Protocol of the Session on July 19, 2017

Auch Ihre Ausführungen zur angeblich fehlenden Bindungswirkung des Urteils aus dem Jahr 2008 gehen in die Irre. Sie meinen, das Gericht habe sich damals ja gar nicht mit einer 2,5-%-Klausel befasst, sondern nur mit der Fünfprozenthürde. Das stimmt aber nicht. Ich hatte als Prozessvertreter - als Anwalt ist man ja immer vorsichtig - hilfsweise beantragt, wenigstens die Hürde prozentmäßig zu reduzieren, wenn das Gericht meint, 5 % gehe nicht, aber darunter gehe irgendetwas.

(Christopher Vogt [FDP]: Du alter Fuchs!)

- Der alte Fuchs. - Das Bundesverfassungsgericht hatte dennoch insgesamt die Berechtigung jedweder Klausel verneint, also auch einer geringeren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, insgesamt atmet die Begründung Ihres Entwurfs einen gewissen arroganten Geist: Nur Herr Saxe und seine Getreuen in der SPD, vielleicht auch noch die CDU, sind in der Lage zu erkennen, was der ehrwürdigen Stadt Lübeck mit Blick auf das Große und Ganze frommt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Verirrten in den Minifraktionen, gar Einzelbewerberinnen und Einzelbewerber, haben ausschließlich einen Blick auf Partikularinteressen und Kleingruppenegoismen. Sie nerven rum, stehlen den gemeinwohlorientierten Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern die Zeit und kosten zu allem Überfluss auch noch viel Geld.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Dolgner?

Natürlich immer.

Bitte.

Herr Peters, Ihr Vortrag macht mich auf den Vortrag des

(Burkhard Peters)

Herrn Innenministers gespannt. Gehören nach Ihrer Auffassung auch die kreisangehörigen Städte zu Herrn Saxe und seinen Gesellen? Immerhin hat Herr Grote dem entsprechenden Verband vorgestanden, und der hat genau die gleiche Forderung erhoben. Ist das alles ein Kotau der kommunalen Landesverbände vor Herrn Saxe gewesen inklusive der CDU in ihrem Landtagswahlprogramm? Da haben wir wohl den falschen Spitzenkandidaten aufgestellt, wenn der eine solche Macht weit über die Parteigrenzen hat.

Herr Kollege Dolgner, Sie wissen: zwei Juristen, vier Ansichten. Für das, was Sie wollen, brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit im Landtag. Wie wollen Sie die unter den gegebenen Umständen selbst mit der CDU zusammen organisieren? - Das ist nicht.

(Heiterkeit - Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Da kommt zum Ausdruck, dass ein derart tiefer Eingriff in das Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger schon eine deutlich größere Mehrheit braucht, als es normalerweise der Fall ist. So weit meine Antwort.

Herr Peters, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage vom Kollegen Dr. Dolgner?

Abgesehen davon, dass Sie meine Frage nicht beantwortet haben, was durchaus Ihr verfassungsmäßiges Recht ist - habe ich Sie richtig verstanden, nach Ihrer jetzt gewandelten Auffassung soll die Opposition nur noch Anträge stellen dürfen, wo sie die Chance auf eine Mehrheit bekommt? Wie verträgt sich das mit dem Verfassungsauftrag der Opposition, lieber Kollege?

(Unruhe)

Das Argument lautete, wir hätten im Augenblick keine Chance, eine Mehrheit zu bekommen, im Gegensatz zu den NRW-Grünen und den Hamburger Grünen, die offensichtlich auch eine unsubstanziierte Politik machen,

wenn sie in der Regierung sind, was ja der Unterschied zu den Grünen in SchleswigHolstein ist. So viel habe ich heute gelernt. Sprechen Sie der Opposition den Versuch ab, andere zu überzeugen?

- Das liegt mir so etwas von fern, das kann ich Ihnen bestätigen. Sie können hier Anträge stellen, so viel Sie wollen, Sie müssen dabei nur die politischen Realitäten akzeptieren, und das wird ja auch letztlich der Fall sein.

(Zuruf SPD: Arroganz der Grünen!)

In Bezug auf die Frage, ob es im Kommunalwahlrecht nur auf die Gemeinwohlorientierung von großen Parteien ankommt, lassen Sie mich noch einmal das Bundesverfassungsgericht zitieren:

„Auch in der Sicherung der Gesamtwohlorientierung politischer Kräfte kann gegenwärtig kein zwingender Grund für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel … gesehen werden.

