Protocol of the Session on September 28, 2018

terstützen wir den SSW-Antrag im überwiegenden Teil, insbesondere was die Grenze von 100.000 € betrifft.

(Beifall SSW und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Es wurde auch schon festgestellt, dass es da einen größeren politischen Konsens gibt, weil dieses Vorhaben bereits im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene enthalten ist. Das finden wir begrüßenswert.

Für uns ist aber auch klar: Wer finanziell dazu in der Lage ist, Pflegeleistungen zu bezahlen, der soll das auch tun. Deswegen haben wir ein bisschen Probleme mit dem zweiten Teil des Antrags, in dem das Vermögen komplett herausgenommen wird. Das ist uns ein bisschen zu pauschal.

Wenn diejenigen, die wirklich großes Vermögen haben - ich rede jetzt von einem ganz, ganz kleinen Prozentsatz der Bevölkerung - und über der Einkommensgrenze von 100.000 € liegen, trotzdem nicht herangezogen werden, kann die Debatte ein bisschen schwierig werden. Solidarität und Leistungsfähigkeit der Einzelnen sind dann schwierig voneinander abzugrenzen.

Insofern bitten wir darum, dass unserem Alternativantrag zugestimmt wird, der sich auf das Einkommen bezieht und das Vermögen nicht komplett außer Acht lässt. Im überwiegenden Teil sind wir uns da einig. Deswegen kann man eigentlich nur die Bitte nach Berlin richten, einen größeren Fokus auf die guten Sachen zu legen, die im Koalitionsvertrag stehen und die für die Bevölkerung gut sind. Die eine oder andere Personalgeschichte sollte man mehr hintanstehen lassen und sich stattdessen darauf konzentrieren, etwas mehr für die Bevölkerung zu tun. Dieser Ansatz wäre ganz gut. Deshalb bitte ich, unserem Alternativantrag zuzustimmen. - Danke.

(Beifall FDP)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Brodehl.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Problematik ist ausreichend dargestellt. Deswegen kann ich sehr viel überspringen. Eines ist klar: Wir haben explodierende Kosten. Es ist damit zu rechnen, dass diese noch weiter steigen werden.

(Dr. Marret Bohn)

Gleichzeitig wurde eben schon von Frau Dr. Bohn eine Unmöglichkeit dargestellt. Sie hat auf den jetzigen durchschnittlichen Rentensatz hingewiesen. Für die entstehenden Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Investkosten des Heimes und den Selbstbehalt für die eigentliche Pflege haben wir zusammengerechnet 1.450 € Rente. Das zeigt, das kann gar nicht gehen. Vor allen Dingen: Wer hat denn heute 1.450 € Rente?

Ein Punkt ist mir besonders wichtig. Ich möchte noch einmal den Blick auf die richten, um die es tatsächlich geht. Wir haben gesagt, die Kinder müssen dann einspringen. In welchem Alter sind die Kinder, die dann einspringen sollen? Sie sind round about 50 Jahre. Die eigenen Kinder sind dann meistens aus dem Haus oder noch im Studium. Nach rund 30 Jahren im Berufsleben könnten die Eltern dann theoretisch an sich selbst denken, um selbst Vorsorge zu betreiben. Das ist auch notwendig; denn wir haben Informationen aus der Rentenversicherung, dass sich auch da eine Versorgungslücke ergibt. In dieser Situation muss jetzt noch für die Pflege der eigenen Eltern eingesprungen werden. Häufig ist das eben nicht nur für die eigenen Eltern der Fall, sondern wir haben schon gehört, man kann auch für Schwiegervater oder Schwiegermutter herangezogen werden.

Die mittlere Generation ist also unter dem Strich gleich mehrfach belastet. Sie müssen für die eigenen Kinder Unterhalt gewähren, für sich selbst Altersvorsorge betreiben und sich an dem Pflegeunterhalt der eigenen Eltern beteiligen.

Für viele Familien ist diese Dreifachbelastung zu hoch, und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht. Viele ältere Pflegebedürftige dürften sich aus falscher Scham und aus falscher Angst um die Beziehung zu ihren Kindern, die finanziell belastet werden, bewusst gegen Maßnahmen entscheiden, die eigentlich absolut notwendig sind. Das kann und darf nicht sein.

(Beifall Volker Schnurrbusch [AfD])

Sehr geehrte Damen und Herren, deswegen steht für die AfD-Fraktion fest, die künftige Finanzierung des Systems Pflege kann nicht allein über die Beitragsschraube bei den Versicherten und auch nicht über die Belastung der Familie erfolgen.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Wir befürworten, den Elternunterhalt analog der Grundsicherung nach SGB XII zu regeln und anzugleichen. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Wir kommen nun zu den Kurzbeiträgen. Das Wort hat der Abgeordnete Lars Harms für die Abgeordneten des SSW.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst mal freut es uns, dass wir uns hier im Parlament so einig darüber sind, dass wir diese Sache angehen wollen. Aus unserer Sicht geht es bei der Einkommensgrenze von 100.000 € um die Bruttobeträge. Das bedeutet, sämtliche Einkommensarten werden einbezogen. Insofern glaube ich, auch da sind wir uns im Groben alle einig.

