Protocol of the Session on November 8, 2018

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 20. Oktober brachte der „DER SPIEGEL“ einen langen Artikel über den langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg, wonach dieser seine Biographie einschließlich seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft erfunden haben soll. Abgesehen davon, dass es ziemliche Unterschiede zwischen liberalem und orthodoxem Judentum und der Frage der Zugehörigkeit gibt, würde ich gern wissen, wie viele Leser dieses Artikels und der ungewöhnlich zahlreichen Berichte in der Landespresse erst einmal spontan gedacht haben: Da sieht man es doch einmal wieder, diese Juden!

Die Frage muss schon erlaubt sein, warum ein solcher lokaler Sachverhalt Gegenstand einer bundesweiten Reportage ist. Oder anders gefragt: Würden ähnliche Sachverhalte in einer örtlichen katholischen oder evangelischen Gemeinde in gleicher Weise skandalisiert werden? Ich will das nicht als Antisemitismus im Sinne von Judenfeindlichkeit bezeichnen, aber es ist Ausdruck der Tatsache, dass das Verhältnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft einerseits und deutschen und nicht-deutschen Juden andererseits auch 73 Jahre nach dem Ende der Shoah nicht normal ist und auch nie normal sein wird.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Deutschland das allerletzte Land auf der Welt, das sich die jüdischen Menschen als neue Heimat wünschten, die aus welchen Gründen auch immer ihre bisherige Heimat verlassen wollten oder muss

(Tobias Loose)

ten. Der Gedanke einer jüdischen Zuwanderung nach Deutschland, in das Land der Shoah, wäre damals als grausamer Zynismus verstanden worden. Dennoch ist Deutschland heute noch vor Israel und den USA zum wichtigsten Zielland für jüdische Immigration geworden.

Trotz dieser Zuwanderung ist nicht alles in bester Ordnung. Zur Realität gehört in Deutschland im Jahr 2018, dass antisemitische Äußerungen an Normalität gewinnen, die in der Vergangenheit nicht toleriert worden wären. Das Wort „Jude“ ist in diesem Land als Schimpfwort leider wieder gebräuchlich. Menschen werden aufgrund eines vermeintlich jüdischen Aussehens auf der Straße angepöbelt oder angegriffen. Der Versuch, mit Kipa durch die Straßen zu laufen, endet mancherorts in einem Spießrutenlauf. Schüler werden aus der Schule herausgemobbt, weil sie als Juden für alles Unglück im Nahen und Mittleren Osten mitverantwortlich gemacht werden.

Umfragen in der Bundesrepublik zeigen wiederholt, dass pauschale Vorurteile gegen die Juden immer noch lebendig sind. Gerade gestern wurde wieder die „Mitte“-Studie der Leipziger Forscher herausgebracht. Dort ist zu lesen, dass Antisemitismus in Deutschland weiter auf einem erschreckenden Niveau gesellschaftsfähig ist.

Doch es schicken sich auch neue Freunde an, auf die die meisten Menschen jüdischen Glaubens wohl verzichten könnten; Freunde, die sie gegen den durch die Flucht von Menschen muslimischen Glaubens nach Deutschland angeblich neu importierten Antisemitismus verteidigen wollen. Nach Deutschland, dem Land der Täter! Die Absurdität der Versuche der neuen Rechten, sich bei den Jüdischen Gemeinden anzubiedern und hier zwei religiöse Minderheiten gegeneinander auszuspielen, ist kaum in Worte zu fassen,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

waren es doch die geistigen Vorgänger der heute wieder erstarkten Rechten, die erst für die Shoah verantwortlich waren.