… so folgt doch aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, dass die Auslese der Kandidaten für die kommunalen Vertretungskörperschaften jedenfalls auch nach partikularen Zielen möglich sein muss und daher nicht ausschließlich den ihrem Wesen und ihrer Struktur nach in erster Linie am Staatsganzen orientierten politischen Parteien vorbehalten werden darf. Es muss daher auch ortsgebundenen, lediglich kommunale Interessen verfolgenden Wählergruppen … das Wahlvorschlagsrecht und ihren Kandidaten eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen gewährleistet sein …“

Dem ist nichts hinzuzufügen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kay Richert das Wort.

(Zurufe)

- Ich störe ungern, aber das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kay Richert.

Wir können so wichtige Dialoge natürlich nicht unterbrechen. - Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holstei

(Vizepräsident Oliver Kumbartzky)

ner! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Zitaten aus der Begründung des SPD-Gesetzentwurfs beginnen, die mich als FDP-Mann wirklich nachdenklich gestimmt haben.

Der Gesetzentwurf macht ja die angeblich problematische Entwicklung bezüglich Einzelmandatsträgern sowie Kleinstfraktionen zum Thema. So heißt es im vorliegenden SPD-Gesetzentwurf:

„Die gestiegene Zahl von Einzelmandatsträgerinnen und -trägern und Kleinstfraktionen ist zudem auch keineswegs mit einem Zuwachs an Demokratie gleichzusetzen. Die zunehmende Zersplitterung der Kommunalvertretungen beeinträchtigt nämlich nicht nur die Arbeitsabläufe, sondern gefährdet auch eine am Gemeinwohl orientierte Politik der kommunalen Volksvertretungen.“

Weiter:

„Diese Handlungsfähigkeit ist jedoch durch die Zersplitterung beeinträchtigt oder zumindest in hohem Maße gefährdet,“

- verzeihen Sie das Pathos, aber es steht hier wirklich so

„da die stark gestiegene Zahl von Einzelmandatsträgerinnen und -trägern und Kleinstfraktionen ihre Arbeit behindern, teilweise erheblich erschweren und personelle und finanzielle Ressourcen der Verwaltung binden. … In bestimmten Fällen droht hier sogar die faktische Handlungs- und Funktionsunfähigkeit der kommunalen Vertretung.“

Was sagen uns die Kollegen der SPD damit? - Die SPD sagt uns, dass der SPD-Gemeindeverteter in Buchholz, der CDU-Gemeindevertreter in Koldenbüttel, der Gemeindevertreter der grünen Partei in Grebin, der SSW-Gemeindevertreter in Busdorf oder der Gemeindevertreter der Freien Demokraten in Barsbüttel einerseits nicht am Gemeinwohl orientiert sind und andererseits die kommunale Verwaltung nur durch unnötige Arbeit lahmgelegt und bis zur Funktionsunfähigkeit gestört wird.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das finde ich so fies!)

Die dusseligen Wählergemeinschaften stören wahrscheinlich sowieso.

Liebe Gemeindevertreter, Kreistagsmitglieder, Ratsleute, gehen Sie nach Hause, stören Sie die Sozis nicht beim Regieren!

(Heiterkeit und Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben heute schon mehrfach über Feinde der Demokratie debattiert. Es ist erstaunlich, wo sie die überall finden: jetzt in den Kommunalparlamenten. Da frage ich mich doch: Was für ein Demokratieverständnis hat die SPD eigentlich? - Offensichtlich gar keines. Liebe Freunde von der SPD: Demokratie darf anstrengend sein. Scheinbar einfache und schnelle Lösungen sind eben gerade nicht ihr Wesen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner?

Selbstverständlich.

Bitte.

Werter Kollege, wenn Sie bei der SPD indirekt eine gewisse Demokratiefeindlichkeit schon bei 2,5 % insinuieren, wie stehen Sie dann zum Beispiel zu dem Verhalten der FDP bei nordrheinwestfälischen Änderungen? Noch mehr interessiert mich: Wie stehen Sie denn zur Forderung einer 4-%-Hürde durch die Kollegen der CDU? Wie stehen Sie zur Forderung der 4-%-Hürde durch die kommunalen Spitzenvertreter, die immerhin demokratisch legitimiert sind? Sind das alles Menschen, die Sie in diese Nähe rücken wollen, die CDU-Kollegen sogar noch stärker, denn 4 % schränkt das alles noch viel stärker ein als 2,5 %? Ist das Ihre Aussage?

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])