Protocol of the Session on July 19, 2017

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

In Zukunft wird es eine zunehmende Herausforderung für die Sicherheitskräfte sein, überhaupt zwischen Gewaltbeteiligten und Neugierigen sowie friedlichen Demonstranten unterscheiden zu kön

nen. Zum einen funktionierten die Krawalle auf bestimmte Gruppen wie ein Magnet, zum anderen wurde durch die Beteiligten eine gezielte Täuschung angewendet, welches die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppen zusätzlich verschwimmen ließ.

Diese Herausforderung gilt es, in Zukunft zu bewältigen. Fest steht schon jetzt, dass es für diese Herausforderung keine einfache Lösung geben wird. Es ist auch eine einsatztaktische Frage, wie man da vorgeht, wenn sich diese Gruppen auf einmal vermischen. Man kann da nicht in diese Gruppen reinmarschieren und versuchen, in irgendeiner Art und Weise Zwang auszuüben. Dann wird es schwierig werden, diese Gruppen auseinanderzuhalten. Man muss sich vorher Gedanken darüber machen, wie man das mit den Veranstaltern regelt, dass diese Gruppen nach Möglichkeit voneinander getrennt werden können.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen ist dies aus meiner Sicht eine einsatztaktische Frage. Was wir als SSW ebenso ablehnen, ist, die Krawalle in Hamburg politisch für irgendwelche persönlichen Wunschträume einiger Bundesminister zu missbrauchen. Deutschland braucht auch nach dem G-20-Gipfel keine Gesetzesverschärfungen. Die gesetzliche Lage ist vollumfassend und tragfähig. Natürlich müssen die Geschehnisse einsatztaktisch nachbereitet werden; denn hinterher weiß man immer, was man hätte besser machen können. Es ist jedoch ein Trugschluss zu glauben, man könne mit neuen Gesetzen in solchen Einsätzen besser reagieren. Allein eine umfassende Einsatzanalyse kann dazu führen, beim nächsten Mal besser gerüstet zu sein. Schärfere Gesetze brauchen wir nicht.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Es ist daher ebenfalls zu kurz gedacht, sogenannte gebrandmarkte Veranstaltungszentren zu schließen, um somit den Sumpf austrocknen zu lassen, Stichwort Rote Flora. Ein solcher Vorschlag schießt unserer Meinung nach über das Ziel hinaus. Ich will Ihnen auch sagen, warum, meine Damen und Herren: Es geht doch darum, in einem Rechtsstaat strafbare Handlungen zu verfolgen. Sollte es so sein, dass in der Roten Flora solche Dinge geplant und entsprechend umgesetzt worden sind, dann mag man sich darüber Gedanken machen, dieses Zentrum zu schließen. Ansonsten ist nach unserer Auffassung kein rechtstaatlicher Grund gegeben,

(Lars Harms)

diese Einrichtung zu schließen. Es geht immer darum, genau zu schauen, was wirklich dort geschehen ist und ob etwas vorbereitet worden ist, was entsprechende Handlungen bei den Demonstranten nach sich gezogen hat. Dann ja, aber ansonsten, meine Damen und Herren, sollte man darauf verzichten.

Es ist daher völlig richtig, dass wir uns als Land Schleswig-Holstein an der kürzlich eingerichteten Sonderkommission beteiligen werden. Auch gilt es, die Frage nach dem nationalen und internationalen Krawalltourismus ein wenig zu beleuchten. In dieser Hinsicht müssen die europäischen Partner in der Tat noch enger miteinander zusammenarbeiten, und da macht auch eine gemeinsame Datei Sinn. Davon sind wir überzeugt. Wir als SSW verstehen dies auch als Arbeitsauftrag an die Bundesregierung; denn der G-20-Gipfel ist nicht nur als regionale Angelegenheit zu verstehen, wenn es um die Aufarbeitung geht. Auch die Bundesregierung hat hierbei Verantwortung.

Die Ereignisse rund um den G-20-Gipfel erlauben unserer Meinung nach keine Rückkehr zur allgemeinen Tagesordnung. Dies verdeutlichen auch die bisher rund 10.000 eingegangenen Anzeigen. Die müssen natürlich in Ruhe durchgearbeitet werden. Auch da ist nicht klar, ob diese 10.000 Anzeigen auch wirklich 10.000 Fälle sind oder ob am Ende vielleicht nur 50 oder 100 übrig bleiben, was auch schon schlimm genug wäre. Ich denke, dass wir uns an einer Sonderkommission beteiligen, ist genau richtig. Denn - das ist immer wieder wichtig - es geht immer wieder nur darum, die Straftäter von Hamburg rechtstaatlich mit aller Konsequenz zur Rechenschaft zu ziehen.