Es ist empörend, Deutschland als ein Land darzustellen, das gegen Antisemitismus immun geworden sei. Wir alle sind herausgefordert. Wir haben uns hier mehrheitlich -, wenn auch ohne meine Stimme - zum Erbe der Reformation bekannt, als wir den Reformationstag zum Feiertag erhoben haben. Das verpflichtet aber auch, sich mit den dunklen Seiten der Reformation und besonders

Martin Luthers auseinanderzusetzen, ganz besonders natürlich mit dem Thema Antisemitismus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe volles Verständnis für die Zwänge, eine Tagesordnung so zu gestalten, dass sie in einer zweitägigen Landtagstagung abzuhandeln ist. Aber muss es wirklich sein, dass deswegen kurzerhand zwei vollkommen unterschiedliche Dokumente, ein Gesetzentwurf und ein Sachantrag, in der Aussprache zusammengepfercht werden, nur weil es bei beiden irgendwie um das Thema Juden geht? Lassen Sie mich deshalb noch einmal kurz auf die Unterschiede der beiden Dokumente hinweisen:

Bei dem Staatsvertrag geht es darum, den jüdischen religiösen Verbänden zu mehr Gleichstellung mit anderen Religionen zu verhelfen, also eine positive Regelung zu treffen, die das jüdische Leben in Schleswig-Holstein besser absichert. Das ist ein Fortschritt, und das freut mich sehr.

Bei dem gemeinsamen Sachantrag der demokratischen Fraktionen geht es aber um etwas anderes. Es geht um die Abwehr der Form von Rassismus und Ausgrenzung, die in der deutschen Geschichte die schrecklichsten Konsequenzen gehabt hat.

Lassen Sie mich den Vergleich etwas bildlicher machen: Es liegt auf einer ähnlichen Ebene wie die von vielen Vertretern der Jüdischen Gemeinde kritisierte Praxis von Bibliotheken, in der Abteilung „Judaika“ auch die wildesten antisemitischen Pamphlete einzustellen, sodass die Werke von Theodor Herzel, dem Begründer des Zionismus, neben denen von Theodor Fritsch, dem Serienproduzenten antisemitischer Handbücher, stehen. - Da haben wir noch einiges zu tun, daran müssen wir noch arbeiten.

August Bebel, einem der Gründerväter der Sozialdemokratie, wird oft das Zitat zugeschrieben: „Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls“. Tatsächlich stimmt das nicht ganz, denn das Zitat stammt von Ferdinand Kronawetter. Es zeigt: Auch Menschen, die progressiv denken, sind nicht gegen ein Abgleiten in Vorurteile immun. Das gilt etwa für Menschen, die aus einer anti-imperialistischen Haltung heraus die Juden persönlich für jede militärische Operation der israelischen Armee in den palästinensischen Gebieten mitverantwortlich machen und Terroranschläge auf die israelische Zivilbevölkerung dadurch auch legitimieren. Und wir sehen mit großer Beunruhigung, dass derartige Positionen in unserer britischen Schwesterpartei offensichtlich mehr sind als die Verirrungen von einzelnen Leuten. Jede Verschwörungstheorie mündet

(Tobias von Pein)

letztendlich im Antisemitismus, weil sie am Ende immer davon ausgeht, dass eine kleine Gruppe einflussreicher Männer die Welt steuert, und diese Leute müssen natürlich Juden sein, weil niemand sonst die finanziellen Ressourcen dafür hätte und so weiter und so fort.

Meine Damen und Herren, wir haben uns bereits in der Beratung im Bildungsausschuss damit auseinandergesetzt, dass wir den Staatsvertrag mit den jüdischen Verbänden unterstützen. Das Gleiche gilt auch für den Antrag, den Antisemitismus schon in der Schule zu bekämpfen. Wir stehen zusammen im Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und jede Form von Antisemitismus.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU, FDP, SSW und Beifall Dr. Frank Brodehl [AfD])

Es ist mir dabei wichtig, bei der Förderung von Besuchen bei Synagogen und Gedenkstätten das Jüdische Museum in Rendsburg nicht außen vor zu lassen. Nach mehreren Jahren deutlich zurückgehender Besucherzahlen ist es im vergangenen Jahr wieder von mehr Leuten besucht worden, aber ich bin der Überzeugung, dass zirka 5.000 Besucher im Jahr noch zu wenige sind. Das Jüdische Museum macht jüdisches Leben sichtbar und zeigt, dass es vor der Shoah in Schleswig-Holstein auch sehr umfangreich war. Tatsächlich war unsere Region nämlich als Teil Dänemarks eine der ersten in Europa, in der jüdisches Leben bereits im 18. Jahrhundert emanzipiert und ihm umfangreiche Rechte zugesprochen wurden.

