Protocol of the Session on November 7, 2018

Es waren zunächst nur einige Dutzend Matrosen, die sich diesem Befehl verweigerten und meuterten, am Anfang vielleicht aus der Sorge um das eigene Leben, zugleich aber mit einem bewundernswerten Mut angesichts drohender Todesstrafen, einem Mut, den viele Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges nicht aufbrachten, als sie sich immer wieder auf Befehl und Gehorsam beriefen.

Daraus entwickelte sich der Kieler Matrosenaufstand, dem sich weitere Aufständische anschlossen. Es wurden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die politische Forderungen formulierten: nach Abdankung des Kaisers, nach Pressefreiheit, nach allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen für beiderlei Geschlechter.

Was also als Meuterei begann, wurde zum Ausgangspunkt für die November-Revolution, breitete sich von Kiel aus über das gesamte Reichsgebiet aus und beschleunigte in Berlin die Bekanntgabe zur Abdankung des Kaisers und zur Ausrufung der Republik.

Es sind diese Ereignisse Anfang November 1918, die die Wurzeln unserer parlamentarischen Demokratie bilden, wie wir sie heute kennen. Der Kieler Matrosenaufstand ist damit untrennbar verbunden. Vollkommen zu Recht erinnern wir deshalb 100 Jahre später an dieses bedeutende Ereignis.

Meine Damen und Herren, die Beurteilung fällt vielschichtiger aus, als es auf den ersten Blick er

scheinen mag. Wenn der Kieler Matrosenaufstand in der Weimarer Republik keine vergleichbare Anerkennung erfahren hat, dann deshalb, weil er in den Augen der damaligen Zeitgenossen - der Kollege Dr. Stegner hat darauf hingewiesen - zuerst als Chaos und revolutionärer Umsturz angesehen wurde, an dessen Ende eben keine Demokratie, sondern eine bolschewistische Rätediktatur gestanden hätte.

Das NDR-Doku-Drama „Aufstand der Matrosen“, das vor wenigen Tagen hier im Kieler Metro-Kino Premiere hatte, macht sehr deutlich, dass der nach Kiel entsandte sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gustav Noske keineswegs an der Seite der Aufständischen stand; vielmehr ging es ihm zuerst um die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in Kiel.

Die große historische Leistung der damaligen Mehrheitssozialdemokraten unter Friedrich Ebert bestand darin, den Übergang vom Kaisertum in eine parlamentarische Demokratie ohne großes Blutvergießen zu gestalten. Darauf können Sozialdemokraten heute unglaublich stolz sein.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Gedankt wurde das der SPD leider schon damals nicht. Weniger als zwei Jahre später bei der Reichstagswahl 1920 musste sie massive Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 21,6 % der Stimmen. Die Sozialdemokraten entschieden sich daraufhin auf einem Parteitag für den Ausstieg aus der Weimarer Koalition und den Gang in die Opposition

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Zur Erneuerung!)

- genau -, eine Entscheidung, die Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit und andere Parteitage weckt.

Tragischerweise gibt es einen weiteren Bezugspunkt zwischen dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Kieler Matrosenaufstand. Auch darauf hat der Kollege Dr. Stegner bereits hingewiesen; unsere Reden sind nahezu deckungsgleich. Tragischerweise diente der Kieler Matrosenaufstand immer wieder als Basis für die Fake News der damaligen Zeit, die damalige Dolchstoßlegende, mit der die Republikfeinde von rechts der jungen Demokratie immer wieder zusetzten. Infolgedessen kam es zu einer Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung. Die politischen Kräfte an den linken und rechten Rändern des Parteiensystems wurden gestärkt, und die demokratischen Parteien der Mitte schafften es damals leider nicht, für stabi

(Tobias Koch)

le politische Mehrheiten zu sorgen und entsprechende Kompromisse zu schließen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Geschichte nicht vergessen und uns immer wieder daran erinnern, was damals in Kiel und in Berlin geschehen ist, dass wir Lehren für unser heutiges aktuelles Handeln ziehen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Deshalb unterstützen wir den mittlerweile gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW und werden ihm zustimmen. - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Fraktionsvorsitzende, die Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich meinen beiden Vorrednern für ihre Worte danken, die mir sehr gut gefallen haben, und der SPD für ihren Anstoß zu diesem Antrag und der Möglichkeit, daraus einen interfraktionellen Antrag zu machen. Das ist diesem Parlament gerade angesichts eines solchen Ereignisses angemessen. Vielen Dank dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Der 9. November - welch ein geschichtsträchtiger Tag. Ich habe meine Kinder früher immer damit genervt, dass sie mir am 9. November am Frühstückstisch aufsagen sollten, welche drei großen Ereignisse der deutschen Geschichte an diesem Schicksalstag passiert sind. Nun habe ich gestern Abend gelernt, dass es einen vierten wichtigen Termin gibt, den ich jetzt aufnehmen muss, nämlich den Geburtstag unseres Ministerpräsidenten a. D. Björn Engholm. Das war mir bis dahin nicht bekannt.