Neben der Aufklärung von Straftaten gilt es deshalb auch zu klären, inwieweit der Umgang mit Journalisten und speziell der Entzug der Akkreditierungen begründet und rechtmäßig gewesen ist. Bislang gibt es auch hier eine Menge offener Fragen, welche natürlich auch für Verunsicherung sorgen. Auch diese Fragen müssen erst einmal geklärt werden, bevor man sich eine endgültige Meinung bildet.

Alles in allem sind wir uns hier im Hause einig, dass wir noch viel aufzuklären haben. Ich würde immer wieder empfehlen, die Einsatztaktik zu überarbeiten und bei allen Fragen die Sachlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Ich bin aber auch zuversichtlich, dass dies gelingen wird.

Auch wir begrüßen es vor diesem Hintergrund, dass unser Innenminister eine Sonderurlaubsregelung angekündigt hat. Darüber hinaus ist es aus unserer

Sicht notwendig, dass die Leute, die Schäden erlitten haben, entsprechend entschädigt werden.

Auch wir als SSW - ich komme jetzt zum Schluss möchten uns ganz herzlich nicht nur bei den Polizistinnen und Polizisten, sondern bei allen anderen Einsatzkräften bedanken, die wirklich ihren Kopf dafür hingehalten haben, dass Menschen in diesem Land demonstrieren können und dass die Bürgerinnen und Bürger so gut wie irgend möglich geschützt wurden.

Ich fände es vor diesem Hintergrund, dass die Leute dort eine wirklich tolle Leistung erbracht haben, wirklich super, wenn wir hier ein gemeinsames Signal aussenden könnten, dass wir uns in dieser Frage einig sind und beiden Anträgen zustimmen könnten. Wir, zumindest als SSW, werden dies auf jeden Fall tun.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kommen nun zu den Dreiminutenbeiträgen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch zwei Anmerkungen zur Debatte machen. Die erste ist: In einem Land, das die schlimmste Rechtsdiktatur seit Menschengedenken gesehen hat, brauchen wir keinerlei Ratschläge von Rechtsparteien, was Demokratie und Gewalt angeht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Ich sage das nicht nur für meine eigene Fraktion und für meine Partei, denn ich finde, dass sich diese Auseinandersetzung gar nicht lohnt, sondern ich sage das mit Blick auf die zweite Anmerkung und die Bitte, dass es ein gemeinsames Signal geben möge. Ich denke, wenn wir uns darauf verständigen mögen, den Anträgen wechselseitig zuzustimmen, ist dieses Signal gegeben.

Eines muss ich mit Blick auf meine erste Bemerkung sagen: Das, was uns trennt, ist deutlich geringer als das, was uns an der Stelle vereint. Uns trennt das, was der eine Redner von der anderen Fraktion gesagt hat.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

(Lars Harms)

Das Wort für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat die Abgeordnete Kathrin Wagner-Bockey.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ralf Stegner hat ein paar Worte vorweg genommen. Herr Vogt, ich hätte Ihnen eigentlich gern noch einmal vorgelesen, was in unserem Antrag steht, nämlich:

(Christopher Vogt [FDP]: Ich habe ihn gele- sen!)

- Ja, aber offensichtlich nicht intensiv genug! - Gewalt ist zu verurteilen, und das gilt unabhängig davon, ob Gewalttäter sich auf linksextreme, rechtsextreme oder sonstige Begründungen berufen.

Ich muss Ihnen ganz deutlich sagen: Mein Mann und einige meiner besten Freunde waren auf dem G-20-Gipfel im Einsatz. Ich finde die Form der Debatte, diese Wortklauberei, wie sie hier jetzt betrieben wird, einfach beschämend für die Diskussion an sich.

(Christopher Vogt [FDP]: Die kommt ja nicht von uns!)

Es ist eine verkürzte Sicht, daran festzuhalten, dass sich die SPD in irgendeiner Form von Linksextremismus nicht lösen kann oder ihn in irgendeiner Form unterstützt. Das verkürzt die Debatte in einer Art und Weise, die den eingesetzten Kräften an dem Tag einfach nicht gerecht wird.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Ich möchte es an dem Punkt dabei belassen, möchte aber noch kurz zur politischen Motivation der „Welcome-to-Hell“-Demonstration grundsätzlich Stellung nehmen.

Herr Schaffer hat immer wieder deutlich betont, Linksextremismus sei an diesem Tag das Problem gewesen. Ich sage Ihnen, Herr Schaffer, aus der Erfahrung der Menschen, die dort im Einsatz waren und mit denen ich gesprochen habe, direkt vor Ort an den Landungsbrücken:

(Jörg Nobis [AfD]: Das waren Rechte, nicht?)