Wir wollen, dass unser Land für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, egal welchen Glaubens oder Kultur, ein sicherer Ort ist. In ganz besonderer Weise und in historischer Verantwortung gilt dies für die jüdische Kultur in unserem Land. Die SPDFraktion steht daher fest an Ihrer Seite.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Dr. Frank Brodehl [AfD])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste von den jüdischen Gemeinden! Heute ist ein guter Tag. Da kann ich mich der Ministerin nur anschließen. Ich danke Ihnen, und ich danke auch der Ministerin und allen Beteiligten in der Verwaltung

dafür, dass dieser Vertrag in der Form zustande gekommen ist. Darüber bin ich wirklich froh. Insofern ist das heute wirklich ein Tag, um zu feiern. Nachher werden wir das sicherlich auch noch tun.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Lieber Tobi von Pein, Du sagst, es würde nicht zusammenpassen, jetzt auch noch über die Schattenseiten in unserer Gesellschaft zu sprechen. Ich finde, das muss man aber. Ich denke, man muss beides tun können. Deshalb finde ich es richtig, dass wir diesen Antrag gestellt haben und ihn hier beraten. Ich komme nachher noch auf diesen Zusammenhang zurück.

Meine Damen und Herren, der Angriff auf das jüdische Restaurant in Chemnitz oder die Schändung mehrerer Stolpersteine in Kiel sind keine Einzelfälle. Jeden Tag finden in Deutschland mindestens vier bis fünf antisemitische Straftaten statt; die Dunkelziffer ist noch viel höher. Dennoch glaubt die Mehrheit der Deutschen nicht, dass der Antisemitismus wächst. Das berichtete der Deutschlandfunk vor wenigen Tagen.

Ganz anders empfinden das die Betroffenen. Das ist mir in mehreren Gesprächen mit den jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein deutlich geworden, zuletzt bei dem Besuch der Synagoge in Lübeck, wo wir darüber diskutiert hatten, ob es wirklich nötig ist, einen so abschirmenden Zaun aufzubauen, der im Widerspruch dazu steht, dass man sich öffnen und mit der Gesellschaft in Kontakt kommen möchte. Die Verantwortlichen vor Ort haben mir sehr deutlich gesagt, wie nötig das ist, auch wenn es auf die Synagoge seit Langem keinen Anschlag mehr gab. Auf dem Friedhof gibt es jedoch um den 20. April eines jeden Jahres immer wieder Schändungen, und das Sicherheitsbedürfnis ist nach wie vor sehr hoch.

Das war auch Thema beim letzten Jour Fixe Rechtsextremismus, den mein Kollege Lasse Petersdotter organisierte, bei dem die Menschen konkret von ihren Bedrohungen erzählt haben. Sie berichteten von Angriffen im ÖPNV und auf offener Straße. Briefe aus Israel kämen häufig zerstört, zerrissen oder leer bei den Adressaten an. Pakete an Menschen mit jüdischen Namen würden mit dem Hinweis „Empfänger unbekannt“ zurückgeschickt. Auch Briefe, die von ihren Gemeinden kommen, kämen bei den Menschen leer an, die Briefe seien aufgerissen und ohne Inhalt.

Stellen Sie sich einmal vor, wie das auf Menschen wirkt. Das ist nicht nur eine Verletzung des Brief

