Protocol of the Session on February 13, 2019

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es gelingen kann, im Interesse der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf zu einer Regelung zu kommen, die niemanden ausgrenzt. Genau das nämlich verlangt die UN-Behindertenrechtskonvention, hinter der wir sicherlich alle stehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, SSW und Dennys Bornhöft [FDP])

Vielen Dank. - Das Wort hat für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Anette Röttger.

(Kai Vogel)

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Die ersten Halbjahreszeugnisse nach Inkrafttreten der neuen Zeugnisverordnung sind gerade mal verteilt, und schon ist das Unbehagen sehr groß. Der Antrag von SPD und SSW und nun auch der, der heute von der AfD dazu eingereicht wurde, lesen sich fast bedrohlich; so, als ziehe mit der neuen Verordnung nun eine dunkle Wolke der Ausgrenzung über unsere Förderschüler im Land hinweg. Ihnen würden Anschlussperspektiven und Chancen genommen,

(Zuruf SPD: Genau!)

nur weil sie keine Noten bekommen.

(Zurufe SPD)

Mich hat dieser Antrag schon erstaunt, denn das Thema haben wir bereits am 29. November 2018 im Bildungsausschuss behandelt. Bereits dort hat uns das Bildungsministerium die Umstände zu dieser Regelung nachvollziehbar erörtert. So ist es doch klar geregelt, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in zielgleich unterrichteten Fächern auch Noten erhalten. An dieser Stelle gibt es also keine - wie Sie es nennen - Ausgrenzung, Stigmatisierung oder Diskriminierung.

Diejenigen Schülerinnen und Schüler allerdings, und hier meinen wir die Förderschwerpunkte insbesondere Lernen und geistige Entwicklung, die nach ihren individuellen Fähigkeiten und Begabungen mit einem passgenauen sonderpädagogischen Förderplan unterrichtet werden, erhalten einen Bericht. In diesem Bericht steht, was die Schülerinnen und Schüler können, und hier werden ihre Stärken gestärkt, denn ein individueller Förderrahmen ist rechtlich nicht mit regulären Fachanforderungen vergleichbar. Zieldifferente, individuelle Noten gibt es nicht mehr. Schulnoten setzen immer einen Bezugsrahmen voraus. Das sind gemäß der aktuellen Rechtsauffassung die Lehrpläne und Fachanforderungen.

Diese Entscheidung hat damals die AfD kritisiert, und nun kritisieren diese auch SPD und SSW. War es aus Ihren Reihen nicht bislang immer eher umgekehrt?

(Bernd Heinemann [SPD]: Zuhören!)

Wir sollten sehr achtsam mit diesem Thema umgehen, bevor wir es politisch so verhandeln, denn an einer optimalen Förderung und Bildung aller unse

rer Schülerinnen und Schüler im Land ist uns doch allen gemeinsam gelegen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: So handeln Sie nicht!)

Förderschüler haben individuell angepasste sonderpädagogische Förderbedarfe und arbeiten in der Regel nach einem für sie von der Sonderschullehrkraft entwickelten Förderplan. Das ist auch gut so. Daher gelten für diese Schülerinnen und Schüler Sonderregelungen. Die Beurteilung dieser Schülerinnen und Schüler geschieht im Rahmen eines individuellen Kompetenzrasters, und genau aus diesem Grund ist es weder juristisch korrekt, noch macht es Sinn, mit einer Notenerteilung den Eindruck einer den allgemeinen Anforderungen entsprechenden Leistungsbeurteilung zu erzeugen.

(Zurufe SPD)

Die Zeugnisverordnung geht sogar noch einen Schritt weiter und empfiehlt die Fortschreibung eines Förderplans. Dabei sollten die Eltern der Schülerinnen und Schüler einbezogen werden.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP - Zurufe SPD)

Später wird ein ganzer Strauß an berufsorientierenden Maßnahmen dazu beitragen, dass es für diese Gruppe einen guten Einstieg in Arbeit und Beschäftigung gibt.

(Beifall CDU - Zurufe SPD)

Ich schätze es einerseits zwar sehr, dass AfD, SPD und SSW nun plötzlich den Wert von Noten erkannt haben, ich bedaure aber gleichzeitig, dass dies ausgerechnet an der Stelle geschieht, an der es aus unserer Sicht fachlich nicht geeignet ist.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Genau umgekehrt!)

Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Ulrich Hase, hat vor wenigen Tagen die Thematik gut zusammengefasst, und wir kommen seinem Wunsch, das Thema und die Bedenken von Menschen mit Behinderung noch einmal intensiver im Bildungsausschuss zu behandeln, gern nach. Vielen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Ines Strehlau das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind überhaupt nicht auseinander.

(Zurufe)

- Nein. Wir werden das im Bildungsausschuss beraten, und wir wollen beraten, ob es tatsächlich eine gute Lösung ist, die wir jetzt gefunden haben. Der Beauftragte für Menschen mit Behinderung hat sich schon zu Wort gemeldet. Er hat sich aber nicht eindeutig positioniert, sondern er hat gesagt: Wir müssen noch mehr Erfahrungen sammeln. - Ich habe mich natürlich auch darüber schlaugemacht, was bei den Schulen und bei den Eltern ankommt, und das ist sehr unterschiedlich.