„Willkommen in der Hölle“ ist keine politische Motivation, sondern eine Kampfansage an sich. Die Kollegen, die dort eingesetzt waren und sich haben bewerfen lassen mit Flaschen und Steinen, sich haben beschießen lassen von Raketen, haben ganz deutlich gesagt: Natürlich ist der Schwarze Block

ein Problem gewesen. Aber ein mindestens genauso starkes Problem waren erlebnisorientierte junge Menschen, die mitgemacht haben, die es nicht nur gefilmt haben, sondern die geschmissen haben und die die Polizei an dem Punkt extrem in Bedrängnis gebracht haben. Deshalb sollte jede Debatte, die wir hier führen, etwas breiter gefächert sein, als immer nur diesen einzelnen Aspekt von links und SPD hervorzuheben. Das wird der Sache nicht gerecht.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN - Werner Kalinka [CDU]: Das kann es wohl nicht sein!)

Weitere Wortmeldungen zu Dreiminutenbeiträgen liegen nicht vor.

Daher erteile ich der Landesregierung, dem Ministerpräsidenten Daniel Günther, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Landtag! Ich darf mich erst einmal ganz herzlich dafür bedanken, dass am gestrigen Tag der Einladung des Innenministers an die Polizistinnen und Polizisten, die dort im Einsatz gewesen sind, auch so viele Parlamentarier gefolgt sind und dort das direkte Gespräch mit den Polizistinnen und Polizisten gesucht haben. Ich finde, das war ein beeindruckendes Signal der Solidarität, und es ist ein gutes Zeichen, dass Parlament und Regierung sich so klar hinter die Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten in Schleswig-Holstein stellen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich glaube, es war für viele, die diesen direkten Kontakt gesucht haben, sehr eindrücklich, aus dem Munde von Polizistinnen und Polizisten, die selbst im Einsatz gewesen sind, zu erfahren, wie sie sich eigentlich fühlen, wenn Menschen dort hinkommen, die nichts anderes im Sinn haben, als ihnen nach dem Leben zu trachten, mindestens aber ihren Tod billigend in Kauf zu nehmen, wenn dort mit einer solchen Brutalität gegen Polizistinnen und Polizisten vorgegangen wird, dass sie nicht mehr zählen können, wie viele Pflastersteine sie an ihrem Körper getroffen haben, wenn dort Wagen auseinandergenommen werden und aus Fahrradschläuchen und anderen Schläuchen Katapulte gebaut werden, um damit Gullydeckel über 30, 40 m gezielt auf Polizistinnen und Polizisten zu schleudern. Ich muss sagen, es schockiert mich, dass so etwas möglich ist. Wir sollten jegliche Art von Relativierung ange

sichts solcher Straftaten tunlichst vermeiden, meine Damen und Herren.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich glaube auch, dass das Gerede über Provokation vonseiten der Polizei vollkommener Unsinn ist; denn wir müssen feststellen: Egal, wie man sie bezeichnet, hier sind teilweise aus ganz Europa Straftäter angereist. Ob sie sich nun selbst als Linksextremisten oder als Autonome empfinden oder schlicht und ergreifend einfach Bock darauf haben, andere Menschen zu verletzten, ist mir herzlich egal. Das sind Leute, die wirklich gezielt dort hingekommen sind, die sich auch auf einen solchen Einsatz vorbereitet haben. Da kann man doch niemandem erklären, dass es einer Provokation bedurft hätte, um solche Leute in Aktion zu bringen. Die wollten das an diesem Tag.

(Beifall im ganzen Haus)

1.783 Polizisten allein aus Schleswig-Holstein waren dort. Natürlich muss man sich jetzt immer fragen: Sind die sicher ausgestattet gewesen? Wie sind die in diesen Einsatz hineingegangen? Sie haben dort den Gipfel geschützt, Veranstaltungsorte geschützt, Protokollstrecken geschützt. Sie haben über Gebühr ihren Dienst gemacht. Sie waren teilweise 24 Stunden am Stück im Einsatz. Ich muss sagen, ich habe höchsten Respekt davor, wie besonnen die Polizistinnen und Polizisten trotz dieser körperlichen Beanspruchung, trotz dieser psychischen Belastung in diesem Einsatz vorgegangen sind. Dass sie in einer solchen Situation, in der man so angegriffen wird, die Nerven behalten haben, finde ich, erzeugt ganz großen Respekt, den wir den Polizistinnen und Polizisten schulden, meine Damen und Herren.

(Beifall im ganzen Haus)