Was das Vermögen angeht, ist unsere Intention immer gewesen - ähnlich, wie die Kollegin Bohn das gesagt hat -, es soll nicht sein, dass Familien Häuser verkaufen müssen, um für Familienangehörige die Finanzierung der Pflege sicherzustellen. Es ist politisch merkwürdig, dass wir Baukindergeld geben, damit sich die Familien Häuser kaufen beziehungsweise bauen können, damit sie im Alter ihr Häuschen haben und nicht mehr so viel Miete bezahlen müssen, und anschließend knöpfen wir ihnen die Kohle wieder ab, weil sie zufälligerweise jemanden in der Familie haben, der pflegebedürftig ist. Das ist der Hintergrund.

Ich kann das gut nachvollziehen, wenn es heißt: Der Ackermann hat doch fünf Villen, dann können wir ihm eine abknöpfen. - Klar, das kann man so machen, aber wir wissen nicht, wie man das rechtlich abgrenzen kann. Deswegen ist unser Antrag so gefasst, dass wir das Vermögen unberücksichtigt lassen und gar nichts machen, weil es im Zweifelsfall immer den normalen kleinen Mann oder die kleine Frau auf der Straße trifft, und das wollen wir nicht.

Uns ist es insbesondere wichtig, dass in dieser Frage etwas passiert. Es gibt zwar die Einigung im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, aber bisher wurden noch keine Anstalten gemacht, das umzusetzen. Es wäre ganz gut, wenn wir da schnell handelten. Es soll eine Bundesratsinitiative geben. Deswegen schlagen wir vor, über unseren Antrag abzustimmen. Ich gehe davon aus, dass er keine Mehrheit finden wird; er wird zwar viele Stimmen finden, aber nicht genügend. Anschließend können wir dann über den Koalitionsantrag entscheiden, dem wir zustimmen könnten, weil er in die richtige Richtung geht. Wir können somit eine Initiative auf den Weg bringen, um damit den Menschen schneller helfen zu können. Das ist uns besonders wichtig.

(Dr. Frank Brodehl)

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Vielen Dank, Herr Harms. - Ich erteile nun das Wort der Landesregierung, und zwar dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Das, was wir heute miteinander diskutieren - das gilt auch für viele Pflegereformen in der vergangenen Legislaturperiode, die im Deutschen Bundestag diskutiert und verabschiedet wurden -, fußt bedauerlicherweise auf einem aus meiner Sicht eklatanten Konstruktionsfehler der sozialen Pflegeversicherung aus dem Jahr 1994. Damals hat man nicht die Bedarfe und Bedürfnisse den entsprechend entstehenden Kosten zugerechnet und abgebildet, sondern man hatte ein irgendwie zu verteilendes Finanzvolumen, das über einen bestimmten Betrag nicht hinausgehen durfte. Das wird jetzt Stück für Stück repariert.

Vor diesem Hintergrund haben beispielsweise die Partner der Großen Koalition in Berlin Folgendes in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: Auf das Einkommen der Kinder pflegebedürftiger Eltern soll künftig erst ab einem Einkommen in Höhe von 100.000 € im Jahr zurückgegriffen werden. - Ähnliche Formulierungen finden Sie übrigens auch in anderen Wahlprogrammen demokratischer Parteien, die im Moment in Berlin in der Opposition sitzen.

Meine Damen und Herren, dabei handelt es sich im Prinzip um die Übertragung der Einkommensrückgriffregelungen aus dem SGB XII und konsequenterweise auch aus dem SGB XI.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter dem Minister Hubertus Heil arbeitet derzeit an der Umsetzung, auch wenn im Moment noch kein konkreter Referentenentwurf seines Hauses zu dieser Übertragung vorliegt. Ich halte das Ziel der Bundesregierung in dieser Sache grundsätzlich für richtig. Angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land sind wir nicht nur gefordert, eine menschenwürdige Pflege für Gepflegte und für Pflegende flächendeckend sicherzustellen, wir sind auch gefordert, die finanzielle Belastung einer älter werdenden Gesellschaft gerecht miteinander zu organisieren. Die Pflege der eigenen Eltern oder naher Angehöriger darf eben gerade nicht zu einem

untragbaren finanziellen Risiko oder sogar zum Armutsrisiko von Familien führen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU und SPD)