Der Matrosenaufstand 1918 ist meistens nicht gerade das Ereignis, das als Erstes genannt wird. Wir demokratischen Fraktionen hier im Haus sind uns jedoch einig darüber, wie wichtig dieser Kieler Matrosenaufstand nicht nur für die Gesellschaft vor hundert Jahren war. 1918 wurden Rechte erstritten, von welchen wir heute noch profitieren.

Ich möchte zuerst ein Recht nennen, über das ich kürzlich mit Beate Raudies gesprochen habe. Es

wäre Anlass für eine eigene Resolution gewesen. Liebe Damen hier im Haus, es tut mir sehr leid, dass wir nicht daran gedacht haben. Wir hätten auch wunderbar eine Resolution zu hundert Jahren Frauenwahlrecht machen können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Deshalb werde ich in meiner knappen Redezeit auf diesen Punkt ein besonderes Augenmerk richten wie ich es versprochen habe, Beate Raudies. Ich glaube, dass es wichtig ist, deutlich zu machen, was zu diesem Zeitpunkt für uns errungen wurde. Auch wenn wir hier im Parlament nicht so stark vertreten sind - wir wachsen, wir sind stärker, und wir haben Einfluss. Frauen können nicht nur gewählt werden, sondern gehen auch in die Politik und sitzen im Parlament. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir dies hier gemeinsam tun.

Meine Damen und Herren, es gibt aber noch zwei andere Gründe, weshalb der Matrosenaufstand positiv zu bewerten ist. Zuallererst: Es war das erste Mal, dass sich deutsche Soldaten gegen sinnloses Blutvergießen zur Wehr gesetzt haben. Der Friedenswunsch der Matrosen war - wie manche es sagen würden - größer als ihr Gehorsam. Das, was das für unsere Gesellschaft und unser Denken bedeutet, ist etwas, was man immer wieder deutlich machen muss, nämlich dass es richtig ist, auf Heldentum und falsch verstandenes Heldentum zu verzichten, wenn es darum geht, Frieden und Gerechtigkeit umzusetzen. Herr Stegner hat es schon deutlich gesagt: Das ist für uns hier und heute eine wichtige Botschaft, die wir weitertragen müssen.

(Beifall FDP, SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, der Matrosenaufstand hat mit zur ersten parlamentarischen Demokratie der deutschen Geschichte geführt. Natürlich gab es andere Auslöser, und natürlich hat die Weimarer Republik meiner Meinung nach einen schlechteren Ruf, als sie es verdient hat. Sie hat zumindest nicht zu einem guten Ende geführt. Ich bin aber trotzdem immer noch ein Fan großer Teile der Weimarer Verfassung.

Herr Nobis, wenn Sie das anders sehen und davon sprechen, Politik und Medien würden den Matrosenaufstand zur Geburtsstunde der Demokratie verklären, dann kann ich nur sagen: Das ist eine Verklärung der Geschichte, von der ich mir nicht hätte vorstellen können, dass sie wieder salonfähig und mehrheitsfähig werden könnte, und ich hoffe, das wird sie auch nicht. Denn natürlich gab es auch an

(Tobias Koch)

dere Einflüsse, die zur Demokratie geführt haben. Unter anderem war dies der Druck der Amerikaner, sonst keinen Friedensschluss zu machen. Aber der Auslöser und die Angst vor einer Räterevolution und vor einem gewaltsamen Umsturz haben doch ganz massiv Druck auf diejenigen ausgeübt, die gesagt haben: Jetzt müssen wir wirklich dafür sorgen, dass der Kaiser abdankt. Jetzt müssen wir die Republik ausrufen. Ich glaube deshalb: Er war nicht der einzige Auslöser, mindestens aber ein Beschleuniger und ein Unterstützer dahin gehend, dass es zu einem demokratischen System gekommen ist.

(Beifall FDP, SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD)

Ich bleibe dabei: Der Matrosenaufstand muss weiter gewürdigt werden und in Erinnerung bleiben. Deutsches Heldentum war den Matrosen weniger wichtig als der Wunsch nach Frieden und das Zusammenstehen für Gerechtigkeit. Für eine ganz kurze Zeit hatten viele Menschen, Frauen und Männer, Hoffnung auf eine bessere Welt, und das macht den Matrosenaufstand auch in der heutigen Zeit zu einem leuchtenden Vorbild. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir gemeinsam auf der Besuchertribüne Bürgerinnen und Bürger aus Malente und Kiel hier bei uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Ende des Ersten Weltkrieges, der von vielen Historikern ja als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird, jährt sich in diesem Jahr zum einhundertsten Mal. Damit einhergehend jähren sich auch die Geschehnisse zum Kriegsende hier in Kiel, die damals Weltgeschichte geschrieben haben. Das Ende dieses schrecklichen Krieges nahm also auch ganz maßgeblich hier in Kiel seinen Anfang.