Dieser Antrag und diese Debatte zeigen: Über Zeugnisse lässt sich gut streiten. Soll es vorgefertigte Formulare geben? Sollen die Schulen sie vielleicht doch lieber individuell gestalten? Soll es Berichtszeugnisse oder doch lieber Notenzeugnisse oder Kompetenzzeugnisse oder eine Mischung aus allem geben? In welcher Jahrgangsstufe gibt es welches Zeugnis? Ab wann gibt es Noten? Gibt es überhaupt Noten? - Diskussionen über Zeugnisse und über Leistungsrückmeldungen allgemein gibt es also an vielen Schulen und natürlich auch bei uns in der Politik, wie wir sehen.

SPD und SSW bringen nun einen Antrag ein, der zum Ziel hat, dass es für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf anstelle von Berichtszeugnissen oder Kompetenzrastern auch Notenzeugnisse geben kann.

Wie ist der aktuelle Stand? - Im Moment gibt es Berichtszeugnisse für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, die an Regelschulen inklusiv unterrichtet werden. Für sie kann es seit dem letzten Schuljahr auch eine Mischung aus Notenzeugnissen und Berichtszeugnissen geben. Noten gibt es in den Fächern oder kann es in den Fächern geben, in denen die Schülerinnen und Schüler zielgleich unterrichtet werden, also in den Fächern, in denen sie zum Beispiel auf dem Niveau des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses, des ESA, lernen. Die Fächer, in denen die Schülerinnen und Schüler nach einem individuellen Förderplan, also zieldifferent, arbeiten, werden mit einem Bericht bewertet.

Ich kann gut nachvollziehen, dass Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf Zeugnisse wie alle anderen Schülerinnen und Schüler auch bekommen möchten.

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Lars Harms [SSW])

In vielen Jahrgangsstufen ist das also ein Notenzeugnis. Aber was sagt die Note aus? Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf bekommen individuelle Förderpläne, je nach Leistungsstand. Ein Schüler bearbeitet beispielsweise in Mathe Aufgaben im Zahlenraum bis zehn, eine andere Schülerin ist im Zahlenraum bis 100 unterwegs. Nun hat der Schüler, der im Zahlenraum bis zehn rechnet, 85 % seiner Aufgaben richtig gelöst. Er würde also etwa eine 2 bekommen. Die Schülerin, die bis 100 rechnet, löst nur 55 % ihrer Aufgaben. Sie würde eine 4 bekommen, obwohl die Aufgaben, die sie rechnet, ja deutlich schwieriger sind. Ist das gerecht? Und welche Aussagekraft haben diese Noten?

Dieses Beispiel zeigt die Herausforderung der Notengebung in einem System mit unterschiedlichen Anforderungsebenen. Es zeigt meiner Meinung nach auch, dass Noten und Notenzeugnisse insgesamt nicht objektiv sind und nur eine Vergleichbarkeit vorspiegeln.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Berichtszeugnisse oder Kompetenzraster geben einen viel detaillierteren Überblick über den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler.

Als der Antrag kam, habe ich zu dem Thema mit vielen Menschen gesprochen. Die neue Zeugnisverordnung, so war das Ergebnis, scheint in vielen Schulen und Kreisen positiv aufgenommen worden zu sein. Es gibt auch von den meisten Eltern keine Beschwerden. Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Auch die beruflichen Schulen sagen insgesamt, dass es kein Hindernis bei der Aufnahme in die Schule ist, ob die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf Noten oder Berichtszeugnisse oder eine Mischung aus beiden haben. Sie finden allerdings die Berichte vielfach aussagekräftiger.

Die Bewertung von Leistungen ist insgesamt ein schwieriges Thema. Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf haben natürlich ein Recht darauf, auch bei der Beurteilung mit den Schülerinnen und Schülern ohne Förderbedarf gleichgestellt zu werden. Gleichzeitig soll das Zeugnis den tatsächlichen Leistungsstand beschreiben. Das ist bei Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf, die in vielen Fächern nach einem eigenen Förderplan arbeiten, in Verbindung mit Noten besonders schwierig unter einen Hut zu bringen.

Wir würden das Thema gern im Ausschuss weiter beraten und bitten um Überweisung an den Bildungsausschuss.

Eine kurze Anmerkung zum AfD-Antrag: Copy and Paste vom SPD-Antrag, keine eigene Lernleistung! Das ist das Schmücken mit fremden Federn. Deshalb lehnen wir den AfD-Antrag ab. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW, vereinzelt CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, begrüßen Sie mit mir neue Gäste auf der Besuchertribüne, und zwar Mitglieder der IHK zu Lübeck. - Seien Sie alle herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Jetzt hat das Wort für die FDP-Fraktion die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe SPD, Ihr Antrag ist insofern spannend, als Sie sich jetzt für Noten einsetzen, obwohl Sie doch bislang keine Gelegenheit ausgelassen haben, Noten als Bewertungskriterium zu verteufeln.

(Beifall FDP, CDU und AfD)

Heute von „Notenfetisch“ zu sprechen, Herr Vogel, ist eine kleine verbale Entgleisung.

(Beifall FDP und CDU - Wortmeldung Mar- tin Habersaat [SPD])

- Ich lasse jetzt keine Zwischenfragen zu; sie helfen nicht, Herr Habersaat. Wirklich!