Um das vermeintliche Ansinnen des AfD-Antrags aufzugreifen: Die Landesregierung ist für die Belange von Menschen mit Behinderung und ihrer Selbstvertretungsorganisationen sehr aktiv, natürlich auch finanziell, und dies bereits seit mehreren Jahrzehnten. Aber auch in dieser noch jungen Legislaturperiode sind bereits Maßnahmen wie die Einrichtung eines Fonds für Barrierefreiheit und der Ausbau der Förderung von wohlfahrtsverbandsunabhängigen Trägern ergriffen worden. Vor allem der zweite Punkt kommt den in den Anträgen erwähnten Selbstvertretungsorganisationen zugute.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Menschen mit Behinderung ein so selbstbestimmtes Leben wie möglich führen können! Deswegen bin ich dankbar, dass wir jetzt einen auch von SPD und SSW gemeinsam unterstützten Antrag haben.
Wir haben vor einigen Jahren das erste Teilhabestärkungsgesetz verabschiedet. Wer eins sagt, muss im Regelfall auch zwei sagen. Wir werden also wiederkehrend die Möglichkeit haben, über Verbesserungsvorschläge zu diesem Thema zu debattieren und diese am Ende auch zu beschließen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als ich den AfD-Antrag las, dachte auch ich: Eigentlich hätte dieser Antrag in die Haushaltsberatungen gehört. Noch dazu war ich ein bisschen verwundert, dass eine Partei, die zum Beispiel in Hessen Menschen mit Behinderung mit Kranken gleichsetzt, hier deren Selbstvertretung stärken will.
Aber das Thema an sich ist für mich viel zu wichtig, als dass ich mich mit solchen Fragen hier beschäftigen will.
Tatsache ist, dass insbesondere die unabhängige Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung noch unterentwickelt ist. Es gibt heute keine verlässliche finanzielle Förderung für diese unheimlich wertvolle Form der Beratungsarbeit. Das müssen wir aus der Sicht des SSW ändern. Wir haben hier schon oft über die UN-Behindertenrechtskonvention gesprochen. Diese ist längst geltendes Recht und muss menschenrechtskonform für Menschen mit Behinderung umgesetzt werden.
Wichtige Schwerpunkte sind dabei die gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung. Selbstbestimmung ist in diesem Zusammenhang jede Handlung, die Menschen - mit oder ohne persönliche Assistenz, aber eindeutig ohne Fremdbestimmung selbst festlegen. Für den SSW folgt daraus vor allem eines: Wir müssen den Rahmen dafür schaffen, dass jeder Mensch, ob mit oder ohne Behinderung, sein Leben so selbstbestimmt wie möglich gestalten kann.
Neben der Lebenshilfe, die Selbstbestimmung in erster Linie über die Arbeit in Werkstatt- und Bewohnerbeiräten fördert, hat sich vor allem das Zentrum für selbstbestimmtes Leben diesem Thema verschrieben. Viele Menschen mit Behinderung und ihre Angehörige kennen längst nicht alle ihre Rechte und Möglichkeiten. Das 2016 gegründete ZSL berät sie unabhängig und kostenfrei mit dem klaren Ziel, Menschen mit Behinderung dahin gehend zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Arbeit der wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trägt längst dazu bei, dass Selbstbestimmung, aber auch Chancengleichheit, Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen effektiv gefördert werden.
Daneben eröffnet auch das Bundesteilhabegesetz die Möglichkeit für unabhängige Beratungsangebote für Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Interessierte. Diese ergänzende unabhängige Teilhabe der Beratung - kurz: EUTB - wird seit 2018 nicht nur am ZSL, sondern an über 20 Anlaufstellen im Land angeboten. Hier gibt es Antworten auf alle Fragen rund um das Thema Teilhabe. Obwohl auch hier viele Menschen mit Behinderung wertvolle Informationen bekommen, wird diese Arbeit ausschließlich vom Bund gefördert, und zwar nur in einem Umfang, der offensichtlich nicht bedarfsdeckend ist. Dass auch hier vieles ehrenamtlich geleistet wird, ist schön, kann aber keine Dauerlösung sein. Wer die Teilhabe behinderter Menschen und ihre Selbstvertretung nachhaltig stärken will, kann noch deutlich mehr tun.
Wir haben uns deshalb im Rahmen der Haushaltsberatungen für das Zentrum für selbstbestimmtes Leben eingesetzt - nicht nur, weil ich von der Arbeit des ZSL sehr überzeugt bin, sondern auch deshalb, weil hier konsequent nach dem Beratungskonzept des Peer Counseling gearbeitet wird. Das bedeutet Beratung von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung. Dieser Ansatz ergibt ganz einfach Sinn, weil er vielen Ratsuchenden ihre Ängste nimmt und eine sensible Beratung ermöglicht, die den jeweiligen Bedürfnissen entspricht. Aus Sicht des SSW brauchen wir mehr Angebote dieser Art. Ich habe den Eindruck, dass man aufseiten der Koalition dafür auch ein offenes Ohr hat.