(Tobias von Pein)

geheimnisses. Es handelt sich ganz klar um Angriffe auf jüdisches Leben in Deutschland. Das ist insbesondere auch aufgrund der Geschichte unseres Landes nicht nur beschämend, sondern schlichtweg eine bodenlose Schande.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Heute schließen wir das Verfahren für ein gutes und längst überfällige Zeichen ab. Wir beschließen einen Vertrag mit den jüdischen Gemeinden. Jüdisches Leben gehört zu Schleswig-Holstein. Und dass dafür nun auch eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird, ist gut und richtig. Denn damit sorgen wir nicht nur für eine bessere Finanzierung darauf haben meine Vorredner schon hingewiesen -, sondern es ist auch ein deutliches Signal, wie wichtig uns jüdisches Leben in Schleswig-Holstein ist. Wir wollen, dass das Leben sichtbar wird. Dafür braucht man Geld. Ansonsten kann man keine Gemeindearbeit leisten. Ich habe das in einer Gemeinde erlebt, in der Jugendarbeit erfolgt, und zwar nicht nur mit jüdischen Kindern, sondern mit Kindern aller Glaubensrichtungen, zum Beispiel auch mit muslimischen Kindern. Insofern ist es eine großartige Friedensarbeit, die sie leisten und die wir unterstützen möchten. Denn, meine Damen und Herren, Dinge, die den Menschen fremd sind, führen zu Vorurteilen und Angst. Deshalb ist es schon ein Zusammenhang, dass wir jüdisches Leben fördern und damit gleichzeitig den Antisemitismus bekämpfen.

Ein weiterer Punkt ist natürlich auch, dieses im Schulunterricht stärker zu thematisieren. Auch da kann man einen Besuch der Synagoge nur durchführen, wenn es eine Synagoge gibt. Insofern gibt es auch da einen ganz direkten Zusammenhang.

Meine Damen und Herren, die AfD wirbt jetzt auch für eine Unterstützung bei den jüdischen Gemeinden, auch hier in Schleswig-Holstein. Mit Verlaub, das ist schon etwas merkwürdig. Es bleibt unglaubwürdig, meine Damen und Herren von der AfD, solange sich Ihre Fraktion und Ihr Landesverband nicht glasklar von Ihren antisemitischen Parteikollegen distanzieren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich denke da beispielsweise an Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, oder an Wolfgang Gedeon, der nicht nur den Holocaust bagatellisiert, sondern darüber hinaus auch noch von einer „Judaisierung“ der Welt spricht.

Selbst wenn Sie sich gegen Antisemitismus aussprechen -

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

- Sie haben ja noch Gelegenheit, sich hier am Pult genau davon zu distanzieren. Bisher war es so, wenn wir Sie dazu aufgefordert hatten, sich bei anderen Gelegenheiten von Rassismus zu distanzieren, dass Sie das nicht getan haben. Wir warten darauf.

Selbst wenn Sie sich gegen Antisemitismus aussprechen, bleibt es trotzdem unglaubwürdig; denn das hat Herr Kollege von Pein auch schon gesagt Antisemitismus ist eine Form von Rassismus. Sie können sich nicht gegen die Diskriminierung jüdischen Lebens aussprechen und gleichzeitig Muslime und Geflüchtete diskriminieren. Das ist vollkommen inakzeptabel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Zahlreiche jüdische Institutionen auf Landes- und Bundesebene haben sich übrigens ganz klar von Ihrer Partei und Ihren Positionen distanziert. Sie warnen ihre Mitglieder davor, sich vom Rechtspopulismus blenden und manipulieren zu lassen. Sie lassen sich nicht für Hetze missbrauchen. Sie haben Ihre Partei durchschaut.

Meine Damen und Herren, Diskriminierung ist nie akzeptabel. Was den Antisemitismus betrifft, haben wir in Deutschland eine ganz besonders große Verantwortung.

Ehrlich gesagt, möchte ich mich nicht immer nur auf unsere Verantwortung aufgrund unserer Geschichte beziehen. Ich finde, es ist völlig egal, um welche Generation in welchem Land es sich handelt: Wir alle haben gemeinsam eine Verantwortung, gegen Antisemitismus vorzugehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Zu dieser konsequenten Haltung gehört eben Zweierlei: Bekämpfung von Antisemitismus, aber vor allen Dingen auch - und darüber freue ich mich - positive Darstellung von jüdischem Leben und nicht immer nur im Zusammenhang mit den ganzen Defiziten, die wir in unserer gemeinsamen Vergangenheit hatten.