wie vor die Todesstrafe. Mit dem heutigen Konzept der sicheren Herkunftsländer werden diese Tatsachen nicht hinreichend berücksichtigt; das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Das ist ein Rechtszustand, liebe Kolleginnen und Kollegen, der meines Erachtens nicht zu Unrecht verfassungsrechtlich und menschenrechtlich kritisiert wird. Hier sollte es deshalb unser Ehrgeiz sein, ein Rege

lungssystem zu schaffen, das solchen Schwächen entgegenwirkt.

Genau hier setzt mein Lösungsvorschlag an. Es müssten für jeden sicheren Herkunftsstaat erforderlichenfalls Fallgruppen definiert werden, bei denen die Vermutungswirkung durch Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen wird.

(Beifall FDP)

Algerien gälte also nicht als sicheres Herkunftsland, soweit es um Verfolgung wegen Homosexualität geht. In allen anderen Fällen kann der Status als sicheres Herkunftsland möglicherweise greifen. Das ist im Ergebnis eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast, die in Deutschland nicht unbekannt ist. Dies könnte die Lösung sein, die wir brauchen, um unser Asylverfahren einerseits effizienter zu gestalten und andererseits den gebotenen Rechtsschutz sicherzustellen.

Für heute aber gilt: Der AfD-Antrag ist abzulehnen. Innovative Lösungen diskutieren wir anschließend gern mit den Parteien, die nicht fremdenfeindlich sind. - Danke.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben in Zeiten ständiger Asylrechtsverschärfungen. 1993 gehörte das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten zu dem sogenannten Asylkompromiss zwischen CDU/CSU und SPD, der die erste große Verschärfung dieser Art war. 2015 und 2016 mit den Asylpaketen I und II wurden weitere einschränkende Reformen eingeführt. Der erste Versuch der Bundesregierung, die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer einzuordnen, ist 2016 im Bundesrat gescheitert.

Wenn wir einmal ehrlich sind, ist das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten angreifbar. Es ist EUweit von Staat zu Staat uneinheitlich, welche Länder so eingestuft werden. Die Anerkennungsquote von höchstens 5 % ist letztlich willkürlich gesetzt worden. Allein der Begriff „sicherer Herkunftsstaat“ ist in der Diskussion eigentlich irreführend, weil er eine heile Welt in diesen Ländern suggeriert. Richtig wäre es, sie anders zu nennen, zum Beispiel: „Land mit vergleichsweise geringen Aner

(Jan Marcus Rossa)

kennungschancen im Asylverfahren“, denn das ist der Kern des Ganzen.

Die Frage ist doch, wie wir generell zu sicheren Herkunftsstaaten stehen. Da sage ich: Es darf sie geben, wenn wir sie verstehen wie die sicheren Drittstaaten, also Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Länder, in denen Frieden herrscht und die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention gewährleistet sind.

Die nächste Frage ist: Sollten die Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsstaaten gelten? Hier gibt es unterschiedliche Stellungnahmen und Sichtweisen. Es lässt sich einerseits nicht ignorieren, dass Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International große Zweifel angemerkt haben. Andererseits ist die Anerkennungsquote derart gering, dass es schlicht fair wäre, den Menschen in den betroffenen Staaten vorab zu signalisieren, dass sie eine sehr geringe Chance haben, das Bleiberecht in Deutschland zu erlangen.

Dann folgt die Frage, was wir vom Konzept der sicheren Herkunftsstaaten erwarten. Die fromme Hoffnung ist, dass Asylverfahren beschleunigt bearbeitet werden können, ohne dass das Asylrecht selbst eingeschränkt wird. Das soll durch Verkürzungen bei den Verfahrenswegen ermöglicht werden, die wir als SSW absolut kritisch sehen. Denn die Verfahrenszeit bei Asylentscheiden ist nach Angaben der Bundesregierung im dritten Quartal 2018 bereits von neun Monaten auf durchschnittlich sechs Monate gesunken. Das ist zwar nicht das von der Bundesregierung selbst gesteckte Ziel von drei Monaten, aber eine deutliche Verbesserung. Die Verfahren an sich schneller abzuarbeiten, ist also effektiver, als Verfahren zu verkürzen, indem man Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.

Damit sind wir schlussendlich bei der Frage nach den Auswirkungen auf das individuelle Asylverfahren. Der Unterschied ist, dass man sich zur Klärung des Falls länger in Deutschland aufhalten kann, wenn man nicht aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland kommt. Das kann im Zweifelsfall sehr konkrete Folgen für die einzelne Person haben. Bei der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ verkürzt sich die Ausreisefrist auf eine Woche. Gegen die Entscheidung ist innerhalb einer Woche Klage zu erheben, und die Betroffenen müssen zusätzlich einen Antrag stellen, damit die Klage überhaupt eine aufschiebende Wirkung hat. Darauffolgend müssen wiederum innerhalb einer Woche die Gerichte über den Antrag entscheiden.