Doch die dauerhafte finanzielle Förderung dieser Strukturen ist nur ein Aspekt. Natürlich ist es wichtig, Menschen mit Behinderung bedarfsgerechte Beratungsangebote zu machen. Dass diese Angebote dauerhaft und verlässlich sein müssen, dürfte eigentlich uns allen klar sein. Aber wir müssen Menschen mit Behinderung auch noch viel konsequenter in die politischen Entscheidungsprozesse einbinden. Aus Sicht des SSW wäre es schlicht dumm, wenn wir ihr Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen nicht noch viel stärker nutzen würden. Das gilt für die Politik in Land und Bund, aber vor allem auch in den Kreisen und in den Gemeinden. Jo tak.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl aus der AfD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ob Sie es wollen oder nicht, die Sache, nämlich die Förderung der Unterstützung der Selbstverwirklichung, eint uns. Das ist gut so. Nicht gut ist es, wenn einige Redner hier behaupten, dass ich hier unterstellen wollte, dass bislang nichts getan worden sei oder nicht genug getan werde. Es wurden die Haushaltsberatungen angesprochen, Frau Bohn. Dort wurde tatsächlich speziell über das Anliegen des ZSL gesprochen. Entsprechende Anträge sind übrigens nicht nur von Ihnen, Herr Baasch, sondern davor auch schon von uns, der AfD, eingebracht worden.
Wie dem auch sei: Wir sind mit dem Verein, mit den Menschen, längst im Gespräch. Was ist passiert, um jetzt hier ganz konkret zu werden? Dieser Verein hatte einen Antrag beim Sozialamt gestellt. Dann kam die Ablehnung in fünf Zeilen, ganz kurz und knapp. Man hätte durchaus mit dem Verein mehr ins Gespräch kommen können. Das ist inzwischen geschehen. Aber das alles zusammengenommen hat dazu geführt, dass wir heute diesen Antrag gestellt haben. Das hätte ja auch jeder andere machen können. Allein die Tatsache, dass Sie hier einen Alternativantrag stellen, zeigt doch auch, dass Sie eigentlich sehen: Es ist noch viel Luft nach oben, gerade im Bereich Peer Counseling.
Da schließe ich mich meinen Vorrednern komplett an. Da ist wirklich noch viel Luft nach oben. Wir können auf die Expertise nicht verzichten.
Vielleicht bin ich da zu dünnhäutig, aber mir ist wichtig, dass wir das vorantreiben. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Wenn es so gewesen wäre, dass alles im Zusammenhang mit dem Haushalt schon beraten worden wäre, dann hätten Sie auch keinen Alternativantrag mehr stellen müssen.
- Ja, ja. Das war jetzt aber eine Äußerung, Frau Serpil Midyatli, meine Herren! Das kenne ich aus der Schule, zeigt mir aber auch: Es ist alles gesagt. Ich freue mich dennoch auf die Beratungen im Sozialausschuss. - Vielen Dank.
Ich erteile für die Landesregierung dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst einmal möchte ich mich bei der großen Mehrheit des Hauses für diese fraktionsübergreifende Initiative bedanken.
Warum? - Eigentlich ist erstens selbstverständlich, was drinsteht. Zweitens bringt es zum Ausdruck es ist mir vor allem wichtig, darauf hinzuweisen -, dass es in Schleswig-Holstein eine lange Tradition gibt, die auf viele, auch vorangegangene, Landesregierungen zurückgeht, was die Verwirklichung von Inklusion in Schleswig-Holstein anbelangt.
Ich wage zu bezweifeln, dass Menschen mit Behinderung auf den Beistand einer bestimmten kleinen Gruppierung hier im Landtag angewiesen sind, weil ich glaube, dass es bei allen Auseinandersetzungen, die zwischen Regierung und Opposition in den vergangenen 20 Jahren hier in diesem Landtag stattgefunden haben, so ist: Es gab in diesem Bereich der Politik für Menschen mit Behinderung immer einen gemeinsamen guten und fairen Kompromiss, und das wird es auch weiterhin so geben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich will darauf hinweisen, dass beispielsweise 2007 die Einrichtung des Inklusionsbüros bei der Lebenshilfe initiiert wurde und seitdem hier kontinuierlich mit rund 210.000 € pro Jahr unterstützt wird. Aus dieser Zusammenarbeit mit dem Inklusionsbüro sind in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren viele unterschiedliche Projekte, Kooperationen und Initiativen entstanden. Das ist Nachhaltigkeit im besten Sinne. Daran haben Sie alle, beziehungsweise Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger, mitgearbeitet.