Kiel war damals Schauplatz des Matrosenaufstandes, den wir heute mit einem gemeinsamen Antrag würdigen. Es sind fast alle Fraktionen dieses

Hauses, was ich für ein gutes Signal halte. Dieser Aufstand war natürlich zunächst vor allem ein Fanal gegen den Krieg. Nach vier Jahren Krieg hatten viele Soldaten und auch weite Teile der Zivilbevölkerung genug vom sinnlosen Töten, das zu dem Zeitpunkt bereits Millionen von Menschen in Europa das Leben gekostet hatte. Ich denke immer daran: Wenn man auf dem Hamburger Rathausmarkt vor dieser Säule steht, dann sieht man, dass allein in Hamburg 40.000 junge Hamburger ihr Leben an der Front verloren haben. Das ist eine unglaubliche Zahl. Fast eine ganze Generation ist sinnlos in den Tod getrieben worden.

Die Matrosen, die mit ihren Schiffen in Wilhelmshaven und Kiel vor Anker lagen, sahen keinen vernünftigen Grund darin, in einem Himmelfahrtskommando gegen Großbritannien ihr Leben zu verlieren. Sie erhoben sich deshalb gegen ihre Vorgesetzten. Das war eine sehr mutige Entscheidung, weil natürlich auch das extrem gefährlich war. Die Strafen waren drakonisch.

Der Matrosenaufstand war auch mehr als ein militärhistorisches Ereignis. Ich glaube, auch das ist eine wichtige Botschaft. Er hatte gravierende politische Folgen. Der Aufstand traf auch in anderen Teilen Deutschlands auf Widerhall. An vielen Orten bildeten sich revolutionäre Räte, und nicht wenige Menschen begehrten gegen die überholte Ordnung auf.

Geschichte verläuft ja oft in Brüchen. Es war damals im November 1918 noch überhaupt nicht abzusehen, welche Gestalt eine neue Ordnung in Deutschland haben würde. Eine Räterepublik wäre nicht unser Modell gewesen. Ich glaube, das kann niemanden überraschen. Was dann aber auf den Aufstand folgte, war die Flucht des Kaisers ins holländische Exil. Deutschland wurde zur Republik, das Reich kapitulierte, und der Krieg war zu Ende. Von Kiel ging damit ein wesentlicher Anstoß zur Beendigung des Krieges, zum Ende des Kaiserreiches und zur Aufhebung des Adelsstandes aus. Auch das sollte man heute bedenken. Das waren alles sehr erfreuliche Entwicklungen, auch wenn ich ehrlich gesagt - bei Letzterem manchmal das Gefühl habe, dass noch nicht alle Beteiligten das gänzlich verstanden haben - aber das ist nur eine Randbemerkung.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich komme aus dem Herzogtum Lauenburg und habe auch adlige Vorfahren. Ich bin aber durchaus damit zufrieden.

(Eka von Kalben)

Der Matrosenaufstand trug auch zu einer weiteren Demokratisierung Deutschlands bei. Mit den sogenannten Oktoberreformen hatte sich das Reich bereits kurz vor dem Kieler Aufstand in eine parlamentarische Monarchie verwandelt, doch erst unter dem Druck der Amerikaner, die Frau Kollegin von Kalben hat dies eben zu Recht gesagt, und dem der Matrosen und der Revolutionäre im ganzen Land wurde unter heftigen Geburtswehen der Schritt zu einer demokratischen Republik vollzogen, und zwar mit dem Wahlrecht für alle, auch für Frauen. Ich glaube, das wurde zu Recht angesprochen und ist auch Teil des Antrags. Auch das ist ein Punkt, den wir heute feiern und würdigen sollten.

(Vereinzelter Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist aus unserer Sicht absolut lohnenswert, sich immer wieder an die damaligen Ereignisse und Entwicklungen zu erinnern, und zwar nicht nur, weil Kiel damals ausnahmsweise einmal im Fokus des Weltgeschehens lag. Ich bin - ehrlich gesagt - zuversichtlich, dass das auch in Zukunft noch das eine oder andere Mal vorkommen kann. Es ist auch lohnenswert, weil es sich um einen echten Umbruch in der deutschen Geschichte gehandelt hat, der viel Gutes gebracht hat.