Unser Interesse sollte es auch im Sinne der Asylantragstellenden insgesamt sein, die Bearbeitung der Verfahren zu verkürzen. Es gehört zum Asylrecht, dass die Menschen, die kein Bleiberecht erhalten haben, zurückkehren müssen. In diesem Fall aber heißt es: eine Woche - Antrag stellen, eine Woche - Klageerhebung, eine Woche - Entscheidung; das sind drei Wochen. Da bekommen wir ein derart beschleunigtes Verfahren, dass das Asylrecht an sich infrage gestellt wird, nämlich auch für diejenigen, über die wir die ganze Zeit geredet haben, beispielsweise Homosexuelle, die ihren Antrag erst einmal unter dem gleichen Regime stellen müssen. Das ist das Grundproblem.

Für uns als SSW steht fest, dass wir es zwar richtig finden, denjenigen, die kaum Bleibechancen haben, dies zu signalisieren. Da kann man gern solche Kategorien nennen und das irgendwo öffentlich machen. Es darf aber nicht zu einer Verkürzung der Verfahrenswege kommen. Alle Verfahrenswege sollten grundsätzlich gleich lang sein und die gleichen Bedingungen enthalten; dann ist es okay, wenn man irgendwo ein Label draufdruckt. So wie wir es jetzt haben, ist das Konzept sicherer Herkunftsländer nicht akzeptabel. Vor dem Hintergrund stehen wir weiterhin dazu, dass wir einer solchen Kategorisierung ablehnend gegenüberstehen.

Am Ende brauchen wir auch hier eine europäische Lösung, meine Damen und Herren. Es ist irgendwie blödsinnig, dass wir sagen: „Da ist ein Staat, der ist sicher“, aber im Nachbarland gilt er als unsicher. Das ist nicht ganz richtig. Vielleicht wäre es am klügsten, einfach auf regionale Lösungsversuche zu verzichten und sich eher darum zu kümmern, ob man europaweit etwas Vernünftiges hinbekommt.

(Beifall SSW und SPD - Serpil Midyatli [SPD]: Stimmt!)

Zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich melde mich bei solchen Debatten immer als asylrechtlicher Praktiker, als Rechtsanwalt, der seit vielen Jahren im Asylrecht unterwegs ist. Ein Aspekt kommt in dieser Diskussion immer wieder auf, und zwar der der Verfahrensbeschleunigung durch das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten. Da muss ich Ihnen sagen, dass es nicht stimmt, dass es dadurch zu einer effektiven Beschleunigung kommt. Denn das Bundesamt hat

(Lars Harms)

schon eine Möglichkeit, bestimmte Rechtsverfahren in diesem Bereich in einer fast unerträglichen Art und Weise zu beschleunigen, nämlich durch das Konzept der sogenannten Asylanträge, die als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden.

Die Asylanträge in den Balkanfällen sind zu 90 % als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden, bevor die Balkanstaaten zu sicheren Drittstaaten erklärt wurden. Diese Fälle wurden in einer rasenden Geschwindigkeit abgearbeitet. Nach jetziger Rechtslage - § 30 f. Asylgesetz - bestehen dann eine Woche Klagefrist und - nicht nur das - eine Woche Frist, um die aufschiebende Wirkung dieses Ablehnungsbescheides wiederherzustellen. Man muss eine Klage einreichen und einen Antrag nach § 80 Absatz 5 AsylG. Über diesen Antrag wird keine mündliche Verhandlung durchgeführt, es gibt gegen den ablehnenden Bescheid des Verwaltungsgerichts auch keine Rechtsmittelmöglichkeit. Das heißt, wir haben in all diesen Fällen in drei bis vier Wochen sofort eine vollziehbare Ausreisepflichtigkeit.

Es ist schlicht so, dass unter dieses Rechtsregime auch die Fälle subsumiert werden können, bei denen es sich nach Ansicht des BAMF um einen Staat mit einer geringen Anerkennungsquote handelt, wo das individuelle Vortragen der Asylbewerberin oder des Asylbewerbers nach Ansicht der dortigen Sachbearbeiter nicht ausreicht.

Deswegen ist das eine Scheindebatte. Wir haben das Instrument des offensichtlich unbegründeten Asylverfahrens oder Ablehnungsverfahrens und brauchen diese Instrumente deswegen nicht. Das eigentlich Problematische bei der Konzeption der sicheren Herkunftsstaaten ist, dass es eine scheibchenweise Aushöhlung des Asylgrundrechts ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn wir immer mehr Staaten dazu erklären, wird das ausgehöhlt und wertlos. Das ist meines Erachtens verfassungswidrig. - Vielen Dank.