Die im Antrag angeführte Problemstellung scheint mir deshalb - ich will das in aller Deutlichkeit sagen - von wenig Nähe zur Materie geprägt zu sein. Die Unterstützung von Selbstvertretungsorganisati
onen erfolgt nach den bewährten Richtlinien zur Förderung allgemeiner sozialer Maßnahmen wohlfahrtsverbandsunabhängiger Träger. Seit vielen Jahren ist dabei ein Eigenanteil von wenigstens 20 % der förderfähigen Kosten vorgesehen. Zweck dieser Regelung ist, tatsächlich bestehende Zivilgesellschaft zu unterstützen und nicht, virtuelle Organisationen ausschließlich durch Steuermittel auf die Beine zu stellen. So verfährt übrigens auch der Bund bei der Förderung der im Antrag genannten ergänzenden trägerunabhängigen Beratung.
Wir geben aber auch die Möglichkeit - ich glaube, es ist wichtig, dass darauf noch einmal hingewiesen wird -, den geforderten Eigenanteil in Form von ehrenamtlichem Engagement einzubringen. Mithilfe dieser sehr ehrenamtsfreundlichen Regelung konnten im Übrigen viele Projekte in der Vergangenheit, aber eben auch in der Gegenwart gefördert werden, die ansonsten überhaupt nicht die erforderlichen Geldmittel hätten aufbringen können.
Was die langjährige Förderung verschiedener Selbsthilfe- und Selbstvertretungsorganisationen angeht, will ich nur einmal - Herr Brodehl, weil Sie natürlich den Eindruck erwecken, als brauchte es Ihre Gruppierung, um hier in Schleswig-Holstein endlich einmal Sozialpolitik zu atmen - darauf hinweisen,
dass der Gehörlosenverband Schleswig-Holstein seit fast 40 Jahren ununterbrochen gefördert wird; der Rehabilitations- und Behindertensportverband Schleswig-Holstein seit vielen Jahren Zuschüsse zu den Kosten des Sports für Menschen mit Behinderung bekommt, die sonst keine Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz hätten; und die norddeutsche Hörbücherei mit einem Landeszuschuss für die Hörbücherei für Blinde, seh- und lesebeeinträchtigte Menschen unterstützt wird. Familienentlastende Dienste fördert Schleswig-Holstein mit einem Landeszuschuss für Personal- und Sachkosten der hauptamtlichen Koordinierungskräfte für die Beratungsleistung von Eltern mit behinderten Kindern sowie der Angehörigen von Menschen mit Behinderung. Darüber hinaus wird im Jahr 2019 das Zentrum für selbstbestimmtes Leben, also das ZSL Nord, gefördert, das sich für die Umsetzung des Menschenrechts für Menschen mit Behinderung im Zeichen von Selbstbestimmung und Teilhabe sowie Partizipation einsetzt.
Ich will daran erinnern - das ist Ihnen vielleicht entgangen, dass Sie da auch zugestimmt haben -, dass im Finanzausschuss die Förderung aus dem Topf „Allgemeine soziale Maßnahmen wohlfahrtsverbandunabhängiger Träger“ am 6. Dezember letzten Jahres einstimmig beschlossen wurde, also auch mit Ihren Stimmen.
Wenn die Antragsteller hier den Eindruck erwecken wollen, diese Landesregierung fördere Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderung nicht angemessen, dann sage ich klipp und klar: Das gilt weder für die Jamaika-Koalition noch galt das für vorangegangene Landesregierungen. Die Politik für Menschen mit Behinderung folgt der Leitidee der Inklusion. Das haben alle Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen zuvor sehr deutlich gemacht. Wir sind Partnerinnen und Partner, wenn es darum geht, Schleswig-Holstein aktiv inklusiver zu gestalten.
Ich fand im Übrigen die Auftaktveranstaltung zur Novelle des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes mit allen Akteurinnen und Akteuren eine ganz beeindruckende Veranstaltung, die zeigte, wie diese Menschen ihre Angelegenheiten selbstbestimmt und selbst in die Hand nehmen wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Dr. Brodehl, jetzt müssen Sie uns einmal kurz helfen, weil wir uns im Präsidium uneinig sind. Sie haben Ausschussüberweisung beantragt. Stimmt das?
- Okay, dann stimmen wir darüber ab. Der Kollege Dr. Brodehl hat für die AfD-Fraktion die Ausschussüberweisung der beiden Anträge mit den Drucksachennummern 19/1153 (neu) und 19/1253 (neu) in den Sozialausschuss beantragt. Wer dem so folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! - Das ist mit deutlicher Mehrheit gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und der fraktionslosen Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein abgelehnt.