Ich halte es deswegen grundsätzlich für vollkommen richtig, auf die Heranziehung von Unterhaltspflichtigen in der Sozialhilfe zu überprüfen. Familien mit kleinerem und mittlerem Einkommen sollen in ihrer Verantwortung für Kinder und für zu pflegende Großeltern niemals in die Situation geraten, Leben und Teilhabe in der Gesellschaft auf Sozialhilfeniveau oder knapp darüber bestreiten zu müssen. Zu solchen Härten darf es nicht kommen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Wir sollten gemeinsam vermeiden, dass Kinder von Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen zurückstecken müssen, dass sie aufgrund der Unterstützung, die sie etwa für ihre pflegebedürftigen Großeltern leisten müssen, weniger Chancen auf Bildung und Teilhabe haben.

Ich will aber auch nicht - das will ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen und zum Nachdenken in dieser Debatte anregen -, dass wir in der Sozialhilfe vollständig das Nachrangigkeitsprinzip oder den Gedanken der familiären Einstands- und Unterhaltspflicht aufgeben. Sozialhilfe kann und soll vermieden werden, wenn in der Familie auskömmlich finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Die zivilrechtliche Unterhaltspflicht von erwachsenen Kindern gegenüber ihren Angehörigen ist Wesensmerkmal unserer Gesellschaft wie die subsidiär steuerfinanzierte Sozialleistung im Sozialrecht.

Zugleich ist es immer wieder ein Problem, dass Pflegebedürftige aus Sorge, ihrer Familie zur Last zu fallen, vor dem Gang zum Sozialamt zurückschrecken, und genau das, meine Damen und Herren, müssen wir verhindern.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Lieber Herr Harms, das ist ein bisschen in den Zwischenrufen zum Ausdruck gekommen. Ich will versuchen, das sehr ernst zu nehmen und ohne die Nennung irgendwelcher Vorstandsvorsitzender von DAX-notierten Unternehmen zu formulieren: Wohlstand und Vermögen sind in unserer Gesellschaft bei manchen schon so ausreichend und auskömmlich vorhanden, dass auch pflegebedürftige Angehörige unterstützt werden können. Hier ist es Aufgabe des Bundesgesetzgebers, das richtige Maß zwischen Verantwortung und Entlastung zu bestim

(Lars Harms)

men. Genau deswegen ist die Formulierung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD so gewählt worden. Ich halte die Vereinbarung der Koalitionsfraktionen im Bund, Familien bis zu einem mittleren Einkommen zu schützen und Unterhaltspflichtige überhaupt erst dann heranzuziehen, wenn ihre Jahreseinkommen 100.000 € übersteigen, deswegen für richtig.

Diese Regelung in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat sich bewährt. Die Übertragung aus SGB XI ist konsequent.

Lassen Sie mich das abschließend noch ausführen: Für die großen Herausforderungen der dauerhaften zukunftssichernden Finanzierung der Pflege sind solche Änderungen, wie wir sie gern schnell vornehmen wollen, allerdings wichtig. Der Debatte habe ich entnommen, dass dies im Sinne der Betroffenen schnell erledigt werden soll. Hierfür brauchen wir eine grundsätzlichere Debatte, meine Damen und Herren. Wir müssen die Finanzierung pflegebedingter Kosten, das heißt, wir müssen die Finanzierung der Pflegeversicherung aus meiner Sicht grundlegend überarbeiten.

Für die Arbeits- und Sozialministerkonferenz will ich deswegen einen Vorschlag machen, wie die vollständige Finanzierung der echten Pflegekosten von den Pflegekassen sichergestellt werden soll. Ich weiß, dazu laufen Überlegungen, und ich weiß auch, dass die Definition und die Abgrenzung, was wirklich pflegebedingte Kosten sind, schwierig sind.

Es kann nicht sein, dass Menschen mit Durchschnittsrenten, wie sie gerade zitiert worden sind, mit immer höheren Eigenbeiträgen belastet werden, die sie in Wahrheit gar nicht wuppen können und am Ende doch der Sozialstaat einspringen muss. Da muss es andere, da muss es vernünftige Regelungen geben.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU und SPD)

Ich habe diesen Vorschlag neulich schon nicht zu jedermanns Gefallen - aber das ist auch nicht meine Aufgabe - unterbreitet. Ich bin sehr wohl der Auffassung, dass es einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss zur Finanzierung von Pflegebedürftigkeit oder pflegebedingten Kosten geben muss.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Abschließend will ich sagen: Ich bin auch der Meinung, dass das getrennte Organisieren von Gesundheit und Pflege in einer älter werdenden Gesell

schaft in zwei völlig unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern - ich sage es einmal höflich - wenig Sinn macht.